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Buch: Infokratie

Digitalisierung und die Krise der Demokratie

26.01.2022

Die ihre Nützlichkeit in den Vordergrund stellenden Digitalisie­rungs­bestre­bungen über­schwemmen heute sämtliche Bereiche der Gesellschaft. Zweifellos hat die Digitalisierung ihre Vorzüge und kann das berufliche und private Leben vereinfachen, aber eine ihrer Kehrseiten ist die Tatsache, dass Involvierte manches von sich preisgeben, um am System teilnehmen zu können. Trotz Datenschutz, der durch lästige Cookie-Popups auf sich aufmerksam macht. Dieser Nachteil wird oft ausgeblendet, denn nichts soll den Genuss der angenehmen Seite der vernetzten IT trüben. Man wähnt sich in Freiheit und realisiert nicht, wie unfrei man eigentlich ist.

Dieses Buch analysiert das Phänomen des Einflusses der Digitalisierung auf die Gesellschaft aus dieser, aber auch aus weiteren Perspektiven. Es stellt schliesslich eine erschreckende Diagnose: Im Informations­zeitalter übernimmt die Information das Zepter von der Wahrheit, denn die ständige Interaktion mit der Fülle an eintref­fenden Informationen schwächt den Sinn für Wahrheit ab. Informationen heischen aggressiver um Aufmerksamkeit als sich nicht aufdrängende Fakten. Die durch die Interaktion mit diesen Informationen entstehenden Persönlich­keits­profile werden dann dazu eingesetzt, um die Nutzer auf sanfte Weise mit selektiver Information zu füttern. So werden Überzeugungen unabhängig vom Wahrheits­bezug gefestigt, was zu einer Fragmentierung der Gesellschaft führt. Laut dem Autor wird die Demokratie so schleichend destabilisiert. Ein Diskurs mit Andersdenkenden, ein Bedürfnis, die eigenen Ansichten zu begründen und eventuell auch zu hinterfragen, wird dabei überflüssig. Jeder lebt in seiner Welt.

Der Verfasser erläutert die Mechanismen, die sich bei der Digitalisierung im Hintergrund abspielen und die den Anbietern dienen. Die Phänomene werden dabei manchmal ein wenig zu plakativ beschrieben, wenn er beispielsweise der analogen Fotografie bescheinigt, sie beglaubige dem Betrachter das Sein dessen, was es gibt, und spricht diese Faktizität der digitalen Fotografie ab – obwohl es aus der Geschichte genügend Beispiele von retuschierten analogen Schwarz-weiss-Aufnahmen gibt, die diese These widerlegen. Aber der Grundtenor des Buchs, dass es für eine gesunde Demokratie eine verständigungsorientierte Kommunikation, einen Diskurs, braucht, ist heute wichtiger denn je.

Byung-Chul Han, Matthes & Seitz Verlag, Taschenbuch, 91 Seiten, ISBN 978-3-7518-0526-1, CHF 13.–.

 

Autor
Radomír Novotný

ist Chefredaktor des Bulletins Electrosuisse.

  • Electrosuisse
    8320 Fehraltorf

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