Fachartikel Infrastruktur

Auswirkungen diverser Sternpunkterdungsarten

Analyse

20.09.2022

Untersuchungen am Mittelspannungsnetz der St. Gallisch-Appenzellische Kraftwerke AG (SAK) haben gezeigt, dass es im Vergleich zu über Petersen-Spulen geerdete Netze (gelöschte Netze) mit zunehmendem Verkabelungsgrad eine gute Alternative gibt.

Die St. Gallisch-Appenzellische Kraftwerke AG (SAK) betreibt ein gelöschtes oder auch kompensiertes Mittelspannungsnetz, das im Erdfehlerfall keiner Abschaltung bedarf. In Folge der auch in ländlichen Gebieten zunehmenden Verkabelung von Mittelspannungsfreileitungen nimmt die Erdfehleranzahl stetig ab, während der Betriebsaufwand des erdschlusskompensierten Netzes zunimmt. Aufgrund dieser Tatsache schwindet der Hauptnutzen, der Weiterbetrieb des Netzes während eines Erdfehlers, und es stellt sich die Frage einer alternativen Sternpunkterdungsart. Dieser Umstand wurde im Rahmen einer Masterarbeit an der Universität Duisburg-Essen wissenschaftlich untersucht, um folgende Frage zu beantworten: Welches ist die vorteilhafteste Sternpunkterdungsform im Mittelspannungsnetz der SAK mit zunehmendem Verkabelungsgrad?

Die Sternpunkte von Drehstromnetzen können grundsätzlich über Petersen-Spulen, starre Verbindungen, verbindungslos (isoliert) oder über Strombegrenzungen geerdet werden. Die letztgenannte Erdungsart wird entweder mit strombegrenzenden Widerständen oder Drosseln realisiert. Alle diese Erdungsmöglichkeiten sollen den im Erdfehlerfall über den Erdausbreitungswider­stand fliessenden Strom so weit begrenzen, dass die Berührungsspannung an keinem Ort im Netz unzulässige Werte annimmt.

Die Starkstromverordnung legt fest, dass die Höhe der maximal zulässigen Berührungsspannung keine konstante Grösse ist, sondern wesentlich von der Einwirkzeit abhängt. Während die Berührungsspannung unabhängig von der Einwirkzeit 700 V nicht überschreiten darf, besteht bei Werten bis 50 V keine Abschaltnotwendigkeit. Bei entsprechender Ausführung der Sternpunkterdung brauchen Netze unter der Voraussetzung, dass die Berührungsspannung im Erdfehlerfall nicht grösser als 50 V wird, im Erdfehlerfall nicht abgeschaltet zu werden und erhöhen dadurch Versorgungsverfügbarkeit.

Diese Eigenschaft weisen in der Regel aufgrund der niedrigen Erdschlussströme isolierte und gelöschte Netze auf. Im Gegensatz dazu haben Netze mit den anderen beiden Sternpunkterdungen eher hohe Erdkurzschlussströme und sind deshalb im Fehlerfall zwingend abzuschalten. Die Ausführung der Sternpunkterdung beeinflusst nebst der Berührungsspannung auch den Erdfehlerfaktor. Dieser ist ein Mass für die Spannungsanhebung der nicht vom Erdschluss betroffenen Phasenleiter während eines Erdfehlers. Hohe Erdfehlerfaktoren führen zu erhöhter zeitweilig betriebsfrequenter Spannungsbeanspruchung im Erdfehlerfall und erhöhen zudem die Wahrscheinlichkeit für das Entstehen von Wanderwellen mit zum Teil erheblichen Spannungsspitzen.

Idealerweise steht die elektrische Energie den Netznutzern jederzeit und in der zu erwartenden Qualität zur Verfügung. Da es sich beim Elektrizitätsversorgungsnetz um ein technisches System handelt, gibt es in der Realität Abweichungen gegenüber der Idealvorstellung. Aus Sicht des Netznutzers ist die Qualität der Elektrizitätsversorgung abhängig von Anzahl und Dauer der Unterbrechungen. Erwartet wird im Allgemeinen eine hohe Versorgungsverfügbarkeit.

Gemessen wird die Versorgungsverfügbarkeit durch die international definierten Verfügbarkeitsindices Saidi (Nichtverfügbarkeit je beliefertem Endverbraucher – mittlere Unterbrechungsdauer je beliefertem Endverbraucher pro Jahr) und Saifi (Unterbrechungshäufigkeit je beliefertem Endverbraucher – mittlere Unterbrechungshäufigkeit je beliefertem Endverbraucher pro Jahr) sowie der nicht zeitgerecht gelieferten Energie je Netzebene ENS (Ausfallenergie). Zielwerte für die Versorgungsindices lassen sich zudem differenziert nach Besiedlungsdichte im Distribution Code Schweiz 2020 finden. In europäischen Ländern erfolgt die Bewertung der Ausfallkosten aus Lieferunterbrechungen im Elektrizitätsnetz durch die Kosten pro nicht gelieferte Energie Voll (Value of Lost Loads) und beschreibt den Kundennutzen. In den Voll sind sämtliche Auswirkungen durch Lieferunterbrechungen auf Ökonomie, Lebensqualität, Gesundheit, Umwelt usw. monetär bewertet und als Nutzen des Elektrizitätsnetzes zu verstehen. Aus diesem Grund sind die Kundenausfallkosten Voll in der gesamtvolkswirtschaftlichen Beurteilung von Netz­investition und der damit verbundenen Erhöhung der Netzverfügbarkeit mit zu berücksichtigen. Beispielsweise lagen die Voll im Jahr 2018 in Deutschland bei 12,41 und in den Niederlanden bei 22,54 €/kWh.

Netzstruktur der SAK

Das Mittelspannungsnetz der SAK wird als offenes Ring- und Strangnetz mit zwei Teilstrecken betrieben. Die Anzahl der aufeinander folgenden Transformatorenstationen pro Teilstrecke richtet sich dabei nach wirtschaftlichen Kriterien und ist in der Regel auf zehn begrenzt. Aus topografischen Gründen können vereinzelte Transformatorenstationen auch aus einer sich innerhalb des offenen Ringes befindlichen Transformatorenstation mittels Stichleitung versorgt sein. Solche Stichleitungen sind entweder als Kabel- oder Freileitung ohne Erdseil, sogenannte Regelleitungen, ausgeführt. Die verwendeten Mittelspannungskabel haben Querschnitte zwischen 95 und 300 mm2. Das Leitermaterial ist in der Regel aus Aluminium, kann aber in Strangnetzen mit hoher Transportkapazität auch aus Kupfer bestehen.

Zwecks schnellerer Störungseingrenzung ist jeder Leitungsabgang einer Transformatorenstation mit Kurzschlussanzeigern ausgestattet, die Kurzschlussströme grösser 600 A mittels optischer Anzeige melden. Die einzelnen Leitungsabgänge der Unterwerke verfügen über Leistungsschalter mit Überstromschutzgeräten sowie einer im Unterwerk zentral angeordneten Erdschlussortungseinrichtung, die eine Detektion von Kurz- und auch Erdschlüssen in gelöschten Netzen ermöglichen. Vereinzelt befinden sich auch in Transformatorenstationen Leistungsschalter mit Überstromschutzeinrichtungen, welche die Auswirkungen von Störungen verringern.

In den Unterwerken befinden sich aus Redundanzgründen immer zwei Reguliertransformatoren mit Bemessungsscheinleistungen zwischen 25 bis 50 MVA, wobei jeweils nur ein Transformator in Betrieb ist. Alle Reguliertransformatoren sind ober- und unterspannungsseitig in Stern geschaltet, dabei sind erst die ab 2014 beschafften Geräte mit Dreieckausgleichswicklung ausgestattet. Die Erdungsanlagen sämtlicher Spannungsebenen sind physikalisch verbunden und so ausgelegt, dass Erdschlussströme im Mittelspannungsnetz bis 30 A nicht abgeschaltet werden müssen. Im Versorgungsgebiet der SAK befinden sich neben städtischen Gebieten mit grossflächigen oder globalen Erdungssystemen auch eine Vielzahl von Dörfern und Streusiedlungen mit Erdungsanlagen geringer Ausdehnung.

Technische Beurteilung

Methode: Die Simulationen der verschiedenen Sternpunkterdungssysteme hinsichtlich der Berührungsspannung und des Erdfehlerfaktors erfolgte an repräsentativen Netzmodellen. Die dafür gewählten Netzparameter liessen Berechnungen unter Ex­trembelastungen zu und dienten quasi als Stresstest. Nebst Kabelleitungen wurden in den Modellnetzen vereinzelt auch Freileitungen ohne Erdseil (Regelleitungen) berücksichtigt, die Erdkurzschlussströme ausschliesslich über den Erdausbreitungswiderstand rückführen und so hinsichtlich der Berührungsspannungen ein Extremum darstellen.

Im Gegensatz dazu bieten Mittelspannungskabel im Vergleich zu Regelleitungen den Vorteil, dass ein grosser Erdkurzschlussstromanteil über die Kabelschirme rückgeführt wird, was sich günstig betreffend der Berührungsspannungshöhe auswirkt. Obenstehendes Bild zeigt exemplarisch die Erdkurzschlussstromaufteilung in Transformatorenstation 1 zwischen dem entlastenden Kabelschirmstrom IS1 eines Mittelspannungskabels und den für die Berührungs- und auch Erdungsspannung UE verantwortlichen Erdfehlerstrom IE. Dabei stellen RATS und RAUW jeweils die Ausbreitungswiderstände der Transformatorenstation beziehungsweise des Unterwerks und R’E den spezifischen Erdwiderstandsbelag dar.

Ergebnisse: Berechnungen zufolge sind starre Erdverbindungen analog den Niederspannungsnetzen in der Mittelspannung aufgrund zu hoher Berührungsspannungen nicht möglich. Die Erdkurzschlussstromgrösse isolierter Netze hängt direkt proportional mit der Netzausdehnung zusammen. Hierbei nehmen die Ströme schon bei geringer Ausdehnung so stark zu, dass Erdfehler zur Einhaltung der Berührungsspannung abgeschaltet werden müssen. Diesbezüglich gilt es zu erwähnen, dass gerichtete Erdschlusserfassungssysteme für isolierte Netze technisch aufwendig sind. Ein besonderer Nachteil isolierter Netze sind die hohen Erdfehlerfaktoren, die zu ungewollten Überspannungen führen können.

Die Erdfehlerströme können auch durch den Einsatz von Begrenzungsdrosseln oder Begrenzungswiderständen so weit reduziert werden, dass die zulässige Berührungsspannung im gesamten Netz eingehalten wird. Es bedarf aber in beiden Fällen einer Abschaltung der Erdfehler. Selektive Schutzsysteme sind in beiden Ausführungen einfach umzusetzen. Hinsichtlich der Erdfehlerfaktorhöhe sind Netze, die über Begrenzungsdrosseln gegenüber solchen mit Begrenzungswiderstand geerdet sind, vorteilhaft.

Volkswirtschaftliche Beurteilung

Methode: Grundsätzlich unterscheiden sich jene Sternpunkterdungsarten, die wegen der Erdkurzschlussstromhöhe bei Erdfehlern abgeschaltet werden müssen, von denen, die keine Unterbrechungen der Versorgung erfordern. Diesbezüglich bestehen also betreffend der Versorgungsverfügbarkeit Unterschiede zwischen den Sternpunkterdungsausführungen. Um diese Auswirkungen feststellen zu können, diente die Analyse der Störungsstatistik in Verbindung mit dem Verkabelungsgrad innerhalb der letzten zehn Jahre.

Diese Datenanalyse ermöglichte eine Erdfehlerprognose sowie die da­raus abgeleiteten zukünftigen Auswirkungen auf die Versorgungsverfügbarkeit für den Fall, dass Erdschlüsse im Gegensatz zum aktuell gelöschten Netz abgeschaltet werden müssen. Unter Berücksichtigung der Voll bestand nun die Möglichkeit, den Nutzen des über Petersen-Spulen geerdeten Netzes im Vergleich zu einem, das im Erdfehlerfall einer Abschaltung bedarf, monetär zu quantifizieren. Eine Gegenüberstellung der verschiedenen Sternpunkterdungs-Systemkosten innerhalb eines Netzlebenszyklus zum jeweiligen Nutzen ermöglichte dann eine gesamtvolkswirtschaftliche Bewertung.

Ergebnisse: Ausgehend von der Erdfehlerprognose sind 2030 drei bis vier Erdschlüsse im Mittelspannungsnetz der SAK zu erwarten. Werden diese im Gegensatz zum heute gelöscht betriebenen Netz mit einer Sternpunkterdungsart betrieben, die aufgrund der Berührungsspannungen eine Erdfehlerabschaltung voraussetzt, verringern sich die Versorgungsverfügbarkeitsindices Saifi, Saidi und ENS entsprechend den Werten nach der obenstehenden Tabelle.

Die jährlichen Kosten der verschiedenen Sternpunkterdungssysteme sind untenstehendem Bild zu entnehmen. In diesen sind nebst den Systemlebenskosten auch unterschiedliche kalkulatorische Zinsen Wacc sowie jährliche Ausfallenergiewerte von 3,09 MWh unter Beachtung der Voll aus Deutschland und den Niederlanden mitberücksichtigt. Hierbei sei erwähnt, dass einzig die Erdfehler des kompensierten Netzes keine Abschaltung erfordern und deshalb betreffend Ausfallenergie einen gewissen Nutzen aufweisen.

Fazit

Auch in ländlichen Gebieten mit zunehmendem Mittelspannungskabelanteil bieten über Begrenzungsdrosseln geerdete Netze im Vergleich zu gelöschten Netzen eine kostengünstige Alternative. Netze mit isoliertem Sternpunkt neigen aufgrund der hohen Erdfehlerfaktoren zu erhöhter Überspannungswahrscheinlichkeit und sind schon bei geringen Netzausdehnungen nicht zu empfehlen.

Literatur

«Auswirkungen verschiedener Sternpunkterdungsarten in Mittelspannungsnetzen mit erhöhtem Verkabelungsgrad», Patrick Widmer, Masterarbeit, 2022.

Autor
Patrick Widmer

ist Asset-Manager bei der St. Gallisch-Appenzellische Kraftwerke AG und Dozent an der ABB Technikerschule.

  • St. Gallisch-Appenzellische Kraftwerke AG, 9001 St. Gallen

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