Fachartikel Energiemarkt , Unternehmensorganisation

Bühne frei für Start-ups mit Ideen von morgen

Geschäftsmodelle

31.08.2022

Im Zuge des Umbaus des Energiesystems sind die Energieversorger auf der Suche nach neuen Geschäftsmodellen. Damit EVUs, die aktuell im Schnitt noch über einen eher niedrigen Digitalisierungsgrad verfügen, das passende und profitable Modell finden, bietet sich die Zusammenarbeit mit jungen, digitalaffinen Start-ups an.

Noch nie in der Menschheitsgeschichte war die Nachfrage nach erneuerbaren Energien und nach Digitalisierung in der Energiewirtschaft so hoch wie heute. Die steigende Nachfrage nach digitaler Transformation im Energiemarkt öffnet die Türen für neue Geschäftsmodelle, die darauf abzielen, einen grösseren Mehrwert für Energieversorger und deren Endkunden zu bieten. Die Akteure im Energiemarkt beschäftigen sich also vermehrt mit neuen, zukunftsorientierten Geschäftsmodellen. Doch welche Ansätze ermöglichen oder hemmen einen solchen Wandel? Was sind die Merkmale neuer Geschäftsmodelle und wie sind sie zu erkennen? Die Antworten auf diese Fragen sind essenziell, um zu wissen, welche Richtung die Schweiz bei der Energiewende einschlagen kann.

Urzeitliche Geschäftsmodelle ablösen

Die Medien berichten viel über neue Geschäftsmodelle, die das Unternehmen der Zukunft prägen sollen. Bevor sich aber ein Energieversorgungsunternehmen (EVU) ernsthaft mit der Konzeption des Geschäftsmodells der Zukunft beschäftigt, benötigt es immer einen detaillierten Überblick über das aktuelle Geschäftsmodell.

Ein Geschäftsmodell lässt sich wie folgt definieren: «Ein Geschäftsmodell ist eine modellhafte Repräsentation der logischen Zusammenhänge, wie eine Organisation beziehungsweise Unternehmen Mehrwert für Kunden erzeugt und einen Ertrag für die Organisation sichern kann.»

Das Unternehmen zielt also darauf ab, mit einer vielversprechenden Strategie einen Mehrwert für seine Kunden zu schaffen, um Umsätze zu generieren. Aufgrund der Zielsetzungen der Energiewende wird es für EVUs in naher Zukunft aber nicht ausreichen, konventionellen Strom als Verkaufsprodukt am Markt anzubieten, um profitabel zu bleiben.

Wenn sich die jahrzehntelang verschlossene Tür öffnet

Datenbasierte Dienste, Netzwerk- sowie Community-Lösungen gehören zu den Diensten, die in der heutigen Zeit nur in digitalisierter Form effizient angeboten werden können. Etablierte EVUs suchen in diesem Zusammenhang aktiv nach Innovation und Ideenvielfalt, insbesondere rund um den Verbrauch erneuerbarer Energien. Diese Vielfalt wird von Akteuren aus den verschiedensten Unternehmensformen angeboten. Infolgedessen hat die Zusammenarbeit zwischen EVUs und Start-ups zugenommen, um dem Informationsdefizit etablierter Firmen entgegenzuwirken und der heutigen Innovationskultur gerecht zu werden.

Das sind gute Nachrichten für Neueinsteiger im Energiemarkt, da in der Vergangenheit Unternehmen mit neuen Geschäftsmodellen kategorisch ausgeschlossen wurden. Das bedeutet, dass die Integration von digitalen Lösungen und von Systemen zur Steigerung der Energieeffizienz zugunsten der Energiewende heute zunehmend von jungen, technologieaffinen Unternehmen vorwärtsgetrieben werden. Einige EVUs fanden es daher rentabler, solche externen Unternehmen zu beauftragen, die Systeme und Produkte wie datenbasierte, digitalisierte Geschäftsmodelle für sie entwickeln.

Aufgrund der Ziele der Energiewende und der Forderung nach Digitalisierung seitens der Endkunden muss heute die gesamte Wertschöpfungskette der Energiewirtschaft überdacht werden. Dadurch werden Themen wie Datensicherheit, digitalisierte Prozesse, Steuerung, Planung, Dateninterpretation, Datenanalyse und Optimierung des Energieverbrauchs immer relevanter. Mit steigender Energienachfrage und steigenden Energiepreisen sind Ideen insgesamt attraktiver geworden, beispielsweise in naher Zukunft eine digitale Plattformlösung einzuführen, die Echtzeitprognosen erstellt, um Preisvergleiche zu ermöglichen und das Netz in Spitzenzeiten zu entlasten und gleichzeitig Kosten zu senken.

Unsichere Aussichten ohne Aspekte des Profits

Aktuell lässt sich feststellen, dass aufgrund der hohen Energieabhängigkeit der Bevölkerung und der Monopolstellung auf dem Energiemarkt die lokal verwurzelten Energieversorger in ihrer Region ein wenig Zeit gewonnen haben, um sich auf die Energiewende und die Digitalisierung einzustellen. Doch bevor sich alle übereilt auf ein neues digitales Geschäftsmodell einlassen, muss eine entscheidende Frage beantwortet werden: Wie können EVUs genug Einnahmen generieren, um die hohen Ausgaben für die neue digitale Infrastruktur zu kompensieren?

Die Auswirkungen auf die Kundenbindung zum Zeitpunkt der Einführung digitaler Dienstleistungen bleiben oft unklar. Deshalb können die damit verbundenen Kosten beim Versuch, die Ziele der Energiewende und der Digitalisierung zu erreichen, als unangenehmer Druck von Politik und Gesellschaft empfunden werden. Beispiele dafür sind die Kosten für die Anschaffung der neuen Technologie selbst und für die Verstärkung des entsprechend ausgebildeten Personals. Es wird daher empfohlen, dass solche Unternehmen eng mit Software-Unternehmen zusammenarbeiten, die besser in der Lage sind, solche Aspekte des Profits vorhersehbar einzubauen: Werbeeinnahmen, erhöhte Kundenbindung durch reibungslosen digitalen Kundenservice, Kosteneinsparungen durch weniger Administrationsaufwand und Energieeffizienz.

Der Mehrwert dieses Angebots für die EVUs liegt vor allem dann vor, wenn die Anschaffungskosten, beispielsweise für neue Software und Technologie, gering sind. Zusätzlich können Einnahmen durch Sonderfunktionen und -leistungen gesichert werden. Zur Abdeckung aller digitalen Dienstleistungen rund um die Energiewirtschaft werden zunehmend modulare Lösungen entwickelt und angeboten, die von den Energieversorgern je nach Bedarf in unterschiedlichen Kombinationen abonniert werden können. Unternehmen mit neuen Geschäftsmodellen bieten zunehmend solche Plattformen mit Unterstützungsmöglichkeiten und anpassungsfähigen Produkten an. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, sich einen Überblick darüber zu verschaffen, welche konkreten Produkte und Dienstleistungen die neuen Geschäftsmodelle für die unterschiedlichen Akteure der Energiewirtschaft bieten.

Das Leben leicht gemacht

Ein Software-Produkt, das von führenden Start-ups entwickelt wird, ist eine modulare Lösung für Energiehandel, Eigenverbrauchsgemeinschaften (ZEV), HKN-Handel, Flexibilität, Smart Building, E-Mobilität, Preisprognose-Tools, Webshop, Newsletter und Funktionen rund um das Kundenportal auf einer einzigen Plattform.

Beispielsweise wird im Bereich «Smart Building» der Energieverbrauch aller vernetzten Geräte datenwissenschaftlich analysiert. Die Geräte können ausserdem mit Fernbedienungsmechanismen, zum Beispiel auf dem Mobiltelefon, gesteuert werden, was dem Benutzer zusätzlichen Komfort bietet. Darüber hinaus können Kunden ihre verbrauchsintensiven Geräte dann einschalten und nutzen, wenn die Strompreise besonders niedrig sind. Sie können auch die erneuerbaren Energien, die sie selbst produziert haben, ins Netz einspeisen, um das Netz in Lastspitzzeiten zu entlasten.

Die Idee, alles rund um Gebäude und E-Mobilität auf einer Plattform zu digitalisieren, um den Energieverbrauch zu optimieren, findet nicht nur bei Endverbrauchern, sondern auch bei Immobilienunternehmen Anklang. Installateure der Region können auch als Teil der Plattform hinzugefügt werden, sodass Endkunden einfacher einen Installateur nach ihren Bedürfnissen auswählen können, um in erneuerbare Energien zu investieren. Ein Geschäftsmodell wie Uber in der Energiewirtschaft, das den Endverbraucher mit allen Dienstleistungen rund um den Energieverbrauch verbindet, liegt nicht mehr weit in der Zukunft.

Ein digitales «All-inclusive»-Angebot

EVUs würden ihre Kunden mit einem solchen Angebot besser ansprechen und gleichzeitig der Energiewende dienen. Trotz dieser Aspekte stehen sie vor Herausforderungen: Die Tarife müssen flexibel sein und die notwendigen Kommunikationsinfrastrukturen digital bereitgestellt werden. Damit solche Dienstleistungen angeboten werden können, muss neben der Willenskraft der Geschäftsführung eine grosse Menge an Informationen in digitaler Form zur Verfügung stehen. So erfordert das Prognose-Tool beispielsweise die Vernetzung verschiedener Dienstleister in der Energiewirtschaft, und auch die Sicherung der Datenquellen wird ein wichtiger Aspekt für die Digitalisierung der Energiewirtschaft sein. Nicht zuletzt ist es für EVUs wichtig, zu erkennen, dass die meisten Produkte und Dienstleistungen der neuen Geschäftsmodelle inklusiv sind. Das heisst, dass nicht nur eine Gruppe von Menschen angesprochen werden soll.

Die Zusammenarbeit von Alt und Neu

Die digitale Transformation und die Ziele der Energiewende auf der soziopolitischen Ebene bieten ein unerschöpfliches Spektrum an Ansatzpunkten für neue Geschäftsmodelle, von denen sowohl Anbieter als auch Kunden profitieren. Entgegen manchen Befürchtungen kann der Einsatz neuer digitaler Geschäftsmodelle die Vereinbarkeit der Aspekte von Profit und Nachhaltigkeit erleichtern. Durch diese Vereinbarkeit können Politiker und Akteure aus der Energiewirtschaft die Klimapolitik in gegenseitiger Abstimmung reibungslos umsetzen. Der Ideenmangel und die teilweise fehlende Innovationskultur der Grossunternehmen können durch den Einsatz von Start-ups ausgeglichen werden.

Aber bevor die Führungskräfte von EVUs zur nächsten Start-up-Konferenz eilen, um neue Beziehungen aufzubauen, ist es wichtig, die Lehren aus gescheiterten und erfolgreichen Unternehmen mit neuen Geschäftsmodellen ernst zu nehmen. Nicht jedes Start-up kann eine durchgängige Skalierbarkeit seines Geschäftsmodells sicherstellen oder Investoren langfristig von seinen Ideen überzeugen. Ihre Referenzen und Pilotprojekte werden ebenso wichtig sein, wie die Verfügbarkeit ihrer innovativen Technologie. Auch das Mass an Datensicherheit, das Software-Entwickler anbieten, muss sorgfältig geprüft werden. Der Erhalt der Handlungsfähigkeit eines Unternehmens in Krisensituationen, Benutzerfreundlichkeit und die Fähigkeit, innovative und leistungsfähige Mitarbeiter zu behalten, sind klassische Kompetenzen, die auch «alte» Unternehmen stärken können, um sich mit ihrem Geschäftsmodell am Markt zu verfestigen.

Die Stärken etablierter EVUs liegen in ihren Netzwerken und Ressourcen, während die Stärken von Start-ups in unkomplizierten Hierarchien im Unternehmen und im Umgang mit neuen Ideen liegen. Die Stärken dieser beiden Unternehmenstypen können kombiniert werden, um sich auf den sich ständig verändernden Energiemarkt vorzubereiten. Neben der Liberalisierung des Energiemarktes kann die gewinnorientierte Zusammenarbeit zwischen alten und neuen Geschäftsmodellen der Treiber der Veränderung sein, den die Schweiz in der Energiewirtschaft seit Langem als dringend notwendig erachtet.

Autorin
Sarina Schenker

ist CMO der Virtual Global Trading AG.

  • Virtual Global Trading AG, 5000 Aarau

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