Blockchain-basierte Grünstrom-Communities
Neue Geschäftsmodelle für den Stromhandel
Um langfristig profitabel am Markt agieren zu können, sollten Energieversorgungsunternehmen kontinuierlich neue Geschäftsmodelle prüfen. Eine Masterarbeit* am Kompetenzzentrum Energy Management (ior/cf-HSG) der Universität St. Gallen zeigt auf, inwieweit die Blockchain-Technologie zur Umsetzung kundenzentrierter Geschäftsmodelle genutzt werden könnte.
Im Rahmen der Transformation des Energiesystems nimmt der Ausbau erneuerbarer Energien kontinuierlich zu. Privatkunden, welche vormals reine Abnehmer (respektive Consumer) waren, erzeugen mittlerweile selbst Strom und werden damit zu sogenannten Prosumern. Die Entwicklung spezifischer Leistungsangebote für dieses stark wachsende Kundensegment kann für Stadtwerke ein neues Geschäftsfeld darstellen. Vor diesem Hintergrund untersucht die Abschlussarbeit, wie ein mögliches Geschäftsmodell zur Integration von Prosumern in die Wertschöpfungskette eines Stadtwerkes ausgestaltet werden könnte.
Kundenbedürfnisse als Ausgangspunkt
Eine Analyse ausgewählter Studien zum Prosumer-Segment zeigt, dass in einem kundenzentrierten Geschäftsmodell insbesondere drei Aspekte berücksichtigt werden sollten: Prosumer zeichnen sich grundsätzlich durch ein starkes Nachhaltigkeitsbewusstsein aus, streben oftmals nach Lösungen zur Erhöhung der Wirtschaftlichkeit der eigenen Photovoltaikanlage und fragen zunehmend nach Smart-Home-Dienstleistungen.
Ein Leistungsangebot, das diese Bedürfnisse befriedigt, dürfte demzufolge auf eine hohe Kundenakzeptanz stossen. Eine vergleichbare Untersuchung des Consumer-Segments deutet darauf hin, dass ein bislang noch unbefriedigtes Bedürfnis bezüglich transparenter Stromherkunft existiert. Für Endkunden scheint es aktuell wenig nachvollziehbar zu sein, aus welchen (regenerativen) Quellen der bezogene Strom physisch stammt. Diese Intransparenz sowie eine mangelnde Erfahrbarkeit des Stromverbrauchs könnte ausgewählte Verbrauchersegmente aktuell immer noch davon abhalten, einen Grünstromtarif zu nutzen.
Blockchain-Technologie als Enabler
Eine Analyse aktueller Blockchain-Projekte in der Energiewirtschaft zeigt, dass sich die Technologie derzeit noch in einer frühen Entwicklungsphase befindet. Besonders vielversprechende Ansätze sind bereits im Bereich des Peer-to-Peer-Stromhandels zu finden. Die Nutzung blockchain-basierter Anwendungen dürfte mittelfristig jedoch etappenweise entlang der gesamten Wertschöpfungskette erfolgen. Dies legt den Schluss nahe, dass die Blockchain-Technologie eher als «foundational» und weniger als «disruptive» bezeichnet werden kann. Stadtwerke sollten jedoch bereits heute sorgfältig die Möglichkeiten der Blockchain-Technologie als Enabler für die Entwicklung neuer kundenzentrierter Geschäftsmodelle prüfen.
Ein virtueller Marktplatz für Prosumer und Consumer
Das im Rahmen der Abschlussarbeit entwickelte Geschäftsmodell besteht in der Schaffung eines virtuellen Marktplatzes, über den Prosumer und Consumer untereinander Herkunftsnachweise beziehungsweise Grünstrom austauschen können. Erste Pilotprojekte eines derartigen Geschäftsmodells lassen sich bereits heute in der Schweiz beobachten. Ermöglicht würde das angedachte Leistungsangebot durch eine blockchain-basierte Plattform in Kombination mit einer mobilen App. In einem derartigen Geschäftsmodell nimmt das Stadtwerk nicht mehr seine traditionelle Rolle des Stromlieferanten, sondern die des Betreibers einer lokalen Grünstrom-Community ein (siehe Bild unten).
Zur Funktionsweise: In einem solchen Modell erhalten Prosumer für die innerhalb der Community geteilte Elektrizität eine attraktive Vergütung; zudem können sie ihren regionalen Grünstrombeitrag sichtbar machen. Über eine in der App integrierte Energiemanagementfunktion besteht ferner die Möglichkeit, Stromproduktion beziehungsweise -verbrauch in Echtzeit nachzuvollziehen. Consumer können über die App die gewünschten Stromproduzenten selbst auswählen und damit die physische Herkunft des erneuerbaren Stroms detailliert aufschlüsseln. Durch die Visualisierung des Stromverbrauchs kann zudem das Verbrauchsverhalten optimiert werden – beispielsweise indem der Konsum in Zeiten mit besonders hoher Grünstromproduktion verlegt wird.
Implementierung mithilfe eines Partnernetzwerks
Zentraler Erfolgsfaktor für eine effiziente Umsetzung eines derartigen Geschäftsmodells ist der Rückgriff des Stadtwerks auf sein bestehendes beziehungsweise der Aufbau eines neuen Partnernetzwerks. Entscheidend dürfte in diesem Zusammenhang insbesondere die kooperative Entwicklung der benötigten IT-Infrastruktur (Plattform und App) mit einem strategischen Entwicklungspartner sein. Weitere Partnerschaften sind mit lokalen Stromproduzenten sowie mit komplementären Serviceanbietern zu schliessen. Regionale Unternehmen mit einer klaren Positionierung im Bereich der Nachhaltigkeit bieten sich als Multiplikatoren im Bereich der Kommunikation an.
Anzahl Nutzer als Erfolgsfaktor der Grünstrom-Community
Das Geschäftsmodell einer Grünstrom-Community weist mit den massgeblichen Kostenblöcken IT-Infrastruktur, Marketing und Betrieb die für einen Plattformbetrieb charakteristische Kostenstruktur auf. Dabei ist insbesondere die Höhe der einmalig, im Voraus zu investierenden IT-Entwicklungskosten sorgfältig abzuschätzen. Der hohe Automatisierungsgrad der Plattform hat zur Folge, dass der operative Betrieb der Community mit wenig Ressourcen durchgeführt werden kann und die Betriebskosten (nahezu) unabhängig von der Anzahl der Nutzer sind. Das skizzierte Geschäftsmodell sieht vor, dass das Stadtwerk Umsätze durch die von Prosumern und Consumern gleichermassen zu entrichtenden monatlich fixen Mitgliedschaftsgebühren generiert. Eine Erhöhung der Profitabilität kann folglich aufgrund des hohen Fixkostenanteils primär durch eine Steigerung der Nutzerzahlen und dem damit verbundenen proportionalen Anstieg des Umsatzes erreicht werden. Es bietet sich daher an, ein derartiges Geschäftsmodell auf einen grossen Markt – idealerweise weit über das eigene Versorgungsgebiet hinaus – auszurichten. Denkbar wäre in diesem Zusammenhang beispielsweise auch der Zusammenschluss von Stadtwerken zum parallelen Angebot lokaler Grünstrom-Communities in mehreren Kantonen.
Im Rahmen der Masterarbeit wurde der Aufbau einer blockchain-basierten Grünstrom-Community durch ein mittelgrosses Stadtwerk für ein ausgewähltes Versorgungsgebiet finanziell simuliert. Die Ergebnisse zeigen, dass unter gewissen Voraussetzungen bereits heute der Betrieb einer lokalen Community als wirtschaftlich rentabel eingestuft werden kann.
Strategischer Wettbewerbsvorteil
Durch den Aufbau einer lokalen, blockchain-basierten Grünstrom-Community würden Stadtwerke zu Plattformbetreibern, die Prosumer und Consumer virtuell miteinander vernetzen. Dadurch könnten die Stadtwerke ihre Rolle als Energiedienstleister neu definieren und eine wichtige Schnittstelle zum Endkunden besetzen. Besonders im Hinblick auf die anstehende Vollliberalisierung des Strommarktes kann dies eine Chance zur Differenzierung und damit Erreichung eines strategischen Wettbewerbsvorteils sein.
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