Rückschau IT für EVU , Smart Grid

Am Stromnetz der Zukunft arbeiten

Energieinformatik 2017, Lugano

05.10.2017

An der 6. DACH-Konferenz zur Energie­informatik trafen sich am 5. und 6. Oktober 2017 Forschende und Interessierte haupt­sächlich aus der Infor­matik, aber auch aus der Energie­branche. Das Spektrum der vorge­stellten Ansätze reichte von Smart-Grid-Simula­tionen und entspre­chenden Tools über Sensor­daten-Auswer­tung bis zur markt­basierten Last­steuerung.

Mit einer Big-Data-Analyse wurde die Konferenz eröffnet. Kamin Whitehouse, Professor an der University of Virginia, ging in seiner Keynote auf die Nutzbarmachung von Gebäudesensoren zur Energie­einsparung ein. Das grösste Problem stelle die Datennormalisierung dar – man braucht einheitliche Daten von eindeutig lokalisierbaren Sensoren. Eine weitere Frage ist die der Interpretation: Wie verhalten sich diese Daten z.B. zum Komfort oder zum Unterhalt? Gewöhnlich werden die Sensordaten nämlich in geschlossenen Regelsystemen für lokale Zwecke verwendet. Sie sagen deshalb nichts aus über die Zusammenhänge der Sensoren im Gebäude. Dieses Mapping aller Sensoren, d.h. das Erfassen der Bezie­hungen zwischen ihnen, ist zeit­raubend und teuer, wenn es anhand von Schaltplänen geschieht.

Whitehouse schlägt vor, das Mapping mit Analytics zu automatisieren, um aus der Menge der Sensordaten herauszufinden, welcher Art die Sensoren sind, beispiels­weise Tempe­ratur­fühler, wie sie zusam­men­hängen und wo sie sich befinden. Wenn man es schafft, Sensor­daten auf diese Weise zu analysieren, könnte man die Methode bei vielen Gebäuden einsetzen und wäre äusserst effizient. Dann könnten Sensoren durch die Rekon­struk­tion ihres Kontextes für Energie­optimie­rungen genutzt werden, die ursprünglich nicht für solche Zwecke vorgesehen waren.

Aber Whitehouse ging auch auf eine andere Art der Rekonstruktion ein: auf die Extrapolation von Daten bei fehlenden Sensoren. Dies bietet sich bei älteren Gebäuden an, bei denen Sensoren aus Kostengründen nicht nachträglich installiert werden, man aber trotzdem das energetische Optimum erreichen möchte. Energie­rele­vante Daten können aus vergleich­baren Gebäuden (Kubatur, Anzahl Bewohner, K-Werte) extrapoliert werden. Hoch­auflösende Zählerdaten wären dann nur von wenigen Gebäuden nötig, die Installation vieler Sensoren würde sich erübrigen.

Solar betriebene E-Mobilität

René Buffat und Dominik Bucher, ETH Zürich, gingen in ihrem Paper dann der Frage nach, welcher Anteil des Pendler­verkehrs sich mit auf Dächern installierten Solar­modulen versor­gen liesse. Ihre radikale Voraus­setzung: Alle Pendler fahren elektrisch. Drei Szenarien wurden untersucht: Das Laden in der Firma, gemischtes Laden sowie das Laden zu Hause. Letzteres benötigt lokale Speicher, denn das Fahrzeug steht tagsüber am Arbeitsort. Die Unter­suchung zeigte, dass mit der maxi­malen Anzahl an PV-Modulen, exklusiv für Mobilitätszwecke eingesetzt, rund 90 % des Strombedarfs aller Schweizer Pendler abgedeckt werden könnte. Mit dem Heimlade-Szenario kommt man zwar auf praktisch 100 %, benötigt aber die erwähnten Speicher.

Lasten und Batterien simulieren

Da das Energiesystem sehr komplex ist, spielen Modellier- und Simulier­ansätze eine wichtige Rolle, um zu erfahren, wie es sich bei Verände­rungen verhalten könnte. Lukas Exel, Universität des Saarlandes, erläuterte, wie man die Energie­kompo­nenten mit der IT koppelt und wie es diese Kopplung ermöglicht, das Energie­system mit dem Markt zu verbinden. Beispiels­weise werden Lade­strategien von den Faktoren Netzsituation, Kunden­präferenzen und der Markt­situation abhängen.

Mit Simulationen kann die Interaktion zwischen Energie­märkten und techni­schen Kompo­nenten untersucht werden. Exel stellte das Tool Moces vor, das drei Schichten verbinden kann: die physische Schicht (PV, Wind, Lasten), die wirtschaftliche Schicht (Markt) und die Infor­mations­schicht (Umgebung, Prognosen). Mit dem Tool wurde das deutsche Energie­system mit Über­tragungs­leitungen und Kraftwerken simuliert. Man erhält damit ein relativ detailliertes Verhalten des Systems, u.a. die Netzfrequenz und Grafen zu Angebot und Nachfrage. Auch die Effekte auf das Übertra­gungs­netz können analysiert werden. Man sieht, wie sich Systeme nach Struktur- und Prozess­veränderungen verhalten.

Den Einsatz eines virtuellen Batteriespeichers stellten Forscher der FAU Erlangen vor. Sie untersuchten die Szenarien «nur Pumpspeicher», «nur virtuelle Batterien» sowie «Pumpspeicher mit virtuellen Batterien». Viele Aspekte sollten in die Simulation einbezogen werden, beispielsweise die Alterung der Batterien sowie die Batteriekosten, was die Simulationen unübersichtlich macht. Die Studie führte u.a. zur Einsicht, dass mehr Speicher die Nachhaltigkeit nicht zwingend erhöhen, denn es besteht die «Gefahr», Kohlekraftwerke mit voller Leistung zu betreiben, denn die überschüssige Energie lässt sich ja dann gut zwischenspeichern.

Kosimulationen im Vergleich

Eine Präsentation ging auf die Kopplung von Simula­tions­tools und auf die Wahl einer geeigneten Simula­tions-Plattform ein. Dabei wurde HLA (High Level Architecture) mit Mosaik verglichen: HLA ist ein beim US Department of Defense etablierter Standard mit vielen Implementierungen und einem hohen Freiheitsgrad. Mosaik ist ein Open-Source-Werkzeug von Offis, bei dem der Benutzerfreundlichkeit eine hohe Priorität eingeräumt wurde. Gewisse Struktur­analogien sind zwischen diesen Werkzeugen vorhanden: Es hat einen Communication Hub, Komponenten­schnitt­stellen und eine Spezifikation der Kompo­nenten­inter­aktion. HLA bietet zwar mehr Dienste und somit mehr Freiheit, aber wenn man eine Kosimulation durchführen will, startet man besser mit Mosaik, da es einfacher ist.

Warmwasser-Monitoring

Da der Warmwasserverbrauch rund einen Sechstel des Gesamt­verbrauchs von Haus­halten beträgt, ist er ein wichtiger Energie­sparfaktor. Bewohner sind sich oft nicht bewusst, wie viel Energie sie täglich mit dem Warmwasser verbrauchen. Um das entspre­chende Bewusstsein schärfen zu können, entwickelten Forscher der Uni Bamberg ein System, mit dem der Warm­wasser­verbrauch einzelner Verbraucher (Dusche, Geschirrspüler etc.) erfasst werden kann. Die Wasserdaten wurden in zwei Häusern an einem zentralen Rohr mit Ultraschallsensoren (Durchflussgeschwindigkeit) gesammelt und die Ereignisse untersucht. Dabei wurden 41 Charakteristika des Abwasser­durch­flusses wie Zeitdauer und Durchfluss­geschwin­digkeit extrahiert und klassifiziert, um WC-Spülung, Wasserhahn und Wasch­maschine unter­scheiden zu können. Am einfachsten lässt sich der Geschirrspüler aufgrund seines Wasser­ablauf­verhaltens detektieren.

Die Unterscheidungs-Zuverlässigkeit der eingesetzten Algorithmen lag im Schnitt über 80 % beim Random-Forest-Klassifi­zierungs­verfahren – höher als bei neuro­nalen Netzen. Was aber bei der Studie leider nicht berücksichtigt wurde, war die Wasser­temperatur, d.h. der konkrete Energie­verbrauch. Dies soll in späteren Studien erfolgen.

Ist jemand zu Hause?

Der Heizenergiebedarf lässt sich optimieren, wenn man weiss, ob jemand zu Hause ist und einen gewissen Komfort erwartet. Eine Präsentation war deshalb der Prädiktion (University of Southern Denmark) und eine weitere (ETH Zürich) der Detektion der Präsenz von Bewohnern anhand der vorhandenen Infra­struktur gewidmet. Letztere überzeugte mit zuverläs­sigen Resultaten, die ausschlies­slich aus halb­stündlichen Daten von elektronischen Stromzählern extrahiert wurden. Erstaunlich, was sich aus relativ groben Smart-Meter-Daten ermitteln lässt. Da stellen sich aber auch Datenschutzfragen, da Unbefugte Zähler­daten abfangen und mittels der vorgestellten Algorithmen feststellen könnten, ob jemand zu Hause ist.

Kooperationen in der Praxis

Den zweiten Tag, der primär der Laststeuerung gewidmet war, eröffnete Wolfgang Korosec, Head of IT der St.  Galler Stadtwerke, mit seiner Keynote. Die Stadtwerke wollen den Verbrauch fossiler Brennstoffe mit einem Fernheizsystem deutlich reduzieren. Dazu wird eine GIS-Datensammlung mit Gebäudedaten, Heizsystemen und Netz eingesetzt. Durch den Einsatz von Enerpol, einem Simulationssystem für grosse Energiesysteme, beteiligt sich die ETH Zürich an diesem Projekt. Der Vorteil dieser Zusammenarbeit ist die gegenseitige Befruchtung, denn die Bedürfnisse der Partner ergänzen sich: Die ETH-Forscher sind auf echte Daten aus der Praxis angewiesen, um ihr System erweitern zu können; die Stadtwerke haben diese Daten zwar, benötigen aber das Simulationssystem und die damit verbundene Expertise, um ihr Energieziel zu erreichen.

Korosec schilderte Probleme, die sich ergeben, wenn unter­schiedliche Partner zusammen­arbeiten, und gab Empfeh­lungen, wie man Koope­rationen gestaltet, damit sie möglichst effizient sind. Beispielsweise müssen Sprach­fähigkeiten, Ausbil­dungs­niveaus und die Stellung im Betrieb berücksichtigt werden. Eine passende Struktur, z.B. Joint Venture, kann auch hilfreich sein. In der Kooperation wurde berechnet, wie hoch die Wahr­schein­lich ist, dass sich neue Haus­besitzer ans Netz anschliessen lassen.

Korosec riet, Präsenta­tionen möglichst einfach zu gestalten, mit selbsterklärenden Grafiken. Komplexi­täten werfen nur unnötige Fragen auf, kosten Zeit und lenken vom Wesentlichen ab.

Ein Kommentar aus dem Publikum machte auf eine grundsätzliche Heraus­forderung aufmerksam: Computer­wissen­schaftler befassten sich mit Problemen, die in der Praxis häufig irrelevant sind, und Fachleute seien ihrerseits oft nicht in der Lage, ihre Probleme so zu formulieren, dass sie als Ausgangs­lage für Forschende dienen könnten. Inter­disziplinäres Denken und eine Sprache, die von allen Beteiligten verstanden wird, sind nötig.

Das Potenzial von Blockchain

Dann rückte Blockchain ins Rampenlicht: Fabian Knirsch, Salzburg, ging auf den wachsenden Anteil E-Fahrzeuge ein und auf die Möglichkeiten von Blockchain, um mehrere Stromtarife realisieren und die Verrechnung geschützt durchführen zu können: Nur die Ladestation weiss, wer Strom tankt, die anderen Komponenten können die Identität des Fahrers nicht feststellen. Zudem sind die Ladestationen nicht verbunden, d.h. man kann die Fahrt des E-Mobils nicht anhand der Ladevorgänge rekonstruieren.

Heute gibt es diverse Blockchain-­Typen. Allen gemeinsam ist, dass Daten in der Blockchain nicht verändert werden können und dass es keine zentrale vertrauenswürdige Partei gibt. Jeder hat Zugriff auf die verschlüs­selten Daten, aber nur die in der Transaktion beteiligten Instanzen können die Daten entziffern. Blockchain bietet sich also als mögliche Lösung für Situationen an, in denen Lade­stationen nicht einem einzelnen EVU zugeordnet sind, sondern dynamisch von verschiedenen Versorgern genutzt werden können.

«Brauchen wir überhaupt Blockchain im Energiesektor?» Mit dieser provokanten Frage stieg die Wirtschafts­wissen­schafterin Esther Mengelkamp, KIT, ins Thema ein. Die Literaturstudie ergäbe heute kein klares Bild, welche Vor- und welche Nachteile man sich mit Blockchain einhandelt; man ist sich noch nicht einmal einig, welche Eigenschaften als nützlich und welche als hinderlich betrachtet werden. Ein Nachteil ist sicher das Einführen einer neuen, noch unbekannten Technologie in den funktionie­renden Energiemarkt. Simula­tionen mit lokalen Energie­märkten seien zwar bereits möglich, aber es ist noch nicht klar, ob Blockchain auf nationale Märkte ausgeweitet werden kann, denn die entste­henden Datenmengen wären riesig.

Autor
Radomír Novotný

ist Chefredaktor des Bulletins Electrosuisse.

  • Electrosuisse
    8320 Fehraltorf

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