Fachartikel Energiemarkt , Unternehmensorganisation

Bedürfnisse erkennen und Kunden so weiterbringen

Neue Geschäftsmodelle

29.08.2018

Um langfristig profitabel am Markt agieren zu können, sollten Energieversorgungsunternehmen kontinuierlich neue Geschäftsmodelle prüfen. Eine Masterarbeit am Kompetenzzentrum Energy Management (IOR/CF-HSG) der Universität St. Gallen zeigt auf, wie eine Kundenbedürfnisanalyse als Ausgangspunkt für die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle dienen kann.

Die Energiebranche befindet sich derzeit in einem fundamentalen Transformationsprozess. Dies stellt etablierte Marktakteure vor grosse Herausforderungen. Um diesen entgegenzutreten, haben Energieversorgungsunternehmen begonnen, ihre Rolle zu adaptieren: weg vom reinen Versorger hin zum sogenannten Energiedienstleister. Während in der Vergangenheit der Fokus auf der Bereitstellung einer leistungsfähigen Infrastruktur und auf einer sicheren Stromversorgung lag, rückt heute zunehmend der Kunde mit seinen Bedürfnissen in den Mittelpunkt. Dies setzt einen Perspektivenwechsel voraus: von der reinen Unternehmens- beziehungsweise Produktsicht hin zu einem umfassenden Verständnis der Kunden und deren Kauf- respektive Nutzungsverhalten (Bild unten).

Dieses Verständnis kann für Unternehmen ein Erfolgsfaktor darstellen, wenn sie es schaffen, hieraus marktfähige Produkte oder Dienstleistungen zu entwickeln. Grundsätzlich unterscheidet man zwischen aktuellen und latenten Bedürfnissen: Aktuelle Bedürfnisse sind derzeit vorhanden, dem Kunden bekannt und werden durch eigene Angebote oder Angebote der Konkurrenz befriedigt. Latente Bedürfnisse existieren ebenfalls zum betrachteten Zeitpunkt, sind jedoch für den potenziellen Kunden mit Blick auf einen bestimmten Markt noch nicht relevant und werden gegebenenfalls in Substitutionsmärkten befriedigt.

Fünf Phasen der Geschäftsmodellentwicklung

Die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle kann in fünf idealtypische Phasen unterteilt werden: In einem ersten Schritt findet die Mobilisierung statt. Hier wird intern Bewusstsein für die Notwendigkeit eines neuen Geschäftsmodells geschaffen und das Projekt organisatorisch vorbereitet. Danach geht es um das Verstehen. Ziel ist, Wissen über Kunden, Technologie und Wettbewerb zu erarbeiten. Zwingende Bestandteile dieser Phase sind die Analyse der am Markt bereits bestehenden Geschäftsmodelle sowie die Aufnahme zumindest der aktuellen Kundenbedürfnisse.

Der dritte Schritt nennt sich Design. Dabei sollen verschiedene Geschäftsmodelle kreiert werden, die anschliessend in einen Prototyp überführt und getestet werden. Die vielversprechendste Variante wird ausgesucht. In der Phase Implementierung wird das neue Geschäftsmodell eingeführt, um anschliessend gemäss den Rückmeldungen des Marktes angepasst zu werden. Dieser Prozess sollte als nicht abschliessend angesehen werden, sondern Anlass dazu geben, in einem iterativen Prozess das neue Geschäftsmodell kontinuierlich zu verbessern und anzupassen (Bild unten).

Kundenbedürfnisanalyse in der Ostschweiz

Im Rahmen des Pilotprojekts Solus – einer durch die Abonax AG initiierten externen Geschäftsmodellentwicklung für eine intelligente Kombination von Photovoltaik, Batterie-Speichersystemen sowie weiterer Komponenten beziehungsweise Dienstleistungen für mehrere Ostschweizer Energieversorgungsunternehmen – wurde die Universität St. Gallen beauftragt, eine Kundenbedürfnisanalyse durchzuführen. Hierfür wurden leitfragen-basierte, qualitative Tiefeninterviews mit Privatverbrauchern aus den jeweiligen Versorgungsgebieten durchgeführt. Die Selektion der Interview­partner erfolgte auf Basis von Clustern; die Grundgesamtheit bildeten dabei die nicht-marktberechtigten Privatkunden der beteiligten Energieversorgungsunternehmen. Im Rahmen der Interviews wurden die Einstellung der Kunden zu verschiedenen neuen Leistungsangeboten, die gewünschte Customer Journey sowie die Beziehung zwischen Kunden und Energieversorgungsunternehmen in den jeweiligen Versorgungsgebieten thematisiert.

Zahlreiche Fakten sind ausschlaggebend

Die Befragung lieferte die Erkenntnis, dass die Kaufentscheidung für energiewirtschaftliche Komplettlösungen (beziehungsweise einzelne Komponenten davon) insbesondere von der Lebensphase der Kunden, dem Lebenszyklus der bewohnten Gebäude sowie der persönlichen Gesinnung – wie beispielsweise Ökologie- oder Technologie-Affinität – abhängt. Zentrale Kriterien bei der Kundenbetreuung scheinen eine aktive Ansprache, der persönliche Kontakt sowie eine dauerhafte Betreuung durch den Energieversorger zu sein.

Zudem zeigte sich, dass für die Energieversorger eine Roadmap zur Einführung einzelner Teilleistungen erfolgsentscheidend sein dürfte. Neben Komponenten werden zunehmend auch kostenlose ergänzende Dienstleistungen sowie Apps und Webapplikationen vorausgesetzt. Ein Rundum-Sorglos-Angebot aus einer Hand wird sehr geschätzt. Das Preisgefüge sollte für die Kunden transparent und nachvollziehbar sein, wobei begründbare Aufpreise durchaus akzeptiert werden.

Klare Positionierung der Versorger ist entscheidend

Aus Kundensicht kann die Leistungserbringung vom Energieversorger allein oder zusammen mit Partnern erbracht werden – in Abhängigkeit vom Kompetenzprofil des Unternehmens. Das Energieversorgungsunternehmen kann dabei durchaus verschiedene Rollen einnehmen – wie zum Beispiel Systemintegrator, Infrastrukturanbieter, Serviceanbieter, neutraler Berater, Händler oder Installateur. Auch eine Zusammenarbeit mit Marktmittlern ist für die Kunden vorstellbar.

Die im Rahmen der Befragung gewonnenen Erkenntnisse werden derzeit genutzt, um konkrete Geschäftsmodelle für die einzelnen Versorgungsgebiete zu entwickeln (vgl. nachfolgendes Bild).

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass das umfassende Verständnis der Kunden und deren Kauf- beziehungsweise Nutzungsverhalten in Zukunft massiv an Bedeutung gewinnen wird. Kundenbedürfnisanalysen bieten sich dabei als ideale Methoden an, um neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Gleichzeitig können sie jedoch auch den Ausgangspunkt darstellen im Rahmen der Strategieentwicklung von Energieversorgern beziehungsweise zur Erschliessung neuer Märkte oder Kundengruppen. Ein im Rahmen des vorliegenden Artikels beschriebener Perspektivenwechsel dürfte dabei Voraussetzung sein für eine erfolgreiche Neupositionierung der Energieversorgungsunternehmen weg vom reinen Versorger hin zum Energiedienstleister.

Referenz

[1]   Alexander Osterwalder, Yves Pigneur, Tim Clark, «Business model generation. A handbook for visionaries, game changers, and challengers.», 2010.

Autor
Christian Opitz

ist Leiter des Kompetenzzentrums Energy Management (IOR/CF-HSG) der Universität St. Gallen.

  • Universität St. Gallen, 9000 St. Gallen
Autorin
Alexandra Vogel

absolvierte einen M.A. in Business Innovation an der Universität St. Gallen.

CAS «EVU-Manager HSG» ab September

Weitere Impulse zu den Themen Kundenbedürfnisse, Ge­schäfts­mo­dell­ent­wick­lung, Transformation der Energiewirtschaft beziehungsweise neues Energierecht vermittelt der CAS EVU-Manager HSG («Management von Ener­gie­ver­sor­gungs­un­ter­neh­men») der Universität St. Gallen, der im September 2018 beginnt. Das Programm eignet sich zur persönlichen Auffrischung, um neue Impulse zu erhalten oder für den Quereinstieg in ein neues Aufgabengebiet. Mehr Informationen sind beim Leiter des Programms, Dr. Christian Opitz, oder unter www.evu-manager.ch erhältlich.

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