Fachartikel Energienetze , Energiespeicher , Erneuerbare Energien

Autarke Versorgung: (Wann) lohnt sich das?

Unabhängigkeit

29.04.2019

Die Betrachtung eines Netzgebiets im Kanton Glarus hat gezeigt, dass eine autarke Stromversorgung grundsätzlich möglich, derzeit aber teurer als die anstehende Erneuerung einer 5 km langen Kabelzuleitung ist. Die Rechnung geht aber ab einer Kabellänge von 15 km bereits auf. Der Einsatz einer Brennstoffzelle in Kombination mit einer PV-Anlage ist dabei von entscheidender Bedeutung.

Die Weiterentwicklung dezentraler Produktionsanlagen (zum Beispiel Photovoltaik) und von Batteriespeichern hat dazu geführt, dass die Netzparität zunehmend erreicht wird. Axpo hat im Rahmen einer Abschlussarbeit für den Zertifikatskurs «EVU-Manager CAS-HSG» der Universität St.Gallen überprüft, ob und wann sich eine autarke Stromversorgung eines kleineren Netzgebiets gegenüber einem konventionellen Netz­ausbau rechnet.

Untersucht wurde das Netzgebiet «Vorauen» im Kanton Glarus. Der Variante «Kabelersatz» wurden zum einen eine autarke Lösung mit dezen­tral platzierten Erneuerbaren Energien in Kombination mit einer Batterie gegenübergestellt, zum anderen eine «quasi-autarke» Lösung mit einer zusätzlichen Brennstoffzelle (Bild unten).

Die Ergebnisse zeigen auf, dass die autarke Variante mit einmaligen Investitionen von über 26 Mio. CHF zu teuer ist. Erheblich interessanter ist die Variante «quasi-autark» mit einer zusätzlichen Brennstoffzelle. Die betrachteten Jahreskosten liegen nur 1,7-mal höher als im Vergleich zur Erneuerung eines 5 km langen Kabels (Variante «Kabel­ersatz»). Die Variante «quasi-autark» wird attraktiver, je höher die Erschliessungskosten der Kabellösung steigen. Bei der vorliegenden 16-kV-Kabelleitung wäre dies ab einer Länge von rund 15 km bereits der Fall.

Auch wenn die autarke Lösung preiswerter und damit volkswirtschaftlich sinnvoller wäre, stellen sich im gegenwärtigen regulatorischen Setup grosse Fragen: Während sich der Kabelersatz über sämtliche Netzkunden sozialisieren lässt, herrscht bei einer autarken Lösung alles andere als Klarheit über die Kostentragung. Mit der absehbaren, vollständigen Marktöffnung und der damit verknüpften freien Lieferantenwahl werden die regulatorischen Unklarheiten eines autarken Netzgebiets mit mehreren Nutzern noch zunehmen.

Untersuchtes Netzgebiet «Vorauen»

Das Netzgebiet «Vorauen» liegt am westlichen Ende des Klöntalersees und erstreckt sich von Vorauen bis nach Richisau (Bild unten). Die elektrische Anbindung des Netzgebiets erfolgt durch eine Kabelleitung mit einer Länge von 5 km, die in den nächsten Jahren aus Altersgründen erneuert werden muss.

Axpo betreibt in der Netzregion Glarus das 16-kV-Mittelspannungs-Transportnetz (Netzebene 5a). Die Technischen Betriebe Glarus (TB Glarus) als lokale Energieversorger betreiben das Verteilnetz im Netzgebiet «Vorauen». Dieses Verteilnetz besteht aus dem 16-kV-Mittelspannungsnetz (Netz­ebene 5b), der Umspannung (Netz­ebene 6) und dem 0,4-kV-Netz (Netz­ebene 7). Im Netzgebiet «Vorauen» sind über 100 Kunden angeschlossen.

Die Region ist ein beliebtes Naherholungsgebiet. Die Hauptsaison erstreckt sich vom Frühling bis Herbst. Diese Charakteristik spiegelt sich im Stromverbrauch wieder. Die maximale Ausspeiseleistung lag im Jahr 2017 bei etwas mehr als 200 kW und wurde während eines Sommerabends erreicht. Der jährliche Stromverbrauch lag im Jahr 2017 bei über 530 MWh.

Technische Analyse

Die technischen Untersuchungen zeigen, dass die autarke Variante grundsätzlich realisierbar ist. Infolge der in Frage kommenden, nicht-steuerbaren Anlagen für Erneuerbare Energien ist der Einsatz eines Batteriespeichers notwendig. Einerseits muss dieser die Erzeugung und den Verbrauch ausgleichen, anderseits gerade bei jahreszeitlich schwankender Erzeugung wie bei Photovoltaik als Saisonspeicher dienen (Bild unten).

Aus technischer Sicht ist es daher besser, wenn neben dem Batteriespeicher eine flexible, steuerbare Erzeugung die Netzstabilität und Energienachfrage stützt. Mit Hilfe der steuerbaren Anlage kann die Erzeugung dem Verbrauch angepasst werden. Der Batteriespeicher wird nur noch für den kurzzeitigen Ausgleich der Stromerzeugung und -nachfrage eingesetzt. Bei der Variante «quasi-autark» wird als steuerbare Erzeugungsanlage eine zusätzliche Brennstoffzelle verwendet (Bild unten). Wie kommt es zu diesem Ergebnis?

Netzstabilität: Um die Netzstabilität in einem elektrischen Netz zu gewährleisten, müssen Stromerzeugung und -verbrauch zu jedem Zeitpunkt im Gleichgewicht sein. Im kontinentaleuropäischen, synchronen Verbundnetz stellen die Übertragungsnetzbetreiber dieses Gleichgewicht mit dem Einsatz der Regelenergie sicher. In einem stromautarken Netzgebiet muss das Gleichgewicht zwischen der Erzeugung und dem Verbrauch lokal hergestellt werden. Zum Einsatz kommen hierfür Batteriespeicher und/oder die Ansteuerung flexibler Erzeugungseinheiten.

Wahl der Stromerzeugungsanlagen: Für die Stromerzeugungsanlagen wurden bei der Variante «autark» ein Trinkwasserkraftwerk und eine PV-Anlage eingesetzt. Bei der Variante «quasi-autark» wird zusätzlich eine Brennstoffzelle verwendet, um die Kapazität der Batterie und damit die bauliche Grösse zu senken. Die Wahl der Strom­erzeugungsanlagen im Netzgebiet «Vorauen» basiert auf folgenden Gründen:

  • Wasser: Nutzung der Wasserkraft als Stromerzeugung ist infolge des kantonalen Richtplans nicht möglich. Ausnahmen bestehen bei der Realisierung eines Trinkwasserkraftwerks.
  • Sonne: Nutzung der Solarkraft ist möglich. Der Energieertrag ist aufgrund der seitlichen Bergflanken beschränkt.
  • Wind: Nutzung ist nicht möglich infolge der Einschränkungen durch den kantonalen Richtplan. Ausserdem sind die lokalen Windbedingungen ungeeignet.
  • Power-to-Gas-Anlage: Nutzung ist nicht optimal. Die Anlage wandelt zum Beispiel den überschüssigen PV-Strom in Wasserstoff um. Da jedoch der Energieertrag der PV-Anlagen im untersuchten Netzgebiet nicht ergiebig ist, lässt sich diese Anlage im autarken Netzgebiet wirtschaftlich schlechter betreiben als ausserhalb. Der notwendige Wasserstoff für die Brennstoffzelle muss somit per LKW in das Gebiet transportiert werden.


Dimensionierung Stromerzeugung: Basierend auf den vorangehenden Erkenntnissen möglicher Stromerzeugungsanlagen folgte anschliessend deren Dimensionierung. Zum Zuge kam eine Energiebetrachtung über ein Jahr mit 15-Minuten-Werten. Die Strom­erzeugung der Photovoltaikanlagen wurde mit Hilfe horizontaler Globalstrahlungswerte modelliert. Diese Werte stellte die Firma Meteotest aus Bern für den Standort Vorauen zur Verfügung. Die Einspeisung des Trinkwasserkraftwerks wurde anhand der örtlichen Lage sowie einer Referenz­einspeisung eines bestehenden und ausserhalb des betrachteten Netzgebiets gelegenen Trinkwasserkraftwerks abgeschätzt.

Die Analysen demonstrieren, dass die Summe der Energieerzeugung der beiden Anlagen (PV und Trinkwasserkraftwerk) wenig mit der Stromnachfrage korreliert. Um den Betrieb des autarken Netzgebiets dennoch sicherzustellen, ist ein grosser Batteriespeicher erforderlich, der als Saisonspeicher dient und den Ausgleich zwischen Stromerzeugung und Verbrauchslast zu jedem Zeitpunkt sicherstellt. Die notwendige Energiekapazität des Batteriespeichers entspricht rund 20 % des jährlichen Stromverbrauchs. Angesichts der ver­­gleichs­weise niedrigen Winterlast wird dieser Prozentsatz in anderen Gebieten noch höher sein.

Bei der Variante «quasi-autark» wurde ergänzend zu den PV-Anlagen, dem Trinkwasserkraftwerk und dem Batteriespeicher eine Brennstoffzelle zur Stromerzeugung im autarken Netz geprüft. Die PV-Anlagen und der Batteriespeicher können dank der einspeisenden und steuerbaren Leistung der Brennstoffzelle deutlich kleiner dimensioniert werden. Der für die Brennstoffzellen notwendige Wasserstoff muss mit Tanklastwagen in das Netzgebiet «Vorauen» transportiert werden.

Wirtschaftliche Analyse

Die untenstehende Tabelle zeigt die Erstinvestitionen und die Jahreskostenrechnung für das untersuchte Netzgebiet. Im Netzgebiet «Vorauen» ist der Ersatz der Kabelleitung die wirtschaftlich effizienteste Lösung. Anhand der Kostenrechnung ist ersichtlich, dass die Variante «autark» in Bezug auf die betrachteten Jahreskosten rund 8,7-mal teurer ist. Die Variante «quasi-autark» ist in Bezug auf die Jahreskosten hingegen nur noch 1,7-mal so teuer wie die Variante «Kabelersatz».

Diese Wirtschaftlichkeitsberechnung basiert auf Richtpreisen und Annahmen. Es wurden nur die Kostenblöcke ausgewertet, die sich bei den Varianten auch unterscheiden. Verglichen wurden die einmaligen Investitionskosten im Jahr 2020 sowie die Jahreskosten (Verzinsung, Tilgung des investierten Kapitals, Betriebskosten). Bei den Jahreskosten wurden alle Geldflüsse während der festgelegten Betrachtungsdauer von 60 Jahren durch Diskontierung auf einen einheitlichen Bezugszeitpunkt (2020) verglichen. Die Betrachtungsdauer von 60 Jahren ergibt sich aus der längsten Lebensdauer aller einbezogenen Elemente. Als Zinssatz für die Diskontierung wurde der aktuelle WACC verwendet (WACC, gewichteter Durchschnitt von Eigen- und Fremdkapitalkosten: 3,83 %/Jahr).

Regulatorische Analyse

Im Gegensatz zur technischen und wirtschaftlichen Bewertung ist die regulatorische Analyse nicht eindeutig. Die regulatorischen Rahmenbedingungen stehen in einem Spannungsfeld.

Anschlusspflicht: Gemäss Art. 5 StromVG sind die Netzbetreiber verpflichtet, alle ihre Endverbraucher innerhalb der Bauzone und ganzjährig bewohnten Liegenschaften und Siedlungen ausserhalb der Bauzone an das Elektrizitätsnetz anzuschliessen. Die Bezeichnung des zuständigen Netzbetreibers erfolgt durch die Kantone. Wird das autarke Netz durch den lokalen Netzbetreiber betrieben, kann die rechtliche Anschlusspflicht des Endverbrauchers an das Elektrizitätsnetz gewährleistet werden. Im vorliegenden Fall liegt die Netzanschlusspflicht beim Netzbetreiber der Netzebene 5b.

Netznutzungsmodell: Aus dem aktuellen Netznutzungsmodell (Stichwort: Ausspeiseprinzip, Wälzmodell) resultieren Unterschiede bezüglich Kostentragung der Netzerneuerung. Die autarke Variante hätte zur Folge, dass die Kunden des lokalen Versorgers über ihre Tarife die vollen Kosten der Netzerneuerung tragen würden. Dagegen würden sie in der Variante «Kabelersatz» nur einen Teil der Kosten tragen. Für die Kunden des lokalen Versorgers ist somit die herkömmliche Variante die wirtschaftlich attraktivere. Was sind die Gründe?

Im Netzgebiet «Vorauen» sind die Kosten für die Erneuerung und den Betrieb der Kabelzuleitung in das abgelegene Gebiet der Netzkasse der Netz­ebene 5a zuzuteilen. Bei einem Betrieb des autarken Netzes fallen Mehrkosten bei der Netzebene 5b an. Welche Investitionen der quasi-autarken Infrastruktur sich nebst dem Batteriespeicher als netzdienlich erweisen und anrechenbar sind, gilt es noch zu klären. Durch das autarke Netzgebiet gibt es somit eine Verschiebung von Netzkosten über die Netzebenen. Da die Kosten der Netzebene 5a regional über mehrere Kunden verteilt werden, ist auch bei Kostenparität gemäss untenstehendem Bild die anteilige, finanzielle Belastung bei einem Kabelersatz für den lokalen Netzbetreiber geringer als bei der quasi-autarken Lösung: Hier fliessen die netzdienlichen Investitionen in die Netz­ebene 5b ein und werden ausschliesslich dem lokalen Netzbetreiber und damit seinen direkten Kunden belastet.

Obwohl aus volkswirtschaftlicher Sicht ein autarkes Netzgebiet grundsätzlich kostengünstiger sein könnte, kann somit die Akzeptanz der davon betroffenen Endkunden des lokalen Netzbetreibers für die autarke Lösung fehlen.

Dieser Artikel basiert auf einer Abschlussarbeit im Rahmen des Weiterbildungsprogramms EVU-Manager CAS-HSG der Universität St.Gallen (www.evu-manager.ch).

Autor
Roland Notter

ist Projektingenieur Strategisches Asset Management bei Axpo.

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