Chance für zuverlässige Verteilnetze
Elektronischer Spannungsregler
Die Spannungsqualität in Verteilnetzen wird zunehmend von dezentralen Erzeugern wie PV oder Windkraft beeinflusst. Traditionelle Netzausbauten sind unflexibel und oft aufwendig. Eine elektronische Lösung für diese Herausforderungen wurde durch ein Schweizer Innovationsprojekt realisiert und Optimierungen mithilfe von Messungen aufgezeigt.
Seit 2022 gibt es einen grossen Zuwachs an Energieträgern mit oft volatiler Produktion. Werden die Prognosen, auf denen die Pläne für den Ausbau der Verteilnetze basieren, stark überschritten, steigt die Gefahr der Überlastung von Betriebsmitteln oder das Nichteinhalten von Normen und Richtlinien. Massnahmen müssen ergriffen werden, um dies zu verhindern. In Österreich werden in manchen Regionen die PV-Einspeisungen ins Verteilnetz auf 4 bis 8 kVA Einspeiseleistung begrenzt [1]. Auch in der Schweiz werden Modelle erprobt, um eine freiwillige Begrenzung der Einspeisung zu fördern [2, 3]. Durch einen Ausbau des Verteilnetzes können solche Situationen und Massnahmen verhindert werden, aber der Netzausbau kann sich nicht an den möglichen Spitzenwerten der Netzlasten oder Einspeisungen orientieren, da dies wirtschaftlich nicht sinnvoll wäre. Deshalb werden Begleitmassnahmen benötigt.
Im Jahr 2019 wurde auf der PCIM (Fachmesse und Konferenz für Leistungselektronik) ein neues Regelkonzept zur Verbesserung der Spannungsqualität in Verteilnetzen präsentiert. Es ermöglicht sowohl die Korrektur von Abweichungen des RMS-Werts oder Asymmetrien als auch die Kompensation von Oberwellen einzelner Phasen. Dazu wird ein Spezialtransformator zwischen dem Verteilnetz des Netzbetreibers und dem Verbraucher geschaltet (Bild 1). Mit einem Wechselrichter wird die Spannung Uinv,i synchron zur Schneelastentladung Uunb,i am Einspeisetransformator generiert. Die Spannung Uinv,i addiert sich zusammen mit der Eingangsspannung zur geregelten Spannung Ubal,i. Die Machbarkeit wurde durch ein Funktionsmuster bewiesen und die Ergebnisse veröffentlicht [4].
Für den Prototypen erklärte sich die Repower AG bereit, einen EVOCDTR (Electronic Voltage Control for Distribution Grids) in ihrem Verteilnetz zu installieren. In der Juniausgabe 2022 vom Bulletin SEV/VSE konnte der erste Prototyp präsentiert werden [5], der im Juli 2022 im Verteilnetz der Repower installiert wurde. Repower AG möchte damit neue Erfahrungen mit elektronisch geregelten Kompensationssystemen sammeln. Der Aufbau und Netzanschluss erfolgte gemäss dem Schema in Bild 1.
Die Installation im Verteilnetz erfolgte erst nach Labortests, um den Regler so realitätsnah wie möglich zu prüfen und die implementierten Sicherheitsmassnahmen und deren korrekte Funktion zu verifizieren. Nach der Installation wurde der Prototyp ausgiebig getestet und 2023 in den Dauerbetrieb überführt. Anfang Mai 2023 erfolgte dann auch der Anschluss an die Leitstelle der Repower AG. Die gesamte Inbetriebnahme wurde durch die OST – Ostschweizer Fachhochschule begleitet und die Funktion des Spannungsreglers durch Messungen überprüft. Mit diesen Messungen konnten die Leistungsfähigkeit des EVOCDTRs aufgezeigt und Optimierungspotenziale für den Einsatz im Verteilnetz dokumentiert werden.
Stabile 230 V im Verteilnetz mit weniger Oberwellen
Seit der Inbetriebnahme des Reglers erfolgte eine Messbegleitung durch die OST. Bild 2 zeigt einen Ausschnitt der im Zeitraum vom 22. April bis 13. Mai 2024 aufgenommenen Messdaten des EVOCDTRs. Dabei wurde der Übersichtlichkeit halber nur jeweils eine Phasenspannung dargestellt. Die anderen Phasenspannungen weisen dabei gleiches Verhalten auf.
Negative Werte in Bild 2a bedeuten eine Energieeinspeisung der PV-Anlagen, positive Werte einen Bezug aus dem Verteilnetz. Im dargestellten Zeitraum wurden PV-Einspeisespitzen von bis zu 137 kW und Lastspitzen von bis zu 50 kW festgestellt.
Aus Bild 2b ist ersichtlich, dass der Regler die Phasenspannung auf die vorgegebenen 230 V regelt, unabhängig vom Lastprofil, das in Bild 2a dargestellt ist. Die Regelgenauigkeit liegt dabei deutlich unter einem Prozent. Die Leistungsfähigkeit des Reglers zeigt sich auch in der Kompensation von Oberwellen (Bilder 2c und 2d): Die fünfte Oberwelle konnte um 75%, die siebte Oberwelle um 90% reduziert werden. Der absolute RMS-Wert betrug im Mittel nur noch ca. 200 mV. Die Messergebnisse zeigen somit eine zuverlässige Spannungsregelung.
Verlustleistungsbetrachtung
Das Papier «Strategisches Netz 2040» der Swissgrid stellt fest: «Swissgrid ist die Planung eines Netzes wichtig, das nachhaltig, ressourcenschonend, umweltverträglich und volkswirtschaftlich effizient ist.» [6] EVOCDTR muss deshalb in der Regelung effizient sein und eine geringe Verlustleistung aufweisen.
Zur Optimierung der Effizienz wurde die Verlustleistung des EVOCDTRs über ein halbes Jahr analysiert. Dabei wurde festgestellt, dass die Verlustleistung mit der Aussentemperatur in Klosters [7] korrelierte (Bild 3). Bisher wurde der Schaltschrank bei Innentemperaturen unter 20°C geheizt bzw. ab 25°C mit einer Klimaanlage gekühlt. Für Kühlung, Heizung, Verlustleistung der Halbleiter und für den Verbrauch der Steuerung wird im Mittel rund 1,3 kW benötigt.
Zur Reduzierung der Heiz- und Kühlenergie wird zukünftig der Taupunkt überwacht. Geheizt wird dann nur noch, um eine Kondensation an elektrischen Bauteilen zu verhindern. In einem zweiten Schritt soll die Kühltemperatur des Schaltschranks so angepasst werden, dass die Elektronik auch bei Volllast noch innerhalb der vorgegebenen Betriebstemperatur betrieben wird. Aktuell finden Evaluationen statt, um auch den Einfluss der Schaltfrequenz bewerten zu können. Es wäre möglich, die Schaltfrequenz anzupassen, um die Schaltverluste zu reduzieren und damit die Effizienz des Gerätes zu steigern.
Kurzzeitige Ereignisse im Netz sind eine Herausforderung
Während des gesamten Beobachtungszeitraums konnten unterschiedliche Ereignisse im Netz beobachtet und durch den Regler gut kompensiert werden. Es gab aber auch wenige Ereignisse, die zu einer Sicherheitsabschaltung des EVOCDTRs führten. Da der Regler direkt die Spannungsform verändert, sind die Einflüsse von kurzzeitigen Ereignissen im Netz auf den Regler zu untersuchen, auch wenn angeschlossene Verbraucher diese nicht bemerken bzw. der Verteilnetzbetreiber die Normen einhält. Kurzzeitige Ereignisse halten jeweils nur wenige Netzperioden an, also einige hundert Millisekunden. Nachfolgend sind zwei Ereignisse kurz erläutert.
Am 9. Oktober 2023 um 11:00:39.565 wurde ein Fehler im EVOCDTR detektiert, der zu einer Fehlerabschaltung des Reglers führte. Eine Stromspitze im Wechselrichter löste einen Überstrom aus. Der Regler überbrückte sich selbst und trennte sich vom Netz, damit die für solche Fälle vorgesehenen Sicherheitsmassnahmen des Netzbetreibers direkt greifen können. Die Spannungs- und Stromverläufe sind in Bild 4 dargestellt. Zum Zeitpunkt des Ereignisses gab es Verzerrungen und Spannungseinbrüche der Phasenspannungen. Nach etwa einer Netzperiode war der Spannungsverlauf wieder normal. Bei der Analyse des Ereignisses stellte sich heraus, dass die Ursache ein Erdschluss im Niederspannungssystem eines anderen Trafos war, der über die Mittelspannung mit der Trafostation des Spannungsreglers verbunden ist. Die Sicherheitsmassnahmen des Netzbetreibers konnten Schäden erfolgreich verhindern.
Ein weiteres Ereignis führte Anfang Dezember 2023 zu einer erneuten Abschaltung vom Spannungsregler. Von einer Netzperiode zur anderen trat eine starke Asymmetrie der Phasenspannungen auf (Bild 5). Die Phasenspannungen am Eingang betrugen dabei Uunb,L1 = 233 V, Uunb,L2 = 202 V und Uunb,L3 = 206 V. Der Ursprung dieser Verzerrungen lag in einer Schneelastentladung einer 50-kV-Hochspannungsleitung [8]. Solche Schneelastentladungen können kurzzeitige Ereignisse auf der Mittel- und Niederspannungsebene auslösen, angeschlossene Verbraucher bemerken diese Vorfälle jedoch nicht. In solchen Situationen sollte der Spannungsregler die Netzspannungen stabilisieren und die angeschlossenen Lasten im Verteilnetz schützen. Die Asymmetrie verursachte hohe Ströme im Wechselrichter und im Transformator, die zu einer Überstromabschaltung führten. Mit einem angepassten Transformatordesign kann der Regler zukünftig auch in solchen Netzsituationen eine zuverlässige Funktion garantieren.
Messungen bestätigen korrekte Funktion
Die Messungen im Verteilnetz zeigten, dass der Regler die Spezifikationen nicht nur im Labor einhält, sondern auch unter realen Bedingungen. Die Netzspannung wird auf den spezifizierten Wert geregelt und die Oberwellen der 5. und 7. Ordnung deutlich reduziert. Bei den Messungen hat sich gezeigt, dass bei sehr asymmetrischen Netzbedingungen die Blindleistung im Wechselrichter und Transformator hoch werden und dies zu einer Sicherheitsabschaltung führen kann. Massnahmen zur Vermeidung solch hoher Blindleistungen werden aktuell evaluiert. Um den EVOCDTR für die Anwendung im Verteilnetz noch attraktiver zu machen, soll auch die Verlustleistung des Reglers reduziert werden, indem beispielsweise die Leistung für das Heizen bzw. Kühlen des Schaltschranks sowie die Halbleiterverluste reduziert werden.
Beim Einsatz des EVOCDTRs im Verteilnetz konnten einige kurzzeitige Ereignisse im Netz beobachtet werden. Normen wie die EN 50160 «Merkmale der Spannung in öffentlichen Elektrizitätsversorgungsnetzen» oder auch das Regelwerk «Technische Regeln für die Beurteilung von Netzrückwirkungen» der DACH-CZ definieren zwar Abweichungen und Ereignisse im Energienetz, jedoch werden in diesen Normen und Richtlinien hauptsächlich Grenzwerte für Mittelwerte definiert, die u.a. über mehrere Minuten gebildet werden. EVOCDTR soll aber auch bei Ereignissen im Netz funktionieren, die nicht durch Normen und Regeln abgebildet sind. Für die Weiterentwicklung des Reglers wird deshalb der Fokus auf kurzfristige Ereignisse gelegt. Die bisher durchgeführten Messungen bilden eine gute Grundlage dafür.
Fazit
Die Spitzenlasten in Verteilnetzen steigen weiterhin durch erneuerbare Energieerzeugungsanlagen (PV- und Windanlagen). Aber auch durch das Verhalten der Konsumenten verändert sich das Lastprofil im Netz, wie z.B. durch E-Ladestationen mit Schnellladecharakteristik. In Zukunft werden die Verteilnetze nicht mehr ausschliesslich durch den traditionellen Netzausbau ausbalanciert werden können, denn die Spitzenlasten ändern sich in kurzen Intervallen. EVOCDTR bietet eine technische und wirtschaftliche Alternative zum physischen Netzausbau. Bestehende Netzinfrastruktur kann durch geringe Anpassungen effizienter genutzt werden. Bezüglich ökologischer Nachhaltigkeit zeigte sich der bisherige Einsatz des Prototyps und dessen Resultate als Erfolg. Die Lösung wird durch den Elektrizitätspartner als eine optimale Lösung gesehen. Der Prototyp soll später an einem weiteren Einsatzort erprobt werden.
Referenzen
[1] P. Gruber, «PV-Einspeisen wird ab sofort streng kontrolliert», MeinBezirk.at, 11. August 2023.
[2] S. Haberkorn, «Übermässiger Solarausbau: Nachbarland stösst an Grenzen des Stromnetzes», efahrer.chip.de, 23. November 2023.
[3] Y. Ballinari, «Elektra Jegenstorf führt freiwillige Einspeisegrenze für PV-Produzenten ein», Energate Messenger.ch, 7. Dezember 2023.
[4] B. Girardi, K. Schenk, «Continuously Variable Controlled Transformer for Grid Voltage Stabilization», in PCIM Europe 2019, S. 1–8, 2019.
[5] B. Girardi et al., «Stabile Netze mithilfe von Leistungselektronik», Bulletin SEV/VSE 6/2022, S. 45–48.
[6] «Netzplanung bei Swissgrid – Strategisches Netz 2040», Swissgrid AG, 2022.
[7] «Momentanwerte Lufttemperatur», Bundesamt für Meteorologie und Klimatologie MeteoSchweiz, 2024.
[8] «Störungen und Stromausfälle», Repower AG.
Der EVOCDTR wurde von Innosuisse 36 Monate lang mit rund 320'000 CHF unterstützt.
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