Das richtige Mass finden
Instandhaltungskosten und Sicherheit
Klare Checklisten für vorgeschriebene Kontrollen geben Netzbetreibern die Gewissheit, alles Sicherheitsrelevante zu erledigen. In eine Instandhaltungssoftware integrierte Vorlagen sind als Basis für digitale Checklisten nützlich. Ein Pilotprojekt zeigt: Die Checklisten entschärfen den Zielkonflikt zwischen Instandhaltungskosten und Sicherheit.
Netzbetreiber müssen gegenüber Inspektoren, Behörden und ihren Auftraggebern jederzeit belegen können, dass sie die Instandhaltung ihrer Anlagen vorschriftsgemäss durchgeführt und alle Kontrollen und Messungen erledigt haben. Diese Arbeiten sind unerlässlich, um Unfälle, Sachschäden und Versorgungsunterbrüche zu verhindern. Das betrifft die Firmen genauso wie die Mitarbeitenden persönlich – Stichwort Sorgfaltspflicht.
Für die Netzbetreiber ergibt sich daraus ein latenter Zielkonflikt. Betreiben sie einen zu grossen Aufwand für die Instandhaltung und die Kontrollen, leidet die Wirtschaftlichkeit: Die Netzkosten fallen zu hoch aus. Das sehen weder die Regulierungsbehörden noch die Eigentümer und die Kunden gerne. Wird umgekehrt zu wenig für Personen- und Versorgungssicherheit getan, kann dies im Ernstfall unter Umständen haftungsrechtliche Konsequenzen haben.
Nachweis über die erledigten Kontrollen
Eine Instandhaltungssoftware hilft dabei, die richtige Balance von Wirtschaftlichkeit und Sicherheit zu finden. Mit dem System lassen sich periodische Kontrollen und weitere Instandhaltungsarbeiten automatisiert planen. Dazu weisen die Führungskräfte die Aufgaben ihren Mitarbeitenden zu. Diese erledigen und dokumentieren die Aufträge per App – direkt bei den Anlagen. So ist jederzeit nachvollziehbar, welche Arbeiten bereits durchgeführt wurden und welche noch anstehen. Bei einer Inspektion kann der Nachweis über die erledigten Kontrollen auf Knopfdruck erbracht werden. Gleichzeitig ist eine Instandhaltungssoftware ein vollständiges und aktuelles digitales Inventar aller Anlagen. Sämtliche wichtigen Infos sind dokumentiert – auch Zustand, Komponenten und Umgebung der Anlagen. Geolokalisierung und Fotos erleichtern die Arbeit zusätzlich.
Die Einführung einer Instandhaltungssoftware erfordert kein langes Vorprojekt, sondern ist schnell erledigt. Beim System von Inventsys etwa sind für häufige Anlagen wie Trafostationen, Verteilkabinen oder öffentliche Beleuchtung die zugehörigen periodischen Aufgaben, Kontrollen und Meldungen schon vorkonfiguriert. Die Mitarbeitenden der Netzbetreiber brauchen nur noch die Daten ihrer Anlagen hinzuzufügen – am einfachsten durch den Import von Excel-Listen.
Modulare Vorlagen für Checklisten
Für jede vorgeschriebene Kontrolle pro Anlagenkategorie ist in der Instandhaltungssoftware eine Checklisten- Vorlage hinterlegt. Bei Verteilkabinen zum Beispiel sind es Vorlagen für das Inbetriebnahmeprotokoll, die alle fünf Jahre fällige periodische Kontrolle und die zehnjährliche Erdungskontrolle. In die Checklisten flossen laufend die Erkenntnisse verschiedener Netzbetreiber ein. Auf diese Weise wurden die Vorlagen kontinuierlich verbessert. Sie sind in der Instandhaltungssoftware von Inventsys vorinstalliert und können bei Bedarf individuell angepasst werden.
Die Vorlagen sind modular aufgebaut: Checkpunkte lassen sich ganz einfach hinzufügen, verschieben oder entfernen.
Trotz des eingeflossenen Fachwissens blieb bei einigen Punkten der Vorlagen Beurteilungsspielraum, ob die Regulierungen damit korrekt umgesetzt wurden. So entstand die Idee zur Zusammenarbeit mit Electrosuisse. Inventsys fragte den Fachverband an, die Checkpunkte der Vorlagen zu verifizieren und wo nötig zu korrigieren. Das Ziel lautete, gemeinsam Standards zu erarbeiten, die alle Netzbetreiber für ihre digitalisierte Instandhaltung nutzen können. So sollte auch der Zielkonflikt zwischen Kosten und Sicherheit entschärft werden.
Unterstützung für mehr Sicherheit
Bei Electrosuisse rannte Inventsys offene Türen ein. «Unsere Aufgabe als Fachverband besteht vor allem darin, die sichere Anwendung von Elektrizität zu fördern», sagt Pascal Graf, Projektleiter Weiterbildung bei Electrosuisse. «Wir unterstützen Netzbetreiber dabei, mindestens die gesetzlichen Anforderungen zu erfüllen. Für uns ist es deshalb selbstverständlich, solche Anfragen positiv zu beantworten.»
Dennoch war die Zusammenarbeit mit Inventsys für Electrosuisse eine Premiere. Bisher baten vorwiegend kleinere Energieversorger den Verband um Hilfe, etwa beim Erstellen eines korrekten und vollständigen Prüfprotokolls für Inspektionen durch das Eidgenössische Starkstrominspektorat (ESTI). Eine Kooperation mit einem Softwarehersteller hingegen kam laut Pascal Graf noch nie vor. «Für uns ist das ein besonders spannendes Projekt, weil wir die digitalisierte Instandhaltung als zeitgemäss empfinden. Sie bedeutet einen einfachen Weg zu besseren Kontrollen im Elektrizitätsbereich. Mit dem Generationenwechsel in den Energieunternehmen beobachte ich, dass viele jüngere Führungskräfte solche digitalen Lösungen suchen. Wer die Vorteile erkannt hat, möchte nicht mehr darauf verzichten.»
Dank der Unterstützung von Electrosuisse ist nun gewährleistet, dass die Netzbetreiber bei der digitalisierten Instandhaltung nicht «zu wenig» machen. Die Führungskräfte werden von der schwierigen Abwägung zum angemessenen Ressourceneinsatz stark entlastet. Bei der Arbeit mit den Checklisten haben sie die Gewissheit, auf der sicheren Seite zu sein.
Stärkerer Fokus auf öffentliche Beleuchtung
Die Kooperation von Electrosuisse und Inventsys begann im Oktober 2020. Fachleute der beiden Organisationen analysierten gemeinsam die bestehenden Vorlagen und bauten sie gemäss den Inputs von Electrosuisse um. Dabei fokussierten sie sich auf drei Anlagenkategorien: Trafostationen, Verteilkabinen und die Anlagen der öffentlichen Beleuchtung. «Gerade die Kontrollen der Strassenleuchten wurden in der Vergangenheit etwas vernachlässigt», so Pascal Graf. «Dabei sind die Vorgaben klar: Bei der Inbetriebnahme, in vorgegebenen Zeitintervallen und bei Veränderungen an den Anlagen sind Kontrollen zwingend.» Die überarbeitete Vorlage von Inventsys für die öffentliche Beleuchtung erinnert die Netzbetreiber nun an die entsprechenden Checkpunkte. Zudem ist jeder Wechsel des Leuchtmittels dokumentiert, was in der Vergangenheit nicht der Fall war.
Kleinere Anpassungen – etwa die Korrektur von Bezeichnungen – nahm Pascal Graf als Vertreter von Electrosuisse direkt in der Software von Inventsys vor. Zusätzlich zeigte er auf, welche Checkpunkte ergänzt oder umgebaut werden mussten. Dazu erklärt Patrick Trüby, Leiter Kundenbetreuung und Projekte von Inventsys: «Unser System ist so flexibel konzipiert, dass wir die Struktur der Vorlagen leicht korrigieren können. Pascal Graf machte uns zum Beispiel bei den Trafostationen darauf aufmerksam, wie sich die einzelnen Komponenten noch besser darstellen und verknüpfen lassen.»
Pilotprojekt mit dem EW Sirnach
Nachdem Electrosuisse und Inventsys die Vorlagen Schritt für Schritt überarbeitet hatten, wollten sie mit einem Pilotprojekt den «Proof of Concept» erbringen. Als idealer Partner erwies sich das EW Sirnach. Das kleine Ostschweizer Unternehmen nutzt die Instandhaltungssoftware von Inventsys seit 2019. Bei der Implementierung hatte das EW Sirnach die bisherigen Vorlagen verwendet und wo nötig auf ihren Bedarf angepasst. Nun ging es darum, ein Upgrade auf die überarbeiteten Vorlagen vorzunehmen.
Bei dieser Umstellung arbeitete Pascal Graf von Electrosuisse intensiv mit. Das Projektteam kontrollierte und besprach jeweils pro Anlagenkategorie, welche Abweichungen sich durch die neuen Vorlagen ergeben, welche bisherigen Checkpunkte wegfallen und wie die bestehenden Inhalte richtig in die neuen Felder migriert werden.
Die Umstellung lässt sich mit der Arbeit in Excel vergleichen: Die Vorlage für eine Verteilkabine zum Beispiel ist wie eine Excel-Datei aufgebaut mit je einem Tabellenblatt für Stammdaten und Fotos, die periodische Kontrolle, die Erdungskontrolle und sämtliche weiteren Aufgaben. Bildlich gesprochen glich das Projektteam die Excel-Datei des EW Sirnach mit jener von Electrosuisse ab. Dabei musste die Information aus einer Zelle möglicherweise in eine andere verschoben werden, entfiel komplett oder kam neu hinzu. Laut Projektleiter Johannes Hofmann war dieser Prozess für das EW Sirnach wertvoll: «Wir erhielten wichtige Inputs, hinterfragten Bisheriges und konnten unsere Abläufe nochmals optimieren.»
Klarheit bei Inspektionen
Inzwischen ist die schrittweise Umstellung auf den Electrosuisse-Standard weit fortgeschritten. Für jede Anlagenkategorie unterzieht das EW Sirnach die neuen Checklisten und die damit verbundenen Abläufe einem Praxistest. Dabei zeigt sich etwa, ob die Reihenfolge der Checkpunkte im Alltag logisch ist und effizientes Arbeiten ermöglicht. Wenige Tage später bespricht der Energieversorger die Resultate nochmals mit Electrosuisse und Inventsys.
Bereits jetzt steht fest: Das EW Sirnach war schon mit ihren bisherigen Checklisten auf einem guten Weg. «Wir haben aber gemerkt, dass wir einige Abläufe bei den Instandhaltungsarbeiten vereinfachen können», sagt Geschäftsführer Thomas Etter. «Zudem haben wir verschiedene Bezeichnungen im Sinne einer einheitlichen Fachsprache umbenannt. Das schafft bei Inspektionen Klarheit.» Noch wichtiger ist für Thomas Etter, mit den verbesserten Checklisten zusätzliche Sicherheit im Hinblick auf Inspektionen zu gewinnen: «Wir haben nun die Gewissheit, dass wir nichts Sicherheitsrelevantes vergessen und unsere Kontrollen den gesetzlichen Anforderungen vollständig entsprechen. Das Projekt war für uns also wie ein Audit.»
Nötiges verbessern, auf Unnötiges verzichten
Aus Sicht von Patrick Trüby von Inventsys haben die zusammen mit Electrosuisse überarbeiteten, standardisierten Vorlagen einen weiteren Vorteil: Die Netzbetreiber erhalten verlässliche Angaben dazu, welche Instandhaltungsarbeiten ein Muss sind – und welche «nice to have». «Wir sehen immer wieder, dass Kunden an gewissen Arbeiten festhalten, obwohl sie nicht nötig sind. Die Vorlagen bilden nun klar ab, auf welche Punkte sich die Netzbetreiber konzentrieren sollten: primär natürlich auf die vorgeschriebenen und zusätzlich auf jene, die freiwillig sind, aber aus wirtschaftlichen Überlegungen Sinn machen. Das ist der Fall, wenn ein leicht höherer Instandhaltungsaufwand für deutlich tiefere Ausfallkosten sorgt. Auf Unnötiges hingegen können die Energieunternehmen verzichten und so ihre Effizienz steigern.»
Ein positives Fazit zur Kooperation zieht auch Pascal Graf: «Wir kennen die gesetzlichen Grundlagen und die Umsetzung in der Praxis gut. Dieses Projekt hat uns aber einen besonders tiefen Einblick in die Praxis gewährt. Bei vielen Punkten rund um die Instandhaltung und die Kontrollen haben wir erfahren, welche Überlegungen hinter den Abläufen eines Energieversorgers stehen. Von diesem Wissen profitieren wir für unsere weitere Arbeit.»
Nach dem erfolgreichen Pilotprojekt stehen die neuen Vorlagen für die Checklisten nun innerhalb der Instandhaltungssoftware von Inventsys allen Netzbetreibern für die rasche und einfache Umsetzung zur Verfügung – in Kürze auch auf Französisch und Italienisch.
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