Bedrohte Wasserfassungen
Murgänge, Klimawandel und Wirtschaftlichkeit
Die Anlagen der Kraftwerke Oberhasli AG sind dem rauen Klima im Hochgebirge ausgesetzt. Es gibt Lawinen, Steinschläge, Bergstürze, Rutschungen, Murgänge und Hochwasser. Auch die Folgen des Klimawandels sind vermehrt spürbar. Entsprechend aufwendig gestaltet sich der Unterhalt der Anlagen, wie das Beispiel «Rotlauibachfassung» zeigt.
Weitläufige 420 km² gross ist das Konzessionsgebiet der Kraftwerke Oberhasli AG (KWO) im östlichen Berner Oberland. Es befindet sich in einer teilweise hochalpinen Bergwelt an den Pässen Grimsel und Susten. Gäste und Einheimische fasziniert die Landschaft. Für die Fachleute der KWO bringt der Unterhalt dieses Kraftwerksparks aber Herausforderungen mit sich. Beispielsweise haben Ende August 2023 mehrere Murgänge die Fassung des Rotlauibachs verschüttet und die Wassereinleitung massiv beschädigt.
Die Wasserfassung Rotlaui liegt oberhalb des Dorfs Guttannen rechtsufrig auf 1306 m ü. M. Sie wurde 1943 gebaut, um das Wasser aus dem darüber liegenden Einzugsgebiet von rund 4 km² ins Kraftwerk Innertkirchen 1 zu leiten. Durch die Fassung fliessen rund 4,4 Mio. m³ Wasser in die unterste Produktionsstufe im Aaretal. Dort lassen sich damit rund 7,4 GWh pro Jahr produzieren. Der Rotlouwibach, der der Fassung den Namen gibt, mündet oberhalb von Guttannen in die Aare. Bereits in den vergangenen Jahrzehnten wurde klar, dass die Bewirtschaftung der Rotlauibachfassung anspruchsvoll ist, da diese in einem Gebiet liegt, in dem es immer wieder zu Murgängen und Lawinen kommt.
Hochwasser beschädigt 2005 die Fassung
Im August 2005 regnete es tagelang äusserst stark in vielen Teilen der Alpennordseite. In Stunden stiegen die Seespiegel teilweise auf Höchststände. Bäche und Flüsse wurden zu reissenden Strömen. Auch das Haslital und die Rotlouwi waren von den Unwettern betroffen. Am 22. August 2005 ereignete sich ein enormer Murgang mit Geschiebe von rund 550’000 m³, was vergleichbar ist mit einem Fussballfeld, auf dem 77 m hoch Gestein liegt. Mehr als ein halber Kilometer der Passstrasse wurde verschüttet. Oberhalb von Guttannen begann die Aare einen See zu bilden und suchte sich ausserhalb des Bachbettes einen anderen Weg. Massive Aufräumarbeiten waren nötig, und die Kantonsstrasse musste neu verlegt werden.
Die Wasserfassung Rotlaui wurde von diesem Murgang ebenfalls stark beschädigt. Etwa zwei Drittel des im Tal abgelagerten Materials wurden durch Erosion aus dem Kegel im Unterlauf produziert. Nebst der grossen Niederschlagsmenge waren eine grosse Vorfeuchte sowie eine hohe Nullgradgrenze für den Murgang verantwortlich. Die Gerinnesohle im Wasserfassungsbereich lag nach dem Murgang 11 m tiefer als vorher, die Wasserfassung war somit verloren. Im Einzugsgebiet fand eine grosse Systemumstellung der Naturgefahrenprozesse statt.
Ebenfalls 2005 aktivierte sich eine grosse Rutschung rechtsufrig des Rotlouwibachs. Sie erstreckte sich über rund 0,25 km² und umfasste mehrere Mio. m³ Lockermaterial und zerfallenen Fels. Sie wird in den kommenden Jahren die Fassung möglicherweise zusätzlich beeinträchtigen.
Charakteristik der Murgänge
Das Kar des früheren Hohmadgletschers, der einst oberhalb der Rotlouwi lag, besteht mit seiner mächtigen Bastionsmoräne aus grobem Blockschutt über einem kleinen Toteiskörper. Die Murgänge lösten sich 2005 vermutlich hauptsächlich unter der Bastionsmoräne. Wegen des undurchlässigen Untergrunds aus Eis im oberen Einzugsgebiet und Fels im Mittelabschnitt kam es zu starken Abflüssen. Die Murschübe konnten im Felsbereich viel Energie aufbauen. Gepaart mit der grossen Erosionsanfälligkeit des Gehängeschutts war dies die Ursache für die Erosion im Kegel, die mehr als 20 m tief war. Die Rutschung 2005 wurde vermutlich aufgrund der Unwetter vom August durch Wasserdruck auf der Gleitfläche ausgelöst. Der ausgedehnte Anriss deutete auf eine sehr schnelle Bewegung hin. Durch die ruckartige Bewegung des Gesteins löste sich schliesslich der Wasserdruck und die Rutschung kam zum Stillstand.
2006 und 2010 kam es durch Böschungsrutschungen zu weiteren Murgängen in der Grössenordnung von je 25’000 bis 45’000 m³ Schutt. Im Oktober 2011 fielen innerhalb weniger Tage 70 bis 120 mm Niederschlag. Hinzu kam viel Neuschnee, der aufgrund der stark steigenden Nullgradgrenze rasch schmolz und ins Tal floss. Die Abflüsse rissen die Firnfelder auf und legten neue Lockermaterialquellen frei. Wieder löste sich an der Rotlouwi ein Murgang, diesmal mit einem Gesamtvolumen von rund 80’000 m³. Es entstanden Schäden an der Wasserleitung aus Steinkörben und dem befestigten Dammbau, die 2007 bis 2008 erstellt worden waren. Sie konnten mit relativ kleinem Aufwand repariert werden. 2012 bis 2014 war die Rotlouwirutschung erneut stark aktiv und erfuhr im niederschlagsreichen Jahr 2014 einen Schub von bis zu 0,9 m.
Überwachung, Prävention und Instandhaltung
Die Rotlauifassung ist die herausforderndste Zwischenbachfassung im KWO-Nutzungsgebiet. Alle zwei bis drei Jahre muss das Bauteam kleinere Arbeiten ausführen, wie etwa den Rechen der Wassereinleitung freilegen oder die Fassung entstopfen, weil es öfter zu kleineren Ereignissen durch Lawinen, Steinschlag oder fluvialen Geschiebetransport kommt. Bis 2020 inspizierten KWO-Fachleute das Gebiet Rotlouwi mindestens einmal jährlich. In den Jahren 2007 und 2008, jeweils von Sommer bis Herbst, führte die KWO Wiederinstandstellungsarbeiten an der neuen Fassung durch. Wegen der starken Erosion durch die Murgänge im August 2005 lag diese nun tiefer und wurde neu mit einem Tirolerwehr und einer Entsanderanlage geschützt in den Berg gebaut. Die Kosten für die Sanierung betrugen rund zweieinhalb Millionen Franken. Schon damals hat man die Wassereinleitung im Rotlouwibach flexibel, und nicht mit einem starren Betonbauwerk gebaut.
Seit 2013 lassen die Gemeinde Guttannen, die KWO, der Kanton Bern sowie die Schwellenkorporation Guttannen im Rutschgebiet regelmässige GPS-Vermessungen mit 38 Punkten im Gelände durchführen und seit 2019 Laserdistanzmessungen mit 27 Spiegeln. Die Messpunkte sind auf gut eingewachsenen Felsblöcken im Gelände installiert, die vom Tal her vermessen werden können.
Die bisherigen mittleren Verschiebungen der Messpunkte auf dem Rutschkörper betrugen 0,4 m pro Jahr vertikal und 0,5 m pro Jahr horizontal (in x- und y-Richtung). Von 2007 bis 2014 stellten sich vertikal maximale Bewegungen von 6,5 m ein und 9 m horizontal. Ab 2014 waren es nur noch wenige Dezimeter pro Jahr. Aktuell ist die Geschwindigkeit der Rutschung unter einem Dezimeter jährlich.
Das Hochwasser mit Murgang im Herbst 2011 motivierte die KWO, 2014 eine Risikoanalyse mit Fokus auf Sohlerosion, Verfüllung und Aufladung durch Rutschung durchzuführen. Die Analyse ergab eine Wahrscheinlichkeit kleiner als eins, dass die Erosion in der Sohle nahe der Fassung innert zehn Jahren über eine grössere Länge bei mehr als 3 m liegen würde. Im Herbst 2023 traf dann aber genau dies ein.
Totalschaden im August 2023
Vom 23. bis 26. August 2023 beschädigten mehrere Murgänge mit einem Volumen von rund 95’000 m³ die Wassereinleitung der Rotlauibachfassung komplett. Seitdem wird das Wasser für die Stromproduktion nicht mehr gefasst und fliesst ungenutzt in die Aare. Durch die Murgänge sind auch Schäden durch riesige Blöcke am Einlaufrechen des Tirolerwehrs sowie am Fassungsbauwerk und durch den Sedimenteintrag in die Entsanderanlage entstanden. Durch die vorherige Ausleitung der Fassungsanlage hat sich zwar nicht das ganze Entsanderbecken mit Sedimenten verfüllt, aber die Gerinnesohle senkte sich im Fassungsbereich um weitere 4 bis 5 m im Vergleich zum Stand 2005 ab, was viel schwerer wiegt.
Zudem hat sich 2023 die Charakteristik des Murgangprozesses verändert. Das meiste Material kam nun aus dem Oberlauf über der Fassung. Kurze, intensive und lokale Starkniederschläge haben die drei Murgangstösse ausgelöst. Seit 2011 kam das Murgangmaterial meist von der Sekundärrutschung rechtsufrig der Rutschung oberi Rotlouwi in den Bach.
Sanierungsarbeiten für Sommer 2024 und 2025 geplant
Die KWO hat durch ein Geologiebüro eine Ereignisanalyse erstellen lassen und ein Planungsbüro beauftragt, verschiedene Varianten für die Sanierung der Rotlauibachfassung zu erarbeiten. Wichtig ist, die Wassereinleitung nach dem Totalschaden wieder flexibel zu konzipieren, um beim Bau und Unterhalt auf die stark wechselnden geologischen Voraussetzungen reagieren zu können: linksufrig anstehender Fels und rechtsufrig riesige Blöcke in der Sohle und rutschender Gegenhang, der vor allem aus Lockermaterial besteht.
An der Rotlauibachfassung sollen 2024 folgende Arbeiten durchgeführt werden, um die Wassereinleitung und Fassung wieder instandzustellen: Eine neue Zufahrt soll für die Bauarbeiten erstellt werden, die es ermöglichen wird, die Fassung mit grossen Baumaschinen zu unterhalten. Zudem soll das bestehende Fassungsbauwerk mit Unterfangung und Reparatur des Rechens und der Entsanderanlage gesichert werden. Schliesslich soll eine Sperrentreppe und eine Wassereinleitungskonstruktion aus einem Murgangnetz mit einer Hinterfüllung und Abdichtung und zur Sohlsicherung montiert werden, zudem hinterfüllte Murgangnetze als Sperrentreppe unter der Wassereinleitung.
Wie geht es weiter?
Die Rotlauibachfassung wird die KWO auch weiterhin beschäftigen. Nach Einschätzung von externen Experten und Fachleuten der KWO ist es wahrscheinlich, dass ein grosser Murgang im Jahrzehnte-Rhythmus Teile der Fassung und die Wassereinleitung beschädigen wird. Eventuell sind die Abstände der Ereignisse sogar kürzer. Für eine Verbesserung der Situation spricht Folgendes:
- Das Material im Rotlouwibach stammt heute von Sekundärrutschungen der Rutschung Rotlouwi. Die Rutschungsrate für die «obri Rotlouwi» ist mittlerweile sehr langsam. Somit reduziert sich die Materialproduktion.
- Der Hohmadgletscher bildet sich weiter zurück und kann Murgänge kaum mehr auslösen.
- Im Ablagerungsraum steigt die Auflandung weiter bachaufwärts.
- Die Bachsohle oberhalb der Fassung fliesst meist auf anstehendem Felsen. Vom Bach wird kaum Material aus der Sohle aufgenommen.
Die KWO rechnet damit, dass der Rotlouwibach laufend mit Material gespiesen wird, das Murgänge auslösen kann. Das Materiallager wird sich längerfristig wieder aufbauen. In einigen Jahren oder Jahrzehnten dürfte erneut ein Murgang in der Grössenordnung von 2011 oder 2023 auftreten. Die bestehende Sohle mit hinterfüllten Murgangnetzen als Sperrentreppe soll die weitere Sohlerosion unterbinden und die Wassereinleitung bei geringer Unterhaltsarbeit sicherstellen. Interventionen im Gerinne sollen schnell mit grossen Baumaschinen erfolgen können. Die baulichen Massnahmen dürften rund 8 bis 12 Jahre überdauern. Nach rund zweieinhalb Jahren Betrieb ist die Investition in die Sperrentreppe mit der Wassereinleitung aus Murgangnetzen amortisiert.
Alles Klimawandel?
Nach Einschätzung von Fachbüros, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie internen Fachleuten sind die Ereignisse an der Rotlouwi teilweise vom Klimawandel getrieben. Es wirken stets Prozessketten: Lange, intensive Niederschläge, langsame Prozesse wie die Rutschung, schnelle Prozesse wie die Murgänge oder die Hochwasser. Dazu diverse Sturzprozesse, die unter Permafrostgebieten normal sind. Eine Rolle spielt die Rückbildung des Hohmadgletschers und kleinerer Permafrostgebiete, die auf der Südseite des Gebiets des Steinhüshoren, Chilchlistock bis Offenhoren vorhanden sind. Alle Berggipfel liegen 3000 m ü. M. und führen zu weiteren, möglichen Sturzprozessen als Materiallieferant. Zudem kommen spezielle Wetterlagen hinzu mit unterschiedlichen Niederschlagsintensitäten. Auch die Jahresschneemenge oder intensiver Schneefall haben einen Einfluss. Es ist klar, dass der Klimawandel heute bei Murgängen, Rutschungen und ähnlichen Prozessen einen grösseren Anteil hat als noch in den Pionierjahren der KWO.
Interdisziplinäre Zusammenarbeit
Ein kompetenter Umgang mit Naturgefahren ist für Kraftwerksbetreiber wichtig. Die KWO hat interne Spezialisten mit Wissen im Bereich Naturgefahrenmanagement, Hydrologie und Geomorphologie. Essenziell ist auch ein langjähriges Betriebswissen über die Wasserfassungen im Konzessionsgebiet und ihre Herausforderungen. Ebenso zentral ist die kontinuierliche Zusammenarbeit mit externen Fachleuten, mit Kompetenzen in Geologie, Geomorphologie und Risikomanagement. Gemeinsam mit den Fachstellen des Kantons Bern wie dem Oberingenieurkreis 1 des Tiefbauamts, dem kantonalen Amt für Wald und Naturgefahren (AWN) steht die KWO in regem Austausch und realisiert gemeinsame Projekte wie satellitengestützte Verschiebungsmessungen im Einzugsgebiet der KWO. Viele Resultate der Abklärungen, wie laufende Monitorings, die Vermessungen der Rutschung oder die Beobachtungen zu Hochwasserereignissen, stehen auch anderen Betroffenen wie Gemeinden oder Werkeigentümern von öffentlichen Infrastrukturen zur Verfügung. Zudem ist die Forschung und Ausbildung von Forschenden in diese Themen eingebunden. Auch der Austausch mit anderen Kraftwerksbetreibern ist wertvoll. Fazit: Solche Ereignisse lassen sich zwar nicht verhindern, aber als Kraftwerksbetreiber kann man sich vorbereiten und lernen, das gesammelte Wissen entsprechend einzusetzen.
Kommentare