Das richtige Licht, zur richtigen Zeit
Lichteffekte beurteilen
Licht ist mehr als wir sehen, es ist für unser Wohlbefinden zentral. Um mit künstlicher Beleuchtung auch das Wohlbefinden des Menschen zu verbessern, müssen Intensität, spektrale Zusammensetzung und zeitlicher Verlauf berücksichtigt werden. Die Internationale Beleuchtungskommission CIE erarbeitet entsprechende Methoden zur Formulierung quantitativer Aussagen.
Wir benötigen Licht in erster Linie zum Sehen. Licht ist aber auch essenziell für die menschliche Gesundheit, die Leistungsfähigkeit und das Wohlbefinden. Die zugrundeliegenden biologischen Ursachen entdeckten Forscher 1991. Wissenschaftliche Studien zeigten, dass es auf der Netzhaut von Mäusen neben Stäbchen und Zäpfchen eine dritte Klasse von Fotorezeptoren gibt, welche einen Einfluss auf unseren Tagesrhythmus haben. Diese fotosensitiven Ganglienzellen, üblicherweise abgekürzt mit ipRGC (intrinsically photosensitive retinal ganglion cells), befinden sich auch auf der Netzhaut des menschlichen Auges. Nebst dem Einfluss auf den Tagesrhythmus konnte nachgewiesen werden, dass ipRGC in Zusammenarbeit mit den Zäpfchen und Stäbchen noch für weitere, nicht visuelle Effekte zuständig sind. Dazu gehören der Pupillenlichtreflex, also das Erweitern oder Verengen der Pupillen bei Helligkeitsunterschieden und die subjektive Wachsamkeit.
Auswirkungen auf den Menschen
Aus der Erkenntnis, dass Licht positive und negative Auswirkungen auf Menschen haben kann, entwickelte sich ein neues Forschungs- und Anwendungsgebiet: «Human Centric Lighting». Der Begriff wird zwar gerne durch die Marketingabteilung der Beleuchtungsindustrie verwendet, ist aber etwas irreführend, denn eigentlich sollte bei jeder Lichtplanung der Mensch, respektive die benötigte Sehaufgabe, im Zentrum stehen. Die Internationale Beleuchtungskommission (CIE, Commission Internationale d’Eclairage) spricht daher meistens von «ganzheitlicher» Beleuchtung – integrative lighting. Die Grundidee ist, dass die künstliche Beleuchtung jeweils so angepasst wird, dass sie sich nebst der eigentlichen Sehaufgabe auch positiv auf das Wohlbefinden des Menschen auswirkt. Mittels der gezielten Stimulation der ipRGCs kann die Beleuchtung den Tagesrhythmus beeinflussen. Da diese Zellen hauptsächlich im blauen Spektralbereich empfindlich sind, wird typischerweise die Farbtemperatur der Beleuchtung entsprechend dem natürlichen Tagesverlauf angepasst: Am Mittag eher kaltweisses Licht mit einem höheren Blauanteil, morgens und abends eher warmweisses Licht.
Verschiedene Studien deuten darauf hin, dass das Licht, welches am Abend von Displays (Smartphones, Tablets und Laptops) ausgeht, einen negativen Einfluss auf die Schlafqualität hat. Dabei gibt es Hinweise, dass der Einfluss von kaltweissem Licht grössere Effekte hervorruft als von warmweissem Licht [2] und die lichtempfindlichen Zellen (ipRGCs) eine wichtige Rolle spielen. Umgekehrt ist anerkannt, dass sich absolute Dunkelheit in der Nacht positiv auf die Schlafqualität, das Aufwachen und die Tagesaktivität auswirken. Es geht somit nicht nur um die absolute Lichtmenge und deren spektrale Zusammensetzung, die auf die Netzhaut fällt, sondern auch um die zeitliche Änderung und die dadurch abwechselnde Stimulation der Fotorezeptoren.
Quantitative Aussagen in der gleichen Sprache
Schwieriger wird es bei quantitativen Aussagen. Wie viel Licht mit welcher spektralen Zusammensetzung und zu welchem Zeitpunkt soll auf die Netzhaut fallen, um möglichst positiv zu wirken? Zudem ist immer noch nicht ganz klar, welchen Einfluss die Einfallsrichtung auf das Auge hat, denn die ipRGCs sind auf der Netzhaut räumlich nicht gleichmässig verteilt. Damit die Forschungsresultate vergleichbar und verständlich sind, muss sichergestellt werden, dass alle Beteiligten dieselben Messgrössen und Einheiten verwenden. Die CIE hat daher ein divisionsübergreifendes technisches Komitee etabliert, das Joint Technical Committee 9 (JTC 9). Es definiert die entsprechende Metrik und wird sie als internationale Norm in Kürze veröffentlichen.
Grundlage der Norm bilden die Wirkungsfunktionen der fünf unterschiedlichen Fotorezeptoren im menschlichen Auge: Den drei Arten Zäpfchen (short, medium, long), den Stäbchen und den ipRGCs. Diese Wirkungsfunktionen sind in Bild 1 dargestellt. Das Maximum der Wirkungsfunktion des ipRGCs liegt bei 490 nm, also im cyan-blauen Bereich.
Neben den Wirkungsfunktionen definiert das JTC 9 die dazugehörigen Messgrössen: Zum Beispiel kann mit Hilfe der melanopischen Bestrahlungsstärke die Strahlungsleistung pro Einheitsfläche (W/m2) quantifiziert werden, welche gewichtet nach der Wirkungsfunktion der ipRGCs auf die Hornhaut des menschlichen Auges fällt. Wichtig ist, dass sich diese Messgrössen auf SI-Einheiten abstützen, und nicht eigene Einheiten verwendet werden, wie vereinzelt in Publikationen vorgeschlagen wird. Damit haben nun die Wissenschaftler die Möglichkeit, ihre Forschungsresultate in einer international anerkannten Sprache auszutauschen.
Wirkung von Displays
Auch das Optiklabor des Metas beteiligt sich an der Forschung auf diesem Gebiet. Es hat im Auftrag des Bundesamts für Gesundheit (BAG) verschiedene Displays von Smartphones, Tablets, Laptops und Bildschirmen vermessen und gemäss den bekannten Wirkungsfunktionen für verschiedene Effekte beurteilt. Neben den oben erwähnten, nicht visuellen Effekten kann blaue und damit hochenergetische Strahlung bei sehr hohen Lichtmengen und über längere Zeit die Netzhaut durch einen fotochemischen Effekt nicht reversibel schädigen (Fotoretinitis, Blaulichtgefährdung). In der Studie wurden daher Displays auch auf mögliche Blaulichtgefährdung und Flickereffekte (zeitliches Flimmern) untersucht. Aus den Messungen haben sich unter anderem folgende Erkenntnisse ergeben:
Keines der untersuchten Objekte ist kritisch in Bezug auf eine mögliche Blaulichtgefährdung der Netzhaut. Diese Erkenntnis ist wenig überraschend, denn damit die Netzhaut gefährdet ist, braucht es viel höhere Strahldichtewerte, welche bei weissem Licht zu hoher Blendung führen würden.
Es gibt einen Zusammenhang zwischen der Farbtemperatur und der melanopischen Wirkung. Je höher die Farbtemperatur, umso blauweisser ist das Licht und umso höher der Anteil der melanopisch wirksamen Strahlung pro Lichtmenge.
Einzelne Smartphones und Tablets verfügen über die Möglichkeit, die Farbeinstellung dem Tagesverlauf anzupassen (Nightshift-Funktion), siehe Bild 2. Das Spektrum des Lichtes ändert sich deutlich. Dadurch verringert sich die melanopische Beleuchtungsstärke im Extremfall um rund einen Faktor 4. Es fehlen aber die wissenschaftlichen Erkenntnisse, ob nun diese Verringerung genügend ist oder ob sogar eine etwas weniger extreme Einstellung reichen würde. Damit diese Fragen beantwortet werden könnten, müsste eine breit angelegte klinische Studie durchgeführt werden. Es ist eine der Fragen, die auch in der CIE-Forschungsstrategie definiert ist.
Die im Handel verkauften Schutzfolien, die vor «schädlicher» Strahlung schützen sollen und direkt auf das Smartphone aufgelegt werden, haben keine Wirkung: Sie blockieren die Strahlung nur unterhalb von 380 nm, also im UV-Bereich, dort, wo die Displays selbst keine Strahlung abgeben.
Die wechselnde Lichtmenge ist nicht nur über den Tagesverlauf wichtig. Die schnelle zeitliche Änderung der Helligkeit von LED ist eine interessante und zu untersuchende Eigenschaft. Sie ermöglicht die gezielte Anpassung der Lichtmenge. Dazu braucht es eine Ansteuerungselektronik mit einem entsprechenden Vorschaltgerät, das den Strom, der durch die LED fliesst, drosselt.
Da die Reaktionszeit der LED sehr kurz ist, kann auch ein zweites Dimmverfahren eingesetzt werden. Der LED-Strom wird binär, mit Frequenzen von 100 Hz und mehr ein- und ausgeschaltet. Ändert man nun das Verhältnis von der Einschalt- zur Ausschaltdauer (Pulsweitenmodulation), ändert sich die mittlere Helligkeit der Lichtquelle. Dabei ist wichtig, dass die gewählte Modulationsfrequenz hoch genug ist, um nicht wahrgenommen zu werden. Durch Pulsweitenmodulation kann die LED stufenlos bis auf tiefe Niveaus gedimmt werden, das Lichtspektrum bleibt dabei weitgehend unverändert. Bei neuartigen Beleuchtungssystemen werden meistens beide Dimmverfahren kombiniert eingesetzt.
In der Praxis hat sich nun aber gezeigt, dass moduliertes Licht, selbst bei Frequenzen oberhalb der visuellen Wahrnehmungsgrenze von ungefähr 150 Hz, unter Umständen störend wirken kann. Beispielsweise ermüden empfindliche Personen schneller unter modulierter Beleuchtung als bei konstantem Licht. Die CIE hat diese Problematik erkannt und ein erstes Dokument veröffentlicht, das die Grundlagen für eine gemeinsame Metrik sowie die Begrifflichkeit definiert.[3] Es wird im Wesentlichen von drei verschiedenen Effekten gesprochen:
Flicker
Ein fixer Beobachter betrachtet ein ruhendes Objekt unter einer zeitlich schnell veränderlichen Beleuchtung. Oft bemerkt man diese Effekte nur am seitlichen Rande des Gesichtsfeldes, da dort die Empfindlichkeit für zeitlich variierende Effekte am höchsten ist. Flickereffekte können auch mittels Smartphone-Kameras sichtbar gemacht werden (Bild 3).
Stroboskop-Effekte
Ein fixer Beobachter betrachtet ein bewegtes Objekt unter einer zeitlich schnell veränderlichen Beleuchtung (Bild 4). In gewissen Anwendungen kann dadurch eine gesundheitsgefährdende Situation entstehen: Etwa wenn sich eine mechanische Bearbeitungsmaschine genau in der Grundfrequenz oder einer vielfach-harmonischen Frequenz dreht, wie die Beleuchtung einer Werkhalle flimmert, erscheint die Maschine still zu stehen. Stroboskop-Effekte können aber auch im Alltag auftreten: Bei einer pulsweitenmodulierten Beleuchtung erscheint die Bewegung einer strukturierten Oberfläche (zum Beispiel ein kariertes Hemd) als ruckartig.
Perlschnur-Effekt (Phantom array effekt, Ghosting)
Ein bewegter Beobachter betrachtet ein (meist ruhendes) Objekt unter einer zeitlich schnell veränderlichen Be-
leuchtung, oder das Objekt selbst strahlt moduliertes Licht aus. Dieser Effekt kann zum Beispiel in Eisenbahntunnels beobachtet werden, wenn Punktleuchten an der Tunnelwand montiert sind. Das abgestrahlte Licht erscheint als unterbrochene Linie.
Research Forum: Austausch fördern
Die Beschreibung der Effekte kann entweder im Zeitbereich durch Darstellen und Auswerten der zeitlichen Modulation erfolgen oder im Frequenzbereich durch Festlegen von Modulationsspektren. Es hat sich aber gezeigt, dass die in der Vergangenheit verwendeten Messgrössen, wie Modulationstiefe und Flickerindex, nicht genügen, um den gesundheitlichen Einfluss der komplexen Effekte abzubilden und Grenzwerte zu definieren. Auch hier ist die internationale Forschungsgemeinde aufgerufen, ihre Aktivitäten zu verstärken.
Um den wissenschaftlichen Austausch zwischen den verschiedenen Forschungsgruppen zu stimulieren, hat die CIE eine neue Art der Zusammenarbeit definiert: Ein «Research Forum» bildet ein weltweites Netzwerk, das sich mit einem bestimmten Forschungsthema befasst. Als erstes Research Forum wurde das RF-02 «Matters Relating to Temporal Light Modulation» eingerichtet. Interessenten können sich direkt über die Webseite der CIE anmelden.[1] Damit anerkennt die CIE auch die Dringlichkeit des Forschungsgebiets, denn im Moment besteht für die Lichtindustrie, die Normierung, aber auch die Gesetzgeber die Schwierigkeit, quantitative Aussagen bezüglich der störenden Wirkung von moduliertem Licht zu machen und damit auch das Risiko, dass neu installierte Beleuchtungsanlagen aufwendig saniert werden müssen, falls sich die Benutzer nicht wohlfühlen.
Mit der Einführung von neuartigen Lichtquellen ergibt sich eine Vielzahl von Möglichkeiten und dadurch die Chance, das richtige Licht angepasst an die Bedürfnisse der Benutzer bereitzustellen. Es bestehen aber auch Risiken, dass Licht störend oder im Extremfall sogar schädlich ist. Es ist daher wichtig, entsprechende Metriken zur Beurteilung von Effekten des Lichts auf den Menschen zur Verfügung zu stellen. Dies bedingt eine enge Zusammenarbeit zwischen der Metrologie und der Anwendergemeinschaft.
Referenzen
[1] www.cie.co.at
[2] Sarah Laxhmi Chellappa, Roland Steiner, Peter Blattner, Peter Oelhafen, Thomas Götz, Christian Cajochen, «Non-Visual Effects of Light on Melatonin, Alertness and Cognitive Performance: Can Blue-Enriched Light Keep Us Alert?», PLoS One. 2011 Jan 26;6(1):e16429. doi: 10.1371/journal.pone.0016429
[3] CIE TN 006:2016 «Visual Aspects of Time-Modulated Lighting Systems – Definitions and Measurement Models», frei verfügbar auf www.cie.co.at
Dieser Beitrag erschien ursprünglich in: METinfo, Vol. 25, 1/2018.
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