Fachartikel Energiemarkt , Regulierung

EU-Winterpaket zum Strommarkt

Initiative der Europäischen Kommission zur Neugestaltung des Strombinnenmarktes

31.01.2017

Die Europäische Kommission hat am 30. November 2016 unter dem Titel «Saubere Energie für alle Europäer» [1] acht Gesetzesvorschläge zur Überarbeitung weiter Teile des Energie- und Stromsektors veröffentlicht. Der Schweiz wurde kein privilegierter Zugang zum Strombinnenmarkt eingeräumt.

Zentrales Element des Winterpakets sind acht Gesetzesvorschläge. Zusammen mit diesen wurden weitere 30 Berichte, Mitteilungen und Folgeabschätzungen veröffentlicht [2], die die Grundlage für die Gesetzesvorschläge bilden. Ziel der Europäischen Kommission ist die Umsetzung der EU-Energieunion, wie sie von den Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedsstaaten Ende 2015 gefordert worden war. Zur Erreichung der europäischen Klima- und Energieziele für 2030 soll das Strommarkt-Design unter besonderer Berücksichtigung von Digitalisierung, der Verbraucher und der Förderung der erneuerbaren Energien zukunftsfähig aufgestellt werden.

Verordnung zum Strombinnenmarkt

Der Vorschlag für eine Verordnung zum Strombinnenmarkt dient der Neufassung der bisherigen Verordnung über die Netzzugangsbedingungen im Strombereich; diese ist Teil des sogenannten dritten Energie-Binnenmarktpakets der EU aus dem Jahr 2009. Auf der Grundlage des Energy-only-Market-Modells wird das bestehende Marktmodell im Hinblick auf die zunehmend dezentrale und volatile Stromerzeugung in der EU angepasst. Die Verordnung enthält Regelungen zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit im Bereich der Versorgungssicherheit und zur Einbindung der Produktion von Strom aus erneuerbaren Energieträgern in den Markt. Zur Stärkung des grenzübergreifenden und marktbasierten Stromhandels sollen der Day-Ahead- und der Intraday-Markt ausgebaut werden.

Aus Sicht der federführenden Generaldirektion Energie der Europäischen Kommission führt die Zunahme von Kapazitätsmechanismen zu einer Zersplitterung des EU-Strombinnenmarktes. Der Vorschlag enthält daher Regeln, nach denen sich die EU-Mitgliedsstaaten vor der Einführung nationaler Kapazitätsmechanismen mit ihren benachbarten EU-Mitgliedsstaaten und ACER abstimmen müssen. Damit soll verhindert werden, dass Kapazitätsmechanismen den Markt verzerren oder den grenzüberschreitenden Stromhandel behindern.

Zwingende Voraussetzung für die Einführung eines Kapazitätsmechanismus ist der Nachweis der fehlenden Angemessenheit von Erzeugungskapazität und Flexibilität (resource adequacy) [3]. Ebenso zwingend erforderlich ist die Möglichkeit der grenzüberschreitenden Teilnahme von Anlagen aus benachbarten EU-Mitgliedsstaaten.

Spät – und für viele überraschend – hat die Europäische Kommission zudem Umweltkriterien für Kapazitätsmechanismen in ihre Entwürfe eingefügt: Kraftwerke mit Emissionen von mehr als 550gr CO2/kWh können nur übergangsweise (längstens bis fünf Jahre nach Inkrafttreten der Verordnung) an Kapazitätsmechanismen teilnehmen. Damit wird dem Grossteil der Braun- und Steinkohlekraftwerke die Teilnahme an Kapazitätsmechanismen verwehrt. Die Europäische Kommission will damit verhindern, dass Kapazitätsmechanismen zu Subventionsvehikeln für fossile Kraftwerke werden, die nicht mehr marktgerecht produzieren.

Die Europäische Kommission schlägt ausserdem die Gründung eines institutionalisierten europäischen Zusammenschlusses der Verteilnetzbetreiber (VNB) nach dem Vorbild von ENTSO-E [4] vor. Die Mitgliedschaft steht VNB offen, die nach Massgabe des dritten EU-Energiebinnenmarktpakets rechtlich entbündelt sind. Umgekehrt wären damit alle VNB von der Mitgliedschaft ausgeschlossen, die von der «de-minimis»-Ausnahme für VNB mit weniger als 100 000 angeschlossenen Kunden Gebrauch machen. Wie ENTSO-E soll der Zusammenschluss zukünftig an der Entwicklung von Netzkodizes für VNB teilnehmen, die dann als delegierte Rechtsakte verabschiedet werden. Der Ausschluss des zahlenmässig grössten Teils der VNB vom geplanten Zusammenschluss wird mit Sicherheit zu Diskussionen im Rahmen des anstehenden Gesetzgebungsverfahrens führen.

Gemeinsame Regeln für den EU-Strombinnenmarkt

Der Vorschlag für eine Richtlinie zu gemeinsamen Regeln für den EU-Strombinnenmarkt ersetzt die Richtlinie aus dem Jahr 2009 und soll einen marktbasierten, verbraucherorientierten und flexiblen Strombinnenmarkt schaffen. Entsprechend enthält die Richtlinie Regelungen zur Rolle der Verbraucher und deren Rechte, zur Eigenerzeugung, zu Aggregatoren und zu den Aufgaben von Übertragungsnetzbetreibern (ÜNB) und VNB.

Der Verbraucher soll durch ein besseres Informationsangebot, die Möglichkeiten zur Eigenerzeugung und zur Vermarktung seiner Flexibilität (Bedarfssteuerung) sowie durch einen verbesserten Verbraucherschutz aktiv am Strommarkt teilnehmen. Zu den neuen Verbraucherrechten gehören der Anspruch auf dynamische Tarife, die sich am Preis am Grosshandelsmarkt orientieren, die verbesserte Möglichkeit, mit Aggregatoren – die die Bedarfssteuerung bündeln – Verträge abzuschlies­sen sowie ein gebührenfreier Lieferantenwechsel. Zudem sollen der Eigenverbrauch und die Stromspeicherung durch den Verbraucher erleichtert werden.

Aus Sicht der Schweizer Energiewirtschaft ist das Verbot für ÜNB und VNB, Speicher zu betreiben, von Bedeutung. Allerdings gibt es hierzu Ausnahmen, wenn die jeweilige nationale Energieregulierungsbehörde es erlaubt, im Rahmen von Ausschreibungen keine anderen Anbieter gefunden wurden und der Speicher dem besseren Netz-Management dient. Diese Bedingungen sind kumulativ zu erfüllen; spätestens alle fünf Jahre sind die Ausschreibungen zu wiederholen.

ACER: EU-Regulierungsbehörde?

Der Vorschlag für eine Verordnung zur Schaffung einer EU-Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (ACER) soll die bestehende ACER-Verordnung aus dem Jahr 2009 ersetzen. Ziel ist der Ausbau der Kompetenzen und der finanziellen und personellen Ausstattung von ACER. ACER soll unter anderem die Verfahren zur EU-weiten Prüfung der Angemessenheit der Erzeugungskapazität genehmigen. Die zusätzlichen Kompetenzen von ACER könnten zu Abgrenzungsschwierigkeiten gegenüber dem Aufgabenspektrum der nationalen Energieregulierungsbehörden führen.

Risikovorsorge im Stromsektor

Vor dem Hintergrund neuer Bedrohungsszenarien, wie zum Beispiel Cyber-Attacken oder extreme Wetterlagen, schlägt die Europäische Kommission eine stärkere grenzübergreifende Zusammenarbeit der EU-Mitgliedsstaaten in Krisensituationen vor. Statt wie bisher mit einer Richtlinie soll dies nun durch eine Verordnung geschehen, die unmittelbar in den EU-Mitgliedsstaaten gilt; es handelt sich somit um einen stärkeren Eingriff in die Kompetenz der EU-Mitgliedsstaaten.

Förderung von erneuerbaren Energien

Der Vorschlag ersetzt die Richtlinie aus dem Jahr 2009 und soll sicherstellen, dass das 2014 vom Europäischen Rat beschlossene Ziel von mindestens 27% erneuerbarer Energien am End­energieverbrauch der EU bis 2030 umgesetzt wird. Der Vorschlag enthält Regelungen zur Art der finanziellen Förderung von erneuerbaren Energien, zur grenzübergreifenden Teilnahme an Fördersystemen, zu Eigen­erzeugung und -verbrauch von Strom aus erneuerbaren Energien, zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren, zur Verwendung von erneuerbaren Energien im Bereich Heizen und Kühlen sowie im Verkehrsbereich und zu einer Verbesserung der Nachhaltigkeit von Biomasse.

Die EU-Mitgliedsstaaten sollen sicherstellen, dass die Förderung erneuerbarer Energien auf offene, transparente, wettbewerbliche, nicht-diskriminierende und kosteneffiziente Weise erfolgt. Rat und Europäisches Parlament könnten im anstehenden Gesetzgebungsverfahren versuchen, die Art der Förderung, wie zum Beispiel die Ausgestaltung von Ausschreibungsverfahren, kleinteiliger zu regeln, um damit mehr Investitionssicherheit zu schaffen.

Der Vorschlag enthält umfassende Regeln zum Eigenverbrauch von erneuerbaren Energien und sieht vor, dass EU-Mitgliedsstaaten sicherstellen müssen, dass Anlagenbetreiber ihren produzierten Strom aus Erneuerbaren selbst verbrauchen und verkaufen können. Der Vorschlag umfasst ausserdem Regelungen zur Fernwärme, unter anderem mit dem Ziel, Wärme aus erneuerbaren Energien den Eintritt in den Fernwärmemarkt zu erleichtern.

Governance der EU-Energieunion

Die EU will eine Governance-Struktur für die EU-Energieunion schaffen. So sollen unter anderem bestehende Berichts-, Planungs- und Monitoring-Pflichten der EU-Mitgliedsstaaten gegenüber der EU gebündelt und vereinfacht werden. Der Vorschlag richtet sich an die EU-Mitgliedsstaaten und enthält keine unmittelbaren Vorgaben für Unternehmen. Ab 2019 müssen die EU-Mitgliedsstaaten «Integrierte nationale Energie- und Klimapläne» für den Zeitraum 2021–2030 vorlegen, worin sie ihre nationalen Ziele, ihre Energiepolitik und ihre Massnahmen zur Erreichung der fünf Dimensionen der EU-Energieunion darlegen: Energiesicherheit, Energiebinnenmarkt, Energieeffizienz, Dekarbonisierung sowie Forschung und Innovation.

Innerhalb dieser neuen Governance-Struktur soll ein Überprüfungsmechanismus sicherstellen, dass die Klima- und Energieziele für das Jahr 2030 tatsächlich erreicht werden. Dazu räumt der Vorschlag der Europäischen Kommission das Recht ein, nationale Ziele und Massnahmen zu überprüfen und Empfehlungen auszusprechen. Um eine Zielverfehlung beim Anteil der erneuerbaren Energien zu vermeiden, verpflichtet der Vorschlag die EU-Mitgliedsstaaten, bis 2024 zusätzliche Massnahmen zu ergreifen. Dazu gehören Einzahlungen in einen von der Europäischen Kommission verwalteten Fonds für Projekte mit erneuerbaren Energien sowie die Anhebung der nationalen Mindestanteile der erneuerbaren Energien am Wärmemarkt und im Verkehrssektor.

Abschlussbericht zu den Kapazitätsmechanismen

Der von der Generaldirektion Wettbewerb der Europäischen Kommission erstellte Abschlussbericht zu den Ergebnissen der Sektoruntersuchung zu Kapazitätsmechanismen leitet im Unterschied zu den acht Gesetzesvorschlägen kein Gesetzgebungsverfahren ein. In der Sektoruntersuchung werden 35 Kapazitätsmechanismen in elf EU-Mitgliedsstaaten untersucht und in sechs verschiedene Kategorien aufgeteilt: (1) Ausschreibungen für neue Kapazität, (2) strategische Reserve, (3) gezielte Kapazitätszahlungen, (4) Zentraleinkäufer (Central Buyer), (5) dezentrale Verpflichtung und (6) marktweite Kapazitätszahlungen.

Nach Massgabe des Abschlussberichts sind bei langfristigen Bedenken bezüglich der Versorgungssicherheit volumen-basierte, marktweite Mechanismen (Zentraleinkäufer oder dezen­trale Verpflichtung) und bei temporären Bedenken strategische Reserven vorzuziehen. Bei der Ausgestaltung sei darauf zu achten, dass möglichst alle Kapazitätsanbieter diskriminierungsfrei teilnehmen können, Marktverzerrungen verhindert werden und die grenzüberschreitende Teilnahme von Anlagen in anderen Mitgliedsstaaten ermöglicht wird. Die Ergebnisse des Abschlussberichts sind massgeblich in den Vorschlag zur Verordnung zum Strombinnenmarkt eingeflossen. Im Unterschied zum Vorschlag zur Verordnung zum Strombinnenmarkt fordert der Abschlussbericht eine technologieneutrale Ausgestaltung von Kapazitätsmechanismen und enthält keine CO2-Obergrenze für teilnehmende Kraftwerke.

Die acht Gesetzesvorschläge der Europäischen Kommission:

  1. Vorschlag für eine EU-Verordnung zum Strombinnenmarkt (Neufassung der Verordnung über die Netzzugangsbedingungen Strom (EU) Nr. 714/2009)
  2. Vorschlag für eine EU-Richtlinie zu gemeinsamen Regeln für den EU-  Strombinnenmarkt (Neufassung der Strombinnenmarkt-Richtlinie 2009/72/EU)
  3. Vorschlag für eine EU-Verordnung zur Schaffung einer EU-Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (Neufassung der ACER-Verordnung (EU) Nr. 713/2009)
  4. Vorschlag für eine EU-Verordnung zur Risikovorsorge im Stromsektor (ersetzt Strom-Versorgungssicherheits-Richtlinie 2005/89/EU)
  5. Vorschlag für eine EU-Richtlinie zur Förderung der Erneuerbaren Energien (Neufassung der Erneuerbare Energien Richtlinie 2009/28/EU)
  6. Vorschlag für eine EU-Richtlinie zur Revision der Energieeffizienz-Richtlinie 2012/27/EU
  7. Vorschlag für eine EU-Richtlinie zur  Revision Gebäudeeffizienzrichtlinie 2010/31/EU
  8. Vorschlag für eine EU-Verordnung zur Governance der Energieunion

Wie geht es weiter?

Die Vorschläge werden nun im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren durch das Europäische Parlament und den Rat der EU beraten. Die Strategie der Europäischen Kommission im Hinblick auf das anstehende Gesetzgebungsverfahren könnte darin bestehen, mit Verweis auf die Querbezüge der einzelnen Elemente des Winterpakets, mögliche Änderungswünsche vom Europäischen Parlament und des Rats beziehungsweise der Mitgliedsstaaten zu verhindern.

Dem Vernehmen nach waren im Entwurf zum Vorschlag für eine Verordnung zum Strombinnenmarkt und im Entwurf zu einem Vorschlag für eine Richtlinie zu gemeinsamen Regeln für den EU-Strombinnenmarkt je ein Artikel enthalten, der sich am Inhalt der Entwürfe des Stromabkommens zwischen der Schweiz und der EU orientierte. Eine weitere Regelung hätte die Teilnahme von Nicht-EU-ÜNB bei ENTSO-E übergangsweise geregelt. Diese für die Schweiz grundsätzlich erfreulichen Regelungen sind in den am 30. November 2016 veröffentlichten Vorschlägen jedoch nicht (mehr) enthalten. Damit stellt sich die Frage, ob das Prinzip der grenzübergreifenden Teilnahme, zum Beispiel an Kapazitätsmechanismen oder an Fördermechanismen für Strom aus erneuerbaren Energien, auch für Anlagen mit Standort Schweiz offensteht. Nach dem aktuellen Wortlaut ist dies nicht der Fall.

Schwerpunkte aus Sicht der Schweiz

Eine möglicherweise für die Schweiz relevante Regelung ist im Vorschlag für eine Richtlinie zur Förderung der erneuerbaren Energien enthalten: Diese sieht vor, dass die Zusammenarbeit von Mitgliedsstaaten mit Drittstaaten im Bereich der Herkunftsnachweise ein Abkommen der EU mit dem betreffenden Drittstaat voraussetzt. Dies wird bilaterale Abkommen der Schweiz mit den Anrainerstaaten weiter erschweren.

Im Rahmen der Arbeiten an einer verbesserten Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten bei der Erarbeitung von Notfallplänen und zur Bewältigung von Notfällen im Strombereich ist im Winterpaket eine Berücksichtigung von nicht-EU-Staaten vorgesehen: Hier besteht die Möglichkeit, die Rolle der Schweiz als Stromdrehscheibe und deren Beitrag zur Risikovorsorge im Strombereich der EU und insbesondere der Anrainerstaaten der Schweiz geltend zu machen. 

Referenzen

[1]   «Mitteilung der Europäischen Kommission: Saubere Energie für alle Europäer» vom 30. November 2016.
[2]   http://ec.europa.eu/energy/en/news/commission-proposes-new-rules-consumer-centred-clean-energy-transition
[3]   Vorschlag für eine EU-Verordnung zum Strombinnenmarkt, Seite 5: «It is therefore necessary to assess the ability of the European electricity system to offer sufficient generation and flexibility to ensure reliable electricity supply at all times (resource adequacy).»
[4]   European Network of Transmission System Operators.

Autor
Eberhard Röhm-Malcotti

ist Leiter Energiepolitik EU bei Axpo

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