«Dem Klimawandel müssen wir als Gesellschaft begegnen»
Interview mit Klimaphysiker Reto Knutti
Wegen der Corona-Pandemie fliegen und fahren die Menschen weniger. Das müsste den Kampf gegen den Klimawandel doch eigentlich befördern, oder? Klimaphysiker Reto Knutti erklärt im Interview die Parallelen zwischen einer Pandemie und dem Klimawandel. Und er zeigt auf, warum das Corona-Virus im Gegenteil sogar negative Auswirkungen auf die Klimadiskussion haben könnte.
Bulletin: Reto Knutti, der Ausstoss von CO2 ist während der Corona-Pandemie in einigen Ländern deutlich gesunken. Als Klimaphysiker müssten Sie Freudensprünge machen, oder nicht?
Reto Knutti: Kurzfristig ist diese verminderte Belastung unserer Luft sicher einer der wenigen positiven Nebenaspekte der Corona-Pandemie. Bessere Luftqualität sollte aber eigentlich auch ohne ein Virus möglich sein, das Wirtschaft und Alltag global lahmlegt. Und leider werden all diese Schadstoffe sofort wieder in der Luft sein, sobald wieder Normalbetrieb herrscht.
Aber es gelangt doch viel weniger CO2 in die Atmosphäre. Und das ist doch das zentrale Ziel aller Bemühungen, um den Klimawandel aufzuhalten?
Der Flugverkehr macht in der Schweiz etwa zwanzig Prozent des CO2-Ausstosses aus, ebenso wie der Strassenverkehr. Wenn wir davon ausgehen, dass der Strassenverkehr um die Hälfte reduziert ist, kommen wir vielleicht auf dreissig Prozent weniger CO2 – und das während einer vergleichsweise kurzen Periode. Das ist weniger als der berühmte Tropfen auf den heissen Stein.
Dann bleibt Corona in dieser Beziehung also «folgenlos»?
Bezüglich des Klimas unmittelbar wohl schon. Im schlimmsten Fall kommt es sogar zu einem Rebound-Effekt. Weil uns dieses Virus und die Folgen aus dem Lockdown so direkt betreffen, könnte die Klimadiskussion langfristig in den Hintergrund geraten. Allerdings erlauben die Entwicklungen während und rund um diese Pandemie andere, ebenso interessante Denkansätze.
Woran denken Sie da konkret?
Was können wir aus dieser Krise für vergleichbare Situationen lernen? Lohnt es sich, frühzeitig zu handeln, wenn sich ein Ereignis abzeichnet? Der Klimawandel geht immer weiter, jetzt können wir noch etwas dagegen tun, auch wenn Massnahmen wohl erst in der nächsten oder übernächsten Generation wirksam werden. Allerdings gibt es auch grosse Unterschiede zwischen einer Pandemie und dem Klimawandel.
Sie sprechen die Unmittelbarkeit an?
Corona betrifft uns hier und jetzt. Und ein Ende ist wohl absehbar. Der Leidensdruck war so gross, dass die Bevölkerung sogar goutierte, dass demokratische Prozesse temporär ausser Kraft gesetzt werden. Die Klimafrage ist viel langfristiger. Es gibt keinen akuten «Notstand», und wir spüren die Folgen des Klimawandels im Moment verhältnismässig wenig. Es trifft Entwicklungsländer und weit entfernte Regionen.
Wissen wir genug, um zu handeln?
Wir wissen genug. Vollständiges Wissen gibt es natürlich weder bei der Pandemie noch beim Klima, aber wenn viel auf dem Spiel steht, sollte das Vorsorgeprinzip gelten. Abwarten schränkt den Spielraum der Entscheidungen ein und kann teuer oder tödlich enden.
Wie kriegen wir doch noch die Kurve?
Dem Klimawandel können wir nur als Gesellschaft begegnen. Und wir müssen bereit sein, Massnahmen «auf lange Sicht» vorzunehmen, also Massnahmen, deren Wirkung wohl erst bei unseren Kindern oder Enkeln spürbar wird.
Zur Person
Dr. Reto Knutti ist Professor für Klimaphysik an der ETH Zürich. Er war Hauptautor von zwei Berichten des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC). Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen Veränderungen im Klimasystem durch Treibhausgase wie CO2 sowie die Weiterentwicklung, Bewertung und Anwendung von Klimamodellen.
Kommentare