Fachartikel Infrastruktur , IT für EVU , Produktion

Versorgungs­sicher­heit im Fokus

Die Schweiz verfügt über eine hohe Versorgungssicherheit, ausruhen darf sie sich darauf aber nicht

17.12.2016

Seit über einem Jahrhundert nehmen die Schweizer Energieversorger ihre anspruchsvolle Aufgabe mit grosser Verantwortung wahr. Im Vergleich zum europäischen Ausland kommt es in der Schweiz nur zu minimalen Stromausfällen, was auch den guten Zustand der hiesigen Netze dokumentiert. Um ihren Standortvorteil und ihre hohe Lebensqualität langfristig zu sichern, muss die Schweiz diese hohe Versorgungssicherheit aufrechthalten. Die Betreiber stehen vor grossen Herausforderungen, die sie nur mit entsprechenden Handlungsfreiheiten bewältigen können.

Die Stromnetze sind die Lebensadern unserer Gesellschaft. Zusammen mit den Kraftwerken ermöglichen sie das moderne Leben, wie wir es kennen. Dementsprechend wurde die Bedeutung der Versorgungssicherheit schon in zahlreichen Publikationen und Reden hervorgehoben – von Politikern, Energieversorgern und Verantwortungsträgern der Krisenorganisationen. Eine hohe Versorgungssicherheit ist daher ein wichtiger Standortvorteil, weil schon kürzeste Versorgungsunterbrüche bei Unternehmen zu Ausschuss und Prozessstörungen führen. Bei längeren Unterbrüchen wird beispielsweise die Kühlkette von Lebensmitteln unterbrochen, Kühe können nicht mehr gemolken werden, Kläranlagen müssen den Betrieb einstellen und die Treibstoffpumpen von Tankstellen fallen aus.

Die Energieversorger nehmen ihre anspruchsvollen Aufgaben seit über 100 Jahren mit einem sehr guten Leistungsausweis wahr [1]. So betrug die durchschnittliche Unterbrechungsdauer pro Endverbraucher im Jahr 2015 in der Schweiz gesamthaft 21 Minuten. Im Vergleich dazu liegt die höchste vertraglich vereinbarte Verfügbarkeit für IT-Dienstleistungen üblicherweise bei 99,9 %, was einem Ausfall von etwas über acht Stunden pro Jahr entspricht. Wie Bild 1 zeigt, gibt es auch im Vergleich mit unseren Nachbarländern sehr wenig Stromausfälle, was den sehr guten Zustand der Schweizer Netze belegt. Diese hohe Versorgungssicherheit muss die Schweiz beibehalten, um ihren Standortvorteil und ihre hohe Lebensqualität langfristig zu sichern.

Das Dreieck der Energieversorgung

Doch was heisst eigentlich Versorgungssicherheit? Um eine hohe Versorgungssicherheit sicherzustellen, muss das Dreieck Produktion-Transport-Speicherung jederzeit fehlerfrei funktionieren (Bild 2).

Produktion

Um die Nachfrage der Endverbraucher zu befriedigen, müssen jederzeit genügend Kraftwerke Energie produzieren. Dies gilt nicht nur für den Sommer, sondern auch für jede Minute einer Winternacht. Im Fokus der Medien und der Politik stehen dabei oft nur die jährlichen Produktions- und Verbrauchszahlen. Diese geben jedoch keinen Aufschluss über den zeitlichen Verlauf oder die Steuerbarkeit der Produktion und des Verbrauchs. Sie lassen folglich auch keine Aussage zu den verfügbaren Reserven bei ungünstigen Bedingungen zu. Der Ausbau von steuerbaren Kraftwerken, wie zum Beispiel Wasserkraftwerke, darf daher nicht ausser Acht gelassen werden.

Transport

Die Kraftwerke können nur dann Energie produzieren, wenn sie über die Netze mit den Endverbrauchern und gegebenenfalls den Speichern verbunden sind und die Energie somit transportiert werden kann. Die wachsende dezentrale Produktion vermindert die Kosten für die Netze kaum, da auch ein Endverbraucher mit eigener Produktion und Speicher zu gewissen Zeiten Energie in das Netz abgeben und zu anderen Zeiten aus dem Netz beziehen wird. Völlig energieautarke Gebäude sind heute technisch zwar möglich, wirtschaftlich aber nicht sinnvoll. Da die vielen dezentralen Kraftwerke ein anderes Netz benötigen als wenige zentrale Kraftwerke, bedingt der Umbau des Kraftwerkparks auch einen Umbau der Netze.

Um die Energieversorgung auch in Zeiten mit geringer inländischer Produktion sicherzustellen, ist die Anbindung an das europäische Netz für die Schweiz von zentraler Bedeutung. Im Winter 2015/1016 beispielsweise war die Versorgungslage aufgrund verschiedener Faktoren sehr angespannt. Wegen der begrenzten Transformationskapazitäten konnte die fehlende Energie nicht in der gewünschten Menge importiert werden. Ein weiterer äusserst wichtiger Faktor ist daher der Zustand und der notwendige Ausbau des Übertragungsnetzes sowie der Verteilnetze. Die langen Bewilligungsverfahren verzögern oder verhindern diesen notwendigen Ausbau der Netze jedoch. Sie tragen damit zu einer schleichenden Reduktion der Versorgungssicherheit bei.

Speicherung

Zu viel produzierte Energie muss gespeichert werden, um damit zu einem späteren Zeitpunkt fehlende Produktion auszugleichen. Grössere Energiemengen können heutzutage aber nur in Pumpspeicherkraftwerken gespeichert werden.

Weitere Faktoren

Über diese drei Punkte hinaus gibt es weitere Aspekte der Versorgungssicherheit, die zum Beispiel die Beschaffung und den Einsatz der Regelenergie beinhalten, um Frequenz und Spannung innerhalb der technischen Grenzwerte zu halten. Zu guter Letzt müssen auch die OT (Operational Technology, Leit- und Steuersysteme) und IT gegenüber Eindringlingen geschützt werden.

Grosse Veränderungen müssen bewältigt werden

Die Energieversorgung befindet sich im grössten Umbruch seit Jahrzehnten. Durch Subventionen und politische Vorgaben verändert sich der Produktionsmix sehr stark. Insbesondere die Produktion von PV-Energie wird stark ausgebaut. Private können so mit relativ geringem finanziellem Aufwand Energie produzieren, wodurch sich die Anzahl der Produzenten vervielfacht hat. Kleinere Kraftwerke geniessen gemäss Art. 7 des Energiegesetzes eine Abnahmegarantie, müssen sich aber nicht an der Sicherstellung der Versorgungssicherheit beteiligen. Die Betreiber von grossen Kraftwerken bewegen sich im freien Markt und haben auch keinen gesetzlichen Versorgungsauftrag. Netzbetreiber haben die Pflicht, die Versorgung der Endverbraucher sicherzustellen, müssen dies aber ohne direkten Zugriff auf Kraftwerke bewerkstelligen. Diese Problematik ist seit der angespannten Lage im Winter 2015/2016 bekannt, eine Lösung wurde bisher aber noch nicht gefunden.

Die im Sommer produzierte PV-Energie kann vorläufig aber noch nicht bis zum nächsten Winter gespeichert werden, da die dafür notwendigen Speicherkapazitäten in Pumpspeicherkraftwerken fehlen. Auch bei Batterien ist noch keine Technologie bekannt, welche diese Energiemengen speichern könnte. Einige Unternehmen setzen auf Wasserstoff als langfristigen Energiespeicher, auch wenn dabei zirka zwei Drittel der Energie verloren gehen (Wird aus elektrischer Energie Wasserstoff hergestellt, gespeichert und später wieder verstromt, wird üblicherweise ein Gesamtwirkungsgrad um 35 % angegeben). Diese Lösung bedingte daher neben hohen Investitionen in Wasserstoff-Speicheranlagen auch einen massiven Ausbau von erneuerbaren Energien, da im Sommer dreimal so viel Energie produziert werden müsste wie im Winter nachgefragt wird. Der Neubau von thermischen Kraftwerken ist sowohl politisch als auch gesellschaftlich nicht opportun. Da die Energieproduktion langfristig aber nicht durch inländische Kraftwerke gesichert ist, müssen die Voraussetzungen für Neubauten verbessert oder die Produktion im Ausland und Importkapazitäten für den Transport gesichert werden.

Der Kostendruck steigt

Es ist zu beobachten, dass der Kostendruck auf die Netze steigt. Werden Unterhalt, Erneuerung oder Ausbau reduziert, drohen mehr Ausfälle und langfristig ein Investitionsstau. Der Zustand der Netze reagiert nur träge auf Veränderungen im Ausbau und Unterhalt. Werden also weniger Mittel in Netzunterhalt und -neubau investiert, dauert es sehr lange, bis sich eine Reduktion der Zuverlässigkeit schon nur abzuzeichnen beginnt. Die Umsetzungen von Verbesserungsmassnahmen ist zu diesem Zeitpunkt aber in der Regel mit sehr gros­sem Aufwand und hohen Kosten verbunden.

Auch Smart Meter, Smart Home und Automatisierung verlangen immer komplexere Verbindungen zu anderen Systemen und führen zu immer mehr IT im Prozess der Energieversorgung. So werden IT- und OT-Systeme, welche bisher traditionell unabhängig vom Internet betrieben werden, immer stärker vernetzt. Dies führt automatisch zu einer erhöhten Verwundbarkeit der Energieversorgung, weil vernetzte und komplexe Systeme mehr Angriffsflächen aufweisen.

Daneben stehen ebenfalls organisatorische Veränderungen an. Die Energieversorgung war bis 2007 durch integrierte Versorgungsunternehmen sichergestellt worden, welche Kraftwerke und Netze betrieben und Endverbraucher belieferten. Die Liberalisierung hatte aber eine Aufspaltung der Energieversorger in regulierte Betreiber eines Marktplatzes (Netzbetreiber) und Marktteilnehmer (Kraftwerksbetreiber, Händler und Lieferanten) zur Folge.

OSTRAL bereitet Massnahmen vor

Auf Basis des Landesversorgungsgesetzes bereitet OSTRAL [3] Massnahmen vor, um eine Energiemangellage zu bewältigen. In einer Mangellage steht zu wenig Energie zur Verfügung, weil zum Beispiel die Pegel der Stauseen aufgrund anhaltender Trockenheit zu niedrig sind (Bild 3) und auch nicht genügend Energie importiert werden kann. Durch die vielen neuen Marktteilnehmer und Marktprozesse wird diese Aufgabe komplexer und anspruchsvoller.

Verschiedene Marktteilnehmer haben ihren Sitz im Ausland, sind Quereinsteiger und müssen sich im freien Markt behaupten. Um den Markt nicht zu beeinflussen, dürfen zudem betriebliche Informationen nicht mehr wie bis anhin verteilt werden. OSTRAL hat auf diese Veränderungen reagiert und die Prozesse angepasst. Beim VSE wurde eigens eine neue Stelle geschaffen, welche die gesteigerte Komplexität und die gewünschte Beschleunigung dieser Arbeiten professionell bewältigen soll.

Fazit

Sehr viele anspruchsvolle Prozesse und Aufgaben zur Aufrechterhaltung der hohen Versorgungssicherheit sind von zentraler Bedeutung. Insbesondere die verfügbaren Kraftwerkskapazitäten, die Netzregelung, die Zuverlässigkeit der Netze sowie gut geschützte IT- und OT-Systeme müssen tadellos funktionieren, um Unterbrüche zu verhindern. Wird auch nur einer dieser Faktoren vernachlässigt, verschlechtert dies die Versorgungssicherheit nachhaltig. Die Netzbetreiber, Kraftwerksbetreiber und weiteren Involvierten stehen vor grossen Herausforderungen und benötigen auch langfristig ausreichende Freiheiten, Kompetenzen und Mittel, um den heutigen hohen Standard langfristig gewährleisten zu können.

Referenzen

[1] Siehe zum Beispiel die top Platzierung der Schweiz im Energy Trilemma Index des World Energy Council https://trilemma.worldenergy.org/
[2] www.swissgrid.ch, Rubrik «Aktuell».
[3] Weitere Informationen zur Organisation für Stromversorgung in Ausserordentlichen Lagen (OSTRAL) sind unter www.ostral.ch abrufbar.

Autor
Olivier Stössel

ist Leiter Technik und Sicherheit beim VSE.

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