Das Laden clever ins Verteilnetz integrieren
Integration
Die Ladung von Elektrofahrzeugen hat das Potenzial, um die Verteilnetze zu überlasten. Es braucht also intelligente Wege, um die Bedürfnisse der Autofahrer – ohne allzu grosse Komforteinbussen – zu erfüllen und ohne dabei die Sicherheit der Verteilnetze zu gefährden. Dafür bieten sich mit der Vielzahl dezentraler Batterien auch neue Chancen für die Netzregelung.
Die Zulassungszahlen für vollelektrische Fahrzeuge steigen schneller, als die Prognosen aktualisiert werden können – und ein Ende des Wachstums ist nicht abzusehen. Dies ist aus Sicht der Dekarbonisierung des Verkehrs eine sehr erfreuliche Entwicklung, stellt die sichere Stromversorgung aber vor grosse ¬Herausforderungen. Alle Beteiligten müssen gemeinsam Wege finden, um Steckerfahrzeuge möglichst ohne Komforteinbussen für die Fahrer zu laden, und ohne dabei die Verteilnetze zu überlasten. Dieser Artikel soll Herausforderungen und mögliche Lösungen aus Sicht der Netze aufzeigen. Er behandelt aber nicht die Frage nach der Herkunft der Energie.
Die obenstehenden Bild gezeigte Verbrauchskurve aus einem Feldversuch der Netze BW (dem grössten Verbundnetzbetreiber im deutschen Bundesland Baden-Württemberg) zeigt die grosse und langdauernde Leistungsspitze, welche durch einen 11-kW-Ladevorgang verursacht wird. Übliche Leistungsspitzen in Einfamilienhäusern oder Wohnungen, welche nur wenige Minuten dauern und kaum über 7 oder 8 kW hinausgehen, treten zu unterschiedlichen Zeitpunkten auf und spielen für die Belastung des Verteilnetzes keine grosse Rolle wie Chanez/Cuony gezeigt haben. Solange in jedem Quartier nur wenige Ladestationen installiert sind, kann das Netz diese daher gut verkraften. Finden aber viele Ladevorgänge zur gleichen Zeit statt, kann dies zu einer Überlagerung von Leistungsspitzen führen und die Leitungen oder Transformatoren überlasten. Dieses Szenarium könnte beispielsweise am letzten Tag der Sportferien oder am Abend von Ostermontag eintreten. Um auch an solchen Tagen in Zukunft jedem Autofahrer die volle Ladeleistung zur Verfügung stellen zu können, müsste das ganze Netz massiv verstärkt werden. Aufgrund der grossen Anzahl Leitungen und Transformatoren wäre eine Verstärkung dieser Infrastruktur zur Sicherstellung einer ständigen hohen Ladeleistung für alle Anschlussnehmer jedoch nicht sinnvoll und mit sehr hohen Kosten verbunden. Wird die Ladeinfrastruktur jedoch intelligent integriert, reduziert sich diese Investition – ohne grosse Komforteinbussen für die Anwender – deutlich.
Noch höhere Anforderungenan das Stromnetz
Das Stromnetz ist das zentrale Element zur Elektrifizierung der Mobilität. Es muss die Mobilitätsbedürfnisse der Automobilisten erfüllen, was aber nicht die Vorhaltung unbegrenzter Kapazität für dauernde schnelle Ladevorgänge bedeutet. Die meisten Autos in der Schweiz fahren etwas weniger als 30 km pro Tag. Bei einem Verbrauch von 20 kWh pro 100 km müssten damit täglich durchschnittlich etwa 6 kWh nachgeladen werden. Dies dauert mit einer Ladeleistung von 3,7 kVA weniger als zwei Stunden. In der untenstehenden Tabelle sind verschiedene Kombinationen von geladenen Reichweiten und Ladeleistungen aufgelistet. Sie zeigt, dass die meisten Autofahrer auch mit langsamem Laden ihre Mobilitätsbedürfnisse ohne Komforteinbussen bedienen können. Die Tabelle gilt für Klein- und Mittelklassefahrzeuge. Grosse, schwere Autos sind darin nicht berücksichtigt, weil sie wie fossil betriebene Fahrzeuge mehr Energie benötigen. Für die gleiche Reichweite brauchen sie entsprechend eine höhere Ladeleistung oder eine längere Ladedauer.
Öffentliche Schnellladestationen müssen selbstverständlich so erschlossen werden, dass sie auch zu Spitzenzeiten (beispielsweise zu Ferienbeginn) die volle Ladeleistung zur Verfügung stellen können. Für die vielen privaten Ladestationen müssen aber intelligente Wege gefunden werden, um die Ladung zu Hause oder am Arbeitsplatz zu koordinieren. So wird sichergestellt, dass alle Fahrzeuge die benötigte Energie laden können und dass die Gesamtheit der Ladevorgänge nicht zu Überlastungen in den Netzen führt.
Steuerung über Tarifeoder Eingriffe
Zwei grundsätzliche Varianten der Beeinflussung sind möglich. Zum einen können Anreize (zum Beispiel mittels Netznutzungstarifen) das Ladeverhalten präventiv so beeinflussen, dass es (fast) nie zu Überlastungen der Verteilnetze kommt. Dabei muss der Netzbetreiber fast nie direkt eingreifen, um Ladevorgänge zu bremsen. Diese Variante hat den Vorteil, dass Phasen, in denen wegen eines allgemein reduzierten Bedarfs keine oder kaum Netzüberlastungen drohen, für preisbewusste Endverbraucher als attraktive Ladezeiten angeboten werden können.
In der zweiten Variante würden Ladevorgänge im Normalfall überhaupt nicht beeinflusst. Allerdings müsste der Netzbetreiber im – in dieser Variante häufiger eintretenden – Notfall den Ladevorgang direkt einschränken können. Damit auch bei solchen Eingriffen auf Abschaltungen verzichtet werden kann, hat der VSE mit den nationalen Verbänden aus Österreich und der Tschechischen Republik sowie mit Herstellern von Ladestationen einen neuen Prozess entwickelt. Dieser Prozess erlaubt – auf Anweisung des Netzbetreibers – eine Lastreduktion durch die Wallbox, ohne dass das Gerät vom Netz getrennt wird.
Welche Variante sich durchsetzen wird, wird sich noch weisen müssen. Die Beteiligten sind nach wie vor in Beratungen und Diskussion.
Potenzial: Bidirektionalität
Die Ladestationen bieten aber nicht nur Herausforderungen, sondern auch neue Potenziale. Fahrzeuge neuerer Generationen haben grosse Batterien und können im zukünftigen Energiesystem helfen, die volatile Produktion auszugleichen. Mit dem in Europa üblichen CCS-Stecker ist es zwar noch nicht möglich, Energie aus der Fahrzeugbatterie zu beziehen, aber der VSE hat in seinen Branchendokumenten bereits beschrieben, wie V2H (Vehicle to Home, d.h. die Versorgung eines Gebäudes mit Energie aus dem Fahrzeug) umgesetzt werden kann. Bei V2G (d.h. die Einspeisung von Energie aus dem Fahrzeug in das Verteilnetz (Grid)) sind hingegen noch einige regulatorische Fragen zu klären. So ist derzeit noch unklar, wie die Netznutzungstarife, die Kapazitätsgrenzen im Verteilnetz oder die Herkunftsnachweise behandelt werden sollen. Auch auf diese Fragen sind clevere Antworten nötig, um die Dekarbonisierung mit Elektrofahrzeugen zu unterstützen.
Literatur
Elektromobilität – Infoblatt Ladestationen, VSE, 2021.
Werkvorschriften CH, Kapitel 12: «Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge», VSE, 2021.
Handbuch Ladeinfrastruktur, VSE, 2022 (erscheint im Sommer).
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