Fachartikel Gebäudeautomation

Das wachsame Haus

Bild­erken­nung im Gebäude

01.03.2018

Obwohl es viele Einsatzmöglichkeiten für die Bild­erken­nung in Gebäuden gibt, beschränkt sich ihr Einsatz heute meist auf die Video­über­wachung und Zutritts­kontrollen mittels Gesichts­erkennung. Ein grosses Potenzial kann aber noch erschlossen werden, beispiels­weise zur benutzer­zen­trierten Gebäude­auto­mation und zum Ambient Assisted Living.

Die Bild­erken­nung ist heute allgegenwärtig. In Produktions­linien werden unter­schiedliche Objekte per Video auto­matisch registriert, ausgerichtet und sortiert. In Briefzentren werden Zieladressen mittels optischer Zeichen­erkennung (OCR) in Sekunden­bruch­teilen eingelesen. In der bild­gebenden Diagnostik unterstützen Algorithmen den Arzt beim zuverlässigen Erkennen von Erkrankungen. Nachrichten­dienste nutzen die Muster­erkennung zur Gewinnung von militärischen Erkennt­nissen aus Satelliten­daten und Fotographien. In der Video­überwachung unterstützen Auto­matismen den Menschen beim Identifizieren von ungewöhnlichen Ereignissen.

Auch in unserem Alltag spielt die Bild­erken­nung zunehmend eine wichtige Rolle. Mobiltelefone können mit Hilfe von Gesichts­erkennung entsperrt werden. Am Flughafen werden Passkontrollen automatisch durchgeführt und Bordkarten ohne das Zutun des Menschen eingelesen. In Einkaufs­zentren werden Marketing-Entscheidungen durch Videoanalysen unterstützt. Und natürlich ist auch das selbstfahrende Auto massgeblich auf einen zuverlässigen Sehsinn angewiesen.

Im Gebäude jedoch wird die Bild­erken­nung, wenn überhaupt, meist nur zur Videoüberwachung und bei Zutrittskontrollen mittels Gesichtserkennung eingesetzt. Hier bieten sich zahlreiche, weitere Einsatzmöglichkeiten an. Einige Trends sind bereits am Markt zu erkennen. Beispielsweise entwickeln die Firmen Steinel und PointGrab kamerabasierte Präsenzmelder, womit sich nebst der Anwesenheit von Personen auch deren Position und Anzahl bestimmen lässt. Zusätzlich messen die Sensoren die Tageslichtverteilung im Raum. Ein einzelnes Gerät erfasst also alle Parameter, die zur bedarfsgeführten Beleuchtungssteuerung und Optimierung der Raumbelegung erforderlich sind. Ein weiterer Trend ist der Einsatz der Bild­erken­nung in der Gebäudesicherheit, z. B. zur Branddetektion und Zutrittskontrolle.

Vorteil der Bild­erken­nung

Als Bild­erken­nung bezeichnet man die Gewinnung von sinnvoller Information aus Bildern und Bildsequenzen.[1] Ein Beispiel ist das automatische Orten, Zählen und Erkennen von Personen. Damit lässt sich die Belegung und ­Nutzung von Räumen bestimmen, und es können Einbrüche und unbefugte Zutritte gemeldet werden. Ein weiteres Beispiel ist die automatische Erkennung und Lokalisierung von Tumoren in medizinischen Bildern. An diesen Beispielen lässt sich ein wesentlicher Vorteil der Bild­erken­nung ausmachen: Mit einem einzelnen Sensor (Videokamera, Magnet­resonanz­tomograph) erhält man eine sehr umfassende Information, die anschlies­send für viele verschiedene Zwecke ausgewertet werden kann. So zeigt im ersten Beispiel das Bild die anwesenden Personen, deren Tätigkeit und Identität.

Wird stattdessen eine konventionelle (d.h. nicht bildgebende) Sensorik eingesetzt, so müssen die Spuren der zu erkennenden Ereignisse einzeln erfasst und zusammengefügt werden. Bezogen aufs erste Beispiel heisst das: die Anwesenheit von Personen wird über PIR-Präsenzmelder erfasst, deren Anzahl und Identität über eine Raumverwaltungssoftware (z. B. Microsoft Outlook), und die Position beispielsweise über druckempfindliche Matten. Solche Aufbauten, wo unterschiedliche Sensoren zum Verständnis des Geschehens beigezogen werden, sind in der Gebäude­auto­mation üblich. Sinnbildlich lässt sich der Vorteil der Bild­erken­nung auch am zweiten Beispiel darstellen. Während über konventionelle Methoden Symptome erfasst werden, z. B. Schmerzen oder Fieber, liefern bildgebende Verfahren ein unmittelbares Abbild der Krankheit.

Anwendungsbeispiele

Bild­erken­nung ist immer dann sinnvoll, wenn komplexe Vorgänge mit möglichst geringem Aufwand abgebildet und verstanden werden sollen. Konventionelle Methoden erfordern dann oft eine Vielzahl unter­schied­licher Sensoren und komplizierte Datenverarbeitungsmethoden. Bei einfacheren Vorgängen, z. B. Erkennung von Präsenz in einem Raum, sind nicht-bildgebende Methoden zu bevorzugen. Zwei Anwendungsbeispiele aus dem Gebäudebereich werden nun eingehender besprochen: benutzer­zen­trierte Gebäude­auto­mation und Ambient Assisted Living. Weitere mögliche Anwendungen umfassen die Gestensteuerung von gebäudetechnischen Anlagen und die Gebäude­sicherheit (d.h. Einbruchs­meldung, Überfall­meldung, Brand­meldung, Zutrittskontrolle und Belegungs­überwachung mit einer Kamera).

Benutzer­zen­trierte Gebäude­auto­mation

Die Gebäude­auto­mation richtet sich bei der Steuerung von gebäudetechnischen Anlagen, nebst energetischen Betrachtungen, hauptsächlich nach den Bedürfnissen von einheitlichen Nutzergruppen. So werden alle Arbeitsplätze mit einer Beleuchtungsstärke von 500 lx ausgeleuchtet, Wohnräume werden gleichmässig auf 21°C beheizt, und die CO2-Konzentration wird auf 1000 ppm begrenzt. Individuelle Vorlieben und Bedürfnisse unterschiedlicher Nutzer werden dabei ausser Acht gelassen. Dies im Unterschied beispielsweise zum Automobil, wo jeder Insasse seine eigenen Temperatur- und Sitzeinstellungen vornehmen und ab­speichern kann.

Die benutzer­zen­trierte Gebäude­auto­mation soll es ermöglichen, für jeden Nutzer individualisierte Bedingungen zu schaffen in Bezug auf Licht, Klima, Einstellungen von Möbeln und Geräten usw. Das Konzept ist ähnlich zu den in der Gebäude­auto­mation gebräuchlichen Szenen, mit zwei Unterschieden: Jeder Nutzer wird automatisch erkannt und er findet individuali­sierte Bedingungen vor, unabhängig von seinem Standort. Dadurch ist einerseits eine Verbes­serung des Komforts zu ­erreichen. Anderseits sind Energie­einsparungen möglich durch die Verkürzung der Einschalt­zeiten von Beleuchtung, HLK und Bürogeräten.

Um eine benutzer­zen­trierte Gebäude­auto­mation umzusetzen, muss folgende Information erfasst werden: die Identität und Position des Nutzers (um jedem Nutzer am eigenen Ort die gewünschten Bedingungen bereitzustellen); die Tätigkeit des Nutzers (um die Bedingungen genauer den gegenwärtigen Bedürfnissen anzupassen); die Tageslichtverteilung im Raum (damit äussere Lichteinflüsse kompensiert werden können). Diese umfassende Information kann über die Bild­erken­nung bestimmt werden.[2]

Ambient Assisted Living

Der Oberbegriff Ambient Assisted Living (AAL) beschreibt Systeme und Dienst­leistungen, welche ein unabhängiges, sicheres Leben für ältere Menschen in ihrem gewohnten Umfeld sicherstellen.[3] Oft wird dies durch die Komple­mentierung von konventioneller Pflege und Betreuung durch technische Lösungen erreicht. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Notfall­erkennung. Über die Beobachtung der Tätigkeit einzelner Bewohner wird festgestellt, ob ein ungewöhn­liches Verhalten vorliegt und entsprechend alarmiert werden muss. Zum Beispiel wird dann alarmiert, wenn eine Person bewusstlos auf dem Boden liegt oder zur gewohnten Zeit nicht nach Hause zurückkehrt.

Zur automatischen Notfallerkennung muss Folgendes erfasst werden: die Identität der anwesenden Personen (um deren Normalverhalten abzurufen); die Position, Gangart und Tätigkeit der Personen (um das derzeitige Verhalten zu bestimmen). Diese Information kann über Bild­erken­nung gewonnen werden. Allerdings bleiben einige Probleme zu lösen bezüglich der Echtzeitfähigkeit, Zuverlässigkeit und Akzeptanz dieser Systeme.[4] Möglicherweise wird sich die Verbindung von Bild­erkennung mit konven­tionellen Sensoren wie Beschleuni­gungs­messer und Alarmknopf sowie Dienst­leistungen (Spitex) als besonders sinnvoll erweisen.

Risiken und Einschränkungen

Wie besprochen erhält man bei der Bild­erken­nung mit Hilfe eines einzelnen Sensors eine sehr umfassende Information. Dies kommt Anwendungen wie der benutzer­zen­trierten Gebäude­auto­mation, dem Ambient Assisted Living und der Gebäudesicherheit zugute. Dabei müssen komplexe Vorgänge mit möglichst geringem Aufwand verstanden werden. Allerdings sind damit auch Risiken und Einschränkungen verbunden.

Das grösste Risiko der Bild­erken­nung liegt in der Verletzung der Privatsphäre und des Datenschutzes. Da Bilder umfassende Informationen liefern, erlauben sie auch unerwünschte Einblicke in die Privatsphäre der (manchmal unfreiwilligen) Benutzer. Besonders am Arbeitsplatz und daheim ist dieses Risiko ausgeprägt. Entsprechend gering fällt die Akzeptanz bildbasierter Lösungen hier (noch) aus. Verschiedene Lösungen technischer und juristischer Natur sind denkbar: Personen verschleiern (unzuverlässig!); Daten verschlüsseln; Bild­erken­nung lokal auf der Kamera durchführen, um nur die notwendigen Daten zu übermitteln; Bestimmungen erstellen zur Aufnahme und Archivierung von Bilddaten.

Die Bild­erken­nung kennt auch Einschränkungen in Bezug auf die Zuverlässigkeit und die Geschwindigkeit. So werden bei komplexen Vorgängen mit zahlreichen, sich gegenseitig beeinflus­senden Objekten unter wechsel­haften Licht­bedingungen oft Objekte und Situationen fehlerhaft erkannt. Zudem erfordert die auto­matische Analyse von Bildsequenzen am Computer eine hohe Rechenleistung. Dies wirkt sich negativ auf den Preis, Strom­verbrauch und die Grösse der Systeme aus. Allerdings finden aktuell rasante Fortschritte statt, was insbesondere der stetig steigenden Rechenleistung und der zunehmenden Expertise auf den Gebieten der künstlichen Intelligenz zuzuschreiben ist. Trotzdem kann heute die Frage, ob das komplexe Innenleben von Gebäuden mittels Bild­erken­nung je zufriedenstellend wird verstanden werden können, nicht abschliessend beantwortet werden – den Massstab bildet vorerst der menschliche Sehsinn.

Ausblick

Wird sich die Bild­erken­nung als Mittel der Wahl durchsetzen, oder bleibt sie eine Möglichkeit unter vielen zur Erfassung von Vorgängen im Gebäude? Unserem – subjektiven! – Ausblick stellen wir drei Beobachtungen zum heutigen Stand voran:

Video hat sich im öffentlichen Raum (Videoüberwachung), im Wohnbereich (Smart TV, Webcam) und im Verkehr (Dashcam) bereits etabliert.

Auch im Gebäude ist eine zunehmende Akzeptanz bildbasierter Lösungen zu erwarten, allerdings bleibt deren Einsatz am Arbeitsplatz und zu Hause heikel.

Auf dem Gebiet der Bild­erken­nung finden zurzeit rasche Fortschritte statt.

In Zukunft wird sich die Bild­erken­nung in einzelnen Anwen­dungen durchsetzen. Zur Präsenz­erfassung sind bereits erste bildbasierte Produkte verfügbar. Diese dienen der bedarfsgeführten Beleuchtungssteuerung und der Optimierung der Raumbelegung, sind aber auch für die benutzer­zen­trierte Gebäude­auto­mation geeignet. Weiter ist bei nicht-kritischen Sicherheitsanwendungen ein zunehmender Einsatz der Bild­erken­nung zu erwarten. Beispiele sind die Belegungs­erfassung am Arbeitsplatz oder die Überwachung und Lenkung des Personenflusses in öffentlichen Gebäuden. Auch zur Gesten­steuerung von Geräten und Anlagen wird zunehmend auf Bild­erken­nung gesetzt, beispielsweise im Smart TV.

Bevor sich solche Methoden breiter durchsetzen, muss jedoch die Akzeptanz am Arbeitsplatz und im Wohnbereich bestimmt und verbessert werden. Dazu ist es wichtig, dass berechtigte Bedenken bezüglich der Privatsphäre berücksichtigt und geklärt werden. Auch können viele Anwendungen auf einfachere (sprich: billigere) Art und Weise umgesetzt werden, beispielsweise mit bestehender Sensorik oder durch eine bessere Planung (Stichwort: altersgerechtes Bauen). Es dürfte also noch einige Zeit vergehen, bis sich die Bild­erken­nung im Gebäude etabliert.

Referenzen

[1] M. Sonka, V. Hlavac, R. Boyle, Image Processing, Analysis, and Machine Vision, CL Engineering, 2014.

[2] G. Cheng, Y. Wan, A. N. Saudagar, K. Namuduri, B. P. Buckles, «Advances in Human Action Recognition: A Survey,» eprint arXiv:1501.05964, 2015.

[3] N. M. Garcia, J. J. P. C. Rodrigues, Ambient Assisted Living, CRC Press, 2015.

[4] F. Cardinaux, D. Bhowmik, C. Abhayaratne, M. S. Haw­ley, «Video based technology for ambient assisted living: A review of the literature», Journal of Ambient Intelligence and Smart Environments, Bd. 3, Nr. 3, S.  253–269, 2011.

Autor
Olivier Steiger

ist Dozent am Institut für Gebäudetechnik und Energie IGE, Hochschule Luzern.

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