Fachartikel Energiemarkt

Ein unterschätztes Risiko?

Energieversorger beachten bei ihren Planungen zwar die Entwicklung der Energiepreise, nicht aber jene der Zinsrisiken

18.12.2016

Energieversorgungsunternehmen konzentrieren sich bei der Erstellung von Businessplänen und bei der Evaluation von Risiken primär auf Energiepreise, da deren Entwicklung von grosser Bedeutung ist für den Erfolg. Mit möglichen Strompreisszenarien simulieren sie dabei die Auswirkungen auf das Geschäftsergebnis und bereiten sich so auf alle Eventualitäten vor. Dabei wird oft übersehen, dass auch Zinsrisiken variabel sind und dass eine fehlende Absicherung der Zinsen direkte negative Auswirkungen auf Reingewinn und freien Cashflow haben kann.

Für Energieversorgungsunternehmen ist die Strompreisentwicklung erfolgsentscheidend. Es überrascht denn auch nicht, dass deren Finanzverantwortliche der Entwicklung der Strompreise bei der Erstellung von Businessplänen eine zentrale Bedeutung zuordnen. Mittels Strompreisszenarien simulieren sie die Folgen auf das Geschäftsergebnis. So soll sichergestellt werden, dass ein Energieversorger auf alle Eventualitäten vorbereitet ist und auch das Eintreten eines ungünstigen Strompreises finanziell abfedern kann. Was aber, wenn sich nicht der Strompreis, sondern die Zinsen anders entwickeln als erwartet?

Es hat sich gezeigt, dass Energieversorgungsunternehmen Zinsrisiken im Vergleich zum Strompreisrisiko oft nicht simulieren, sondern als Konstante wahrnehmen. Sofern ein Unternehmen seine Zinsen aber nicht vollständig und über die gesamte Laufzeit abgesichert hat, sind diese eine unsichere Angelegenheit. Denn bei einem durchschnittlichen Fremdkapitalanteil von 60 % [1] bei Schweizer Energieversorgern schlägt sich eine ungünstige Zinsentwicklung direkt auf den Reingewinn und den freien Cashflow durch.

Illustratives Beispiel

Anhand der Zahlen eines realen Beispiels lässt sich die Bedeutung der Zinsentwicklung in Relation zur Strompreisentwicklung gut illustrieren. Zugrunde liegt ein Businessplan für die Jahre 2015 bis 2030, welcher auf zwei Strompreisszenarien fokussiert: Ein Szenario mit einem konstanten Strompreis von 40 CHF/MWh sowie eines mit einem Strompreis, der bis ins Jahr 2030 auf 90 CHF/MWh steigt. Der vorliegende Businessplan geht von der Annahme aus, dass der Strommarkt ab 2016 für Industrie- und Gewerbekunden sowie ab 2020 für Privatkunden geöffnet wird. Die übrigen Energiepreise – beispielsweise für Wärme – werden als konstant angenommen. Die im Folgenden dargestellten Werte entsprechen dem tatsächlich verwendeten Businessplan eines realen Beispiels, wobei der Umsatz im Jahr 2015 mit 100 Mio. Franken veranschlagt wurde und alle übrigen Zahlen in Relation zum Umsatz angepasst wurden. Der Reingewinn fliesst am Jahresende jeweils gesamthaft ins Eigenkapital (keine Ausschüttungen).

Bild 1 zeigt die Entwicklung des Ebits, basierend auf den beiden skizzierten Strompreisszenarien. Da der Ebit den Gewinn vor Steuern und Zinsen darstellt, eignet sich diese Kennzahl, um den Einfluss des Strompreises auf die Profitabilität des Modell-Energieversorgers zu messen. Bis 2019 entwickeln sich die beiden Strompreisszenarien gleich. 2020 bricht der Ebit im stagnierenden Strompreisszenario ein. Sonderabschreibungen auf den Strombezugsrechten sowie rückläufige Erträge sind die Hauptgründe für diese Entwicklung. Die durch unterschiedliche Strompreise verursachte Differenz zwischen den Ebits der Jahre 2015–2019 beträgt bis zu 36 %. Im Vergleich zum steigenden Strompreisszenario erwirtschaftet das Unternehmen bei stagnierendem Strompreis über den gesamten Betrachtungszeitrum nur rund 68 % des Ebits. Der Ebit reagiert also sehr sensitiv auf die Strompreisentwicklung und ist entsprechend erfolgskritisch für das Energieversorgungsunternehmen.

Neben dem Risiko von sich verändernden Preisen am Strommarkt gilt es, bei der Erstellung eines Businessplans auch die Finanzierung und die Zinsrisiken zu berücksichtigen. Hierfür werden mit dem bestehenden Businessplan verschiedene Zinsszenarien simuliert. Um ein für Schweizer Energieversorger repräsentatives Beispiel zu erhalten, wird eine Fremdkapitalquote von 60 % im Jahr 2015 unterstellt. Davon sind 45 % verzinsliches Fremdkapital. Das Beispiel geht weiter davon aus, dass das Modellunternehmen seine Zinsen zur Hälfte über die gesamte Laufzeit fixiert hat, während die andere Hälfte als Floating-Finanzierung der Entwicklung des Dreimonats-Libors, also dem Zinsrisiko, ausgesetzt ist. Die Zinsen für den nicht abgesicherten Teil werden alle drei Monate neu festgelegt und sind deshalb dem Zinsänderungsrisiko unterstellt. Über die an den Finanzmärkten gehandelten Forward-Sätze lässt sich die vom «Markt» heute erwartete Entwicklung des Dreimonats-Libors, die sogenannte implizite Zinskurve, ablesen. Diese bildet das Basisszenario «Marktzinsen».

Gemäss der Finanzmarkttheorie beinhalten die Marktpreise alle relevanten und zum entsprechenden Zeitpunkt verfügbaren Informationen. Neue Informationen, wie beispielsweise Anpassungen des Referenzzinssatzes durch die Schweizerische Nationalbank, können zu einer Änderung dieser Markterwartung führen. Deshalb ist es sinnvoll, zusätzlich ein Hochzinsszenario zu berücksichtigen, um – wie bei einer ungünstigen Strompreisentwicklung – auch in Bezug auf die Zinsen auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein. Dieses Hochzinsszenario rechnet mit maximal fünf Prozentpunkten mehr als beim Marktzinsszenario. Beide Zinsszenarien sind in Bild 2 dargestellt.

Zur Simulation des Effekts von Zinsänderungsrisiko und Veränderungen im Strompreis wurden hinsichtlich der Finanzierung diverse Annahmen getroffen. Für den langfristigen festverzinslichen Kredit wird von einem Zinssatz von 2,20 % ausgegangen, beim Libor-Kredit von einer Marge von 1,25 %. Diese Werte basieren auf den Einschätzungen des Bundesamtes für Energie1 hinsichtlich der WACC-Berechnung sowie auf Erfahrungswerten und Peer-Vergleichen.

Bild 3 zeigt die Entwicklung von Reingewinn und Eigenkapitalquote in Abhängigkeit zur Strompreis- und Zinsentwicklung. In Grün sind die Szenarien mit steigendem Strompreis abgebildet, in Violett die Szenarien mit stagnierendem Strompreis. Im Folgenden werden für beide Strompreisszenarien die jeweiligen Effekte der vom Markt erwarteten Zinsentwicklung sowie eines Hochzinsszenarios aufgezeigt.

Der Betrachtungszeitraum lässt sich in drei Phasen unterteilen: In Phase 1 von 2015 bis 2019 besteht nur ein Zins-, aber kein Strompreiseffekt. In Phase 2 von 2020 bis 2023 werden bei stagnierendem Strompreis Verluste verzeichnet. Phase 3 ab 2024 ist die Wachstumsphase.

Phase 1: Jahre 2015–2019

Der Strompreis ist keinem Risiko ausgesetzt und entwickelt sich in beiden Szenarien gleich. Zinsänderungen können für den Floating-Anteil alle drei Monate eintreten, weshalb das Energieversorgungsunternehmen bereits in Phase 1 einem Zinsänderungsrisiko ausgesetzt ist. Im Hochzinsszenario ist der kumulierte Reingewinn für die Jahre 2015–2019 um einen Drittel niedriger als im Marktzinsszenario.

Phase 2: Jahre 2020–2023

Zu Beginn von Phase 2 schreibt das Unternehmen bei stagnierenden Strompreisen grosse Verluste. Aufgrund dieses extremen Strompreisszenarios wirken die Finanzierungskosten zu diesem Zeitpunkt effektverstärkend beziehungsweise -abschwächend. In Phase 2 zeigt sich die Relevanz der Zinsentwicklung für den finanziellen Erfolg des Unternehmens. Wenn das operative Geschäft dank steigender Strompreise boomt, könnten nicht abgesicherte Zinsrisiken das Jahresergebnis massiv reduzieren: Für die Phase von 2020 bis 2023 ist der kumulierte Reingewinn bei steigenden Strompreisen im Hochzinsszenario um 73 % niedriger als bei Marktzinsen. Im Falle stagnierender Strompreise schreibt das Unternehmen im Jahr 2020 sogar Verluste. Bei einer günstigen Zinsentwicklung würde es trotz stagnierender Strompreise bereits 2021 wieder schwarze Zahlen schreiben. Im Hochzinsszenario bleibt der Reingewinn bis und mit 2023 negativ.

Phase 3: Jahre 2024–2030

Ab 2024 erwirtschaftet der Modell-Energieversorger in allen vier Szenarien einen positiven Reingewinn. In Phase 3 zeigt sich, dass das gemeinsame Eintreten eines positiven und eines negativen Szenarios zu einem Reingewinn in ähnlicher Höhe führt. Mit anderen Worten: Eine schlechte Strompreisentwicklung kann durch eine gleichzeitig günstige Entwicklung der Zinsen teilweise aufgefangen werden. Auf der anderen Seite wiederum kann ein dank steigender Strompreise erfolgreiches operatives Ergebnis durch eine ungünstige Zinsentwicklung negativ beeinträchtigt werden. Für den Zeitraum von 2024 bis 2030 ist bei steigendem Strompreis und einem Hochzinsszenario der kumulierte Reingewinn um 43 % tiefer als bei Marktzinsen. Bei stagnierenden Strompreisen und Hochzinsen ist der Reingewinn im Vergleich zum Marktzinsszenario sogar um 64 % tiefer.

Der starke Einfluss der Zinsszenarien auf den Reingewinn hängt mit dem kapitalintensiven Geschäftsmodell von Energieversorgungsunternehmen zusammen. Mit kumulierten Investitionskosten von 439 Mio. CHF über den gesamten Betrachtungszeitraum ist das Unternehmen entweder auf genügend flüssige Mittel aus dem operativen Geschäft oder auf zusätzliches Fremdkapital angewiesen. Dabei gilt: Je mehr neues, nicht abgesichertes Fremdkapital aufgenommen wird, desto höher wird das Zinsrisiko. Wie stark sich dieses im Verhältnis zum Strompreisrisiko auf das vorliegende Beispiel auswirkt, zeigt Bild 4, das die Zinssensitivität für die beiden Szenarien illustriert.

Die Zinssensitivität berechnet sich als der Quotient aus verzinslichem Fremdkapital und Umsatz. Damit setzt sie die Auswirkungen von Zins- und Strompreisänderung auf den Reingewinn in Relation. Eine Zinssensitivität grösser als 1 sagt entsprechend aus, dass eine prozentuale Veränderung des Zinssatzes einen grösseren Einfluss auf den Reingewinn hat als eine gleich grosse prozentuale Veränderung des Strompreises. Dieser Betrachtung liegt die vereinfachende Annahme zugrunde, dass der Umsatz alleine durch den Strompreis getrieben wird.

Wie Bild 4 zeigt, ist das Zinsrisiko in beiden Szenarien von grosser Relevanz. Im stagnierenden Szenario fällt das Zinsrisiko aufgrund der verschlechterten Marktsituation, des damit einhergehenden Umsatzrückgangs sowie des erhöhten Fremdkapitalbedarfs infolge tieferer Cashflows besonders schwer ins Gewicht. Hier liegt die Zinssensitivität ab 2019 durchgehend weit über dem Wert 1. Auch im Szenario mit steigenden Preisen ist das Zinsrisiko von 2024 bis 2027 klar werttreibender als das Preisänderungsrisiko von Strom.


Wie steht der Modell-Energieversorger 2030 da?


Nachdem die Businessplan- und Zinsszenarien für 15 Jahre simuliert wurden, zeigen sich deutliche Unterschiede bei der Kapitalstruktur sowie dem kumulierten Reingewinn (Bild 5).

Im Ausgangsjahr 2015 betrug die Eigenkapitalquote 40 %. Der Jahreserfolg wurde jeweils ins Eigenkapital gebucht. In Jahren mit Finanzierungslücken, die durch hohe Investitionen, ein niedriges operatives Ergebnis oder höhere Zinskosten entstehen, wurde zusätzlich Fremdkapital aufgenommen. Bei positiver Strompreis- und Zinsentwicklung erhöht sich die Eigenkapitalquote bis ins Jahr 2030 auf rund 43 %. Hier hat das Energieversorgungsunternehmen viel Spielraum und kann beispielsweise, anstatt das Eigenkapital aufzubauen, das zusätzliche Kapital den Eignern als Dividende ausschütten oder in neue Projekte investieren. Falls sich der Strompreis positiv und die Zinsen negativ entwickeln, erreicht die Eigenkapitalquote mit 37 % ungefähr den Wert von 2015. Dies, nachdem die Eigenkapitalquote bis ins Jahr 2024 auf 25 % gefallen war. Im schlechtesten Fall, wenn die Strompreise stagnieren und das Hochzinsszenario eintritt, sinkt die Eigenkapitalquote bis ins Jahr 2030 auf 28 %.

Beim kumulierten Reingewinn zeigt sich, wie bereits während der einzelnen Phasen beobachtet, dass die Zinsszenarien einen starken Einfluss haben. Im schlechtesten Fall führen sie sogar dazu, dass der kumulierte Reingewinn trotz eines mehrheitlich positiven operativen Ergebnisses bloss 8 Mio. CHF beträgt. Aus der Reingewinnperspektive ist das Eintreten des steigenden Strompreises gepaart mit Hochzinsen immer noch attraktiver als das Szenario mit stagnierenden Strompreisen und Marktzinsen. Nichtsdestotrotz bestätigt sich wiederum, dass Hochzinsen auch das beste operative Ergebnis unterminieren, indem, wie in diesem Fall, der kumulierte Reingewinn beinahe halbiert wird.

Wie sollen Energieversorger mit Zinsrisiken umgehen?

Oben geschildertes Fallbeispiel verdeutlicht, dass Zinsrisiken in jedem seriösen Businessplan berücksichtigt werden müssen. Gerade ein Energieversorgungsunternehmen, dessen Kerngeschäft Energie mit grossen Preisunsicherheiten verbunden ist, sollte sein Jahresergebnis nicht zusätzlich von der Zinsentwicklung abhängig machen. Neben den klassischen Festkrediten bei Banken stehen Energieversorgern eine breite Vielfalt an Zinsabsicherungs- und Finanzierungsinstrumenten zur Auswahl. Wie stark das Zinsrisiko mit welchen Zinsabsicherungs- respektive Finanzierungsinstrumenten abgesichert werden soll, ist ein geschäftsstrategischer Entscheid, welcher sowohl von der Risikofähigkeit als auch von der Risikobereitschaft abhängt. Eine solche Massnahme muss individuell auf die Anforderungen des jeweiligen Energieversorgungsunternehmens ausgearbeitet und kontinuierlich kalibriert werden. In einem ersten Schritt müssen dabei die Bedürfnisse hinsichtlich der Finanzierung und des Zinsrisikos definiert werden, wie zum Beispiel die Flexibilität der Finanzierung, die Tragbarkeit von Zinsrisiken oder die Erwartung hinsichtlich der Entwicklung der Zinsen. Darüber hinaus ist es wichtig, die Instrumente sowie deren Vor- und Nachteile genau zu verstehen und bei Bedarf unabhängige und professionelle Unterstützung beizuziehen.

 

Referenz

[1] Bundesamt für Energie. (2016). Erläuterungen zur Berechnung des kalkulatorischen Zinssatzes gemäss Art. 13 Abs. 3 Bst. B der Stromversorgungsverordnung (Strom VV) für das Tarifjahr 2016.

 

Autor
Lukas Brunner

ist Director bei pro ressource – Finanzierungsoptima.

  • pro ressource AG
    8001 Zürich
Autor
Ian Grünig

ist Associate Director bei pro ressource – Finanzierungsoptima.

  • pro ressource AG
    8001 Zürich

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