Chance oder Risiko für Verteilnetzbetreiber?
Ladeinfrastruktur
Mit dem rasanten Marktwachstum der Elektromobilität in der Schweiz stellt sich immer dringlicher die Frage, welche Auswirkungen dies künftig auf die Verteilnetze haben wird. Mit einer vorausschauenden Herangehensweise und intelligenten Vorgaben können Verteilnetzbetreiber die Dekarbonisierung des Verkehrssektors durch die Elektromobilität unterstützen.
Der Marktanteil neu zugelassener Steckerfahrzeuge, die batterieelektrische Fahrzeuge (BEV) und Plug-in-Hybride (PHEV) umfassen, hat sich in den letzten zwei Jahren von 3,2% im Jahr 2018 auf 14,3% im Jahr 2020 mehr als vervierfacht (Bild 1). Die Elektromobilität ist also massentauglich geworden und wird einen grossen Beitrag zur Dekarbonisierung des Schweizer Verkehrssektors leisten.
Die Ladeinfrastruktur für die neu auf die Strasse kommenden Elektrofahrzeuge spielt dabei eine zentrale Rolle. Ladestationen stellen die Schnittstelle zwischen Verkehrs- und Stromsystem dar. Damit diese Sektorkopplung erfolgen kann, ohne das Stromversorgungssystem zu gefährden, muss die Ladeinfrastruktur entsprechend hohe technische Anforderungen erfüllen. Der überwiegende Anteil des Ladebedarfs von Elektrofahrzeugen wird am Wohn- oder Arbeitsort gedeckt, d. h. die dafür erforderliche Ladeleistung wird über bestehende Netzanschlüsse von Gebäuden zur Verfügung gestellt. Ohne den Einsatz von Ladeinfrastruktur mit intelligentem Lastmanagement würden Lastprofile mit enormen Leistungsspitzen resultieren, die in Gewerbeimmobilien am Vormittag und in Wohngebäuden am Abend zu Überlastungen der verfügbaren Kapazitäten führen würden. Durch diese Leistungsspitzen würden auch die vorgelagerten Verteilnetze der einzelnen Gebäude an ihre Grenzen kommen.
Ladeinfrastruktur mit intelligentem Lastmanagement
Deshalb ist es zwingend, dass ausschliesslich Ladeinfrastruktur mit intelligentem Lastmanagement zum Einsatz kommt. Damit wird eine optimale Leistungsregelung auf verschiedenen Ebenen ermöglicht: Erstens kann die Kapazität, die für die Ladeinfrastruktur installiert werden muss, minimiert werden. Zum Beispiel können damit die Elektroverteilung und die elektrischen Zuleitungen in einer Tiefgarage kleiner ausgelegt und damit Geld gespart werden. Zweitens kann dadurch verhindert werden, dass der Netzanschluss eines Gebäudes für die Integration der Elektromobilität verstärkt werden muss. Ein netz- und systemdienliches Lastmanagement kann auch dazu beitragen, einen Netzausbau zu verhindern sowie Stromangebot und -nachfrage im Gleichgewicht zu halten. Ein weiterer Aspekt einer intelligenten Ladelösung, auf den auch das VSE-Dokument «Elektromobilität – Infoblatt Ladestationen» hinweist, ist eine möglichst symmetrische Belastung des Hausanschlusspunkts. Diese kann durch den Einsatz einer Ladelösung mit dynamischem Phasenausgleich erreicht werden. Dieser sorgt dafür, dass ein-, zwei- und dreiphasig ladende Fahrzeuge so gesteuert werden, dass sie den Hausanschluss möglichst symmetrisch belasten. Im besten Fall können sogar bestehende unsymmetrische Belastungen von Hausanschlüssen durch eine intelligente Steuerung von ein- oder zweiphasig ladenden Fahrzeugen kompensiert werden.
Praxisbeispiel Ladeinfrastruktur-Rollout
Um für die neue Ära der Elektromobilität bereit zu sein, hat die Amag als Importeur von Fahrzeugen des Volkswagenkonzerns an rund 80 Standorten schweizweit Ladeinfrastruktur ausgerollt. Da eine Erhöhung der Anschlussleistung teuer und langwierig gewesen wäre, war es das erklärte Ziel des Importeurs, an allen Standorten mit den bestehenden Anschlusskapazitäten auszukommen.
Aus der 2017 begonnenen Evaluation der Amag ging hervor, dass die Anforderungen mit der Zaptec-Pro-Ladelösung von NovaVolt am besten erfüllt werden. In den vergangenen drei Jahren hat der Importeur rund 500 solcher AC-Ladestationen installiert, ohne dass auch nur an einem einzigen ihrer rund 80 Standorte eine Verstärkung des Netzanschlusses erforderlich gewesen wäre. Sowohl bei den kleinsten Betrieben mit zwei Ladestationen als auch bei der grössten Installation mit 82 Ladestationen am Hauptsitz in Cham konnten dank des intelligenten Lastmanagements Netzanschlussverstärkungen vermieden werden.
Dank des dynamischen Phasenausgleichs konnte zudem auch unter besonderen Bedingungen eine symmetrische Leistungsnutzung ermöglicht werden. Bild 2 zeigt die Belastung eines 63-A-Stromkreises, an den 13 Ladestationen mit einer maximalen Ladekapazität von je 32 A dreiphasig bzw. 22 kW angeschlossen sind.
An sechs der dreizehn Ladestationen sind mit 16 A zweiphasig ladende Fahrzeuge angeschlossen, die dank des intelligenten Lastmanagements mit dynamischem Phasenausgleich alle bei einer nahezu perfekt symmetrischen Belastung des Stromkreises mit einer Leistung von je gut 7 kW laden. Da die Ladelösung offene Standards einsetzt, ist der Importeur auch für eine weitere Skalierung der Ladeinfrastruktur gerüstet.
Massnahmen für ein sicheres Verteilnetz
Um dafür zu sorgen, dass flächendeckend intelligente Ladelösungen eingesetzt werden, die einen Ausbau der Verteilnetze weitestgehend vermeiden, haben Netzbetreiber verschiedene Möglichkeiten. Neben der Pflicht, für den Anschluss von Ladestationen ein technisches Anschlussgesuch (TAG) und eine Installationsanzeige einzureichen, können insbesondere über die Werkvorschriften und speziellen Bestimmungen entsprechende Vorgaben gemacht werden. In den schweizweiten Werkvorschriften (WVCH – CH 2018) ist definiert, dass Installation mit mehreren Ladestationen am gleichen Anschlusspunkt ein Lademanagement nach den Vorgaben des Netzbetreibers benötigen.
Mehrere Netzbetreiber machen in ihren speziellen Bestimmungen weitergehende Vorgaben. Die SAK schreibt beispielsweise vor, dass die spätere netzdienliche Steuerung der Ladestationen für Elektrofahrzeuge jederzeit möglich sein muss, d. h. es sind entsprechende Vorkehrungen wie Reserverohre und Platzbedarf für Steuereinheiten auf den Verteilungen vorzusehen. Wenn an einem Hausanschluss zwei oder mehrere Ladestationen installiert werden, muss im SAK-Netzgebiet mit einem Lademanagement die Bezugsleistung am Hausanschluss begrenzt werden.
EWZ schreibt vor, dass Ladestationen für Elektrofahrzeuge für einen möglichen Last- oder Einspeiseabwurf hinter Schaltapparaten anzuschliessen sind. Zudem fordert EWZ ab einer installierten Leistung der Ladeinfrastruktur von ≥ 22 kVA oder wenn die Installation dafür ausgelegt ist (Absicherung der Zuleitung ≥ 32 A) eine separate Verrechnungsmessung für die gesamte Ladeinfrastruktur.
Im Netzgebiet des Elektrizitätswerks Jona-Rapperswil muss für Ladestationen ein intelligentes Ladesystem installiert werden, das über ein Lademanagement verfügt, das Leistungsspitzen verhindert und den Phasenausgleich sicherstellt. Und auch das EWJR schreibt vor, dass in Liegenschaften mit mehr als einem Energiebezüger für die Verrechnung des Energieverbrauchs der Ladestation(en) ein separater Smart Meter zu installieren ist.
Bezüglich Verrechnung bietet sich Energieversorgern die Chance, den Energiebezug von Ladestationen für ihre Kunden direkt über die Stromrechnung abzurechnen. Mit einer Schnittstelle zum von vielen Energieversorgern eingesetzten Abrechnungssystem IS-E bietet NovaVolt zusammen mit einer Software-Partnerfirma eine automatisierte Datenverarbeitung für eine einfache und effiziente Abrechnung des Energiebezugs von Ladestationen an. So wird nicht nur der Stromabsatz durch den Energiebezug der Elektrofahrzeuge erhöht, sondern Energieversorger können mit der Schnittstelle auch eine neue Dienstleistung im Bereich der Abrechnung anbieten.
SIA 2060 – Nachfragegerechter modularer Infrastrukturausbau
Nicht nur Verteilnetzbetreiber können mit adäquaten Vorgaben den Ausbau von intelligenter Ladeinfrastruktur fordern und fördern. Auch der SIA hat sich mit dem Merkblatt 2060 der Elektromobilität angenommen und sorgt damit für Planungssicherheit im Gebäudesektor (Bild 3). Dies ist besonders wichtig, da sich bei der Elektromobilität der grösste Anteil der «Tankvorgänge» von der Tankstelle in die Immobilie verschiebt. Hauptzielgruppe des Merkblatts 2060 sind Architekten, Immobilieninvestoren und Elektroplaner. Ein wesentlicher Beitrag der SIA 2060 ist die Definition von vier aufeinander aufbauenden Ausbaustufen A bis D für die Ladeinfrastruktur in Gebäuden. Auch wenn der Hauptfokus auf Neubauten und umfassenden Sanierungen liegt, können die Ausbaustufen C und D auch auf Bestandsliegenschaften angewendet werden. Die Ausbaustufe C1 «power to garage» umfasst die elektrische Erschliessung mit einer gemeinsamen Stromzuleitung unmittelbar über den Parkplätzen. Diese kann z. B. mit einer Flachkabelinstallation an der Wand oder an der Decke entlang realisiert werden. Die Ausbaustufe C2 «power to parking» umfasst den elektrischen Anschluss an der Position der zukünftigen Ladestation. Bei der oben beschriebenen Ladelösung wird diese Ausbaustufe durch Anbringen einer Rückplatte umgesetzt. Diese ermöglicht die Realisierung der Ausbaustufe D durch eine einfache Plug-&-Play-Montage der Ladestation ohne nachträgliche Elektroinstallationsarbeiten.
Mit den vier Ausbaustufen gibt die SIA 2060 hilfreiche Leitplanken für die modulare Skalierung von Ladeinfrastruktur vor. Dies schafft Planungs- und Investitionssicherheit und gewährleistet zusammen mit den Vorgaben der Verteilnetzbetreiber für intelligentes Lastmanagement, dass das weitere Marktwachstum der Elektromobilität nicht durch unzureichende Ladeinfrastruktur gebremst wird. Die Voraussetzungen sind also geschaffen, dass der Strom- und Gebäudesektor die Elektrifizierung und damit die Dekarbonisierung des Verkehrssektors vorantreiben kann.
Kommentare