Der öffentliche Verkehr als Selbstversorger
Solarstrom im ÖV
Der öffentliche Personenverkehr braucht bei gleicher Transportleistung nur einen Drittel der Energie des motorisierten Individualverkehrs. Doch die Fahrleistungen nehmen zu und die Busbetriebe müssen auf Strom umsteigen. Dächer und Infrastrukturen der Verkehrsbetriebe bieten interessante Möglichkeiten, diesen zusätzlichen Bedarf mittels Solarstrom zu decken.
Vor über hundert Jahren wurde die Eisenbahn elektrifiziert. Mit dem Wechsel von der importierten Kohle zur einheimischen Wasserkraft fällte die Schweiz damals einen wegweisenden Entscheid. Die Bahn ist heute eines der klimafreundlichsten Verkehrsmittel, das sich fast vollständig mit Wasserkraft versorgt. Auch die Effizienz kann sich sehen lassen: Bei gleicher Transportleistung braucht der öffentliche Personenverkehr nur einen Drittel der Energie des motorisierten Individualverkehrs.
Doch auch der ÖV hat noch erneuerbares Potenzial: Noch immer werden im öffentlichen Verkehr jährlich 120 Millionen Liter Diesel verbraucht, ein fossiler Brennstoff, auf den zur Umsetzung des bundesrätlichen Netto-Null-Ziels bis spätestens 2050 zu verzichten ist. Gleichzeitig ist gemäss den Prognosen des Bundesamts für Raumentwicklung (ARE) bis 2040 mit einem Wachstum des öffentlichen Personenverkehrs um 51 % zu rechnen – einerseits bedingt durch die Bevölkerungszunahme, andererseits wegen der Verlagerung weg vom motorisierten Individualverkehr sowie aufgrund weiterer Ausbauschritte der Bahninfrastruktur. Dies führt dazu, dass der heutige Stromverbrauch im öffentlichen Verkehr von jährlich 2,7 TWh auf mindestens 3,5 TWh steigen wird.
Verkehrsbetriebe prädestiniert zur Eigenproduktion von Strom
Bisher hatten nur wenige Transportunternehmen des öffentlichen Verkehrs die Möglichkeit, substanzielle Anteile ihres Stromverbrauchs mit eigenen Kraftwerken abzudecken. Mit der Photovoltaik (PV) haben nun auch alle anderen Transportunternehmen die Chance, ihre Energieversorgung zu einem Teil mit Eigenproduktion auf Gebäuden und Infrastrukturanlagen selbst in die Hand zu nehmen. Das Bundesamt für Verkehr (BAV) beauftragte deshalb Swissolar, den schweizerischen Fachverband für Sonnenenergie, mit der Erarbeitung eines Leitfadens, der den Transportunternehmen hilft, dieses Potenzial nutzbar zu machen. Dieser Auftrag erfolgte im Rahmen des Programms «Energiestrategie 2050 im öffentlichen Verkehr» des BAV.
Eine genaue Quantifizierung des Solarpotenzials erwies sich als schwierig, da es keine Erhebung sämtlicher Gebäude im Besitz der Unternehmen gibt. Hochrechnungen anhand von zehn verschiedenen Transportunternehmen zeigen jedoch, dass diese Unternehmen etwa 20 bis 30 % ihres Strombedarfs auf ihren eigenen Gebäuden erzeugen könnten. Umgerechnet auf alle Transportunternehmen bedeutet dies, dass auf Gebäuden, Perron-Dächern und Werkstätten der gesamte zusätzliche Strombedarf zum Ersatz des Diesels produziert werden könnte. Gut veranschaulichen lässt sich das grosse Potenzial auch mit folgendem Bild: Ein elektrisch betriebener Bus verbraucht jährlich etwa 100'000 kWh Strom. Auf seinem Parkplatz mit einer Fläche von rund 120 m2 könnten 20 % seines Strombedarfs mittels Solarmodulen erzeugt werden.
Verschiedene Einsatzmöglichkeiten
Viele Transportunternehmen besitzen grosse Flächen, die nicht mehr für den Bahnbetrieb benötigt werden. Auf diesen werden oft Wohn- und Geschäftsimmobilien erstellt, wie etwa an der Zürcher Europaallee. Was dort nur in wenigen Fällen gemacht wurde, wird in Zukunft zum Standard: Dächer und Fassaden werden mit PV-Anlagen ausgestattet. Dabei sind keine besonderen technischen oder rechtlichen Anforderungen zu beachten. Für die Baubewilligung respektive das Baumeldeverfahren ist die Standortgemeinde zuständig. Ein Zusammenschluss zum Eigenverbrauch (ZEV) kann solche Projekte noch rentabler machen.
Etwas anders sieht es aus, wenn die PV-Anlage im Bereich der Bahntechnik erstellt werden soll. In diesem Fall braucht es meist ein Plangenehmigungsverfahren des BAV, das an Stelle der kommunalen respektive kantonalen Baubewilligung und gegebenenfalls eines Plangenehmigungsverfahrens des ESTI tritt. Die SBB prüfen zurzeit die serienmässige Ausstattung ihrer Bahntechnikgebäude mit PV-Anlagen. Während diese mit 50-Hz-Wechselstrom arbeiten und somit marktübliche Wechselrichter zum Einsatz kommen, so ist die eigentlich naheliegende Direkteinspeisung ins 16,7-Hz-Bahnstromnetz noch keine Selbstverständlichkeit. Pionierarbeit haben diesbezüglich die Österreichischen Bundesbahnen mit einer 1-MW-Anlage in Wilfleinsdorf geleistet. Die dafür entwickelten Fronius-Wechselrichter kommen seit letztem Frühling auch bei der 132-kW-PV-Anlage auf dem SBB-Frequenz-Umformerwerk in Zürich-Seebach zum Einsatz. Die Genfer Verkehrsbetriebe wiederum speisen den Strom von den Dächern ihrer Depots direkt ins Gleichstromnetz ihrer Tram- und Trolleybus-Betriebe ein. Ähnliche Anlagen gibt es bei anderen mit Gleichstrom betriebenen Schmalspurbahnen, wie etwa den Chemins de fer du Jura.
Ein weiteres Anlagensegment bilden PV-Anlagen auf Bahn-Infrastrukturen, wie etwa auf Perron-Dächern, Fahrradunterständen oder Lärmschutzwänden. Hier bietet sich eine Standardisierung solcher Kleinanlagen an. Auch diese Anlagen unterstehen dem Eisenbahngesetz und müssen somit in der Regel ein BAV-Plangenehmigungsverfahren durchlaufen.
Wirtschaftlichkeit, Förderung und Finanzierung
PV-Anlagen im Bereich des öffentlichen Verkehrs haben wie alle anderen PV-Anlagen Anspruch auf die Einmalvergütung, die rund 25 % der Investitionskosten abdeckt. Die Anträge sind bei der Förderstelle Pronovo einzureichen, und dank einer verbesserten Bewirtschaftung der Mittel werden die Beiträge innert weniger Monate ausbezahlt. Die eher bescheidene Förderhöhe sowie die teils sehr tiefen Rückliefertarife der Energieversorgungsunternehmen haben jedoch zur Folge, dass der Eigenverbrauch für die Wirtschaftlichkeit einer Anlage von grosser Bedeutung ist.
Wie erwähnt, ist die direkte Nutzung der Solarenergie für Traktionsstrom noch keine Standardanwendung. Via die vorhandenen Frequenzumformer kann der Solarstrom aber trotzdem auch mit handelsüblichen Komponenten für die Traktion genutzt werden. Daneben gibt es jedoch bei jedem öffentlichen Transportunternehmen eine Vielzahl von Stromverbrauchern im 50-Hz-Netz, wie etwa Billett-Automaten, Beleuchtungen, Büroarbeitsplätze oder Schaltanlagen. Zu Letzterem sei auf das innovative Projekt der BLS auf der Schaltstation Holligen hingewiesen, wo eine PV-Anlage in Kombination mit einer Salzbatterie die unterbrechungsfreie Stromversorgung sicherstellt. Mit dem zunehmenden Einsatz von batteriebetriebenen Bussen wird der Eigenverbrauch der Transportunternehmen rasch ansteigen. Der Eigenverbrauch kann zudem im Verbund mit weiteren Verbrauchern erhöht werden, zum Beispiel im Rahmen eines ZEV.
Wenn eine PV-Anlage auf einer Immobilie oder einem Grundstück der Bahninfrastruktur steht und diese der Produktion des Eigenbedarfs an Industrie- oder Haushaltsstrom dient, so kann sie im Rahmen des Bahninfrastrukturfonds finanziert werden. Sollte dies nicht möglich sein und fehlen auch die erforderlichen Eigenmittel, so kann ein Contracting interessant sein: In diesem Fall betreibt eine externe Firma die PV-Anlage und verkauft den erzeugten Solarstrom dem Transportunternehmen zu einem festgelegten Tarif. Es gibt auch Beispiele, bei denen Transportunternehmen ihre Dächer dem örtlichen Verteilnetzbetreiber zur Verfügung stellen, ohne selbst Solarstrom zu beziehen. Für touristische Bahnbetriebe kann auch eine Finanzierung mittels Crowdfunding interessant sein: Bei der Luftseilbahn zum Kronberg im Kanton Appenzell Innerrhoden wurde das 429-kW-Solarfaltdach über dem Parkplatz teilweise über Bürgerbeteiligungen finanziert – im Gegenzug erhalten die Sponsoren Erlebnisgutscheine.
Die Investition in eine PV-Anlage hat einen längeren Zeithorizont: Die Payback-Zeit liegt typischerweise im Bereich von 15 bis 20 Jahren, während die Lebensdauer der Anlage bei über 30 Jahren liegt. Sie gibt jedoch schon von Beginn an ein gut sichtbares Zeichen an die Kundinnen und Kunden der Verkehrsbetriebe, dass hier mit sauberer Energie gefahren wird.
Transportunternehmen können unterstützt werden
Der öffentliche Verkehr muss klimaneutral werden. Die Photovoltaik bietet dazu viele Möglichkeiten. Zur Nutzung dieses Potenzials braucht es jedoch die Unterstützung des Umfelds: Die lokalen Verteilnetzbetreiber könnten einen fairen, langfristig garantierten Rückliefertarif für den nicht selbst verbrauchten Strom bezahlen. Kommunale Baubehörden könnten mit ihrer Bewilligungspraxis Solarprojekte auf Bahn- und Busgebäuden unterstützen – insbesondere dann, wenn es sich um historische Bauten handelt. Bund, Kantone und Gemeinden könnten Hand bieten bei der Einrichtung von Zusammenschlüssen zum Eigenverbrauch, gemeinsam mit Bauten des öffentlichen Verkehrs. Und nicht zuletzt liegt es an den Trägerschaften der Transportunternehmen (Verkehrsverbünde, Kantone), diese bei der Finanzierung von PV-Anlagen zu unterstützen.
Kommentare