Der neue praktische Weg
Wirtschaftliche und einfache Schaltgeräteanalyse in gasisolierten MS-Leistungsschalteranlagen
Ein neues Verfahren ermöglicht erstmals eine wirtschaftliche und sichere Analyse von gekapselten MS-Leistungsschalteranlagen. Die Schalteranalysatoren werden dazu über einen Adapter an das Voltage Detection System angeschlossen. Und auch eine First-Trip-Messung ist jetzt möglich. Anlagenbetreibern eröffnen sich damit neue Wege, da zum Prüfen nicht aufwendig freigeschaltet werden muss.
Aufgrund der Kapselung sind etablierte Analysemethoden an Leistungsschaltern in gasisolierten MS-Anlagen kaum möglich – zu aufwendig, zu unwirtschaftlich. Gänzlich auf Prüfen zu verzichten oder Prüfen mit reduziertem Umfang ist für viele Betreiber keine Lösung, denn wartungsfrei ist nicht gleich prüfungsfrei. Arbeitsmittel wie gasisolierte MS-Leistungsschalteranlagen sollen aus gesetzlicher Sicht regelmässig geprüft werden, um die von ihnen ausgehende Gefährdung beurteilen zu können. Mit dem neuen Prüfverfahren erhält der Anlagenbetreiber neben dieser Rechtssicherheit zudem mehr Planungssicherheit, da er jetzt einfach schnell und kostengünstig den Ist-Zustand seiner gekapselten Leistungsschalter ermitteln kann.
Kein Freischalten mehr erforderlich
Die Prüfgeräte TM1700 oder TM1800 werden relativ einfach via einem Adapter an das kapazitive Spannungsanzeigesystem VDS nach IEC 61243-5 VDE 0682-415 mit einer Trigger-Box und mit Stromzangen an die MS-Leistungsschalteranlage angeschlossen. Sie zeichnen alle wichtigen Parameter passiv auf. Durch dieses Anschlussprinzip entfallen die sonst üblichen, aufwendigen Freischaltungs- und Erdungsmassnahmen. Zudem werden Eingriffe in die Sekundärkreise vermieden.
Bisherige Prüftechnologie
Zu den gängigsten Prüfmethoden für Leistungsschalter in der Mittelspannung gehören Schaltereigenzeit- und Kontaktwiderstandsmessungen. Dazu ist ein galvanischer Zugriff auf die Hauptkontaktanschlüsse nötig. In luftisolierten Anlagen ist das meist kein Problem. Oft ist der Leistungsschalter auch noch ausfahrbar und damit für die Prüfung komplett von Hochspannung führenden Teilen sicher entkoppelt. Allen Anschlussmöglichkeiten steht für die verwendete Prüftechnik also nichts im Wege.
Selbst wenn der Leistungsschalter nicht ausfahrbar ist, steht Prüftechnik zur Verfügung, die die Aufrechterhaltung der beidseitigen Erdung des Prüfobjekts nicht nur während der Anschlussphase, sondern, ganz wichtig, auch während der Messvorgänge ermöglicht. Erwähnt seien hier die mit «Dual Ground» gekennzeichnete Schaltzeitmessmethode nach dem DCM-Verfahren [1] und die entsprechenden gekennzeichneten Mikroohmmeter von Megger.
Herausforderung Mittelspannungs-GIS
Bei Leistungsschaltern in gekapselten gasisolierten Schaltanlagen entfallen diese Möglichkeiten. Alle mit Hochspannung in Verbindung stehenden Primärkomponenten eines Feldes befinden sich in einem hermetisch abgeschlossenen Gasraum. Ein galvanischer Zugriff auf diese Komponenten ist theoretisch nur über Kabelanschlussräume, Reservefelder oder ähnlich möglich. Dies mag jedoch bestenfalls ein Weg während der Errichtungs- und Inbetriebsetzungsphase sein. Für Routineprüfungen ist das aber nicht praktikabel. Es müsste nämlich weit mehr als das zu prüfende Feld, meistens die gesamte Anlage, freigeschaltet werden. Zudem wäre ein messtechnischer Zugriff über die Kabelanschlüsse extrem aufwendig und mit Risiken behaftet. Schliesslich suchen Betreiber solcher Anlagen nach sinnvollen Prüfmöglichkeiten und Konzepten, die auch möglichst kompatibel zu bisheriger Prüftechnik sein sollte.
Der neue Weg
Der Hauptansatz, Schaltzeiten in gekapselten MS-GIS zu messen, war, den kapazitiven Messpunkt für Spannungsanzeiger bzw. den integrierten kapazitiven Spannungsanzeiger nach IEC 61243-5 VDE 0682-415 zu nutzen. Dieses Verfahren wurde von Syna und Westnetz mit Megger entwickelt. Die auch VDS (Voltage Detection System) genannten kapazitiven Messpunkte sind eine sichere Schnittstelle zu den Hochspannungskomponenten. Sie sind die einzigen Verbindungen zum Aktivteil, wenn kein Spannungswandler vorhanden ist. Das VDS ist in verschiedenen Ausführungen, wie HR, MR, LRM, in den Anlagen verbaut. Die elektrischen Eigenschaften der VDS-Varianten sind normiert. Für die unterschiedlichen VDS gibt es industriell hergestellte Adapter, um diese auf die moderne LRM-Ausführung zurückzuführen. Deshalb genügte die Entwicklung eines Messadapters zum Schalteranalysator auf LRM VDS, um das gesamte Spektrum abzudecken.
Zur Messung der Schaltzeiten des Leistungsschalters werden die erforderlichen Probeschaltungen des entsprechenden Feldes lastfrei, aber mit Betriebsspannung durchgeführt. Kapazitive Spannungsanzeiger kommen auch in luftisolierten Anlagen zum Einsatz. Diese ermöglichen einfache Vergleiche von konventioneller und über VDS vorgenommener Schaltzeitmessung. Die Abweichungen liegen im gleichen Rahmen der üblichen Messtoleranzen wie mehrfach durchgeführte konventionelle Messungen am gleichen Prüfobjekt. Bild 2 zeigt beispielhaft einen solchen Vergleich für einen Einschalt- und einen Ausschaltvorgang. Wie aus Bild 2 ersichtlich ist, können auch bei der Schaltzeitmessung über VDS gleichzeitig im Antrieb gemessene Grössen wie Auslöserstrom oder Hilfskontakte aufgezeichnet werden. Synchrone Weg-Zeit-Messungen sind ebenfalls möglich.
Ein weiterer Aspekt der Schaltzeitmessung über VDS ist die Möglichkeit, sogenannte «First-Trip»-Messungen durchzuführen, also den ersten Ausschaltvorgang nach langem Verbleiben im eingeschalteten Zustand aufzuzeichnen. Das erlaubt es, besondere Probleme zum Beispiel durch Schmierstoffalterung («Verharzung») zu erkennen. Das ist mit einer konventionellen Schaltzeitmessung nicht möglich, weil hierfür der Schalter zuvor freigeschaltet werden musste. «First-Trip»-Messungen wurden zuvor nur über die Erfassung der Wandlersekundärströme mit Stromzangen durchgeführt. [4] Der Prüfaufbau mittels VDS-Messadapter ist wesentlich schneller, einfacher und sicherer. Ausserdem ist das Messergebnis wesentlich unabhängiger vom geschalteten Betriebsstrom.
Sicher schalten
Bei Messungen über das VDS bleibt die Anlage unter Spannung, mit dem Vorteil, dass nicht freigeschaltet (Fünf Sicherheitsregeln) werden muss. Dies erfordert, dass sämtliche Verriegelungsbedingungen und Schutzfunktionen aufrechterhalten werden. Da konventionelle Schaltzeitmessungen nur an freigeschalteten LS durchgeführt wurden, wurden die erforderlichen Schaltbefehle vom Prüfgerät gegeben. Wesentlich vorteilhafter ist es also, dass der Schalteranalysator sich passiv als aufzeichnendes Gerät verhält, ohne Fremdsignale (Steuerimpulse) in die Anlage zu geben. Die Schaltbefehle kommen von der Vor-Ort-Steuerung oder aus der Warte. Der Analysator erhält aus der Anlage lediglich die parallel abgegriffenen Trigger-Signale. Um dies sicher und übersichtlich zu gestalten, wurde ein Rangierverteiler, die sogenannte Trigger-Box entwickelt (Bild 1).
Auf die Trigger-Box werden alle aus der Anlage kommenden Schaltbefehle für Trenn- und Erdungsschalter bzw. Mehrstellungsschalter, Leistungsschalter und Federaufzugsmotor aufgelegt und als Sammelbefehl an den Trigger-Eingang des Schalteranalysators angeschlossen. Auslöser- und Motorströme werden per Stromzange vom Analysator aufgezeichnet. Damit ist eine feldbezogene Analyse aller Schaltgeräte schnell, komfortabel und sicher durchführbar.
Schaltzeitmessungen an Leistungsschaltern in gekapselten Mittelspannungsanlagen sind so über das VDS nun mit geringem Aufwand schnell und sicher möglich. Lediglich der kostengünstige Messadapter, die sogenannte VDS-Box, ist zu den existierenden Schalteranalysatoren TM1800 und TM1700 erforderlich. Damit ist dann auch die Möglichkeit zur «First Trip»-Messung automatisch implementiert. Die Messung über das VDS zusammen mit der Antriggerung aus der Anlage ermöglicht so eine umfangreiche Bewertung der Schaltgeräte in MS-GIS und wird so in der Praxis bereits eingesetzt. [2, 3]
Referenzen
[1] Klaus Spitzenberg, «Schaltzeitmessung an beidseitig geerdeten Leistungsschaltern», EW Heft 08–2014.
[2] Bastian Wölke, Klaus Spitzenberg, «Schaltgeräteanalyse an Leistungsschalteranlagen im Offshore-Einsatz», EW Heft 02–2016.
[3] Bastian Wölke, Klaus Spitzenberg, «Zustandsermittlung an gasisolierten Mittelspannungsanlagen», Netzpraxis Heft 12, 2014.
[4] Matz Öhlén, Per Wennersten, «High-Voltage Circuit-Breaker Measurements – Expanding the Concept of Online Testing», Proceedings to IEEE T&D Conference, Dallas TX, 2005/2006.
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