Fachartikel Infrastruktur

Erneuerbare Energie für Bahnnetze

Möglichkeiten für die Einspeisung mittels Standardschaltanlagen

17.12.2016

Erneuerbare Energie direkt in der vom Endverbraucher geforderten Form zu liefern, bedeutet höheren Wirkungsgrad und geringere Kosten. Zum Einspeisen erneuerbarer Energien in Bahnnetze eignen sich vorhandene Standardanlagen der Versorgungssysteme.

Dezentral erzeugte erneuerbare Energie (EE) auch für grösseren Eigenbedarf selbst zu nutzen, statt sie in das Orts- oder Regionalnetz einzuspeisen, wird immer aktueller.[1] Wenn der Umweg über die Landesnetze vermieden wird, spart das Übertragungs- und Umwandlungsverluste sowie Durchleitungsentgelte. Auch unter weiteren energiewirtschaftlichen und fiskalischen Aspekten kann dies vorteilhaft sein. Das gilt nicht nur für Verbraucher an der landesüblichen Wechselspannung und Frequenz, sondern auch für Systeme mit anderen elektrischen Kenndaten wie beispielsweise das DC-Netz einer Rechnerzentrale in Schweden.

Seit den Anfängen haben mit DC oder 1 AC-Niederfrequenz betriebene Bahnen die Wasserkraft genutzt, wo immer das möglich war. Das geschieht heute weiterhin im Grossmassstab in Süddeutschland, in Österreich und in der Schweiz, aber ebenso in Norwegen, mit kleinen Anlagen. Ein Novum bei der Photovoltaik stellte vor Jahren eine PV-Anlage dar, die mit 260 kW Anschlussleistung in ein städtisches DC-Fahrleitungsnetz einspeist. [2] Neuerdings liefert, soweit bekannt erstmalig, in Österreich eine 1-MW-Anlage Solarenergie mit 1 AC 15 kV 16,7 Hz in die Oberleitung einer Strecke. [3]

Auf bahneigenem Gelände gibt es viele geeignete Flächen für PV-Anlagen, beispielsweise auf den Dächern von Bahnhofs- oder Werkstättengebäuden und als Brachflächen ehemaliger Gleisfelder. Regional- und Fernbahnstrecken durchqueren aber auch weiträumig Landstriche, wo sich solche Anlagen auf Fremdgrund errichten lassen würden.

Für solche Anwendungen ist die Netzanbindung möglichst rationell herzustellen. Das verlangt keine Neuentwicklungen, denn dafür eignen sich bahnübliche Schaltanlagen. Diese gibt es bei manchen Bahnen standardisiert einerseits für die Energieversorgung und die selektive Topologie des Fahrleitungsnetzes und andererseits für den Anschluss stationärer Nebenverbraucher an das Fahrleitungsnetz. Mit hardwaremässig unveränderten Elementen aus solchen Baukästen lassen sich auch EE-Anlagen anschlies­sen, von kleinen PV-Anlagen über relativ kleine Wasserkraftwerke bis zu mittelgrossen Windkraftparks. Natürlich müssen dabei Steuerung, Regelung und Schutz für die umgekehrte Lastrichtung und für die Besonderheiten des elektrischen Bahnbetriebs angepasst werden. Das ist jedoch nichts Neues, seit mit der 3AC-Antriebstechnik das Rückspeisen von Bremsenergie zur Regel geworden ist.

Technik

Für den Anschluss an mit 16,7 Hz betriebene Netze müssen bei den EE-Erzeugern die Frequenz der Umrichter oder der Synchrongeneratoren angepasst werden, was bei Letzteren sogar vorteilhaft sein kann, und die Ausgangstransformatoren müssen für die Übertragungsspannung bemessen werden.

Dann lassen sich, je nach Leistung und zu überbrückender Entfernung, EE wie folgt an einphasige Bahnnetze liefern:

  • Variante 1: Mit Niederspannung an die Sammelschiene einer Weichenheiz- oder Zugheizstation (Bilder 1 und 2).
  • Variante 2: Mit der Fahrleitungsspannung an die Fahrleitung.
  • Variante 3: Mit der Fahrleitungsspannung an die Sammelschiene eines Schaltpostens oder eines Unterwerks.

 

Zur Variante 2 gehören die beiden genannten PV-Anlagen und als historisches Beispiel das Wasserkraftwerk Kammerl der 1AC-Pionierbahn Murnau–Oberammergau.

Bei den Varianten 1 und 2 fällt die EE-Einspeisung aus, wenn der Fahrleitungsabschnitt vorübergehend abgeschaltet wird. Da das für die betriebswichtigen Nebenverbraucher akzeptiert wird, muss es auch zumindest für Solar- und Windenergie vertretbar sein. Die Variante 3 bietet höhere Verfügbarkeit, was wasserwirtschaftlich erforderlich sein kann.

Bei den Varianten 1 und 3 können freie oder freizumachende Abgänge in vorhandenen Stationen genutzt werden (Bild 2) oder neue Stationen eigens aufgestellt werden. Künftig neu zu errichtende Stationen sollten Reservefelder für EE-Einspeisung bekommen.

Für den Anschluss kleiner und mittlerer EE-Anlagen eignen sich beispielhaft folgende Standardanlagen für 16,7 Hz:

  • Weichenheizstationen mit 230 V Verbraucherspannung, bei DB mit fünf Leistungsstufen von 30 kVA bis 400 kVA, bei SBB mit 25 kVA, 50 kVA und 100 kVA,
  • Zugheizstationen mit UIC-einheitlich 1 kV Verbraucherspannung, bei DB mit den Leistungen 800 kVA und 1250 kVA, jeweils auch als Doppelstationen, bei SBB mit 1 MVA und 1,25 MVA, in Schweden mit Einheitsgrösse 500 kVA.


Hiermit, bei Bedarf mit parallelen Stationen, lässt sich das ganze realistische Spektrum von kleinen bis mittleren PV-Anlagen und sogar von kleinen Windparks abdecken. Dabei lassen sich für kleinere Leistungen einige Hundert Meter Entfernung mit Niederspannungskabeln überbrücken.

Bei höheren Leistungen oder grösseren Distanzen bis zu einigen Kilometern muss die EE-Anlage Mittelspannung liefern. Falls das nicht direkt an die Fahrleitung erfolgen soll wie in [2] beschrieben, kommen zunächst Standard-Schaltposten infrage, deren Sammelschienenabgänge mit Selektivschutz ausgerüstet sind. Ein Beispiel hierfür ist das 7-MW-Laufwasserkraftwerk Unteraa, früher Lungern, das im Bahnhof Kaiserstuhl in das Fahrleitungsnetz der Brüniglinie speist (Bild 3).

Wenn EE-Anlagen weit abseits vom Bahngelände liegen oder wenn die Leistung vom Fahrleitungsnetz nicht immer zuverlässig abgenommen werden kann, bieten sich Blockunterwerke in einfacher H-Schaltung an (Bild 4). Diese werden in T-Schaltung entweder unmittelbar oder über eine Stichleitung an die Schleifen einer bahneigenen Hochspannungs-Übertragungsleitung angeschlossen. Technisch begrenzt der Distanzschutz der beiden Nachbarschaltanlagen die Länge der Stichleitung. Mit den bei der DB eingeführten Standardgrössen 2 x 10 MVA und 2 x 15 MVA lassen sich Windparks mit 20 bis 30 MW Leistung günstig an das zentral versorgte Bahnenergienetz anschliessen.

Spannungs- und Frequenzschwankungen

Die Fahrleitungsnetze elektrischer Bahnen unterscheiden sich von den Landesnetzen unter anderem bei der Spannungsqualität. In 50-Hz-Netzen sind dabei die Ansprüche wegen empfindlicher Endverbraucher hoch. Die Antriebssysteme und Hilfsbetriebe von Triebfahrzeugen sowie die Bordnetzumrichter von Personenwagen müssen dagegen grosse Schwankungen verkraften, und ebenso die Nebenverbraucher am Fahrleitungsnetz. Für die mit 1 AC 15 kV 16,7 Hz betriebenen Bahnen sind dabei zufolge EN 50163:2004 zulässig:

  • Spannung dauernd 12 kV bis 17,25 kV, kurzzeitig bis 11 kV und bis 18 kV
  • Frequenz dauernd 16,17 Hz bis 17 Hz


Zudem wirken überall noch die Impedanzen der fahrzeug- oder stationseigenen Transformatoren bei ständigem Ein- und Ausschalten von Gruppen. Das wird aber seit jeher sowohl erzeugerseitig beherrscht wie bei den genannten Wasserkraftwerken als auch verbraucherseitig. Es ist also kein Problem, die Netzteile anzuschliessender EE-Anlagen hierfür tauglich zu bemessen.

Leistungsspitzen und -gradienten

Gelegentlich wird eingewendet, dass der Netzbetrieb der zentral versorgten 16,7-Hz-Bahnen durch die sehr ungleichmässige Wind- und Solar-Leistungsdarbietung beeinträchtigt würde. Tatsächlich gibt es aber für Elektronetze kaum eine ungleichmässigere Verbrauchercharakteristik als die von Vollbahnen mit gemischtem Verkehr. Heute steuern täglich viele Hundert Mal als Doppeleinheiten fahrende Hochgeschwindigkeitstriebzüge und mit mehreren Hochleistungslokomotiven bespannte Schwergüterzüge bei fahrplanmässigem Verzögern ihre Leistung von mehreren Megawatt Abnahme auf Rückspeisung mit Megawatt-Höchstwerten. Beim Einfahren in steile Rampen gibt es je nach Fahrtrichtung immer einen kräftigen positiven oder negativen Leistungssprung und ebenso mit umgekehrten Vorzeichen beim Verlassen der Rampen. Ein Extrembeispiel hierfür ist die Schnellfahrstrecke Köln–Rhein/Main mit mehrfachem Wechsel zwischen 40 ‰ Steigung und 40 ‰ Gefälle. Auch bei der Erzbahn in Lappland springt die Last plötzlich zur Bremsung in der 10-MW-Klasse um, wenn ein beladener Zug nach Narvik herunterfährt. In allen diesen Fällen gibt immerhin noch der Triebfahrzeugführer den Kraftsollwert mit einer sanften Handbewegung vor. Wenn aber unerwartet und auf kurze Distanz ein Warnsignal auftaucht, wird dabei nicht nur die Bremsleistung maximal hoch, sondern die zum Einhalten des Bremsweges notwendige Gradiente steiler als die von PV-Anlagen bei an der Sonne vorbeijagenden Wolken. Eine erste Steigerung sind danach allfällige, vom Triebfahrzeugführer nicht mehr zu beeinflussende Zwangsbremsungen einzelner Züge durch die Zugsicherung, und als Ultimative schalten die alltäglichen Kurzschlüsse in den Fahrleitungsnetzen lange Speisebezirke mit ganzen Zugbündeln schlagartig ab.

Wie bei den Spannungsschwankungen gilt also auch für EE-Einspeisungen, dass ihre Leistungsgradienten und -spitzen gegenüber den betriebsmässigen in Bahnnetzen gering sind, sodass sie sich dort leichter integrieren lassen als in Landesnetzen. Dabei schwächen sich diese beiden Parameter noch ab, wenn in überregionale Verbundnetze eingespeist wird. [4] Unter diesem Aspekt bilden 16,7-Hz-Bahnen mit durchgeschalteten Fahrleitungen schon auf dieser Ebene ausgedehnte Verbundnetze, denen Einspeisungen von PV-Anlagen und kleinen Windkraftanlagen nichts ausmachen können. Darüber liegt das nunmehr dreifach gekuppelte 16,7-Hz-Hochspannungsnetz von DB, ÖBB und SBB [4], das die Fahrleitungsnetze stützt und seinerseits EE-Einspeisungen im Bereich einiger 10 MW mühelos verkraften könnte.

Dass diese Netze auch extreme Gradienten beherrschen, hat die DB im September 2001 bei einer landesweiten Gedenkminute bewiesen, als die Gesamtlast ihres Netzes in 70 s von 1,3 auf 1 GW und dabei in 4 s um 50 MW sank. [5] Und die SBB beweisen es täglich, wenn landesweit praktisch synchron rekuperiert und wieder angefahren wird und dabei gegen 8 Uhr die Netto-Gesamtlast ihres Netzes in wenigen Minuten von 350 MW auf 150 MW, dann auf 550 MW und schliesslich wieder auf 350 MW geht.

Demgegenüber sind mit 50 Hz und klassischer Speisung betriebene Bahnen im Nachteil. Wegen der vielen Phasentrennstellen können dezentrale EE-Anlagen dort nur in kurze Fahrleitungsabschnitte speisen, also mit geringerer Chance für direkte Abnahme ihrer schwankenden Leistung. Diese muss dann wie die Bremsenergie unsymmetrisch in das speisende Landesnetz flies­sen – sofern dessen Betreiber diese Rückspeisung akzeptiert.

Finanzielle Aspekte

Wichtig kann auch sein, ob und wie hoch selbst erzeugte und verwendete EE anders gefördert oder belastet wird als in das Landesnetz geleitete oder daraus bezogene. Beispielsweise plant die Regierung in Schweden derzeit, Energie aus PV-Anlagen mit >255 kW Nennleistung zu besteuern. Ob das generell gelten soll oder nur für Einspeisungen in das öffentliche Netz, ist noch offen. Physikalisch-technisch unterscheidet sich direkt in das Bahnnetz eingespeiste EE nicht von der Nutzbremsenergie, die aus der zunächst gespeicherten kinetischen oder potenziellen Energie der Fahrzeugmassen rückgewonnen wird – die bisher steuerfrei ist und es hoffentlich bleibt.

 

Referenzen

[1] L. Konersmann, G. Meier, «Eigenverbrauch als Geschäftsmodell», Bulletin SEV/VSE 107 (2016), Nr. 3, S. 16–19.
[2] D. Wolff, J. Schult, «Photovoltaikanlage zur Einspeisung in das Fahrleitungsnetz der üstra Hanno-ver», Elektrische Bahnen 98 (2000), H. 5 – 6, S. 207–213.
[3] R. R. Rossberg, «Solarkraftwerk für 16,7-Hz-
Bahnenergie», Elektrische Bahnen 113 (2015), H.  6–7, S. 282–283.
[4] J. Bosch, C. Obkirchen, «Dauerhafte Kupplung zwischen ÖBB und SBB im 16,7-Hz-Verbundbetrieb», Elektrische Bahnen 113 (2015), H. 10, S. 482 – 486.
[5] NN, «Lastsenke im deutschen Bahnenergienetz», Elektrische Bahnen 99 (2001), H. 11, S. 452.

 

Autor
Dr. Thorsten Schütte

ist Privatdozent. Er war Senior-Spezialist bei verschiedenen Unternehmen der Elektro- und Eisenbahntechnik in Schweden.

Autor
Uwe Behmann

ist Fachjournalist und Redakteur der Zeitschrift eb – Elektrische Bahnen.

  • DE-66386 St. Ingbert



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