Blindleistung für die Energiewende
Netzstabilität erhöhen
Der Ausgleich der Blindleistung in der Schweiz hat in den letzten Jahren stark an Bedeutung gewonnen, insbesondere aufgrund des neuen regulatorischen Rahmens, den Swissgrid Anfang 2020 eingeführt hat. Ursprünglicher Auslöser für diese Neuausrichtung ist die Energiewende mit ihrer zunehmenden Elektrifizierung und einem wachsenden internationalen Transitverkehr.
Die durch die Energiewende intensivierte Elektrifizierung und der steigende Transitverkehr haben zu einer höheren Belastung der Übertragungsleitungen geführt. Wenn die Strategie für neue Projekte von Freileitungen auf Erdkabel umgestellt wird, steigt der Bedarf an Blindleistungskompensation. Die Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) sind deshalb zunehmend motiviert, die Verteilnetzbetreiber (VNB) durch ein Bonus-Malus-System zur Steuerung der Blindleistung zu motivieren.
Spannungsmanagement als Kernaufgabe
Eine der Kernaufgaben der ÜNB ist die Überwachung und Gewährleistung der Spannungsstabilität. Dies geschieht durch die Steuerung der Blindleistungslasten. Um das Spannungsniveau aufrechtzuerhalten, muss Blindleistung bei geringer Last, meist im Sommer, aufgenommen und bei hoher Last, meist im Winter, abgegeben werden.
Der Bedarf an Blindleistung steigt aufgrund des Netzausbaus und der Umstellung auf Kabel. Die wichtigste Aufgabe besteht darin, die vorhandenen Ressourcen bestmöglich zu nutzen, ohne die Kraftwerke auszuschöpfen und gleichzeitig Spielraum für den internationalen Transit zu lassen.
Um die Spannungsstabilität zu gewährleisten, müssen sowohl regionale als auch nationale Massnahmen ergriffen werden. Mögliche Wege hierfür könnten sein: Installation von Kompensationssystemen auf der Spannungsebene, auf der Blindleistung benötigt wird, oder Nutzung bestehender Anlagen wie Synchrongeneratoren, Transformatoren und Phasenschieber. Um die Anforderungen zukünftiger Netze vollständig zu erfüllen, sind jedoch Modernisierungen unvermeidlich. Ohne Kompensationssysteme besteht die Gefahr, dass diese Investitionen überdimensioniert und unnötig teuer werden.
Ein nachhaltiges Spannungsmanagement erfordert externe und interne Ressourcen und ist auf die Unterstützung und das Engagement der relevanten Partner angewiesen. Dazu mussten zunächst die notwendigen Rahmenbedingungen geschaffen werden, damit alle Akteure in die richtige Richtung gehen.
Ausgangslage: Regulierungskonzept mit Swissgrid
Mit Wirkung zum 1. Januar 2020 wurde ein neues Spannungsregelungskonzept für das Schweizer Übertragungsnetz eingeführt. Dieses Konzept wurde in Absprache mit den Interessengruppen und Branchenexperten entwickelt. Es ersetzt die bisherigen Vorschriften aus dem Jahr 2011. Alle direkt an das Übertragungsnetz angeschlossenen Kunden, einschliesslich der VNB, müssen nun durch die Regelung ihrer Blindleistungsabgabe und -aufnahme zur Spannungsstabilität beitragen.
Je nach den Voraussetzungen können die Teilnehmer entweder eine halbaktive (Bild 1a) oder eine aktive Rolle (Bild 1b) übernehmen. Die halbaktive Rolle ersetzt die bisherige passive Rolle, und alle bisherigen passiven Teilnehmer werden automatisch umgestellt. Damit soll ein Anreiz für einen Blindleistungsaustausch mit dem Übertragungsnetz geschaffen werden, bei dem regelkonforme Blindleistung vergütet und nicht regelkonforme Blindleistung belastet wird (Tabelle 1).
Aktive Teilnehmer müssen die verfügbare Blindleistung zur Spannungsregelung nutzen, sofern dies keinen Einfluss auf die Wirkleistungserzeugung hat. Der Blindleistungsaustausch gilt als konform, wenn er zur Erreichung der vorgegebenen Zielspannung beiträgt. Ausserdem muss der aktive Teilnehmer mindestens 80% der Zeit konform sein, um für den konformen Blindleistungsaustausch vergütet zu werden. Diese Anforderung gilt nicht für halbaktive Teilnehmer. Sie werden jedoch weiterhin je nach konformem oder nicht konformem Blindleistungsaustausch vergütet oder belastet.
Sowohl in der aktiven als auch in der halbaktiven Rolle wird ein freier Teil nicht belastet oder vergütet. Dieser Rahmen sendet ein klares Signal an alle Teilnehmer und fördert die Vergütung auf allen Ebenen.
Groupe E: Referenz variable Shunt Reactors (Blindleistungskompensationsdrosseln)
Seit 2015 betreibt Groupe E zwei Netzverbindungspunkte im 220-kV-Netz im aktiven Modus. Die Einhaltung der von Swissgrid übermittelten Spannungspläne wurde durch eine automatische und optimierte Anpassung der Stufenschalter der 220-kV-Transformatoren sowie durch den Einsatz der Wasserkraftgeneratoren im untererregten Modus zur Aufnahme von Blindleistung sichergestellt.
Seit 2019 ist die Einhaltung des Spannungsplans zunehmend komplexer geworden. Die Häufigkeit der Aktivierung der Produktionseinheiten nahm zu und verursachte immer höhere Kosten, insbesondere aufgrund der Verschlechterung der Aktivierungszeit und des Wasserverbrauchs.
Eine Analyse wurde durchgeführt, um technische Lösungen zur Verbesserung der Situation zu finden. Dabei wurden verschiedene Arten von Geräten identifiziert, darunter Phasenschiebertransformatoren, variable Shunt Reactors und Statcoms. Aufgrund technischer und wirtschaftlicher Überlegungen erwies sich der variable Shunt Reactor (Bild 2) als die beste Lösung für das Blindleistungsmanagement. Er ermöglicht eine kontinuierliche Anpassung der Blindleistung bei relativ einfacher Installation und Integration. Zudem ist der variable Shunt Reactor das einzige Gerät (neben Statcoms), das Blindleistung absorbieren und nicht nur umleiten kann, wie dies z.B. bei Phasenschiebertransformatoren der Fall ist.
Ende 2020 wurde eine Machbarkeitsstudie zur Installation eines oder mehrerer Shunt Reactors durchgeführt. Die Studie berücksichtigte folgende Punkte:
- eine Computersimulation zur Festlegung der Anzahl der Nebenwiderstände, ihrer Leistung und ihres Standorts
- eine technische Studie zur Abschätzung der Kosten für die Integration in die bestehenden Umspannwerke
- eine wirtschaftliche Simulation zur Abschätzung der Reduzierung der Strafen und der Steigerung der Einnahmen
- ein Budgetangebot für die Anschaffung der Nebenwiderstände
Die Wirtschaftlichkeitsanalyse ergab eine positive Kapitalrendite. In dieser Analyse war der Hauptfaktor, der die wirtschaftliche Attraktivität des Projekts erhöhte, die Vergütungs-/Kostenbedingungen für konforme und nicht konforme Blindleistung. Eine Änderung des Preismodells von Swissgrid würde sich erheblich auf die Kapitalrendite von Shunt Reactors auswirken. Gleichzeitig zeigten die technischen Simulationen, dass das Netz zunehmend kapazitiv wird. Die Entwicklung der PV-Erzeugung sowie die vor allem unterirdische Netzverstärkung würden das Management der Blindleistung immer komplexer machen. Diese technischen Überlegungen glichen das Risiko einer drastischen Änderung des Preismodells durch Swissgrid aus.
Anfang 2021 wurde beschlossen, zwei variable 50-MVar-Shunt Reactors zu installieren. Eine neue Strategie zum Blindleistungsmanagement wurde umgesetzt, um die Implementierungskosten zu optimieren.
Seit 2022 werden die variablen Nebenwiderstände durchschnittlich 7450Stunden pro Jahr eingesetzt. Sie haben es ermöglicht, die Konformitätsrate mit Swissgrid auf nahezu 100% zu erhöhen. Im Rahmen des regulierten Monopols, in dem die Verteilnetzbetreiber tätig sind, kommt ein optimales Management des Blindstromtransits den Kunden durch eine Senkung der Netztarifkosten zugute. Eine Win-win-Situation.
Kompensationstechnologien im Vergleich
Technologische Fortschritte haben bei der Kompensation von Blindleistung eine entscheidende Rolle gespielt. Zu den Schlüsseltechnologien zählen Synchrongeneratoren, Regeltransformatoren, Phasenschiebertransformatoren (PST), Shunt Kondensatoren, Serienkondensatoren (SC) und Statcom (statische Synchronspannungsausgleichsgeräte).
Synchrongeneratoren erzeugen nicht nur Wirkleistung. Sie können auch zur Abgabe und zur Aufnahme von Blindleistung eingesetzt werden. Im Übererregungsmodus geben sie Blindleistung ins System ab und im Untererregungsmodus nehmen sie Blindleistung auf. Somit kann ein Synchrongenerator als Gerät zur Spannungsregelung betrachtet werden.
Regeltransformatoren: Durch den Einsatz des Stufenschalters des Transformators wird das Spannungsverhältnis des Transformators verändert. Durch die Änderung des Spannungsverhältnisses ändert sich auch die Aufnahme von Blindleistung.
Phasenschiebertransformatoren (PST) werden insbesondere zur Steuerung des Leistungsflusses eingesetzt. PSTs können den Fluss von Wirk- und Blindleistung in einem Netz durch Einführen einer Phasenverschiebung in der Spannung steuern. Diese Phasenverschiebung kann so eingestellt werden, dass der Leistungsfluss entlang gewünschter Pfade geleitet wird, was zur Lastverteilung im Netz beitragen kann.
Shunt-Kondensatoren sind Kondensatoren, die Blindleistung abgeben. Durch den Parallelanschluss an eine Stromleitung liefern sie Blindleistung, wenn die Gefahr eines Spannungsabfalls besteht. Sie können je nach Leitungsspannung direkt oder über einen Transformator an die Leitung angeschlossen werden. Die Verbindung zur Leitung erfolgt in der Regel über einen Schalter, beispielsweise einen Leistungsschalter.
Serienkondensatoren, SC: Kondensatoren, die in Reihe mit Stromleitungen geschaltet sind, tragen zur Erhöhung der Übertragungskapazität und Zuverlässigkeit des Übertragungssystems bei. Durch die Kompensation von 50% der Leitungsreaktanz wird die Übertragungskapazität einer Stromleitung im Idealfall verdoppelt.
Statcom – Statische Synchronschaltgeräte: In vielen Anwendungen ist eine sehr schnelle Änderung der aufgenommenen oder abgegebenen Blindleistung nötig. Wenn beispielsweise ein Kurzschluss in einer Leitung auftritt, ist eine schnelle Kompensation der Blindleistung erforderlich, um die Stabilität des Stromnetzes aufrechtzuerhalten. Um dies zu ermöglichen, werden Statcoms eingesetzt. Ein leistungselektronischer Umrichter sorgt für eine schnelle Spannungsregelung. Dadurch kann die Blindleistung kontinuierlich und dynamisch geregelt werden.
Shunt Reactors: Der Shunt Reactor nimmt Blindleistung auf. Wie die Kondensatoren ist er parallel zur Stromleitung geschaltet. Der Shunt Reactor kann direkt an die Stromleitung oder über eine Tertiärwicklung eines Dreiphasen-Transformators angeschlossen werden. Der Vorteil der direkten Verbindung des Reactor mit der Leitung besteht darin, dass die Blindleistungskompensation unabhängig vom Transformator erfolgt. Ausserdem entstehen keine Transformationsverluste. Der Shunt Reactor kann fest angeschlossen oder über einen Leistungsschalter geschaltet werden. Er kann auch variabel sein, um die Anpassung der aufgenommenen Blindleistung zu verbessern. Bei langsamen Lastschwankungen (in der Regel saisonal und täglich) kann ein variabler Shunt Reactor (VSR) für viele Kundenanwendungen eine wirtschaftliche Lösung sein. Shunt Reactors gelten vor allem aufgrund ihrer Präzision und Wirtschaftlichkeit als die effektivste Technologie zur Blindleistungskompensation.
Was gilt es bei Investitionen zu beachten?
Seit der neuen Richtlinie 2020 gibt es wirtschaftliche Anreize für alle direkt an das Übertragungsnetz angeschlossenen Kunden, Massnahmen zur Steuerung ihres Blindleistungsaustauschs zu ergreifen. Meist muss ein zunehmend kapazitives Netz bei mittleren bis langen Reaktionszeiten kompensiert werden. Dieser Bedarf könnte sich noch zu einer noch schnelleren Regelung und höheren Anforderungen an die Stromqualität entwickeln.
Bei der Auswahl der Technologie muss zunächst das Problem identifiziert werden. Die Lösung eines Problems mit Kurzschlussstromverfügbarkeit in Verbindung mit sehr kurzen Reaktionszeiten erfordert eine andere Lösung als die Blindleistungskompensation in einem verteilten Kabelnetz oder für ein Verbindungskabel zu einer neuen Generation mit vorhersehbaren Lastmustern und längeren Reaktionszeiten.
Aus Sicht der Nachhaltigkeit reduziert die Blindleistungskompensation den Bedarf an zusätzlichen Übertragungsleitungen und Materialien und unterstützt damit eine nachhaltige und bezahlbare Energiewende. Angesichts der steigenden Nachfrage und der begrenzten Ausbaukapazitäten der Versorger ist es unerlässlich, rechtzeitig in Technologien zur Blindleistungskompensation zu investieren. Die Zusammenarbeit zwischen Kunden und Lieferanten sowie Nachhaltigkeitsmassnahmen werden für die Erreichung dieser Ziele von entscheidender Bedeutung sein.
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