Fachartikel Smart Grid

Unterstützung auf dem Weg zum Smart Grid

Leitfaden für Energie­versor­gungs­unter­nehmen

01.12.2021

Die Digitalisierung ist eine der grössten Treiberinnen in der Energiebranche. Die Gemeindewerke müssen neben der Sicherstellung der Energieversorgung ihre Rolle im sich stark wandelnden Umfeld finden. Das Projekt «Zukunft Verteilnetz» hat einen Leitfaden erarbeitet, der die Umsetzung einer «Smart Grid»-Infrastruktur des Verteilnetzes ermöglicht.

Ein Grossteil der Energieversorgungsunternehmen im Metropolitanraum Zürich sind Gemeindewerke, die ihre angestammten Gemeinden mit Energie versorgen. Allerdings kommen immer mehr «smarte» Produkte wie Elektromobile oder Energieerzeugungsanlagen, die Rückwirkungen auf das elektrische Verteilnetz haben, auf den Markt. Die Gemeindewerke sind einerseits mit gesetzlichen Massnahmen aus der Energiestrategie 2050, der Strommarktliberalisierung beziehungsweise dem Smart-Meter-Rollout konfrontiert. Andererseits müssen sie auch mit marktgetriebenen Entwicklungen wie zum Beispiel der Zunahme der Elek­tromobilität oder dem Ersatz von fossil betriebenen Anlagen durch solche, die mit erneuerbarer Energie betrieben werden, zum Beispiel Wärmepumpen statt Ölheizung (Dekarbonisierung), klarkommen.

Das Kooperationsprojekt in der Umsetzung

In Zusammenarbeit mit Gemeindewerken und der Trägerschaft Smart Grid Ready wurden Herausforderungen, Rollen und Handlungsspielräume konsolidiert. Dabei wurde nicht nur der Ist-Zustand der Verteilnetze analysiert, sondern auch eine Vision für den Soll-Zustand entwickelt – also, wie das zukünftige Verteilnetz Smart Grid Ready aussehen soll. Daraus liessen sich konkrete Handlungsempfehlungen ableiten (Bild unten).

Amstein + Walthert sowie Schnyder Ingenieure haben im Rahmen des Kooperationsprogramms des Vereins Metropolitanraum Zürich mit dem Projekt «Zukunft Verteilnetz» einen Leitfaden erarbeitet, der die Verteilnetzbetreiber in der Umsetzung einer zukünftigen «Smart Grid»-Infrastruktur unterstützt. Der Leitfaden wurde mit den Projektpartnern des Metropolitanraums Zürich in gemeinsamen Workshops entwickelt und umfasst zehn Handlungsfelder, die auf der Website www.zukunftverteilnetz.ch heruntergeladen werden können. Der Leitfaden ist in zehn Handlungsfelder unterteilt (Bild oben) und bietet Anleitungen und Arbeitshilfen zur Unterstützung. Er liefert ausserdem Beispiele sowie Prozessvorlagen, sodass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Gemeindewerken und Verteilnetzbetreibern die Massnahmen selbstständig umsetzen können.

Das Ziel der Metropolitan-Konferenz Zürich

Das Kooperationsprojekt ermöglicht den Gemeindewerken mit limitierten Personal- und Fachressourcen Zugang zur Planung und Umsetzung einer «Smart Grid Ready»-Infrastruktur. Dank seiner Praxisorientierung leistet das Projekt einen wichtigen Beitrag zur Umsetzung der Energiestrategie 2050. Die Energieversorgungsunternehmen müssen ihr Verteilnetz zum Smart Grid weiterentwickeln. Doch wie?

Wenn zwei Experten über «Smart Grid» sprechen, meinen sie oft nicht das Gleiche. Das Thema ist komplex und hat viele Schnittstellen zu anderen Fachbereichen. Im Rahmen des Projekts wurden eine Vision eines «Smart Grid»-Verteilnetzes, basierend auf der Smart Grid Roadmap Schweiz, definiert sowie ein gemeinsames Verständnis und eine gemeinsame Definition festgelegt.

Mit einer «Smart Grid»-Infrastruktur können die Komponenten eines Verteilnetzes mit Akteuren, Energielieferanten, Systemen und Produkten miteinander kommunizieren. Daher besteht seitens der Gemeindewerke Bedarf an Handlungsempfehlungen zur Planung und Umsetzung des «Smart Grid Ready»-Verteilnetzes. Mit intelligenten Netzen können Investitionen in die Infrastruktur gezielt dort eingesetzt werden, wo sie die grösste Wirkung entfalten. Damit entfällt der kostspielige Ausbau einer statischen Infrastruktur.

Herausforderungen und Hemmnisse

Die erste Phase des Projekts diente der Identifikation von Herausforderungen und Hemmnissen für Verteilnetze und deren Betreiber. Dabei kristallisierten sich die Themenbereiche regulatorisches Umfeld, Trends, technische Entwicklungen und die Rolle der Energieversorgungsunternehmen heraus. Für das Projekt wurden daraus folgende zwei Hypothesen formuliert:

  • Die Netzebene 7 wird im Vergleich zur Netzebene 5 als Blackbox betrieben. Der Inhalt der Blackbox ist bekannt, wird aber nicht zeitnah gemessen und zur Automatisierung genutzt.
  • Gemeindewerke können mit den vorhandenen Ressourcen und ihrem Wissen die Themen oft nichtvollumfänglich untersuchen und auch nicht bewusst entscheiden, ob und wie sie neue Themen anpacken.

Regulatorisches Umfeld und Gesetze Die gesetzlichen Grundlagen basierend auf der Energiestrategie 2050 verändern das regulatorische Umfeld und die gesetzlichen Rahmenbedingungen laufend. Im Weiteren müssen die Gesetze hinsichtlich der Anforderungen und Bedürfnisse revidiert werden, mit dem Ziel, die vollständige Marktöffnung umzusetzen.

Trendanalyse Die Digitalisierung ist einer der wichtigsten Treiber für die Weiterentwicklung der Energiebranche. Die Rolle des «digitalen Energieversorgers» steht im Raum. Deren Leistungsangebote sind vernetzt, flexibel, digital und dienstleistungsorientiert.[1] Viele Fragen bestehen insbesondere beim Thema Daten (Erfassung, Speicherung, Schutz, Verwendung) sowie im Bereich der Cyber Security.

Technische Entwicklungen Die Digitalisierung als Treiber ermöglicht, die Systemgrenze des Energieversorgers zu verschieben: vom Keller (Hausanschlusskasten oder Stromzähler) in die Anlagen (Elektroauto, Wärmepumpe, PV-Anlage, Batteriespeicher) oder sogar in die Wohnung (Endgeräte wie: Weisswaren1), Beleuchtung, Internet und Content2)). Viele Energieversorger haben mit der Rundsteuerung bereits eine Schnittstelle zu den Endkunden «Weisswaren», zum Beispiel in Form von Sperrstunden. Die zunehmend dezentrale Einspeisung in das Verteilnetz beeinflusst im Weiteren die Spannungsqualität und sie führt zu Spannungsschwankungen. Diese Fragestellungen wurden in der Studie Vein untersucht, und es wurden entsprechende Massnahmen und Lösungs­ansätze aufgezeigt.

Rolle der Verteilnetzbetreiber Die Landschaft der Energieversorgungsunternehmen in der Schweiz verändert sich. Zwischen den Jahren 2010 und 2019 hat die Anzahl Verteilnetzbetreiber gemäss Zahlen der ElCom um rund 15% abgenommen. Die Gemeindewerke, oft eng mit der Gemeindeverwaltung vernetzt, müssen, nebst der Sicherstellung der Energieversorgung, ihre Rolle im sich stark wandelnden Umfeld finden. Die Entwicklung einer «Smart Grid Ready»-Infrastruktur ist dabei ein wichtiger Aspekt. Kundenorientierung, Diversifizierung und erneuerbare Energieproduktion sind weitere Entwicklungsthemen. Erfolgreiche Energieversorger werden in Zukunft die Versorgungssicherheit technisch voll optimiert gewährleisten, und neue Geschäftsmodelle werden mit Kunden evaluiert und entwickelt.

Basierend auf den Rückmeldungen aus dem gemeinsamen Workshop, sind die Herausforderungen vielfältig. Folgende Themenschwerpunkte wurden identifiziert: Smart Meter Rollout, Volatilität und Digitalisierung.

Smart Meter Rollout Bis Ende 2027 müssen die Energieversorgungsunternehmen mindestens 80% ihrer Zähler durch ein intelligentes Messsystem beziehungsweise Smart Meter ersetzen. Die im Leitfaden vorgestellten Massnahmen unterstützen sie bei der Ablaufplanung und dabei, einen möglichen Zusatznutzen für die neuen Daten zu identifizieren.

Volatilität Die Energiestrategie 2050 des Bundes sieht eine Förderung der erneuerbaren Energieproduktion vor, was eine höhere Volatilität (Spannungsschwankungen) im Netz und damit höhere Anforderungen an die Netzstabilität bedeutet. Die Massnahmen im Leitfaden zeigen den Energieversorgern die nächsten Schritte zur Vorbereitung ihres zukunftsfähigen Verteilnetzes auf.

Digitalisierung Die Digitalisierung ist der Megatrend, welcher die Energiebranche in den nächsten Jahren am meisten beeinflussen wird. Der Leitfaden unterstützt Energieversorger dabei, die Digitalisierung aktiv mitzugestalten.

Leitfaden zur Unterstützung der Gemeindewerke

Viele Gemeindewerke konnten sich bislang noch nicht vertieft mit dem Thema «Digitalisierung des Smart Grids» auseinandersetzen, weshalb sie auf Unterstützung angewiesen sind. Mit dem Leitfaden erhalten sie eine Entscheidungshilfe, wie sie die Tätigkeiten priorisieren sollen respektive was sie weiterhin selbst machen, was sie auslagern und was sie in Koopera­tionen entwickeln sollen. Dadurch kann auch das Risiko für Fehlallokationen von Kapital minimiert werden.

Handlungsfelder und Massnahmen

Zu jedem Handlungsfeld wurden in einer zweiten Phase die erforderlichen Massnahmen festgelegt. Zu jeder Massnahme liegt eine Anleitung vor, die teilweise durch ein Arbeitsblatt ergänzt wird. Diese dienen als Hilfestellung und Unterstützung zur Erarbeitung und Durchführung dieser Massnahme. Der Ablauf wird am Beispiel für das Handlungsfeld «Infrastruktur und Anwendungen vorbereiten» aufgezeigt. Dieses Handlungsfeld enthält acht Massnahmen (#14 bis #21).

Um ein Verteilnetz zukünftig intelligent zu steuern und zu regeln sowie die Versorgungssicherheit zu gewährleisten, sind die erforderlichen Daten aus Produktion und Verbrauch zu erfassen, aufzubereiten und netzdienlich (wer braucht wann wie viel Energie) zu nutzen. Somit kann ein Netzausbau vermieden werden, und die Mittel können zielgerichtet dort investiert werden, wo sie von grösstem Nutzen sind.

Die beschriebenen Massnahmen unterstützen die Gemeindewerke in der Analysephase des aktuellen Netzzustands und dienen zur Hilfestellung für die Umsetzung der erforderlichen Massnahmen zum zukünftigen intelligenten Verteilnetz.

Ergebnis des Projekts: Vorschläge für Massnahmen

In der Diskussion mit den Projektpartnern wurde klar, dass die Herausforderungen und Hemmnisse der unterschiedlichen Gemeindewerke sehr ähnlich sind und sich kaum durch eine Kategorisierung eingrenzen lassen. Die zu Beginn formulierten Hypothesen haben sich während des Projekts erhärtet: So ist die Netzebene 7 im Vergleich zur Netzebene 5 eine regelrechte Black Box, und die Gemeindewerke haben oft zu wenig Ressourcen oder Know-how, um sich mit allen Themen bewusst zu befassen. Das Ergebnis des Projekts, der Leitfaden, bietet den Gemeindewerken nun Unterstützung, um diese Herausforderungen anzugehen. Entsprechend war der Fokus des Projekts darauf ausgerichtet, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Gemeindewerken, die sich mit dem Thema «Smart Grid» befassen, die Massnahmen des Leitfadens selbstständig umsetzen und somit die Thematik effizienter bearbeiten können.

Referenz

[1]   «Energieversorgungsunternehmen neu denken: Utility 4.0», Oliver D. Doleski, in «Realisierung Utility 4.0», Band 1, 2020.

1) Weisswaren: Bezeichnung für Haushaltgeräte wie Kühlschränke, Waschmaschinen, Geschirrspüler, Kochherd etc.
2) Internet und Content: Inhalte aus dem Internet wie Texte, Bilder, Grafiken, Videos, Musikdateien etc.

Autor
Peter Bomatter

ist ist Bereichsleiter Netzwirtschaft bei Schnyder Ingenieure ZG AG.

  • Schnyder Ingenieure ZG AG, 6331 Hünenberg
Autorin
Mevina Feuerstein

ist ist Senior Consultant bei Amstein + Walthert AG.

  • Amstein + Walthert AG, 8050 Zürich
Autorin
Sabine Imoberdorf

ist Senior Projektleiterin Consulting bei Amstein + Walthert AG.

  • Amstein + Walthert AG, 8050 Zürich

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