Fachartikel Erneuerbare Energien , Integration ins Netz , Smart Grid

Auf dem Weg zu einem intelligenten Schweizer Verteilnetz

Smart-Grid-Lösung im Verteilnetz als Vorlage für die Energiewende

08.01.2017

Die Digitalisierung der Energieversorgung und der Aufbau eines intelligenten Verteilnetzes in der Schweiz sind wichtige Infrastrukturprojekte mit vielen technischen Fragestellungen. Ein Smart-Grid-Projekt der AEW Energie AG gemeinsam mit Landis+Gyr AG könnte vor diesem Hintergrund als Basis für die Zukunft dienen. Es führt neue, intelligente Anwendungen zur Integration dezentraler Erzeugungsanlagen im eigenen Netz und Dienst­leistungen wie das Einspeise-Management in fremden Netzgebieten in einer Smart-Grid-Lösung zusammen. Eine erste Zwischenbilanz liefert vielversprechende Ergebnisse.

Die Schweizer Energiewirtschaft befindet sich in einem tiefgreifenden Wandel, der unter anderem durch die Zunahme der dezentralen Produktion und Einspeisung volatiler erneuerbarer Energien getrieben wird. Diese dezentrale Einspeisung kann zur Umkehr der Energieflussrichtung und Veränderung der Kurzschlussleistung sowie zu Netzrückwirkungen führen. Dabei sind diese Auswirkungen keineswegs auf das eigene Netzgebiet beschränkt. Unternehmen wie die AEW Energie AG, die in enger Zusammenarbeit mit kommunalen Partnern den Kanton Aargau mit mehr als 4000 GWh Energie pro Jahr versorgt, stehen damit vor der Herausforderung, auch unter diesen neuen Bedingungen einen stabilen, effizienten und wirtschaftlichen Netzbetrieb und damit die Versorgungssicherheit ihrer Kunden gewährleisten zu können.

Verteilnetzbetreiber und Stromversorger sehen sich mit den Folgen eines Paradigmenwechsels konfrontiert, den auch die Energiestrategie 2050 vorzeichnet. Mit der wachsenden Zahl dezentraler – eigener oder von Dritten betriebener – Photovoltaik-Anlagen am Netz steigt auch die Zahl unabhängiger Energieerzeuger, die die vorhandene Infrastruktur nutzen.

Teilprojekte zum Ausgleich lastbedingter Probleme

Landis+Gyr, einer der weltweit führenden Anbieter integrierter Smart- Grid-Lösungen zur Netzüberwachung und -steuerung in Echtzeit, wurde beauftragt, ein Smart-Grid-Pilotprojekt durchzuführen, um diese Anlagen möglichst kosteneffizient und sicher in den Netzbetrieb zu integrieren. Parallel sollte die Früherkennung möglicher lastbedingter Probleme und die Einleitung entsprechender Gegenmassnahmen erleichtert werden, in erster Linie durch eine verbesserte Visualisierung wichtiger Transformatorenstationen und der Einspeisepunkte grosser (>200 kW) dezentraler Energieerzeugungsanlagen auf dem Leitsystem. Weit oben im Lastenheft standen bei dem gesamten Projekt Wirtschaftlichkeit, Skalierbarkeit und die Integration der neuen Smart-Grid-Anwendungen in bestehende Strukturen und Prozesse wie der Verrechnung elektrischer Energie.

Das gemeinsame Projekt wurde in zwei Teilprojekten durchgeführt:

  • Überwachung von Transformatorenstationen und Netzübergabepunkten.
  • Überwachung und Steuerung von Photovoltaik-Anlagen: Einspeise-Management von PV-Anlagen im eigenen Netz und Einspeise-Management von PV-Anlagen in fremden Netzgebieten.


Projektauftakt war im Frühjahr 2015. In einer ersten Zwischenbilanz zeigt sich, dass sich die Einspeisung aus der erneuerbaren Energieerzeugung über Smart-Grid-Anwendungen gut überwachen und steuern lässt und auch dann ein stabiler Netzbetrieb gewährleistet werden kann, wenn in Zukunft noch grössere Mengen volatiler Energien eingespeist werden. Basis dafür war eine modulare, flexible Lösung, die alle Teilprojekte in einem integrierten Konzept adressiert (Bild 1).

Visualisierung der Energieflüsse

Ziel war eine zuverlässige Überwachung und Visualisierung der Energieflüsse im Mittelspannungsnetz, auf den Transformatorenstationen, die auch Übergabepunkte zu anderen Energieversorgungsunternehmen sind, sowie hin zu den benachbarten Verteilnetzbetreibern. Hierzu werden die Wirk- und Blindleistung, der Leistungsfaktor, der Strom und die Spannung an der Transformatorstation gemessen und innerhalb des überlagerten SCADA-Systems (Supervisory Control and Data Acquisition) erfasst. Ausserdem werden die Zustände der Relais sowie die Kurzschluss- und Erdschlussströme – essentielle Grös­sen zur Aufrechterhaltung der Netzstabilität – überwacht (Bild 2). In einem nächsten Schritt werden auch die Netzqualitätsdaten nach EN50160 erfasst und integriert.

Überwachung und Steuerung der Photovoltaik-Anlagen

Innerhalb des zweiten Teilprojektes galt es, dezentrale Produktionsanlagen effizient in das Verteilnetz zu integrieren und hierbei Überspannungen und Überlastungen zu vermeiden. Das Konzept basiert auf denselben Modulen, welche auch in den Transformatorenstationen eingesetzt werden und ist damit Teil der Strategie, eine einheitliche, flexible Lösung zu schaffen, die an die Erfordernisse der unterschiedlichsten Anwendungen – und Anwender – angepasst werden kann.

Auch beim Einspeise-Management sitzt die eigentliche Intelligenz im SCADA-System, an welches im Zuge dieses Projektes Anlagen mit einer Leistung von mehr als 200  kVA angebunden werden. Die Mess- und Kenndaten sind im Wesentlichen dieselben. Hinzu kommt die Steuerung der Wechselrichter an den PV-Anlagen über das SCADA-System. Zur Aufrechterhaltung einer konstanten Spannung im Netz wird der Wechselrichter auf Basis der Spannungsmessung am Anschlusspunkt der PV-Anlage über die Einspeisung der Blind- und Wirkleistung geregelt. Weichen die Spannungswerte nach oben oder unten ab, wird in einem ersten Schritt die Blindleistung kompensiert. Reicht dies nicht aus, wird die eingespeiste Wirkleistung gesteuert.

Eine weitere Anforderung war, den beschriebenen Automatismus zur Überwachung und Steuerung der PV-Anlagen mit der Auslesung der eingespeisten Energie auf Basis derselben Kommunikationsinfrastruktur zu kombinieren. Eine Schlüsselrolle zur erfolgreichen Umsetzung spielen dabei die Zähler als Schnittstellen zum Erzeuger und/oder Verbraucher, dem «Prosumer».

Die Smart Grid Terminals lassen sich auch in Netzgebieten Dritter realisieren (Bild 3). Durch die integrierte Lösung können auch solche PV-Erzeuger zentral überwacht beziehungsweise gesteuert und somit das Einspeise-Management als professionelle Dienstleistung angeboten werden.

Module und Komponenten

Angesichts der rasanten Zunahme der dezentralen Energieeinspeisung sind jene Netzbetreiber im Vorteil, die ihre Infrastrukturen schnell und reibungslos sowohl an die neuen Herausforderungen wie volatile und fluktuierende Einspeisung als auch an ein geändertes Verbraucherverhalten durch eine Vielzahl an Akteuren anpassen können. Smarte Konzepte gewährleisten einen nachhaltig sicheren Betrieb, ermöglichen aber in der Regel auch eine wirtschaftlichere und effizientere Adaption an ständig wechselnde Bedingungen als die konventionelle Netzverstärkung.

Voraussetzung dafür ist eine modulare und damit erweiterbare Lösung. Im Zentrum der in diesem Pilotprojekt realisierten Lösung steht die L+G  SmartCOM RTU, welche zunächst als Gateway dient und die notwendigen Protokolle liefert. Als Linux-System kann das Terminal darüber hinaus mit SCRIPT-Algorithmen programmiert werden. Durch eine gewisse Intelligenz auf lokaler Ebene können Komponenten und Endgeräte autonom miteinander kommunizieren und interagieren. Die Kommunikationstechnologien variieren je nach Netzgebiet, Anwendung und bestehendem System. Die L+G  Smart-Grid-Lösung basiert auf einem CAN-Bus-System und kommuniziert über Mobilfunk 4G/3G mit den Zentralen.

In jenen Anwendungen des Pilotprojektes, die die Energieabrechnung miteinschliessen, wird die SmartCOM  RTU neben den Stromzählern installiert. Die Energiemessungen werden über Ethernet und DLMS/COSEM-Protokoll vom Fernauslesesystem abgelesen, wobei die betriebsrelevanten Daten über RS485 im Gateway auf das SCADA-Protokoll übersetzt und ins SCADA-System integriert werden. Bild 4 zeigt die realisierte System­architektur, welche die parallelen Anwendungen mit demselben Kommunikationssystem ermöglicht. In fremden Netzen kann die Messdatenerfassung bei PV-Anlagen mit Rogowski-Spulen realisiert werden.

Mit den I/O-Modulen werden die digitalen Inputs aus den Schutz-Relais und Kurzschluss- beziehungsweise Erdschlussinformationen sowie der Status der Tür und anderer wichtigen Infrastrukturteile der Transformatorenstation im SCADA-System visualisiert. Mit diesen Modulen wird durch die digitalen Ausgänge auch der Wechselrichter der PV-Anlagen gesteuert.

Fazit

Die technische Architektur der Lösung ist ein wichtiger, jedoch nicht der einzige Aspekt, der die beschriebene Lösung auszeichnet. Netzbetreiber können mit den Smart-Grid-Lösungen dafür vorbereitet sein, den sicheren Netzbetrieb auch mit zunehmender Einspeisung aus erneuerbaren Energien ins Niederspannungsnetz und dem Anschluss von «Prosumern» gewährleisten zu können. Durch bessere Visualisierungs- und Steuerungsmöglichkeiten können sie Probleme rechtzeitig identifizieren und entsprechend agieren. Auch die Effizienz von Netzinvestitionen lässt sich besser beurteilen und mit smarten Konzepten optimieren.

Zudem wurde im Rahmen dieses Pilotprojektes unter Beweis gestellt, dass nicht jeder Netzbetreiber eine eigene, proprietäre Lösung für das Smart Grid entwickeln muss, sondern dass der Einsatz von standardisierten und flexiblen Lösungen die gestellten Anforderungen und viele zukünftige Herausforderungen umfassend abdecken können.  

Autorin
Ifigeneia Stefanidou

ist 
Business Development Manager Smart Grid bei Landis+Gyr AG.

  • Landis+Gyr
    6300 Zug
Autor
Thomas Heiz

ist Teamleiter 
Leittechnik bei der AEW Energie AG.

  • AEW Energie AG 
    5001 Aarau

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