Fachartikel Regulierung

Energiestrategie 2050 vorläufig unter Dach und Fach

Der längerfristige Ordnungsrahmen bleibt zu gestalten

18.12.2016

Nach dreijähriger intensiver Beratung hat das Parlament in der Herbstsession 2016 das erste Massnahmenpaket der Energiestrategie 2050 verabschiedet. Es hat dabei eigene Akzente gesetzt und eine insgesamt realitätsnähere Vorlage gezimmert, welche insbesondere auch der schwierigen Lage der Wasserkraft Rechnung trägt. Endgültig entschieden wird voraussichtlich im Verlauf des nächsten Jahres an der Urne. Gleichzeitig ist klar, dass der längerfristige Ordnungsrahmen noch gestaltet werden muss.

Eine recht klare Sache war der Entscheid der Eidgenössischen Räte über das erste Massnahmenpaket der Energiestrategie 2050 am 30. September 2016: Mit einer Zweidrittelmehrheit (Nationalrat) und einer Dreiviertelmehrheit (Ständerat) brachte das Parlament die Vorlage unter Dach und Fach und setzte damit einen Schlusspunkt hinter die ziemlich genau dreijährige intensive Debatte. In dieser Zeit nahm das Parlament an der Vorlage namhafte Korrekturen vor, welche die linksgrüne Seite in der Schlussphase der Beratung im Nationalrat dazu veranlasste, die Strategie mit einem «gerupften Huhn» zu vergleichen. Es kann festgehalten werden, dass das Parlament wichtige Anliegen der Strombranche aufgenommen hat und dass die Gesetzesvorlage nach Abschluss der parlamentarischen Phase realitätsnäher geworden ist.

Das Parlament hat Akzente gesetzt

Die aus Stromsicht wichtigsten Resultate können wie folgt zusammengefasst werden:

Erneuerbare Energien

Das bestehende Förderinstrumentarium zum Ausbau der erneuerbaren Energien wird grundsätzlich beibehalten, jedoch revidiert. Es sieht insbesondere vor, dass Anlagen, welche die kostendeckende Einspeisevergütung erhalten, ihren Strom künftig grundsätzlich direkt vermarkten müssen. Sie werden dadurch stärker als bisher an den Markt herangeführt.

Die Einmalvergütung für Investitionen in kleinere Photovoltaikanlagen wird auf Biomasseanlagen ausgedehnt. Zudem wird nach dem Willen des Parlaments künftig auch der Ausbau der Grosswasserkraft mit Investitionsbeiträgen unterstützt. Der Strom aus kleineren Anlagen bis 3  W muss vom Netzbetreiber abgenommen und vergütet werden.

Der Netzzuschlag, der den Fonds zur Finanzierung der Förderinstrumente alimentiert, wird auf maximal 2,3p./kWh erhöht, gleichzeitig jedoch zeitlich befristet: Neue Anlagen werden nur noch während fünf Jahren ab Inkrafttreten in die kostendeckende Einspeisevergütung aufgenommen; Investitionsbeiträge gibt es bis Ende 2030.

Neu werden aus diesem Fonds auch Mittel (max. 0,2p./kWh) zur Verfügung gestellt, um die Wasserkraft im Sinn einer Sofortmassnahme im schwierigen Markt­umfeld zu stützen. Bestehende Grosswasserkraftwerke können für ihre Produktion, welche sie unter Gestehungskosten am Markt verkaufen müssen, während fünf Jahren eine Marktprämie von maximal einem Rappen pro kWh beanspruchen. Mit der Aufnahme dieses neuen Instruments hat das Parlament das wichtige Signal abgegeben, dass es die wirtschaftlich schwierige Situation der Wasserkraft erkannt hat und deren Bedeutung für die Stromversorgung der Schweiz anerkennt. Das Parlament ist sich auch bewusst, dass ein längerfristig geeigneter Rahmen gefunden werden muss. Es hat deshalb im Gesetz einen Auftrag an den Bundesrat formuliert, rechtzeitig ein marktnahes Nachfolgemodell vorzuschlagen.

Das erste Massnahmenpaket sieht ferner verfahrensrechtliche Verbesserungen für die erneuerbaren Energien vor: Die Kantone müssen Gebietsausscheidungen für Wasser- und Windkraft vornehmen, es werden Ordnungsfristen eingeführt und die Kantone müssen rasche Bewilligungsverfahren vorsehen. Zudem wird die Nutzung erneuerbarer Energien als nationales Interesse anerkannt.

Energieeffizienz

Die zweite Hauptstossrichtung der Energiestrategie liegt bei Massnahmen zur Verbesserung der Energieeffizienz. Auch hier wird im Wesentlichen auf eine Fortführung der bestehenden Instrumente gesetzt, wobei das Parlament zum Teil klare Akzente gesetzt hat. Zusätzlich zur Teilzweckbindung der CO2-Abgabe werden neu Steueranreize für Gebäudesanierungen eingeführt. Ebenfalls beibehalten und weiterentwickelt werden die Emissionsvorschriften für Fahrzeuge, die Effizienzvorgaben für Anlagen und Geräte und die Zielvereinbarungen für Effizienzmassnahmen in Unternehmen.

Im Parlament diskutiert wurde die Einführung verbindlicher Vorgaben zur Stromeffizienz. Diese hätten Netzbetreiber oder Stromlieferanten verpflichtet, ihre Kunden zu entsprechenden Massnahmen zu veranlassen. Die Vorschläge wurden jedoch insbesondere mit Verweis auf die notwendige Sicht auf den Gesamt­energiekontext und die Verursachergerechtigkeit verworfen.

Kernenergie

Die Erteilung neuer Rahmenbewilligungen für Kernkraftwerke wird mit der Energiestrategie 2050 wie vom Bundesrat vorgeschlagen untersagt. Die Vorschläge aus dem Nationalrat, welche die Betriebsbewilligungen der Kernkraftwerke befristen und von Langzeitbetriebskonzepten abhängig machen wollten, fanden letztlich keine Mehrheit. Für die bestehenden Anlagen bleibt somit alles beim Alten: Sie können so lange in Betrieb bleiben, wie ihre Sicherheit gewährleistet ist. 1)

Netze

Die bereits geltende Eigenverbrauchsregelung wird mit dem ersten Massnahmenpaket auf Initiative des Nationalrats gestärkt und auf Eigenverbrauchsgemeinschaften ausgedehnt. Gleichzeitig konnte eine Änderung der Vorgaben im Bereich Netztarifierung errungen werden, welche künftig neue, sachgerechtere Tarifmodelle ermöglichen soll.

Neu haben Bestimmungen über die Einführung und Qualität von intelligenten Mess-, Steuer- und Regelsystemen in die Gesetzesvorlage Eingang gefunden. Der Bundesrat ist ermächtigt, entsprechende Regelungen zu erlassen.

Zudem sieht die Gesetzesvorlage verschiedene Massnahmen zur Beschleunigung der Bewilligungsverfahren für Netzprojekte vor: Neu gelten verbindliche Ordnungsfristen für Sachplan- und Plangenehmigungsverfahren sowie eine Einschränkung des Zugangs zum Bundesgericht auf Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung.

Längerfristiger Rahmen bleibt zu gestalten

Eine gewichtige Minderheit von rechter Seite beurteilte das 1. Massnahmenpaket von allem Anfang an kritisch. Zwar scheiterten sämtliche ihrer Nichteintretens- und Rückweisungsanträge, welche die Stossrichtung und die Regulierungsdichte der Vorlage in Frage stellten. Diese Minderheit hat aber wesentlich dazu beigetragen, die Gesetzesvorlage markt- und realitätsnäher zu machen. Obwohl also wie in der Schlussdebatte treffend vermerkt an der Vorlage stark geschraubt wurde – «mit gros­sen und kleinen Schraubenziehern» – bleibt es dabei: Das Energiegesetz wird nach dieser Totalrevision 77 Artikel beziehungsweise 33 Seiten umfassen – heute sind es 47 Artikel auf 20 Seiten.

Mit der Verabschiedung im Parlament liegt erstmals, seit die Energiestrategie 2050 kurz nach «Fukushima» im Frühjahr 2011 lanciert wurde, wieder eine klarere Sicht auf den gesetzlichen Rahmen vor. Das endgültige Schicksal des ersten Massnahmenpakets wird sich aller Voraussicht nach jedoch erst im Verlauf des Jahres 2017 an der Urne entscheiden. Das Referendum wurde Anfang Oktober 2016 von verschiedenen Verbänden und Organisationen, und unterstützt von der oben erwähnten Parlamentsminderheit, lanciert; bis 19. Januar 2017 müssen die benötigten 50 000 Unterschriften zusammenkommen.

Auch wenn das Massnahmenpaket zumindest parlamentarisch unter Dach und Fach ist, bleibt der künftige Rechtsrahmen offen. Dazu gehört auch die Frage nach einem längerfristigen Ordnungsrahmen, welcher der neuen Realität der Energiemärkte Rechnung trägt. Mit der Einführung der «Sunset-Klausel» für die Fördermassnahmen und dem Auftrag zur Ausarbeitung eines Nachfolgeregimes für die Wasserkraft hat das Parlament die Notwendigkeit eines neuen Ansatzes im neuen Marktkontext erkannt und die Grundlage für die Arbeiten an einem zukunftsfähigen Rahmen gelegt.

 

Autorin
Cornelia Abouri

ist Senior Expertin Public Affairs beim VSE.

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