CO2-Management für Energieversorger
Möglichkeiten für kleine und mittlere Unternehmen
Als Ziel- und Steuerungsgrösse sind CO2-Emissionen gerade für Energieversorger attraktiv. In der öffentlichen Diskussion um Investitionen (z. B. Wärmelösungen) kann der Beitrag auf dem Reduktionspfad transparent aufgezeigt werden und viele Endkundenprodukte reduzieren Treibhausgasemissionen.
Die Schweiz hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2050 klimaneutral zu werden. Um dieses Ziel zu erreichen, werden die nationalen Emissionen jährlich berechnet, es werden Zwischenziele formuliert und der Nutzen von Massnahmen der Klimapolitik wird daran gemessen. Ausserdem setzen sich viele Schweizer Unternehmen Klimaziele und erfassen ihre Emissionen – freiwillig oder sie sind aufgrund von Grösse oder öffentlichem Interesse dazu verpflichtet.
Grundlagen der Bilanzierung
Emissionen werden nach dem Global Greenhouse Gas (kurz GHG) Protokoll unterschiedlichen Bereichen zugerechnet: Scope 1 sind eigene direkte Emissionen (z.B. Verbrennung fossiler Energieträger), Scope 2 sind eigene indirekte Emissionen für bezogene, bereits umgewandelte und dann selbst genutzte Energie (z.B. eigenverbrauchter Strom), Scope 3 sind indirekte Emissionen, die vor- und nachgelagert in der Wertschöpfungskette anfallen (z.B. bezogene Waren und Dienstleistungen, Emissionen verkaufter Produkte).
Es werden alle Treibhausgase erfasst, aber auf den Klimaeffekt einer Tonne CO2 normiert. Ein Vergleich der CO2-Fussabdrücke von Unternehmen ist aufgrund erheblicher Wahlfreiheiten bei der Bilanzierung kaum direkt möglich. Insofern ist der Fussabdruck besser als individueller Startpunkt für die Reduktionsbemühungen zu sehen. Das CO2-Management ist ein fortlaufender Prozess (Bild 1).
Ziele und Grundaufstellung
Für den Einstieg in das CO2- bzw. Emissionsmanagement gibt es keine Blaupause. Um den für einen Versorger spezifisch passenden Weg zu finden, sollten zuerst die grundlegenden Ziele geschärft werden. Diese könnten sein:
- Monitoring und bessere Steuerung der eigenen Reduktionsmassnahmen,
- Positionierung des Unternehmens («Partner für Dekarbonisierung»),
- Verständnis für die Emittenten und das Reduktionspotenzial,
- Interne Signalwirkung für die Mitarbeiter.
Abhängig von der Zielsetzung lässt sich ableiten, mit welcher Aufstellung das CO2-Management erfolgreich angegangen werden kann. Grundsätzliche Entscheidungen sind im Hinblick auf den langfristigen Weg zur vollständigen Umsetzung des Emissionsmanagements, die Teilnahme an Reporting-Initiativen, die erforderlichen Ressourcen, die optimale Organisation und die IT-Unterstützung zu treffen.
Ist es beispielsweise ein Ziel des Energieversorgers, den CO2-Fussabdruck zu «vermarkten», so ist zu berücksichtigen, dass die Öffentlichkeit in den letzten Jahren sehr kritisch gegenüber «Greenwashing» geworden ist. Dies stellt besondere Anforderungen an Transparenz und Glaubwürdigkeit. Um die Transparenz zu erhöhen, kann der Fussabdruck beispielsweise unabhängig geprüft werden. In eine ähnliche Richtung wirkt die Teilnahme an globalen Initiativen wie Carbon Disclosure Projekt (CDP) oder Science Based Targets Initiative (SBTI). Jedoch sollten sich Energieversorger bei einer solchen Teilnahme der langfristigen Implikationen bewusst sein. Die Initiativen sind zunehmend wirkungsvoll darin, Firmen zu einer stetigen Verstärkung der Klimaschutzbemühungen zu bewegen, beispielsweise durch anspruchsvolle Vorgaben, Belohnung bestimmter Management-Entscheide oder Kommunikation über den Austritt von Unternehmen. Insofern ist abzuwägen, ob die langfristige Bindung den unmittelbaren Nutzen übersteigt.
Auch Entscheidungen zur IT-Unterstützung sollten sorgfältig getroffen werden. Zahlreiche Software-Anbieter werben damit, mit der richtigen Software würden sich CO2-Fussabdruck und Reduktionspfad «von selbst» ermitteln. Besonders die leistungsfähigen Systeme erfordern aber einen hohen Customizing-Aufwand und eine gute Kenntnis der eigenen Datenquellen. Erst dann können Vorteile wie der automatische Datenimport voll ausgeschöpft werden. Auch wenn die Software-Hersteller inzwischen Sonderkonditionen für kleinere Unternehmen anbieten, können die Lizenzkosten erheblich sein. Es kann daher sinnvoll sein, den Schritt der Softwareunterstützung erst zu einem späteren Zeitpunkt anzugehen.
Schliesslich stellt sich besonders Energieversorgern mit diversen Geschäftsfeldern die Frage der erforderlichen Ressourcen sowie der passenden Organisation. CO2-Management betrifft ein Unternehmen als Ganzes, insofern ist es sinnvoll, die Funktion direkt bei oder in der Nähe der Geschäftsleitung anzusiedeln. Während viele grosse Unternehmen Mitarbeiter oder ganze Teams ausschliesslich für das Thema anstellen, suchen kleine und mittlere Firmen alternative Wege, wie die Zusammenarbeit mit Partnern. Ein bewährtes Modell ist ein interner SPOC, der Daten aus unterschiedlichen Geschäftsfeldern zusammenträgt und den externen Partner steuert. Der Partner sollte Spezialwissen in der Bilanzierung beisteuern und über ausreichende Kenntnis branchenspezifischer Bilanzansätze verfügen.
Mit diesen Vorüberlegungen lässt sich der strategische Fahrplan für den Aufbau des CO2-Managements entwickeln. Er umfasst idealerweise einen Zeitraum von drei bis fünf Jahren, in denen die wesentlichen Schritte zum vollständigen Aufbau dokumentiert sind. Es empfiehlt sich, einen solchen Fahrplan oder Meilensteine zusammen mit einer CO2-Bilanz zu kommunizieren, um Vorwürfen einer «Willkürlichkeit» (z.B. bei anfänglicher Beschränkung auf Teilaktivitäten) vorzubeugen.
Erfassung der Emissionen
Zunächst muss der Bilanzierungsstandard festgelegt werden. Das GHG-Protokoll ist mit Abstand am weitesten verbreitet. Es besteht auch die Möglichkeit zur Bilanzierung nach ISO 16064, die inhaltlich auf dem GHG aufbaut und eine zusätzliche Auditierung vorsieht. Für Energieversorger, die zum ersten Mal eine Bilanz erstellen, ist der Nutzen eines Audits abzuwägen und wird in der Regel erst nach mehreren vollständig erstellten Bilanzen und entsprechender Validität der Daten empfohlen. Aufgrund der ähnlichen Systematik ist auch ein späterer Wechsel vom GHG- in das ISO-Regime möglich.
Anschliessend sind die Bilanzgrenzen zu setzen. Wenige Firmen starten mit Vollständigkeit – vielmehr bieten sich pragmatische Ansätze an. Bei einer Initialbilanz ist der Aufwand besonders hoch. Häufig werden Daten zum ersten Mal erhoben, die Daten-Owner sind unklar, die Qualität und Vollständigkeit ist mehrmals zu prüfen. In solchen Fällen ist es sinnvoll, Grenzen enger zu setzen und die Bilanz in den Folgejahren zu erweitern. Mögliche Kriterien für das Setzen der Bilanzgrenzen können die Relevanz (Anteil am Fussabdruck?), der Erfassungsaufwand (Daten verfügbar?) oder der tatsächliche Einfluss des Unternehmens auf einen Emittenten sein.
Die Datenerfassung wird bei Energieversorgern aufgrund der zahlreichen Geschäftsfelder schnell unübersichtlich. Branchentemplates können als Leitfaden helfen, um die wesentlichen Positionen abzudecken. Ferner verfügen Branchenexperten in der Regel über belastbare Referenzwerte, um den Erfassungsaufwand zu reduzieren, ohne auf Positionen ganz zu verzichten. Eine saubere Dokumentation der Datenquellen (Ansprechperson, System-Reports, Berechnungsschritte, Annahmen etc.) erleichtert die Arbeit im Folgejahr erheblich.
Sind die Aktivitätsdaten erhoben, werden passende Emissionsfaktoren hinterlegt. Diese müssen aus unterschiedlichen Quellen zusammengezogen werden. Hierzu zählen öffentliche Quellen wie das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), das Bundesamt für Umwelt (Bafu) oder die Plattform Ökobilanzen im Baubereich (KBOB). Zusätzlich existiert eine Vielzahl kommerzieller, seriöser Datenbanken, die zum Teil sehr umfangreich sind. Was gut tönt, erweist sich in der Bilanzierungspraxis als Herausforderung. Die Faktoren unterscheiden sich zwischen den Datenbanken, und häufig sind die Gründe dafür kaum nachvollziehbar. Erleichternd sind Branchenempfehlungen für einzelne Faktoren oder De-Facto-Standards, von denen Energieversorger nur gut begründet abweichen sollten. Darüber hinaus zeigt die Erfahrung, dass eine weitgehende Einheitlichkeit der Quellen (kein «Cherry Picking») die Glaubwürdigkeit erhöht.
Reduktion
Die fertige Bilanz ermöglicht einen Überblick über die Emittenten und eine erste Einschätzung der Reduktionspotenziale. Um dann von der Bilanz in das Steuern der Reduktion zu kommen, sind zunächst Ziele zu formulieren. Die langfristigen Ziele sind durch das Klima- und Innovationsgesetz («Netto-Null bis 2050») vorgegeben. Zudem haben einige Kantone und Gemeinden eigene ambitioniertere Reduktionsziele formuliert, die Energieversorger ebenfalls prüfen sollten.
Für die CO2-Reduktion wird häufig zwischen eigenen Emissionen (Scope 1+2) und Emissionen der Wertschöpfungskette (Scope 3) unterschieden. Eigene Emissionen sind überwiegend durch den Versorger beeinflussbar. Die Fristen, mit denen Reduktionsmassnahmen technisch-wirtschaftlich umgesetzt werden können, unterscheiden sich jedoch je nach Emittent. Eine Substitution von Erdgas durch Biogas bei eigenen Verbräuchen ist schneller möglich als der Ersatz von SF6 in Transformatorstationen. Für sämtliche Emittenten in Scope 1 und 2 werden Zeitbedarf sowie Kosten/Nutzen der möglichen Massnahmen geschätzt (einmalig, wiederkehrend). Es resultiert ein erster Reduktionspfad. Werden Zwischenziele später als gewünscht erreicht, so sind Anpassungen zu prüfen. In der Regel verändert das Vorziehen von Massnahmen das Kosten-Nutzen-Verhältnis, beispielsweise weil wiederkehrende Kosten über zusätzliche Jahre anfallen oder ein Ersatz von Assets vor Ende der wirtschaftlichen Nutzungsdauer erfolgen muss. Mit den Emissionen des Scope 3 (vor-/nachgelagert) wird analog verfahren. Aus der vorgelagerten Wertschöpfungskette lassen sich beispielsweise Dienstreisen oder Pendeltätigkeiten der Mitarbeiter relativ einfach adressieren. Schwieriger sind bezogene Materialien, Dienstleistungen oder Kapitalgüter. Perspektivisch werden standardisiert ermittelte Produkt-CO2-Fussabdrücke neben dem Preis ein Kriterium im Einkauf darstellen und so eine glaubwürdige Scope-3-Reduktion unterstützen. Bei den nachgelagerten Emissionen sind für die Energieversorger die Lieferungen an die Endkunden ausschlaggebend. Die Reduktionsmassnahmen betreffen neue «grüne» Produkte oder die Transformation von Gas zu Wärme.
Kommunikation und Kompensation
Der Zyklus des CO2-Managements wiederholt sich mit der Erstellung der nächsten Bilanz im Folgejahr. Dazwischen können Energieversorger über Ziele und Ergebnisse von Reduktionsmassnahmen berichten. Die Öffentlichkeit ist jedoch zunehmend kritisch gegenüber den verbreiteten Botschaften. Einige Wirtschaftsräume haben bereits gesetzliche Verbote unbelegter Behauptungen wie «klimaneutral» erlassen.
Um unangenehme Überraschungen zu vermeiden, empfiehlt sich die Konsultation von Leitfäden, wie sie verschiedene Organisationen publizieren. In diesem Kontext darf ein Hinweis auf Kompensationszertifikate nicht fehlen, welche die Vermeidung von CO2-Emissionen typischerweise im globalen Süden bescheinigen. Aufgrund der teilweise fehlenden Werthaltigkeit stehen diese Zertifikate seit einigen Jahren massiv in der Kritik. Energieversorger müssen selbst entscheiden, ob dieses Modell für sie attraktiv ist – hinter Zertifikaten aus glaubwürdigen Systemen liegen oft grundsätzlich sinnvolle Projekte – oder ob sie Zeit und Ressourcen auf die Reduktion konzentrieren. Spätestens wenn erweiterte Regeln für die Entnahme und Bindung von CO2 aus der Atmosphäre vorliegen, dürfte dieser Bereich eine neue Dynamik erfahren. Bis dahin fliesst viel Kapital in die Entwicklung entsprechender Technologien.
Fazit
CO2-Management betrifft das Kerngeschäft von Energieversorgern. Das Regelwerk ist stabil und pragmatische Ansätze sind auch für kleine/mittlere Organisationen möglich. Die Ergebnisse entwickeln unmittelbare Handlungsrelevanz mit Sicht auf Produkte und Investitionen. Energieversorger können ihre Verantwortung wahrnehmen und sich gegenüber der Öffentlichkeit und ihren Kunden als glaubwürdiger Partner auf dem Weg zur Dekarbonisierung positionieren.
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