Fachartikel Energieeffizienz , Regulierung

CO2-Management für Energieversorger

Möglichkeiten für kleine und mittlere Unternehmen

22.01.2025

Als Ziel- und Steuerungs­grösse sind CO2-Emissionen gerade für Energie­versorger attraktiv. In der öffentlichen Diskussion um Investitionen (z. B. Wärme­lösungen) kann der Beitrag auf dem Reduk­tions­pfad transparent aufgezeigt werden und viele End­kunden­produkte redu­zieren Treib­haus­gas­emissionen.

Die Schweiz hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2050 klimaneutral zu werden. Um dieses Ziel zu erreichen, werden die nationalen Emissionen jährlich berechnet, es werden Zwischenziele formuliert und der Nutzen von Massnahmen der Klimapolitik wird daran gemessen. Ausserdem setzen sich viele Schweizer Unter­nehmen Klimaziele und erfassen ihre Emissionen – freiwillig oder sie sind aufgrund von Grösse oder öffentlichem Interesse dazu verpflichtet.

Grundlagen der Bilanzierung

Emissionen werden nach dem Global Greenhouse Gas (kurz GHG) Protokoll unter­schied­lichen Bereichen zugerechnet: Scope 1 sind eigene direkte Emissionen (z.B. Verbrennung fossiler Energieträger), Scope 2 sind eigene indirekte Emissionen für bezogene, bereits umgewandelte und dann selbst genutzte Energie (z.B. eigenverbrauchter Strom), Scope 3 sind indirekte Emissionen, die vor- und nachgelagert in der Wert­schöpfungs­kette anfallen (z.B. bezogene Waren und Dienstleistungen, Emissionen verkaufter Produkte).

Es werden alle Treibhausgase erfasst, aber auf den Klimaeffekt einer Tonne CO2 normiert. Ein Vergleich der CO2-Fussabdrücke von Unter­nehmen ist aufgrund erheblicher Wahlfreiheiten bei der Bilanzierung kaum direkt möglich. Insofern ist der Fussabdruck besser als individueller Startpunkt für die Reduk­tions­bemü­hungen zu sehen. Das CO2-Management ist ein fort­laufen­der Prozess (Bild 1).

Ziele und Grundaufstellung

Für den Einstieg in das CO2- bzw. Emis­sions­mana­ge­ment gibt es keine Blaupause. Um den für einen Versorger spezifisch passenden Weg zu finden, sollten zuerst die grundlegenden Ziele geschärft werden. Diese könnten sein:

  • Monitoring und bessere Steuerung der eigenen Reduktions­massnahmen,
  • Positionierung des Unter­nehmens («Partner für Dekarbonisierung»),
  • Verständnis für die Emittenten und das Reduk­tions­poten­zial,
  • Interne Signalwirkung für die Mitarbeiter.

 

Abhängig von der Zielsetzung lässt sich ableiten, mit welcher Aufstellung das CO2-Management erfolgreich angegangen werden kann. Grundsätzliche Entscheidungen sind im Hinblick auf den langfristigen Weg zur vollständigen Umsetzung des Emis­sions­mana­ge­ments, die Teilnahme an Reporting-Initiativen, die erforderlichen Ressourcen, die optimale Organisation und die IT-Unterstützung zu treffen.

Ist es beispiels­weise ein Ziel des Energieversorgers, den CO2-Fussabdruck zu «vermarkten», so ist zu berücksichtigen, dass die Öffentlichkeit in den letzten Jahren sehr kritisch gegenüber «Greenwashing» geworden ist. Dies stellt besondere Anforderungen an Transparenz und Glaubwürdigkeit. Um die Transparenz zu erhöhen, kann der Fussabdruck beispiels­weise unabhängig geprüft werden. In eine ähnliche Richtung wirkt die Teilnahme an globalen Initiativen wie Carbon Disclosure Projekt (CDP) oder Science Based Targets Initiative (SBTI). Jedoch sollten sich Energieversorger bei einer solchen Teilnahme der langfristigen Implikationen bewusst sein. Die Initiativen sind zunehmend wirkungsvoll darin, Firmen zu einer stetigen Verstärkung der Klima­schutz­bemü­hungen zu bewegen, beispiels­weise durch anspruchsvolle Vorgaben, Belohnung bestimmter Management-Entscheide oder Kommunikation über den Austritt von Unter­nehmen. Insofern ist abzuwägen, ob die langfristige Bindung den unmittelbaren Nutzen übersteigt.

Auch Entschei­dungen zur IT-Unter­stützung sollten sorgfältig getroffen werden. Zahlreiche Software-Anbieter werben damit, mit der richtigen Software würden sich CO2-Fussabdruck und Reduktionspfad «von selbst» ermitteln. Besonders die leistungsfähigen Systeme erfordern aber einen hohen Customizing-Aufwand und eine gute Kenntnis der eigenen Datenquellen. Erst dann können Vorteile wie der automatische Daten­import voll ausgeschöpft werden. Auch wenn die Software-Hersteller inzwischen Sonder­konditionen für kleinere Unter­nehmen anbieten, können die Lizenzkosten erheblich sein. Es kann daher sinnvoll sein, den Schritt der Soft­ware­unter­stützung erst zu einem späteren Zeitpunkt anzugehen.

Schliesslich stellt sich besonders Energie­versorgern mit diversen Geschäfts­feldern die Frage der erforder­lichen Ressourcen sowie der passenden Organisation. CO2-Management betrifft ein Unter­nehmen als Ganzes, insofern ist es sinnvoll, die Funktion direkt bei oder in der Nähe der Geschäftsleitung anzusiedeln. Während viele grosse Unter­nehmen Mitarbeiter oder ganze Teams ausschliesslich für das Thema anstellen, suchen kleine und mittlere Firmen alternative Wege, wie die Zusammen­arbeit mit Partnern. Ein bewährtes Modell ist ein interner SPOC, der Daten aus unter­schied­lichen Geschäftsfeldern zusammenträgt und den externen Partner steuert. Der Partner sollte Spezialwissen in der Bilanzierung beisteuern und über ausreichende Kenntnis branchen­spezi­fischer Bilanzansätze verfügen.

Mit diesen Vorüberlegungen lässt sich der strategische Fahrplan für den Aufbau des CO2-Managements entwickeln. Er umfasst idealerweise einen Zeitraum von drei bis fünf Jahren, in denen die wesentlichen Schritte zum vollständigen Aufbau dokumentiert sind. Es empfiehlt sich, einen solchen Fahrplan oder Meilensteine zusammen mit einer CO2-Bilanz zu kommunizieren, um Vorwürfen einer «Willkürlichkeit» (z.B. bei anfänglicher Beschränkung auf Teilaktivitäten) vorzubeugen.

Erfassung der Emissionen

Zunächst muss der Bilanzie­rungs­standard festgelegt werden. Das GHG-Protokoll ist mit Abstand am weitesten verbreitet. Es besteht auch die ­Möglichkeit zur Bilanzierung nach ISO 16064, die inhaltlich auf dem GHG aufbaut und eine zusätzliche Auditierung vorsieht. Für Energieversorger, die zum ersten Mal eine Bilanz erstellen, ist der Nutzen eines Audits abzuwägen und wird in der Regel erst nach mehreren vollständig erstellten Bilanzen und entsprechender Validität der Daten empfohlen. Aufgrund der ähnlichen Systematik ist auch ein späterer Wechsel vom GHG- in das ISO-Regime möglich.

Anschliessend sind die Bilanzgrenzen zu setzen. Wenige Firmen starten mit Vollständigkeit – vielmehr bieten sich pragmatische Ansätze an. Bei einer Initialbilanz ist der Aufwand besonders hoch. Häufig werden Daten zum ersten Mal erhoben, die Daten-Owner sind unklar, die Qualität und Vollständigkeit ist mehrmals zu prüfen. In solchen Fällen ist es sinnvoll, Grenzen enger zu setzen und die Bilanz in den Folgejahren zu erweitern. Mögliche Kriterien für das Setzen der Bilanzgrenzen können die Relevanz (Anteil am Fussabdruck?), der Erfassungs­aufwand (Daten verfügbar?) oder der tatsächliche Einfluss des Unter­nehmens auf einen Emittenten sein.

Die Datenerfassung wird bei Energieversorgern aufgrund der zahlreichen Geschäftsfelder schnell unübersichtlich. Branchentemplates können als Leitfaden helfen, um die wesentlichen Positionen abzudecken. Ferner verfügen Branchen­experten in der Regel über belastbare Referenzwerte, um den Erfassungsaufwand zu reduzieren, ohne auf Positionen ganz zu verzichten. Eine saubere Dokumentation der Datenquellen (Ansprechperson, System-Reports, Berechnungsschritte, Annahmen etc.) erleichtert die Arbeit im Folgejahr erheblich.

Sind die Aktivitätsdaten erhoben, werden passende Emissionsfaktoren hinterlegt. Diese müssen aus unter­schied­lichen Quellen zusammen­gezogen werden. Hierzu zählen öffentliche Quellen wie das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), das Bundesamt für Umwelt (Bafu) oder die Plattform Ökobilanzen im Baubereich (KBOB). Zusätzlich existiert eine Vielzahl kommerzieller, seriöser Datenbanken, die zum Teil sehr umfangreich sind. Was gut tönt, erweist sich in der Bilanzie­rungs­praxis als Herausforderung. Die Faktoren unterscheiden sich zwischen den Datenbanken, und häufig sind die Gründe dafür kaum nachvollziehbar. Erleichternd sind Branchen­empfehlungen für einzelne Faktoren oder De-Facto-Standards, von denen Energieversorger nur gut begründet abweichen sollten. Darüber hinaus zeigt die Erfahrung, dass eine weitgehende Einheitlichkeit der Quellen (kein «Cherry Picking») die Glaubwürdigkeit erhöht.

Reduktion

Die fertige Bilanz ermöglicht einen Überblick über die Emittenten und eine erste Einschätzung der Reduk­tions­poten­ziale. Um dann von der Bilanz in das Steuern der Reduktion zu kommen, sind zunächst Ziele zu formulieren. Die langfristigen Ziele sind durch das Klima- und Innovationsgesetz («Netto-Null bis 2050») vorgegeben. Zudem haben einige Kantone und Gemeinden eigene ambitio­niertere Reduktionsziele formuliert, die Energieversorger ebenfalls prüfen sollten.

Für die CO2-Reduktion wird häufig zwischen eigenen Emissionen (Scope 1+2) und Emissionen der Wert­schöpfungs­kette (Scope 3) unterschieden. Eigene Emissionen sind überwiegend durch den Versorger beeinflussbar. Die Fristen, mit denen Reduktions­mass­nahmen technisch-wirtschaftlich umgesetzt werden können, unterscheiden sich jedoch je nach Emittent. Eine Substitution von Erdgas durch Biogas bei eigenen Verbräuchen ist schneller möglich als der Ersatz von SF6 in Trans­formator­stationen. Für sämtliche Emittenten in Scope 1 und 2 werden Zeitbedarf sowie Kosten/Nutzen der möglichen Massnahmen geschätzt (einmalig, wiederkehrend). Es resultiert ein erster Reduktionspfad. Werden Zwischenziele später als gewünscht erreicht, so sind Anpassungen zu prüfen. In der Regel verändert das Vorziehen von Massnahmen das Kosten-Nutzen-Verhältnis, beispiels­weise weil wieder­kehrende Kosten über zusätzliche Jahre anfallen oder ein Ersatz von Assets vor Ende der wirtschaftlichen Nutzungsdauer erfolgen muss. Mit den Emissionen des Scope 3 (vor-/nachgelagert) wird analog verfahren. Aus der vorgelagerten Wert­schöpfungs­kette lassen sich beispiels­weise Dienstreisen oder Pendeltätigkeiten der Mitarbeiter relativ einfach adressieren. Schwieriger sind bezogene Materialien, Dienstleistungen oder Kapitalgüter. Perspektivisch werden standardisiert ermittelte Produkt-CO2-Fussabdrücke neben dem Preis ein Kriterium im Einkauf darstellen und so eine glaubwürdige Scope-3-Reduktion unterstützen. Bei den nachgelagerten Emissionen sind für die Energieversorger die Lieferungen an die Endkunden ausschlaggebend. Die Reduk­tions­mass­nahmen betreffen neue «grüne» Produkte oder die Transformation von Gas zu Wärme.

Kommunikation und Kompensation

Der Zyklus des CO2-Managements wiederholt sich mit der Erstellung der nächsten Bilanz im Folgejahr. Dazwischen können Energieversorger über Ziele und Ergebnisse von Reduk­tions­mass­nahmen berichten. Die Öffentlichkeit ist jedoch zunehmend kritisch gegenüber den verbreiteten Botschaften. Einige Wirtschaftsräume haben bereits gesetzliche Verbote unbelegter Behauptungen wie «klimaneutral» erlassen.

Um unangenehme Überraschungen zu vermeiden, empfiehlt sich die Konsultation von Leitfäden, wie sie verschiedene Organisationen publizieren. In diesem Kontext darf ein Hinweis auf Kompen­sations­zertifikate nicht fehlen, welche die Vermeidung von CO2-Emissionen typischerweise im globalen Süden bescheinigen. Aufgrund der teilweise fehlenden Werthaltigkeit stehen diese Zertifikate seit einigen Jahren massiv in der Kritik. Energieversorger müssen selbst entscheiden, ob dieses Modell für sie attraktiv ist – hinter Zertifikaten aus glaubwürdigen Systemen liegen oft grundsätzlich sinnvolle Projekte – oder ob sie Zeit und Ressourcen auf die Reduktion konzentrieren. Spätestens wenn erweiterte Regeln für die Entnahme und Bindung von CO2 aus der Atmosphäre vorliegen, dürfte dieser Bereich eine neue Dynamik erfahren. Bis dahin fliesst viel Kapital in die Entwicklung entsprechender Technologien.

Fazit

CO2-Management betrifft das Kerngeschäft von Energie­versorgern. Das Regelwerk ist stabil und pragmatische Ansätze sind auch für kleine/mittlere Organi­sationen möglich. Die Ergebnisse entwickeln unmittelbare Hand­lungs­relevanz mit Sicht auf Produkte und Investitionen. Energieversorger können ihre Verant­wortung wahrnehmen und sich gegenüber der Öffentlichkeit und ihren Kunden als glaub­würdiger Partner auf dem Weg zur Dekarbo­nisierung positionieren.

Autor
Stephan Speith

ist Mitgründer und Geschäfts­führer von Colibri Carbon Partner.

  • Colibri Solutions GmbH, 8808 Pfäffikon SZ

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