Fachartikel Infrastruktur , Software

Asset Management in der Zukunft

Automatisierung

03.09.2019

Wie werden Infrastrukturanlagen in 30 Jahren unterhalten und gewartet? Abschliessend lässt sich diese Frage heute natürlich noch nicht beantworten. Axpo Netze allerdings hat eine Vision, wie das Asset Management einst ablaufen könnte – und sie arbeitet daran, um diese Wirklichkeit werden zu lassen.

Zürich, Mittwochvormittag, 23. März 2050. Anouk hat gerade ihren Arbeitstag begonnen. Sie arbeitet für die Neo AG, eine führende Firma für das Management von öffentlichen Infrastrukturanlagen.

Wie gewöhnlich wird Anouk auch an diesem Morgen von AIA mit freundlicher Stimme begrüsst. AIA ist Anouks «Asset-Intelligence-Assistentin». Sie wurde in Zusammenarbeit mit anderen Schweizer Stromnetzbetreibern entwickelt und hat sich als Branchenstandard für das Management technischer Anlagen durchgesetzt. AIA sammelt, bewertet und kommuniziert sämtliche Anlageninformationen. Durch intelligente Algorithmen gibt sie Empfehlungen an die Neo AG. AIA informiert auch andere Asset-Management-Unternehmen, das Bundesamt für Infrastruktur und die kantonalen Behörden über den Stand ihrer Anlagen. Weiterentwickelt wird AIA nicht zuletzt auch von Dritten, denn nicht systemkritische Daten und Algorithmen sind öffentlich zugänglich.

An diesem Morgen schaut sich Anouk die Algorithmen für die automatisierte Erneuerungsplanung von Strom- und Spannungswandler genauer an. Sie hat aufgrund von vergleichbaren Messgruppen den Verdacht, dass die von AIA empfohlenen Erneuerungszyklen für einen spezifischen Wandler-Typ zu kurz sind. Wahrscheinlich hat dies mit Unregelmässigkeiten an Messgruppen eines Stromnetzbetreibers in Frankreich zu tun, welche vom gleichen Typ sind. Plötzlich meldet AIA eine Störung im Raum Baden. Bei mehreren Kunden ist die Stromversorgung unterbrochen. Durch die Verbindung mit dem Netzleitsystem und mit Hilfe der Eris-Berechnungen (siehe Kasten unten) hat AIA bereits reagiert und die optimale Netzkonfiguration bestimmt. Die Kunden waren somit schnell wieder mit Strom versorgt.

Gleichzeitig übermittelt AIA ein Live-Bild des betroffenen Unterwerks. Im hinteren Bereich der Freiluftschaltanlage wird Anouks Aufmerksamkeit auf einen gelb hervorgehobenen Hochspannungs-Leistungsschalter gelenkt. Anouk wundert sich, denn schon seit einigen Jahren gab es bei den durch Sensorik überwachten Betriebsmitteln keine ungeplanten Vorfälle mehr. AIA hatte stets auf Unregelmässigkeiten reagiert und Aufträge für Instandhaltungsmassnahmen ausgelöst. AIA informiert sie, dass es sich um einen fremdverursachten Schaden handle. Als Anouk den Bildausschnitt näher zum Leistungsschalter hinbewegt, stellt sie sofort die Ursache fest: Die Ladung einer Paketdrohne, welche den Luftraum über dem Unterwerk als Flugstrasse nutzt, liegt neben dem Betriebsmittel.

Anouk bestimmt mit AIA umgehend die Grösse des Pakets. Sie stellt fest, dass es zu gross ist, um vom «Quick Maintenance Robot» entfernt werden zu können. «Kein Problem», denkt sich Anouk mit einem Lächeln, denn AIA hat bereits das Schadensausmass analysiert und empfiehlt die Ausführung des Standardkonzepts Nr.  3. Früher musste Anouk zur Schadensbehebung verschiedene Hürden überwinden. Heute ist es viel einfacher. Anouk kann den Vorschlag von AIA annehmen oder eine andere Lösung wählen. Da sie jedoch beste Erfahrungen mit den Systemvorschlägen gemacht hat, löst sie den Auftrag aus. AIA kümmert sich nun um alles Weitere. Sie legt den richtigen Zeitpunkt für den Ersatz der havarierten Komponente fest, erteilt die Arbeitsaufträge an das nächstgelegene Service-Team, kontaktiert den Drohnenbetreiber und klärt Versicherungsfragen. Zudem ermittelt sie umgehend einen passenden Ersatz für den Leistungsschalter mit optimalen Zuverlässigkeitskennzahlen. Dieser kann bei einem Netzbetreiber im Ausland zu attraktiven Konditionen bestellt werden.
Anouk bedankt sich bei AIA, analysiert noch kurz die Algorithmen der Messwandler-Erneuerung, holt sich einen Kaffee und widmet sich anschlies­send ihrem Nebenjob: dem Schreiben von Science-Fiction-Romanen.

Der Weg zur Vision

AIA ist eine Vision für das zukünftige Management von Infrastrukturanlagen. Wie im Jahr 2050 Infrastrukturanlagen betrieben werden, ist heute noch völlig offen. Das Asset Management von Axpo Netze geht davon aus, dass neue digitale Technologien und weitere Innovationen in den nächsten Jahrzehnten die klassische Verwaltung von Infrastrukturanlagen deutlich verändern und automatisieren werden. Obenstehende Tabelle sowie die folgenden Abschnitte geben einen Überblick, was Axpo Netze bereits getan hat, wie der heutige Stand ist und welches die nächsten Schritte hin zu einer Asset-Intelligence-Assistentin sind.

Gestern

Axpo Netze hat 2012 begonnen, dezentrale technische Daten zentral im SAP-Modul «Plant Maintenance» abzulegen. In der Folge wurden sowohl eine IT-basierte Zustandsbewertung und Asset-Simulation als auch eine mobile Instandhaltung unter Verwendung von Tablets eingeführt. Dieser Schritt löste die bisherigen Papierprotokolle für die Zustandserfassung ab und führte eine elektronische Erneuerungsplanung ein. Parallel baute Axpo Netze ein Geoinformationssystem auf. Beide Systeme verfügen über direkte Schnittstellen zur «Plant Maintenance». Dies verbessert die zentrale und transparente Datenablage und -speicherung. Um die organisatorisch getrennte Zielnetz- und Erneuerungsnetzplanung zusammenzuführen, wurde das Asset Management im Frühjahr 2017 reorganisiert und unter anderem in ein strategisches und operatives Asset Management aufgeteilt. Netz- und Erneuerungsplanung wurden somit in einen durchgängigen Planungsprozess integriert. Im Controlling-Bereich wurden zudem auf Basis einer Business-Intelligence-Software ein Data Mart für Daten aus den SAP-Finanzmodulen sowie verschiedene Applikationen zur Visualisierung dieser Finanzdaten erstellt.

Heute

Die in den letzten Jahren realisierten Initiativen führen dazu, dass die Abteilung «Strategisches Asset Management» bei Axpo Netze heute die Zielnetzplanung, die Zustandsbewertung sowie die finanzielle Planung in einem integrierten Planungsprozess durchführt. Die dabei eingesetzten Applikationen kommunizieren heute über Schnittstellen miteinander. So fliessen beispielsweise Daten aus der Netzplanung in die Zustandsbewertung ein und vice versa bewertete Zustände in die Netzplanung.

In diesem Prozess kommt der Eris-Kennzahl eine zentrale Bedeutung zu. Zum einen definiert sie das Mass der Versorgungssicherheit, zum anderen wird sie als Bestandteil der Zustands- und Wichtigkeitsbewertung eingesetzt. Dabei ist unter anderem neu, dass bei der Bestimmung der Wichtigkeit eines Betriebsmittels auch der Zustand der umliegenden, für den Netzbetrieb relevanten Betriebsmittel einbezogen wird. Das Vorgehen gewährleistet eine gesamtheitliche Bewertung, welche die Anforderungen aus Systemsicht ideal berücksichtigt. Die Eris-Methodik wird heute jedoch ausschliesslich für die Planung im Asset Management und noch nicht für die netzbetrieblichen Prozesse im Störfall oder bei einer Ausserbetriebnahme verwendet.

Um die Zugänglichkeit zu den technischen Daten der Netzbetriebsmittel aus SAP und den umliegenden Systemen zu vereinfachen, hat Axpo Netze in den letzten beiden Jahren bestehende Business-Intelligence-Lösungen aus dem Finanzbereich weiterentwickelt. Mit dem sogenannten «Asset Cockpit» (Bild  unten) können technische, netzwirtschaftliche und finanzielle Daten einfach abgerufen werden. Die grafischen Darstellungen unterstützen die Nutzerinnen und Nutzer bei der Interpretation der Daten und tragen zu einer besseren Verständlichkeit bei. Um sowohl den gesamten Bereich Business Intelligence und Datenanalyse weiter zu professionalisieren als auch die Digitalisierung weiter voranzutreiben, wurde die Organisation im Frühling um ein neues Team erweitert.

In Entwicklung

Die Digitalisierung hat längst begonnen. Bis zur Umsetzung der Vision ist jedoch noch ein weiter Weg zu gehen. Die bestehenden Systeme und Prozesse sind zwingend weiterzuentwickeln. In SAP bedeutet dies mittelfristig, technische und finanzielle Module verstärkt zu integrieren. So soll zum Beispiel das von der Beschaffung genutzte Modul «Material Management» stärker als heute mit dem Modul «Plant Maintenance» interagieren. Im Schadensfall kann so vereinfacht überprüft werden, ob entsprechende Ersatzteile verfügbar sind. Falls nicht, können Ersatzteile direkt vom Instandhaltungsteam bestellt oder in Zukunft gegebenenfalls mittels 3D-Druck umgehend hergestellt werden.

Bei den an SAP angrenzenden Systemen und Applikationen muss die Digitalisierung ebenfalls weiter vorangetrieben werden. Verschiedene Tätigkeiten im Asset Management, im Netzbetrieb sowie in der Netzwirtschaft sind heute noch mit grösserem manuellen Aufwand sowie mit Systembrüchen verbunden. Nicht zuletzt auch deshalb, weil die zugrunde liegenden Daten noch nicht die gewünschte Qualität aufweisen. Als Übergangslösung wird aktuell die «Robotic Process Automation» forciert. Auch die Massnahmen der Digitalisierungsstrategie werden den manuellen Aufwand und die bestehenden Systembrüche kontinuierlich verringern. So wird im Netzbetrieb beispielsweise geprüft, wie das Störfallmanagement und die Ausserbetriebnahme-Planung schrittweise automatisiert werden können.

Das Strategische Asset Management will vor allem die Schnittstellen zwischen den Applikationen erweitern, damit zum Beispiel Zielnetze unter Bezug von geografischen und topologischen Informationen computergestützt entworfen werden können. Unter der Prämisse, eine Systemarchitektur bereitzustellen, in welcher sämtliche Module und Anwendungen vollständig integriert sind, wird zurzeit ein weiterer Automatisierungsschritt zwischen den Applikationen «Netzberechnung», «Asset Simulation» und «SAP Plant Maintenance» vorangetrieben.

Ein wichtiges Schlagwort für die weitere Entwicklung ist Predictive Maintenance (vorausschauende Instandhaltung). Da die bisher bei den Netzen erhobenen Zustands- und Ausfalldaten meist nicht ausreichen, um aussagekräftige Analyseverfahren und -applikationen zu durchlaufen, hat Axpo Netze drei Stossrichtungen identifiziert. Erstens sollen Informationen aus dem internen Netzleitsystem vermehrt in die Vorgänge im Asset Management einbezogen werden. Zweitens wird angestrebt, die Netzanlagen mit zusätzlicher Sensorik auszustatten. Axpo Netze plant hierzu verschiedene Piloten mit unterschiedlichen Herstellern. Drittens ist das Unternehmen davon überzeugt, dass Predictive Maintenance im Netzbereich nur dann möglich ist, wenn Betriebsmitteldaten zwischen Netzbetreibern und auch Herstellern ausgetauscht und analysiert werden können. Axpo Netze nimmt aktuell an den zwei Pilotprojekten «Nuam»1) und «Asset Intelligence Network»2) teil.

Zuletzt sollen das Asset Cockpit und das Geoinformationssystem so gestaltet werden, dass geschäftsrelevante Informationen nutzergerecht, schnell, im gewünschten Format (beispielsweise als Virtual oder Augmented Reality) und am gewünschten Ort verfügbar sind. Die Qualität der zugrunde liegenden Daten soll jederzeit automatisiert kontrolliert und mit gezielten Massnahmen verbessert werden. Die dafür benötigten Datenarchitektur und Systeme werden in den nächsten Jahren iterativ aufgebaut und legen dann zusammen mit den oben beschriebenen Entwicklungen die Grundlage für die Asset Intelligence Assistentin (AIA) der Zukunft.

1) Das Neutral Utility Asset Management (Nuam) ist eine Initiative von Groupe  E und der Universität Fribourg. Es zielt auf den Austausch von einheitlich strukturierten Zustands- und Ausfalldaten zwischen Netzbetreibern ab. Seit dem Frühjahr 2019 läuft ein Pilotprojekt, an dem Axpo Netze beteiligt ist.
2) Das Asset Intelligence Network (AIN) ist ein SAP-Modul, welches für den Austausch von Dokumenten und Betriebsmitteldaten zwischen Herstellern und Betreibern von technischen Anlagen gedacht ist. Ein erster Pilot bezüglich AIN wurde im Herbst 2018 zwischen Avectris, ABB und Axpo Netze durchgeführt. Avectris prüft aktuell ein weiteres Rollout.

Eris

Die Bedeutung der quantitativen Beurteilung der Versorgungssicherheit im Betrieb sowie in der Netzplanung nimmt zu. Axpo hat deshalb die Qualitätskennzahl Eris (Evaluation of Reliability Index for electric Systems) entwickelt. Diese berücksichtigt neben der Netztopologie und dem Zustand einzelner Betriebsmittel verschiedene Last- und Produktionssituationen. Mit der Qualitätskennzahl Eris können ausserdem die Auswirkungen von Investitionen auf die Versorgungssicherheit bewertet werden (siehe axpo.com). Eris wird als Zusatzmodul von Neplan angeboten. Zusätzlich ist Axpo mit der Firma Entellgenio dabei, eine auf Eris basierte Asset-Simulation aufzubauen.

Autor
Johannes Manser

ist Leiter Geschäfts- und Datenanalytik bei Axpo Grid AG.

  • Axpo Grid AG, 5401 Baden
Autor
Daniel Moor

ist Leiter Strategisches Asset Management bei Axpo Grid AG.

  • Axpo Grid AG, 5401 Baden

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