Agri-PV-Systeme in der Schweiz
Potenzial, Systemarten und Anwendungsgebiete
Die Doppelnutzung landwirtschaftlicher Flächen zur Erzeugung von Solarstrom, bekannt als Agri-Photovoltaik, gewinnt weltweit an Bedeutung. Im Gegensatz zu herkömmlichen Freiflächenanlagen wird die Fläche sowohl für die Energieerzeugung als auch für die landwirtschaftliche Nutzung erschlossen und damit die Effizienz der Landnutzung erhöht.
Agri-PV-Anlagen sind PV-Systeme, die eine Doppelnutzung einer Landfläche ermöglichen: für die Landwirtschaft sowie als PV-Standort zur nachhaltigen Energieerzeugung. Die Technologie wurde erstmals in den 1980er-Jahren in Japan und Deutschland getestet und seitdem in verschiedenen Ländern weiterentwickelt.
In der Schweiz, einem Land mit begrenzter landwirtschaftlicher Nutzfläche und hohen Umweltauflagen, bietet Agri-PV eine Chance. Landwirte können damit ihre Einnahmequellen diversifizieren und ihre Kulturen und Böden im Hinblick auf den Klimawandel besser schützen. Bisher bestehen in der Schweiz jedoch teilweise Bedenken und Hindernisse hinsichtlich der raumplanerischen Handhabung, der Bewilligungen, dem Verlust landwirtschaftlicher Flächen und der visuellen Beeinträchtigung der Landschaft. Diverse Bestrebungen sind im Gange, um diese Art der PV-Produktion an geeigneten Standorten zu ermöglichen.
Potenziale für Agri-PV in der Schweiz
Eine Potenzialanalyse der ZHAW zeigt ein theoretisches Gesamtpotenzial für die Schweiz von 323 TWh pro Jahr [1]. Berücksichtigt man jedoch nur Flächen innerhalb eines 300-m-Puffers um Einspeisepunkte, reduziert sich das Potenzial auf 113 TWh pro Jahr, verteilt über 2040 km2. Dieses Potenzial entspricht dem doppelten Stromverbrauch der Schweiz im Jahr 2023 und konzentriert sich hauptsächlich auf offene Ackerflächen (81%), Dauergrünland (16%) und Dauerkulturen (3%), insbesondere im Mittelland. Bei den Dauerkulturen haben Rebflächen den grössten Anteil, gefolgt von Obstplantagen.
Je nach gewählter Kultur könnten auf 1 bis 2% der Schweizer Landwirtschafsfläche (ohne Sömmerungsflächen), d. h. auf der zweieinhalb- bis fünffachen Fläche aller Schweizer Golfplätze, jährlich 7 bis 8 TWh Strom erzeugt werden, also rund 10% des für 2050 erwarteten Strombedarfs.
Systemarten
Bei der Überdachung von Kulturen überdecken die PV-Module die Kulturen ganz oder teilweise. Dies schränkt die Bewirtschaftung kaum ein und schützt die Kulturen. Für die Bewirtschaftung mit Maschinen sind lichte Höhen von mindestens 3 bis 4 m nötig. Dies bedingt einen erhöhten Aufwand für die Unterkonstruktion, speziell auch durch die im internationalen Vergleich hohen statischen Anforderungen der Schweizer Normen (SIA 261) für Windlasten. Es gibt eine Reihe von Systemen mit unterschiedlichen Anordnungen, Licht- und Regendurchlässigkeit der PV-Fläche (Bild 1). Nebst der auf die darunter angebauten Pflanzen abzustimmende Lichtdurchlässigkeit sind auch Zusatzelemente für die Dachwasserführung oder die benötigte Bewässerung unter den geschützten Bereichen vorzusehen.
Einen Sonderfall stellen geschlossene Gewächshäuser (Bild 2) dar. Vor allem bei Kulturen, die bisher bereits auf diese Weise gegen Umwelteinflüsse geschützt wurden und bei denen ein Neubau geplant ist, entstehen grosse Synergieeffekte.
Die einachsigen Trackersysteme sind in Reihen angeordnet (Bild 3). Sie folgen dem Lauf der Sonne um die horizontale Achse und maximieren so die Energieausbeute. Bei starkem Wind oder für die Bewirtschaftung des Bodens können die Modulflächen horizontal oder vertikal ausgerichtet werden. Über den Neigungswinkel kann die Beschattung der angrenzenden Flächen variiert werden, allerdings auf Kosten des Energieertrags.
Vertikale Systeme bestehen aus Reihen mit vertikal aufgestellten, beidseitig produzierenden PV-Modulen, sogenannten Bifazialmodulen (Einstiegsbild). Die Firma Next2sun hat das System erfunden, in den letzten Jahren zur Marktreife gebracht und zusammen mit Forschungsinstituten wie der Universität für Bodenkultur in Wien damit wesentliche Erkenntnisse gesammelt. Dabei geht nur ein sehr schmaler Streifen Land für die landwirtschaftliche Produktion verloren. Das System ist flexibel im Hinblick auf Bearbeitungshöhe, -breite und -richtung. Die Stromproduktion variiert je nach Reihenabstand (5 bis 12 m) und Bodenreflexion. Der spezifische Ertrag kann bis zu 10% höher sein als bei fest installierten Freiflächenanlagen.
Klassische schräg aufgeständerte Freiflächensysteme haben feste metallische Unterkonstruktionen, die in einem bestimmten Winkel zur optimalen Sonneneinstrahlung aufgestellt werden (Bild 4). Es gibt nach Süden ausgerichtete, meist steiler aufgerichtete PV-Flächen und Ost-Westsysteme mit flacherem Anstellwinkel. Solche Systeme gelten nicht als Agri-PV-Systeme, da sie die landwirtschaftliche Nutzung stark einschränken und es eher ein Nebeneinander als ein Miteinander der Nutzungen ist.
Raumplanung und Bewilligung
Die Raumplanung und die Bewilligung von Agri-PV-Anlagen in der Schweiz unterliegen strengen Vorschriften, insbesondere ausserhalb der Bauzonen. Die Anforderungen umfassen den Nachweis der Standortgebundenheit und der Vorteile für die landwirtschaftliche Produktion oder Forschung. Dies hat dazu geführt, dass bisher nur Pilotanlagen mit hohem Projektierungsaufwand realisiert werden konnten.
Konflikte können mit Fruchtfolgeflächen, Naturschutzgebieten und Ausgleichsflächen entstehen. Grössere Anlagen stellen ausserdem einen Eingriff in das Landschaftsbild dar. Um eine Bewilligung zu erhalten, müssen diese Aspekte sorgfältig abgewogen werden. Der Mantelerlass, der vom Volk am 9. Juni 2024 mit grossem Mehr angenommen wurde, schafft neue gesetzliche Grundlagen, die die Bewilligung von Agri-PV-Anlagen erleichtern sollen.
Anwendungsgebiete
Welches Agri-PV-System sich für welche Bewirtschaftung und Topografie eignet, hängt von mehreren Faktoren ab:
- Offene Ackerflächen: Einachsige Trackersysteme und vertikale Systeme sind hier besonders geeignet, da sie hohe Erträge liefern, günstiger sind und die Bewirtschaftung nur minimal beeinträchtigen.
- Dauergrünland: Vertikale Systeme sind ideal, da sie den Flächenverbrauch minimieren, an das oft nicht ebene Gelände anpassbar sind, die Weidenutzung nicht behindern und kostengünstiger als Überdachungssysteme sind.
- Dauerkulturen: Überdachungssysteme bieten den besten Schutz und optimieren die landwirtschaftlichen Erträge diverser Kulturen.
Die folgende Tabelle geht detaillierter auf die spezifischen Eigenschaften der Agri-PV-Systeme ein.
Gestehungskosten
Viele Faktoren beeinflussen die Gestehungskosten von Agri-PV-Anlagen. Bei den Investitionskosten sind die Kosten für Unterkonstruktion und Netzanschluss entscheidend. Erstere sind standortabhängig, wobei vertikale Konstruktionen am günstigsten sind, aber immer noch teurer als Dachanlagen oder klassische Freilandanlagen. Die Kosten für den Netzanschluss hängen vom Standort und vom System ab. Diverse Parameter unterliegen wirtschaftlichen Einflüssen (Modulpreise, Stahlpreise, Zinsniveau, künftig verschärfte Hagelanforderungen) und müssen daher regelmässig überprüft werden.
Eine Berechnung der Gestehungskosten für eine 1-MW-Referenzanlage am Standort Kloten durch die ZHAW [3] kommt zu folgenden Resultaten: Mit 6 Rp./kWh sind die Gestehungskosten bei Vertikalanlagen auf Grünland am tiefsten. Systeme über Ackerflächen kommen auf 7.8 Rp./kWh und Überdachungen von Dauerkulturen auf 8.4 Rp./kWh.
Für den Strommarkt der Zukunft und die wirtschaftliche Situation der Projekte gewinnt die Wertigkeit des Stroms und die Netzverträglichkeit des Stromerzeugungsprofils an Bedeutung. Die Produktion im Winter oder in den Morgen- und Abendstunden ist für die Vermarktung wertvoller. In einer Studie für Deutschland von Enervis erzielten die Anlagenkonstellationen vertikal aufgeständert mit West-Ost-Ausrichtung sowie steil aufgeständerte (70°) Anlagen mit Südausrichtung die besten Marktwertvorteile und Mehrerlöse [4]. Dies dürfte sich mit der zugrunde gelegten Strompreisentwicklung und dem Ausbau der PV-Leistung in den kommenden Jahren noch akzentuieren.
Fazit und Ausblick
Agri-Photovoltaik bietet ein enormes Potenzial für eine nachhaltige Energieproduktion in der Schweiz, mit minimaler Beeinträchtigung der landwirtschaftlichen Nutzung. Je nach Bewirtschaftung und Topografie eignen sich unterschiedliche Agri-PV-Systeme. Besondere Vorteile bieten vertikale Systeme mit hoher Flächeneffizienz, guter Anpassbarkeit an die Topografie und geringerer visueller Beeinträchtigung.
Verschiedene Länder haben das Potenzial erkannt und ermöglichen die Agri-PV. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen in der Schweiz verhinderten diese Doppelnutzung bisher jedoch praktisch komplett. Im Rahmen des Mantelerlasses und weiterer politischer Vorlagen sind Bestrebungen im Gang, die Möglichkeiten zur Genehmigung solcher Anlagen zu erleichtern. Landwirte könnten so zu wichtigen Akteuren der Energiewende werden und ihre Einkommensquellen diversifizieren. Gleichzeitig bietet sich die Chance, die Auswirkungen des Klimawandels auf landwirtschaftliche Kulturen zu mindern.
Agri-PV reduziert die Bodenaustrocknung, spart Wasser, bietet Schutz vor Wind und bei überdachten Systemen vor Hagel und Starkregen. Für den Strommarkt mit zunehmend tieferen Preisen im Sommer und zur Mittagsspitze sind insbesondere steil aufgeständerte Systeme attraktiv, die international in grossen Projekten umgesetzt und mit Forschungsbegleitung durch diverse Universitäten erprobt wurden. Sie weisen ein interessantes Erzeugungsprofil, einen höheren Marktwert und eine bessere Netzverträglichkeit als andere Systeme auf.
Referenzen
[1] Dionis Anderegg, Mareike Jäger, Sven Strebel, Jürg Rohrer, Potenzialabschätzungen für Agri-PV in der Schweizer Landwirtschaft, ZHAW, 2024.
[2] Agri-Photovoltaik: Chance für Landwirtschaft und Energiewende. Ein Leitfaden für Deutschland, Fraunhofer ISE, Februar 2024.
[3] Mareike Jäger, Christina Vaccaro, Jürg Boos, Johann Junghardt, Sven Strebel, Dionis Anderegg, Jürg Rohrer, Beatrix Schibli, Machbarkeitsstudie Agri-Photovoltaik in der Schweizer Landwirtschaft, ZHAW, 2022.
[4] Studie – Analyse innovativer Anlagendesigns für ein strommarktoptimiertes PV-Portfolio, Enervis Energy Advisors GmbH, 2022.
Kommentare
Andi Trüssel,
Danke für den Bericht. Über die Speicherung der nicht abgenommenen Energie und die Überbrückung der sonnenlosen Zeiten inkl. Saisonale Verschiebungen wie auch der Netzausbau wird nichts gesagt und sind nicht eingepreist!
Andi Trüssel,
Danke für den Beitrag. Ein Blick nach Deutschland sagt etwas Anderes in Sachen Kosten der Energie! Nicht eingepreist sind die Netzkosten für die tages- und saisonale Verschiebung der überschüssigen Energie. Ebenso gehören die Subventionen erwähnt, um wirklich Birnen mit Birnen zu vergleichen.