Ein Projekt mit Zukunftscharakter
Wasserkraftwerk-Neubau in Bristen UR
Die Wasserkraft ist ein zentraler Pfeiler der Energiestrategie 2050. Angesichts der derzeit schwierigen Situation vieler Wasserkraftwerke stellt sich allerdings die Frage, wer heute noch bereit ist, in die Technologie zu investieren. Ein Projekt aus dem Maderanertal im Kanton Uri macht Mut – und dies, obwohl es mit anspruchsvollen Rahmenbedingungen zu kämpfen hatte.
Wenn der müde Wanderer auf dem Abstieg des Maderanertal-Höhenwegs vom Restaurant «Legni» zurück nach Bristen zur Talstation der Golzernbahn absteigen will, sieht er sich möglicherweise mit einer unvermittelten Hürde konfrontiert: Der Wanderweg entlang des Chärstelenbaches ist derzeit gesperrt und wird auf die andere Talseite umgeleitet. Der Grund: Derzeit wird dort eine Druckrohrleitung gebaut für ein neues Wasserkraftwerk. Die in Sommermonaten teilweise tosende Kraft des Baches soll künftig zur Gewinnung von erneuerbarem Strom genutzt werden.
Mit Hürden sehen sich aber nicht nur die Wanderer konfrontiert. Ein Hürdenlauf war das Projekt auch für die involvierten Parteien. Denn bei dem beliebten Naherholungsgebiet handelt es sich um eines von insgesamt 162 schützenswerten Objekten, das vom Bund im sogenannten «Bundesinventar der Landschaften und Naturdenkmäler von Nationaler Bedeutung» (BLN) verzeichnet worden ist.
Interessensabwägung muss stattfinden
Insgesamt 19 % der Schweizer Landesfläche sind Teil des BLN. [1] Es wurde zwischen 1978 und 1998 etappenweise erstellt und ist ein Instrument des Bundes, der nach Art. 78 der Verfassung verpflichtet ist, bei der Erfüllung seiner Aufgaben auf die Anliegen des Natur- und Heimatschutzes Rücksicht zu nehmen. Beim BLN-Gebiet handelt es sich um eine verbindliche Vorgabe für alle Bundesstellen. Neben Landschaften, die aufgrund ihrer Schönheit einzigartig sind, zählen auch für die Schweiz typische Gegenden, Erholungsgebiete und Naturdenkmäler wie z.B. Findlinge zum BLN.
Die BLN-Objekte sind gemäss den Richtlinien ungeschmälert zu erhalten beziehungsweise grösstmöglich zu schonen. Nur bei gleich- oder höherwertigen Interessen von ebenfalls nationaler Bedeutung darf von diesem Grundsatz abgewichen werden. Hier besteht ein Zielkonflikt hinsichtlich der Nutzung der Landschaft zur Gewinnung von Energie. Im Rahmen des ersten Massnahmenpakets der Energiestrategie 2050 erhebt der Schweizer Bundesrat nämlich die Nutzung und den Ausbau erneuerbarer Energie zum nationalen Interesse. Damit werden die Anlagen zur Gewinnung erneuerbarer Energie den BLN-Objekten gleichgestellt. Bei entsprechenden Projekten hat daher im Vorfeld eine Interessensabwägung stattzufinden. Grundsatz des Bundes ist dabei, mit möglichst wenigen Eingriffen einen grösstmöglichen Nutzen für die Stromproduktion zu bringen.
Sinkende Marktpreise führen zu Investitionsrisiko
Für die Energiequelle Wasserkraft ist das BLN allerdings nicht die einzige Knacknuss. Denn eine Kombination von externen Umständen wie der Subventionierung von Wind und Photovoltaik, dem Preiszerfall von CO2-Zertifikaten und tiefen Gas- und Kohlepreisen hat dazu geführt, dass die Marktpreise für Strom aus Wasserkraft zusammengebrochen sind. Dies hat die Schweizer Wasserkraft schwer unter Druck gebracht, weil deren Gestehungskosten in den letzten Jahren tendenziell gestiegen sind. Grund dafür sind insbesondere strengere regulatorische Vorschriften im Hinblick auf Gewässer-, Landschafts- und Denkmalschutz sowie steigende öffentliche Abgaben wie die Verdoppelung des Wasserzinses seit 1997. [2] Der Schweizer Energieriese Alpiq hat so Anfang Jahr seine Wasserkraftwerke zum Verkauf angeboten, was für ein beträchtliches Medienecho gesorgt hat. [3] Doch nicht alle Energieversorger gehen diesen Weg: Andere glauben trotz des Investitionsrisikos weiterhin an die Wasserkraft und sind so auch bereit, den langwierigen und sehr komplexen Planungs- und Bewilligungsprozess auf sich zu nehmen. Das Kraftwerk in Bristen ist ein Beispiel dafür.
Hohe lokale Wertschöpfung
Für das geplante Kraftwerk im Maderanertal erfolgte das Eingabegesuch bereits im Jahr 2008 – also noch zu Zeiten vor der Energiestrategie 2050. Projektverantwortung trägt die Elektrizitätswerk Altdorf AG (EWA), die 60 % der Aktienanteile an der neu gegründeten KW Bristen AG trägt. Der Kanton Uri sowie die Korporation Uri halten je 15 % der Aktien, die restlichen 10 % sind in Besitz der Gemeinde Silenen, auf der das Kraftwerk zu stehen kommen wird. «Dass ein EVU heute eine solch breite Trägerschaft miteinbezieht, ist sinnbildlich für ein Kraftwerksprojekt in der heutigen Zeit», sagt Werner Jauch. Er ist Leiter Energie und Mitglied der Geschäftsleitung bei EWA und gleichzeitig Verwaltungsratspräsident der KW Bristen AG und damit verbunden Verantwortlicher für den Kraftwerkneubau.
Die Gesamtinvestition hierfür beträgt 18,5 Mio. CHF, wovon rund 80 % in Unternehmen aus der Region zurückfliessen. Dieser hohe Anteil an lokaler Wertschöpfung ist denn auch einer der Gründe, warum das Projekt von Beginn weg auf eine hohe lokale Akzeptanz stiess. Bei einer Abstimmung in der Gemeinde Silenen beispielsweise wurde es mit einem Ja-Stimmen-Anteil von 93 % gutgeheissen.
Trotz dieser Trumpfkarte der Akzeptanz stellten sich dem Team von Werner Jauch einige Herausforderungen entgegen: Im Rahmen des Planungs- und Bewilligungsprozesses waren ein zweistufiges Umweltverträglichkeitsprüfungsverfahren (UVP) sowie die Zustimmung des Bundesamtes für Umwelt (Bafu) und der ENHK (Eidgenössische Natur und Heimatschutzkommission) erforderlich. Diese war in der Anfangsphase des Projektes alles andere als sicher. Während beispielsweise das parallel geplante Erneuerungsprojekt für das Kraftwerk Gurtnellen [4] bei Umweltverbänden nicht grundsätzlich in Frage gestellt worden war, mussten diese vom Neubauprojekt Bristen erst überzeugt werden. Die Tatsache, dass sich das geplante Kraftwerk in einem BLN-Gebiet befand, stiess dabei tendenziell auf Ablehnung.
Kraftwerk soll «unsichtbar» sein
Um die Kritiker vom Projekt zu überzeugen, setzten die Projektverantwortlichen der EWA auf ein professionelles Stakeholdermanagement sowie proaktive Kommunikationsmassnahmen: Neben Informationsanlässen vor Ort wurden auch elektronische Kommunikationskanäle genutzt. Eine Website [5] informiert mit Newslettern, Webcams und sogar einem Drohnenvideo umfassend über den Projektfortschritt. Daneben war aber auch der persönliche Kontakt entscheidend: Einige zunächst skeptische Vertreter von Umweltverbänden konnten schliesslich anlässlich mehrerer persönlicher Besichtigungen der geplanten Baustelle von dem Projekt überzeugt werden, wie sich Werner Jauch erinnert.
Dennoch waren Kompromisse unumgänglich: So besteht eine der vereinbarten Bedingungen daraus, dass nur eine geringe Menge des Chärstelenbaches für die Gewinnung von Energie genutzt werden darf. Dieser führt in Spitzenzeiten Wassermengen von 12 bis 14 m3 / s, die Maschinen des Kraftwerkes hingegen sind lediglich auf die Ausbauwassermenge von 2,6 m3 / s ausgelegt. Des Weiteren muss sich das Kraftwerk harmonisch in die Landschaft einfügen. Dies gilt einerseits für das Hauptgebäude, für das bauliche Vorlagen (z.B. ein Giebeldach) erstellt wurden. Andererseits sollen auch die Wasserfassung und die 1,8 km lange Druckleitung möglichst unsichtbar bleiben. [6] Erstere soll deshalb hinter einem Felsen versteckt werden (Bild 2), während letztere in unwegsamem Gebiet nahe des eingangs erwähnten Wanderweges unterirdisch gelegt werden muss – eine bauliche Herausforderung (Bild 3).
Inbetriebnahme Anfang 2017
Das Projekt ist derzeit auf gutem Kurs: Im Mai 2015 bewilligte es die ENHK abschliessend, drei Monate später erteilte die Gemeinde Silenen die Baubewilligung – nach rund acht Jahren intensiver Planungsarbeit und unzähligen, vorgelagerten Bewilligungsschritten. Wie schon beim Erneuerungsprojekt Gurtnellen war auch hier das Kraftwerks-Team von EWA, bestehend aus Ingenieuren, Technikern, Instandhaltungsfachleuten, Elektroplanern und IT-Spezialisten, für alle wesentlichen Projektschritte selbst verantwortlich. Damit konnte auch wertvolles Know-how erworben werden, das für allfällige zukünftige Neubauprojekte von Nutzen sein kann.
Derzeit befindet sich das Kraftwerk Bristen im Bau und soll aller Voraussicht nach im ersten Quartal 2017 in Betrieb genommen werden. Da sich das Hauptgebäude direkt neben der Talstation der bei Wanderern und Mountainbikern beliebten Seilbahn Golzern befindet (Bild 4), soll das Kraftwerk Bristen dereinst auch die Funktion eines Schaukraftwerks einnehmen. Auf diesem Weg kann es über die eigentliche Energiegewinnung hinaus einen Mehrwert generieren. Neben der breiten Abstützung und der Dezentralität ist auch das ein Faktor, der diesen Neubau zu einem Projekt mit Zukunftscharakter macht, wie Werner Jauch sagt.
Bleibt die Frage, ob es angesichts der derzeitigen Krise der Schweizer Wasserkraft auch profitabel betrieben werden kann – insbesondere wenn man bedenkt, dass der Projektstart im Jahr 2008 erfolgte, also zu einem Zeitpunkt, in dem die hiesige Wasserkraft noch florierte. Jauch glaubt an das Projekt: «Natürlich braucht es Mut, Durchhaltewillen und den Glauben an die Schweizer Wasserkraft», so Jauch. Dabei gehe man von Annahmen aus, bei denen es ungewiss bleibt, ob sie eintreffen. Insofern bleibt ein Restrisiko bestehen, ob sich die investierten 18,5 Millionen Franken letztendlich auszahlen werden. Doch Jauch ist überzeugt davon. «Wasserkraft hat von allen erneuerbaren Energiequellen den höchsten energiewirtschaftlichen Wert», sagt er. Dank einer professionellen und umsichtigen Planung haben er und sein Team zudem die Risiken in überschaubarem Mass halten können. Und wenn auch die Wanderer im Maderanertal künftig keine Umwege mehr machen müssen, um ihr Ziel zu erreichen, dürften auch sie sich kaum mehr an dem Projekt stören.
Referenzen
[1 Bundesamt für Umwelt Bafu, Bundesinventar der Landschaften und Naturdenkmäler von nationaler Bedeutung, www.bafu.admin.ch/landschaft/14534/15821/15837/index.html?lang=de.
[2] Schweizerischer Wasserwirtschaftsverband, Wirtschaftlichkeit der einheimischen Wasserkraft, Faktenblatt, 2016.
[3] Alpiq, Alpiq öffnet Schweizer Wasserkraftportfolio für Investoren, Medienmitteilung, 7.3.2016, www.alpiq.ch/news-storys/medienmitteilungen/media_releases.jsp?news=tcm:103-144759&.
[4] W. Jauch, S. Eberhard, R. Arnold, M. Walker, Erneuerung von Wasserkraftwerken, Bulletin SEV/VSE 2/2016, S. 12-14.
[5] www.kw-bristen.ch.
[6] Das grüne Kraftwerk am Chärstelenbach im Kanton Uri geht in die Bauphase, ZEK Hydro, Ausgabe 6/2016.
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