Automation für die Energiewende
Stabilisierung des Stromnetzes
Netzbetreiber sind für die Stabilität des Stromnetzes verantwortlich. Der steigende Strombedarf durch die Elektrifizierung weiterer Sektoren wie Heizung oder Mobilität sowie die Zunahme der Anteile von Wind- und Sonnenenergie machen dies zunehmend anspruchsvoll. Forschende stellen nun Lösungen vor, die helfen, diese Herausforderung zu meistern.
Im Zuge der Energiewende wird die konventionelle Stromerzeugung aus fossilen und nuklearen Quellen schrittweise durch Wind- und Solarenergie ersetzt. Dies hat zwar viele Vorteile, stellt aber auch grosse Herausforderungen dar – insbesondere für die Netzbetreiber. Ihre Aufgabe, die zuverlässige Versorgung von Haushalten und Industrie sicherzustellen, wird immer komplexer. Forschende der ETH Zürich und des Nationalen Forschungsschwerpunkts (NFS) Automation präsentieren Lösungen, die helfen, diese Herausforderung zu meistern.
Essenzielle Dienstleistungen
«Derzeit tragen konventionelle Kraftwerke wie Wasser-, Kohle- und Gaskraftwerke dazu bei, das Stromnetz stabil zu halten», erklärt Ognjen Stanojev, Forscher am Power Systems Laboratory der ETH Zürich und Mitglied des NFS Automation. «Durch die Anpassung ihrer Leistung und die in den massiven, rotierenden Turbinen gespeicherte Energie sorgen diese Kraftwerke für eine nahezu konstante Frequenz und Spannung im Stromnetz.» Damit das Netz zuverlässig funktioniert, sind diese Leistungen unabdingbar – vor allem in kritischen Situationen, etwa wenn eine Stromleitung oder ein Kraftwerk ausfällt.
Derzeit nutzen Netzbetreiber Energieressourcen wie PV-Anlagen, Batterien oder flexible Lasten wie Wärmepumpen selten gezielt zur Stabilisierung des Stromnetzes. Bisher war das auch nicht nötig. «Konventionelle Kraftwerke haben diese Leistungen bisher kostengünstig erbracht», erklärt Stanojev. «Doch mit der Umstellung von fossilen Brennstoffen und Kernenergie auf erneuerbare Energiequellen wie Wind und Sonne verlieren wir Komponenten, die für die Stabilität des Systems wichtig waren. Stattdessen müssen wir Lösungen finden, damit die neuen Energieressourcen den Betrieb übernehmen können.»
Ein Konzept für die Kombination diverser Energieressourcen
PV-Anlagen oder Batterien sind oft über viele Standorte verteilt – wie Haushalte und Industriegebiete. Um jedoch vergleichbare Stabilitätsleistungen zu erbringen wie grosse, zentralisierte Gas- oder Kohlekraftwerke, müssen diese verteilten Ressourcen gemeinsam koordiniert werden.
«Der Vorteil dieser Ressourcen ist, dass die einzelnen Komponenten ihre Leistung sehr schnell ändern können. In früheren Forschungsarbeiten wurde daher bereits untersucht, wie bestimmte Arten von Komponenten, häufig Batterien, zur Erbringung einzelner spezifischer Stabilitätsleistungen eingesetzt werden können. Doch die Kombination mit anderen Arten von Ressourcen, etwa PV-Anlagen oder Wärmepumpen, und die Bereitstellung verschiedener Arten von Stabilitätsdiensten ist eine ziemliche Herausforderung und wurde bisher nur selten versucht», erklärt Stanojev. «Wir wollten daher ein solches ganzheitliches Konzept entwickeln, in dem jede Art von Ressource verschiedene Stabilitätsdienstleistungen erbringen kann.»
Der Standort ist entscheidend
Dieses von den Forschenden entwickelte Konzept basiert in einem ersten Schritt auf genauen und regelmässigen Echtzeitmessungen des Zustands des Verteilnetzes. Die Messungen von Spannung und Frequenz dienen als Input für ein Softwaremodul, das sich in der Leitstelle des Verteilnetzbetreibers befindet. «Unser Softwaremodul berechnet und sendet dann automatisch die erforderlichen Einschaltsignale an die Ressourcenkomponenten im Netz – etwa eine Anweisung an eine Batterie, Energie in das Netz einzuspeisen», erklärt Stanojev.
Die Forschenden stellten fest, dass die Stabilitätsdienste, die die Energieressourcen im Verteilnetz erbringen können, durch die Übertragungskapazität der Stromleitungen limitiert sind. Das ist bei den Diensten, die konventionelle Kraftwerke auf der Ebene des Übertragungsnetzes erbringen, normalerweise nicht der Fall. «Der Standort einer Batterie oder einer Wärmepumpe innerhalb des Netzes ist daher entscheidend für ihr stabilitätsförderndes Potenzial. Je weiter sie von zentralen Anschlusspunkten entfernt sind, desto geringer ist das Potenzial», so Stanojev. Der nächste Schritt ist die Umsetzung und Erprobung des Systems in der Praxis.
Eine erste Umsetzung in der Praxis
Ein ähnliches Forschungsprojekt, das am Institut für Automatik der ETH Zürich entwickelt wurde, befindet sich genau in diesem Stadium und wurde erfolgreich im Verteilnetz des Kantons Aargau implementiert. Dort regelt es die Blindleistung einer grossen PV-Anlage auf dem Dach mehrerer Industriegebäude, um den örtlichen Verteilnetzbetreiber AEW bei der Bereitstellung von Stabilitätsdiensten für sein Netz zu unterstützen. Wie die Methode von Stanojev ist auch sie auf Messwerte aus dem Netz angewiesen und kann stabilitätsfördernde Einspeisesignale für Energieressourcen berechnen. «Unsere Methode befasst sich jedoch nicht mit der Steuerung der Frequenz, was uns ermöglicht, mit weniger Modellinformationen zu arbeiten», erklärt Lukas Ortmann, Forscher an der ETH Zürich und Mitarbeiter des NFS Automation. «Zudem ist sie weniger rechenintensiv, was den Einsatz in der Infrastruktur der Netzbetreiber erleichtert.»
«Die Implementierung des im Dezember in Betrieb genommenen Blindleistungsreglers soll uns nicht nur helfen, die Blindleistung und Spannung lokal zu regeln, sondern auch den Blindleistungsaustausch mit dem vorgelagerten Netzbetreiber zu beeinflussen, wenn man an einen flächendeckenden Rollout denkt. Als Nebeneffekt können Netznutzungskosten für die Blindleistungsbeschaffung eingespart werden, was wiederum eine neue Dienstleistung für PV-Anlagenbesitzer am AEW-Netz eröffnen könnte, wenn sie ihre Anlage für diese Regelung zur Verfügung stellen», so AEW-Ingenieur Alessandro Scozzafava.
«Das Team testet seine Forschungsergebnisse in der realen Umgebung und überträgt sie so in die Praxis. Die erfolgreiche Demonstration in einem Stromnetz zeigt, dass die Methode für die Anwendung im Netzbetrieb relevant ist. Auch andere Herausforderungen im Stromnetz und wichtige Erweiterungen des hier gezeigten Anwendungsfalls können mit dieser Methode angegangen werden. Ich sehe grosses Potenzial in der Anwendung solcher datengetriebener Methoden, die auf Messungen und erweiterbaren Optimierungsalgorithmen basieren», sagt Mathias Duckheim, Senior Key Expert bei Siemens.
Literatur
- Ognjen Stanojev, Yi Guo, Petros Aristidou, Gabriela Hug, «Multiple Ancillary Services Provision by Distributed Energy Resources in Active Distribution Networks», Proceedings of the 11th Bulk Power Systems Dynamics and Control Symposium, 2022.
- Lukas Ortmann, Christian Rubin, Alessandro Scozzafava, Janick Lehmann, Saverio Bolognani, Florian Dörfler, «Deployment of an Online Feedback Optimization Controller for Reactive Power Flow Optimization in a Distribution Grid».
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