Meinung Märkte und Regulierung , Produktion , VSE

Wie geht es weiter in unserer Energie­landschaft…?

Die Schweiz kann die Weichen für die Zukunft stellen

10.12.2017

Das Schweizer Stimmvolk hat am 21. Mai 2017 das neue Energiegesetz angenommen – und damit der ersten Etappe der Energiestrategie 2050 mit deutlicher Mehrheit zugestimmt. Die Diskussionen um die zweite Etappe, in der das zukünftige Marktmodell festgelegt werden soll, sind schon voll im Gange.

Das Bundesamt für Energie hat in den letzten Wochen drei wichtige Berichte als Diskussionsgrundlage veröffentlicht. Sie behandeln die grundlegenden Themenbereiche, welche die künftige Schweizerische Strompolitik prägen soll.
Die erste Studie behandelt die Frage der System Adequacy. «Umgedeutscht»: eine Modellierung der angemessenen Erzeugungs- und Systemkapazität für die Schweiz. Mit der Modellierung der System Adequacy wird geprüft, wie sich zentrale und dezentrale Produktions-, Netz- und Speicherinfrastrukturen zur Nachfrage verhalten. Zudem wird untersucht, ob die Versorgungssicherheit und die Verfügbarkeit über das gesamte Jahr gewährleistet sind, in Anbetracht der grossen saisonalen Bedarfsschwankungen, der witterungsbedingten Variabilität und der physikalischen und regulatorischen Randbedingungen an den Landesgrenzen.

Mit rund 20 GW verfügbarer Leistung – davon ein grosser Teil als flexible Wasserkraft – und einer Spitzennachfrage von rund 12 GW an den kältesten Wintertagen ist die Schweiz in einer guten Lage. Der Bericht macht jedoch richtigerweise darauf aufmerksam, dass diese gute Lage mittel- und langfristig nur mit einer guten Einbettung in das europäische Umfeld zu halten ist. Leider lässt der Bericht alle diesbezüglichen wirtschaftlichen und politischen Fragen offen. Der Preis dieser für unser Land so wichtigen Stabilität wird also noch zu eruieren sein. Bis hier mehr Klarheit herrscht, sind wir gut beraten, weiter in Szenarien zu denken. Sehr schnell können politische Entscheide – zum Beispiel in Deutschland betreffend Kohle und in Frankreich betreffend Kernenergie – die Ausgangslage der Schweiz einschneidend beeinflussen und die physikalischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen entscheidend verändern.

Die zweite Studie behandelt die finanzielle Situation der Schweizer Strombranche in den letzten zehn Jahren. Mit der Direktive zur Marktöffnung hat die EU im Jahre 1995 ein gewichtiges Prinzip proklamiert. Die wichtigste Grundvor­aussetzung dafür ist das «Unbundling», also die buchhalterische, juristische Entbündelung der Bereiche Produktion/Handel, Netz und Verkauf. In der Schweiz haben wir das buchhalterische Unbundling und auf der obersten Netz­ebene das «Legal Unbundling» eingeführt. Wir stellen heute fest, dass das in seiner Ausgestaltung auf halbem Weg stehengebliebene Gesetzesgerüst zu massiven Marktverzerrungen führte: Wegen der tiefen europäischen Grosshandelspreise ist heute ein Teil der wichtigen Eigenproduktion wirtschaftlich voll exponiert, während ein anderer Marktteilnehmer dank gebundener Kunden weiterhin regulierte Margen erwirtschaftet. Die heutige hybride Gestaltung des Schweizer Strom-«Marktes» ist nicht nachhaltig. Werte werden vernichtet, der Kundennutzen ist beschränkt und die Branche droht an Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren. Politik und Branche sind gefordert. Brancheninternes Seilziehen und Festhalten am Status quo wird nur neuen Akteuren das Eintreten in den Strommarkt erleichtern.

Mit dem dritten Bericht werden Eckpfeiler des zukünftigen Schweizerischen Marktdesigns behandelt. Es ist enttäuschend, dass diese Studie erneut die kurzfristige Versorgungssicherheit als Ankerpunkt nimmt. Diese wurde schon mit der System-Adequacy-Studie hinterlegt. Ebenfalls enttäuschend ist, dass nur ausgeführt wird, welche Modelle sich nicht für die zukünftige Gestaltung des Marktes eignen. Innovative, langfristig angelegte Lösungsansätze fehlen.

Mit der nächsten Etappe der Energiestrategie 2050 hat die Schweiz die Möglichkeit, viele Weichen für die Zukunft richtigzustellen. Wir haben auch die Chance, aus Fehlern der Nachbarländer zu lernen: So leistet sich Deutschland heute zwei parallele, vollentwickelte Stromsysteme: Ein «neu-erneuerbares» (mit 60 GW installierter Leistung) und das klassische System, basierend vorwiegend auf Braun- und Schwarzkohle mit 80 GW. Als Folge davon ist der Strompreis für den Haushaltskunden von 13 cts/kWh im Jahr 2000 auf heute 28 cts/kWh gestiegen! Investiert werden jährlich 26 Milliarden Euro durch Subventionen in die erneuerbaren Energien. Doch Deutschland hat seinen CO2-Ausstoss des Stromsystems nicht reduzieren können. Frankreich sucht weiterhin eine Lösung für die Kosten der Entsorgung radioaktiver Abfälle. Und Grossbritannien versucht, die Versorgungssicherheit über die Subvention von neuen Kernkraftwerken zu erreichen.

Die Schweiz hat eine weitaus bessere Ausgangslage: Eine ausgezeichnete Infrastruktur, genügend verfügbare Leistung und eine hohe Flexibilität. Auf dieser Basis können wir ein «Marktdesign»  entwerfen und einführen, das den Kundennutzen maximiert, ohne die notwendige Infrastruktur und damit die Versorgungssicherheit zu gefährden. Dies geht nur in enger Zusammenarbeit der Branche mit Bund, Kantonen und der Politik.

Autor
Michael Wider

ist Präsident des VSE.

  • VSE, 5000 Aarau

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