Der versteckte Nutzen von PV-Anlagen
Blindleistungs-Kompensation
PV-Anlagen können nicht nur zur Stromerzeugung eingesetzt werden, sondern – mit entsprechenden Wechselrichtern ausgestattet – auch zur Kompensation von Blindleistung, wie sie in der industriellen Produktion zum Beispiel durch Motoren auftritt. Ein Pilotprojekt des Bundesamts für Energie hat die Technologie in einer Schokoladenfabrik praxisnah erprobt.
Die Schokoladenfabrik Camille Bloch im Berner Jura hat in den letzten Jahren in eine nachhaltige Energieversorgung und in Effizienzmassnahmen investiert. Seit Juli 2016 deckt der Produktionsbetrieb einen grossen Teil des Wärmebedarfs mit einer Holzschnitzelfeuerung, womit der Heizölverbrauch um 75% sank. Weitere Einsparungen brachten Prozessoptimierungen mit Unterstützung der Energieagentur für Wirtschaft (EnAW). Schliesslich liefert eine 2017 erstellte 309-kW-Photovoltaikanlage jährlich 300MWh Solarstrom, rund 10% des Jahresstrombedarfs der Fabrik.
Solaranlagen liefern Strom aus erneuerbarer Quelle. Sind sie bei Industriebetrieben installiert, bieten sie einen weiteren Nutzen: Sie können zur Kompensation von Blindleistung eingesetzt werden, wie sie in den meisten Industriebetrieben auftritt, bei Camille Bloch zum Beispiel durch Motoren der Rührwerke, der Zerkleinerungsmaschinen und bei weiteren elektrischen Verbrauchern. In der Schokoladenfabrik liegt der Anteil an Blindleistung bei 20 bis 25% der konsumierten Wirkleistung.
Da Blindstrom in Stromnetzen unwillkommen ist, dürfen ihn Industriebetriebe nur in beschränktem Mass bzw. nur gegen Entgelt ins Stromnetz einspeisen. Über die Tarifierung beschränken die Netzbetreiber die Menge an Blindleistung, die ans Netz abgegeben werden darf. Camille Bloch müsste 4.1 Rp/kvarh an das lokale Elektrizitätswerk, die Forces Electriques de La Goule SA, abgeben, würde sie mehr als 50% der bezogenen Wirkleistung als induktive Blindleistung ins Netz einspeisen. Um solche Kosten zu vermeiden, ist es üblich, dass Industriebetriebe induktive Blindleistung aus Motoren und anderen Elektrogeräten auf dem Werkgelände kompensieren. Dafür setzen solche Betriebe herkömmlicherweise eine Kondensatorbank ein.
Zusatzfunktion moderner Solar-Wechselrichter
Doch es geht auch anders: Für die Kompensation der Blindleistung können auch die Wechselrichter von PV-Anlagen genutzt werden, sofern sie neuerer Bauart sind. Sie können entweder nur Wirkleistung oder nur Blindleistung (auch in der Nacht) bereitstellen – oder aber eine Mischung von beidem. Der Arbeitspunkt kann zu jeder Zeit gemäss der zu kompensierenden Blindleistung frei gewählt werden. Die Kompensation von Blindleistung schmälert aber die Wirkleistung: Werden die zehn Wechselrichter der Schokoladenfabrik maximal zur Kompensation von Blindleistung herangezogen, sinkt ihre Wirkleistung von 261 auf 158 kW.
Ein vom BFE und vom Kanton Bern unterstütztes Pilotprojekt bei Camille Bloch sollte zeigen, wie gut dies funktioniert. Unter der Leitung des Ingenieurunternehmens Planair SA wurde eine Testreihe durchgeführt, die alle zehn PV-Wechselrichter umfasste (fünf für die PV-Module des Produktionsgebäudes und fünf für jene des Verwaltungsgebäudes). Die Wechselrichter können bei maximaler PV-Produktion 260 kW Wechselstrom bereitstellen. Werden sie zur Kompensation von Blindleistung genutzt, können sie Blindleistung im Umfang von 80% der Wirkleistung bereitstellen, also insgesamt 200 kvar. Zum Vergleich: Die bestehende Blindleistungs-Kompensationsanlage (Kondensatorbank) bei Camille Bloch hat eine Kapazität von 720 kvar. Die Wechselrichter könnten somit nur einen Teil der gesamten Blindleistung kompensieren.
Erfolgreiche Umsetzung
Zur Kompensation von Blindleistung muss der Arbeitspunkt jedes Wechselrichters entsprechend der in der Fabrik aktuell erzeugten Blindleistung geregelt werden, um die erforderliche Blindleistung zu produzieren. ABB Schweiz hat den Regler für das Pilotprojekt entwickelt und programmiert. Die entsprechenden Daten werden werkseitig am Transformator erfasst, der das Niederspannungsnetz der Schokoladenfabrik an das Mittelspannungsnetz anschliesst, und von dort zum Regler übermittelt.
Florent Jacqmin, der Projektleiter von Planair, zieht eine positive Bilanz des Pilotprojekts: «Die Tests haben gezeigt, dass die Kompensation von Blindleistung durch Wechselrichter zuverlässig funktioniert. Die Technologie ist reif für die Anwendung in Industriebetrieben, die Blindleistungskompensation brauchen und gleichzeitig über eine PV-Anlage verfügen.» Die Reaktionszeit zur Bereitstellung der Kompensationsleistung beträgt rund 20 s; das ist vergleichbar mit der Reaktionszeit einer Kondensatorbank und deutlich kürzer als die 5 Minuten, die in der praktischen Anwendung angestrebt werden. Bei den Tests hatte die Blindleistungskompensation nur geringen Einfluss auf den Solarenergieertrag. Generell sollten PV-Wechselrichter, die zur Blindleistungskompensation eingesetzt werden, um rund 10% gegenüber einer Standardinstallation überdimensioniert werden, damit die Stromproduktion der Solaranlage nicht eingeschränkt wird.
Finanzieller Vorteil, praktische Hürden
Blindleistungs-Kompensation mittels PV-Wechselrichtern ist grundsätzlich finanziell interessant, wie eine im Rahmen des Pilotprojekts erstellte Modellrechnung zeigt. Berücksichtigt man die Investitionskosten und die Betriebskosten über 15 Jahre, resultiert bei Verwendung der PV-Wechselrichter gegenüber der Kondensatorbank ein Kostenvorteil von 8500 CHF pro 100 kvar Blindleistung (in der Modellrechnung ist die oben erwähnte Überdimensionierung der Wechselrichter um 10% mitberücksichtigt). Bei einem grossen Industriebetrieb resultiert somit schnell ein Kostenvorteil im fünf- oder sogar sechsstelligen Franken-Bereich.
Das Pilotprojekt in Courtelary zeigt allerdings auch die praktischen Hürden bei der Umsetzung des neuen Ansatzes. Denn erstens braucht ein Industriebetrieb eine PV-Anlage, die hinreichend gross ist, dass die Wechselrichter die gewünschte Menge Blindleistung kompensieren können. Und zweitens profitiert man finanziell nur dann, wenn keine Kondensatorbank vorhanden ist oder die bestehende altershalber ersetzt werden muss. «In der Praxis dürften Wechselrichter hauptsächlich bei Werkserweiterungen zur Anwendung kommen. Hier kann der zusätzliche Kompensationsbedarf mit Wechselrichtern abgedeckt werden», sagt Florent Jacqmin und betont: «Wir sehen in der Schweiz ein grosses Potenzial.» Um dieses Potenzial abzurufen, wäre es laut Jacqmin wünschbar, wenn die Wechselrichter mit integriertem Regler auf dem Markt verfügbar wären.
Über- und Unterspannungen ausgleichen
Die Autoren der Pilotstudie verweisen in ihrem Abschlussbericht auf ein weiteres, bislang weitgehend ungenutztes Potenzial von Solar-Wechselrichtern hin: Sie könnten einen Beitrag zur Spannungshaltung im Netz liefern. Anders formuliert: Netzbetreiber könnten die Wechselrichter grösserer Solaranlagen nutzen, um vorübergehende Über- und Unterspannungen im Mittelspannungsnetz auszugleichen. Zwar wurde dieser Aspekt in der Pilotstudie nicht vertieft untersucht, die Autoren deuten aber an, dass Industriebetriebe zusätzliche Einnahmen generieren könnten, indem sie ihre Wechselrichter dem Netzbetreiber gegen Entgelt zur Spannungshaltung zur Verfügung stellen.
Literatur
Schlussbericht zum Projekt «Compensation d‘énergie réactive de l’usine Camille Bloch avec des onduleurs PV»:
www.aramis.admin.ch/Texte/?ProjectID=40227
Link
www.bfe.admin.ch/pilotdemonstration
Auskünfte zum Projekt erteilt der Leiter des BFE-Forschungsprogramms Netze, Dr. Michael Moser.
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