Fachartikel Erneuerbare Energien , Konventionelle Kraftwerke

Das neue Wasser­kraftwerk Hagneck

Grösserer Ertrag und ökologische Aufwertung

03.01.2017

Eine zu geringe Abflusskapazität, der Hochwasserschutz für das Seeland und über 100 Jahre alte Anlagen – genügend Gründe für einen Kraftwerksneubau am Ende des Hagneckkanals. Abgesehen von einer um 40% höheren Stromproduktion hat das neue Werk auch ökologisch sehr positive Folgen.

Die Gemeinden Biel, Erlach, Hagneck, Neuenstadt, Nidau und Täuffelen-Gerolfingen erkannten schnell das Potenzial der Wasserkraft bei der Einmündung des Aare-Hagneck-Kanals in den Bielersee. Der 8 km lange Kanal war als Herzstück der ersten Juragewässerkorrektion entstanden, die 1868 begann.

1897 begannen die Bauarbeiten des ersten Wasserkraftwerks Hagneck (Bild  2). Im Sommer 1899 nahm die Anlage den Betrieb auf. Hagneck gehört zu den ältesten Wasserkraftwerken in der Schweiz – ein Denkmal der Technik und der Kulturgeschichte. Damals wie heute spielte dabei der Hochwasserschutz eine wichtige Rolle. Erst der Bau des ersten Kraftwerks mit dem Stauwehr stabilisierte den Hagneckkanal langfristig. Auch dadurch bekam das Wasserkraftwerk Hagneck eine zentrale Bedeutung für die regionale Energieversorgung.

Rund 100 Jahre nach der Inbetriebnahme begann die Bauherrin BIK (Bielersee Kraftwerke AG, ein Partnerwerk des Energie Service Biel/Bienne und der BKW) die Planungsarbeiten für das neue Kraftwerk (Bild  1), das im Oktober 2015 in Betrieb gehen konnte.

Das Grundkonzept des Erneuerungsprojektes sah ein neues Flusskraftwerk mit zwei Rohrturbinen rechtsufrig im Hagneckkanal, ein neues 4-Feld-Wehr im Hagneckkanal sowie einen Weiterbetrieb des bestehenden Kraftwerks mit der Maschine 5 vor. Ausserdem planten die BKW-Spezialisten ein umfangreiches Fischumgehungsgerinne mit zwei kleinen Dotierturbinen zur Energierückgewinnung sowie eine Renaturierung des alten Unterwasserkanals, der eine geschützte Auenlandschaft von nationaler Bedeutung durchläuft.

Strömungsverhältnisse im ETH-Labor simuliert

Das Werk erfüllt damit nicht nur hohe ökologische Anforderungen, es fügt sich auch architektonisch schön in diese schützenswerte Landschaft ein. Da auf eine hochwertige Gestaltung und gute Eingliederung der neuen Kraftwerksanlage in die umgebende Landschaft grosser Wert gelegt wurde, erfolgte ein offizieller SIA-Gestaltungswettbewerb. Dabei war das elektromechanische Konzept mit den hydraulischen Auslegungen und den hydraulisch optimalen Konturen durch das Engineering der BKW vorgegeben. Als Sieger ging aus diesem öffentlichen Gestaltungswettbewerb das Projekt «Tiefgang» des Teams Penzel, Valier und Vogel hervor.

Vor dem Bau des neuen Wasserkraftwerks haben Experten des BKW Engineering zusammen mit der ETH Lausanne alle Eventualitäten bezüglich Hochwasser, Schwemmholz und Strömung durchgespielt: Ein Modell lieferte die wichtigsten Erkenntnisse. Das Strömungsvideo der ETH kann hier angeschaut werden:

http://blog.bkw.ch/das-modell-hagneck

Die Planung der neuen Kraftwerksanlage wurde durch das Engineering der BKW vorgenommen. Die BKW-interne Abteilung weist rund 100 Fachspezialisten auf und deckt die Bereiche Wasserbau, Betonbau, Leittechnik, Stahlwasserbau, Architektur sowie Elektromechanik ab. Die BKW Fachleute haben folgende Leistungen erbracht:

  • Erarbeitung der Vorstudie
  • Begleitung des Genehmigungsverfahrens
  • Begleitung des hydraulischen Modellversuchs und des Gestaltungswettbewerbes
  • Konzeption zu Gewässerregulierung und Hochwasserschutz
  • Ausschreibung
  • Gesamtplanung für die Bereiche Tief-, Hoch- und Wasserbau, Maschinen, Elektromechanik, Stahlwasserbau, Leittechnik und Betriebseinrichtungen
  • Örtliche Bauleitung
  • Lieferung, Montage und Inbetriebsetzung der Leittechnik und der Energieversorgung
  • Projektmanagement für Bau, Montage und Inbetriebsetzung.


Extern vergeben wurden die Geologie mit Dimensionierung der Baugrube, Vermessungsarbeiten, die Umweltplanung (UVB) mit Umweltbaubegleitung (UBB), die Haustechnik, die Architektur und Landschaftsarchitektur sowie die Arbeiten des Bauingenieurs.

Bessere Nutzung der Wasserkraft

Die optimierte Ausbauwassermenge für das neue Kraftwerk beträgt 320 m³/s. Dies erlaubt, das Wasserangebot und besonders die durch das oberhalb von Hagneck liegende Wasserkraftwerk Schiffenen verursachten Abflussspitzen künftig besser zu nutzen. Dazu trägt auch die Turbine 5 des bisherigen Kraftwerks bei. Die Ausbauwassermenge wird voraussichtlich an 30 Tagen im Jahr überschritten. An diesen Tagen ist mit einem Wehrüberfall zu rechnen.

Das neue Wehr ist als Beton-Baukörper mit vier Wehröffnungen ausgeführt, mit Segmentschützen mit aufgesetzter Klappe. Ein tausendjähriges Hochwasser lässt sich mit drei Wehrfeldern, bei stillstehenden Maschinen, abführen. Für das grösste wahrscheinliche Hochwasser stehen alle vier Wehröffnungen zur Verfügung.

Das Maschinenhaus ist rechtsufrig angeordnet und schliesst über den gegen das Oberwasser vorspringenden Trennpfeiler an das Wehr an. Die Einlaufbreite einer Maschine beträgt 9,5 m. Beide Maschinen beanspruchen, zusammen mit dem Trennpfeiler, eine Breite von 25 m. Die Kote der Turbinen-Laufradachse (423,9 m über Meereshöhe) liegt 5,4 m unter dem mittleren Unterwasser-Niveau. Die tiefste Stelle des Maschinenhauses liegt im Turbinengang auf Kote 418,4 m über Meereshöhe und damit rund 8,5 m unter dem mittleren Unterwasserspiegel beziehungsweise 19,3 m unter dem Oberwasserspiegel.

Generatorkühlung heizt Maschinenhaus

Im neuen Maschinenhaus sind zwei horizontalachsige, doppelt regulierte Kaplan-Rohrturbinen mit je einem Schluckvermögen von 140 m³/s eingebaut (Bild  3). Die Leistung beträgt je 10,5 MW. Die wesentlichen Maschinendaten sind: Laufrad-Durchmesser 4,40 m und Nenndrehzahl 107 Umdrehungen pro Minute. Der Wasserstrom durch die Turbinen kann durch Schliessen des Leitapparates unterbrochen werden.

Die zwei horizontalachsigen Synchron-Generatoren in den Turbinenbulbs mit einer Nennleistung von je 13,75 MVA, sowie Maschinenspannung von 6,6 kV werden durch die Turbinen direkt angetrieben und mit einem Luft-Wasser-Kühlkreislauf gekühlt. Die Abwärme heizt im Winter das Maschinenhaus.

Zwei Transformatoren – einer pro Generator – übersetzen die Generatorspannung auf die Netzspannung von 16 kV. Sie befinden sich im Kraftwerksgebäude. Die Transformatorkühlung erfolgt ebenfalls durch einen Luft-Wasser-Kühlkreislauf.

Die Mittelspannungsanlage ist auf der Oberwasserseite des Maschinensaals, über den Vorortsteuertafeln, installiert. Sie umfasst die erforderlichen Wandler, Nullpunktwiderstand, Trenner, Erdungseinrichtung, Überspannungsableiter und Schutzeinrichtungen. Die Energieableitung erfolgt mit Kabeln über die neue Brücke zur neuen Unterstation Hagneck.

Betriebsbrücke mit Wanderweg und Veloroute

Über das Wehr führt eine von den Wehrpfeilern und dem Maschinenhaus auskragende Brücke. Die Wehrbrücke weist zur Oberwasserseite hin eine massive Brüstung auf, die zwischen den Wehrpfeilern biegesteif eingespannt wird. Zwischen den Wehrpfeilern weist die Brücke eine Nettobreite von 9,4  m auf. Die Nettobreite ergibt sich aufgrund der erforderlichen Abstützbreite des Mobilkrans.

Die Brücke dient hauptsächlich dem Betrieb und kann für das Einsetzen der Wehrnadeln (Revisionsverschluss für das Wehr) mit einem grossen Mobilkran befahren werden. Weiter führt auch ein Wanderweg und die nationale Veloroute Nr. 5 über die neue Wehrbrücke, jedoch kein motorisierter öffentlicher Verkehr.

Ökologische Aufwertung

Das Bundesgesetz über die Fischerei sieht vor, dass beim Bau von Wasserkraftanlagen Massnahmen getroffen werden müssen, die die freie Fischwanderung möglich machen. In Hagneck wird dies mit einem Umgehungsgerinne (Bild  4) gewährleistet. Steinblöcke wurden zentimetergenau so platziert, dass die Strömungsverhältnisse optimale Bedingungen für die rund 30 heimischen Fischarten bieten. Um allen Fischarten gerecht zu werden, braucht es einen grosszügig dimensionierten Fischpass mit genügendem Wasserabfluss, gut positionierten Einstiegsöffnungen, deutlicher Lockströmung und geringem Gefälle. Beim Kraftwerk Hagneck liess sich dies am besten mit einem Umgehungsgerinne realisieren. Das gewählte Bauwerk hat überdies den Vorteil, dass es, einem Bach nachempfunden, auch als Lebensraum für die Fische dienen wird. Im Sommer 2015 liessen sich viele grosse Alet im Umgehungsgerinne beobachten. Diese haben darin sogar gelaicht. Ausserdem renaturiert die BIK den Unterwasserlauf und schafft eine ausgedehnte, rund 20 000 m² grosse Auenlandschaft.

Insgesamt betragen die Aufwendungen für die ökologische Aufwertung rund 15 Mio. CHF, also etwa 10 % der Bausumme.

Wasserkraft in der BKW-Strategie

Die BKW setzt sich für den Ausbau der Wasserkraftnutzung im Einklang mit dem Ausbauziel des Bundesrats ein. Gegenwärtig verfolgen sie rund zwei Dutzend Kraftwerksprojekte in der ganzen Schweiz, mit Schwerpunkt im Berner Oberland. In den kommenden Jahren wird sie Investitionen im Rahmen von 200 Mio. CHF tätigen. Der Produktionsausbau ist jedoch nicht der einzige Fokus des Handelns der BKW: Wie bei einem Auto, das in die Verkehrsprüfung geht, werden auch Kraftwerke regelmässig auf Herz und Nieren geprüft. Deshalb investiert die BKW jährlich Millionen, um die Kraftwerke auf dem aktuellen Stand der Technik zu halten. Dank diesen Modernisierungen verrichten sie auch in Zukunft ihren Dienst und produzieren Strom aus Schweizer Quellen – zuverlässig und erneuerbar.

Autor
Thomas Richli

ist Leiter Neubau Kraftwerke.

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