Fachartikel Energienetze , Erneuerbare Energien , Integration ins Netz

Der versteckte Nutzen von PV-Anlagen

Blindleistungs-Kompensation

30.04.2021

PV-Anlagen können nicht nur zur Strom­erzeugung eingesetzt werden, sondern – mit entsprechenden Wechsel­richtern ausgestattet – auch zur Kompen­sation von Blind­leistung, wie sie in der industriellen Produktion zum Beispiel durch Motoren auftritt. Ein Pilotprojekt des Bundes­amts für Energie hat die Technologie in einer Schoko­laden­fabrik praxisnah erprobt.

Die Schokoladen­fabrik Camille Bloch im Berner Jura hat in den letzten Jahren in eine nachhaltige Energie­versor­gung und in Effizienz­mass­nahmen investiert. Seit Juli 2016 deckt der Produktions­betrieb einen grossen Teil des Wärmebedarfs mit einer Holz­schnitzel­feuerung, womit der Heizöl­verbrauch um 75% sank. Weitere Einsparungen brachten Prozess­optimie­rungen mit Unter­stützung der Energie­agentur für Wirtschaft (EnAW). Schliesslich liefert eine 2017 erstellte 309-kW-Photo­voltaik­anlage jährlich 300­MWh Solarstrom, rund 10% des Jahres­strom­bedarfs der Fabrik.

Solaranlagen liefern Strom aus erneuerbarer Quelle. Sind sie bei Industrie­betrieben installiert, bieten sie einen weiteren Nutzen: Sie können zur Kompen­sation von Blind­leistung eingesetzt werden, wie sie in den meisten Industrie­betrieben auftritt, bei Camille Bloch zum Beispiel durch Motoren der Rührwerke, der Zerkleine­rungs­maschinen und bei weiteren elektrischen Verbrauchern. In der Schoko­laden­fabrik liegt der Anteil an Blind­leistung bei 20 bis 25% der konsu­mierten Wirkleistung.

Da Blindstrom in Stromnetzen unwillkommen ist, dürfen ihn Industrie­betriebe nur in beschränktem Mass bzw. nur gegen Entgelt ins Stromnetz einspeisen. Über die Tarifierung beschränken die Netzbetreiber die Menge an Blind­leistung, die ans Netz abgegeben werden darf. Camille Bloch müsste 4.1 Rp/kvarh an das lokale Elektrizitätswerk, die Forces Electriques de La Goule SA, abgeben, würde sie mehr als 50% der bezogenen Wirkleistung als induktive Blind­leistung ins Netz einspeisen. Um solche Kosten zu vermeiden, ist es üblich, dass Industrie­betriebe induktive Blind­leistung aus Motoren und anderen Elektrogeräten auf dem Werkgelände kompensieren. Dafür setzen solche Betriebe herkömm­licher­weise eine Kondensator­bank ein.

Zusatzfunktion moderner Solar-Wechsel­richter

Doch es geht auch anders: Für die Kom­pen­sation der Blind­leistung können auch die Wechsel­richter von PV-Anlagen genutzt werden, sofern sie neuerer Bauart sind. Sie können entweder nur Wirkleistung oder nur Blind­leistung (auch in der Nacht) bereitstellen – oder aber eine Mischung von beidem. Der Arbeitspunkt kann zu jeder Zeit gemäss der zu kompensierenden Blind­leistung frei gewählt werden. Die Kom­pen­sation von Blind­leistung schmälert aber die Wirkleistung: Werden die zehn Wechsel­richter der Schokoladenfabrik maximal zur Kom­pen­sation von Blind­leistung herangezogen, sinkt ihre Wirkleistung von 261 auf 158 kW.

Ein vom BFE und vom Kanton Bern unterstütztes Pilotprojekt bei Camille Bloch sollte zeigen, wie gut dies funktioniert. Unter der Leitung des Ingenieur­unter­neh­mens Planair SA wurde eine Testreihe durchgeführt, die alle zehn PV-Wechsel­richter umfasste (fünf für die PV-Module des Produktions­gebäudes und fünf für jene des Verwaltungs­gebäudes). Die Wechsel­richter können bei maximaler PV-Produktion 260 kW Wechselstrom bereitstellen. Werden sie zur Kom­pen­sation von Blind­leistung genutzt, können sie Blind­leistung im Umfang von 80% der Wirkleistung bereitstellen, also insgesamt 200 kvar. Zum Vergleich: Die bestehende Blind­leistungs-Kom­pen­sationsanlage (Kondensator­bank) bei Camille Bloch hat eine Kapazität von 720 kvar. Die Wechsel­richter könnten somit nur einen Teil der gesamten Blind­leistung kompensieren.

Erfolgreiche Umsetzung

Zur Kom­pen­sation von Blind­leistung muss der Arbeitspunkt jedes Wechsel­richters entsprechend der in der Fabrik aktuell erzeugten Blind­leistung geregelt werden, um die erfor­der­liche Blind­leistung zu produzieren. ABB Schweiz hat den Regler für das Pilotprojekt entwickelt und programmiert. Die entsprechenden Daten werden werkseitig am Transformator erfasst, der das Nieder­spannungs­netz der Schokoladen­fabrik an das Mittel­spannungs­netz anschliesst, und von dort zum Regler übermittelt.

Florent Jacqmin, der Projektleiter von Planair, zieht eine positive Bilanz des Pilotprojekts: «Die Tests haben gezeigt, dass die Kom­pen­sation von Blind­leistung durch Wechsel­richter zuverlässig funktioniert. Die Technologie ist reif für die Anwendung in Industrie­betrieben, die Blind­leistungs­kom­pen­sation brauchen und gleichzeitig über eine PV-Anlage verfügen.» Die Reaktionszeit zur Bereitstellung der Kom­pen­sationsleistung beträgt rund 20 s; das ist vergleichbar mit der Reaktions­zeit einer Konden­sator­bank und deutlich kürzer als die 5 Minuten, die in der praktischen Anwendung angestrebt werden. Bei den Tests hatte die Blind­leistungs­kom­pen­sation nur geringen Einfluss auf den Solar­energie­ertrag. Generell sollten PV-Wechsel­richter, die zur Blind­leistungskom­pen­sation eingesetzt werden, um rund 10% gegenüber einer Standard­installa­tion überdimen­sioniert werden, damit die Strom­produk­tion der Solaranlage nicht eingeschränkt wird.

Finanzieller Vorteil, praktische Hürden

Blind­leistungs-Kom­pen­sation mittels PV-Wechsel­richtern ist grundsätzlich finanziell interessant, wie eine im Rahmen des Pilotprojekts erstellte Modellrechnung zeigt. Berücksichtigt man die Investitions­kosten und die Betriebskosten über 15 Jahre, resultiert bei Verwendung der PV-Wechsel­richter gegenüber der Konden­sator­bank ein Kostenvorteil von 8500 CHF pro 100 kvar Blind­leistung (in der Modellrechnung ist die oben erwähnte Überdimensionierung der Wechsel­richter um 10% mitberücksichtigt). Bei einem grossen Industriebetrieb resultiert somit schnell ein Kostenvorteil im fünf- oder sogar sechsstelligen Franken-Bereich.

Das Pilotprojekt in Courtelary zeigt allerdings auch die praktischen Hürden bei der Umsetzung des neuen Ansatzes. Denn erstens braucht ein Industriebetrieb eine PV-Anlage, die hinreichend gross ist, dass die Wechsel­richter die gewünschte Menge Blind­leistung kompensieren können. Und zweitens profitiert man finanziell nur dann, wenn keine Konden­sator­bank vorhanden ist oder die bestehende altershalber ersetzt werden muss. «In der Praxis dürften Wechsel­richter hauptsächlich bei Werkserweiterungen zur Anwendung kommen. Hier kann der zusätzliche Kom­pen­sationsbedarf mit Wechsel­richtern abgedeckt werden», sagt Florent Jacqmin und betont: «Wir sehen in der Schweiz ein grosses Potenzial.» Um dieses Potenzial abzurufen, wäre es laut Jacqmin wünschbar, wenn die Wechsel­richter mit integriertem Regler auf dem Markt verfügbar wären.

Über- und Unter­spannungen ausgleichen

Die Autoren der Pilotstudie verweisen in ihrem Abschlussbericht auf ein weiteres, bislang weitgehend ungenutztes Potenzial von Solar-Wechsel­richtern hin: Sie könnten einen Beitrag zur Spannungs­haltung im Netz liefern. Anders formuliert: Netzbetreiber könnten die Wechsel­richter grösserer Solaranlagen nutzen, um vorübergehende Über- und Unterspannungen im Mittel­spannungs­netz auszugleichen. Zwar wurde dieser Aspekt in der Pilotstudie nicht vertieft untersucht, die Autoren deuten aber an, dass Industriebetriebe zusätzliche Einnahmen generieren könnten, indem sie ihre Wechsel­richter dem Netzbetreiber gegen Entgelt zur Spannungs­haltung zur Verfügung stellen.

Literatur

Schlussbericht zum Projekt «Compensation d‘énergie réactive de l’usine Camille Bloch avec des onduleurs PV»:
www.aramis.admin.ch/Texte/?ProjectID=40227

Link

www.bfe.admin.ch/pilotdemonstration

Auskünfte zum Projekt erteilt der Leiter des BFE-Forschungsprogramms Netze, Dr. Michael Moser.

Autor
Dr. Benedikt Vogel

ist Wissen­schafts­journalist.

  • Dr. Vogel Kommunikation
    DE-10437 Berlin

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