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Strommarktdesign im politischen Kreuzfeuer

Top-Themen der Energiepolitik

23.11.2017

Das UVEK hat unlängst ein zuversichtliches Bild der Versorgungssicherheit bis 2035 gezeichnet und seine Vorstellungen des künftigen Marktdesigns vorgestellt. Im Zentrum stehen dabei die Einbettung in die europäischen Strommärkte, eine vollständige Strommarktöffnung (mit oder ohne Stromabkommen) und die Etablierung einer strategischen Reserve für den Fall der Fälle. An seiner Veranstaltung «Top-Themen der Energiepolitik» vom 8. November 2017 in Zürich hat der VSE diese Stossrichtung einem politischen Meinungscheck unterzogen: Jürg Meier, Wirtschaftsredaktor der NZZ am Sonntag, diskutierte mit den Ständeräten Martin Schmid (FDP/GR) und Beat Vonlanthen (CVP/FR) sowie den Nationalräten Bastien Girod (Grüne/ZH) und Christian Imark (SVP/SO).

Jürg Meier: Nach den Aussagen des UVEK ist bei der Stromversorgung bis 2035 alles bestens. Ist das Thema Versorgungssicherheit vom Tisch?

Christian Imark: Offenbar fehlt ja unter gewissen Bedingungen Strom. Das heisst, während einer gewissen Zeit gibt es jeden Tag zeitweise nicht genügend Strom. Wenn die Preise stimmen, wird das Wasser turbiniert. Und dann fehlt vielleicht im entscheidenden Moment die Kapazität. Unter den Gegebenheiten des Marktes setze ich deshalb Fragezeichen.

Bastien Girod: Damit die Reserven noch da sind, wenn man sie braucht, hat die UREK-N reagiert und gesagt, es brauche eine strategische Reserve.

Jürg Meier: Teilt der Ständerat die Einschätzung der UREK-N?

Beat Vonlanthen: Der Bundesrat muss bis 2019 einen Vorschlag für die Ausgestaltung des Marktsystems machen. Auf dieser Basis kann die Diskussion geführt werden, auch zur Ausgestaltung einer strategischen Reserve.

Martin Schmid: Es ist nicht trivial, so eine Reserve auszugestalten. Jeder Markteingriff setzt auch andere als die beabsichtigten Signale. Letzten Winter wurde auch die Frage aufgeworfen, wie viele Reserven in den Speicherseen noch vorhanden gewesen seien und welche Folgen ein kalter Frühlingsmonat oder ein KKW-Ausfall gehabt hätte. Die Verantwortung für die Versorgungssicherheit muss deshalb auch neu geregelt werden.

Jürg Meier: Wer ist heute verantwortlich?

Bastien Girod: Swissgrid und ElCom spielen heute eine wichtige Rolle. Im Vordergrund stand da bisher vor allem die Systemstabilität.

Beat Vonlanthen: Auch die Elektrizitätsunternehmen müssen die Versorgungssicherheit gewährleisten. Aber es ist zum Beispiel offen, wer bei einem Blackout haftbar wäre.

Martin Schmid: Swissgrid hat keine Produktionsanlagen. Das steht so im Gesetz. Um die Versorgungssicherheit zu garantieren, muss der Netzbetreiber entweder Anlagen kaufen oder er hat Reserven.

Jürg Meier: Dann haben wir also doch ein Problem mit der Versorgungssicherheit? Wenn die Versorgungssicherheit gewährleistet wäre, wie das UVEK sagt, bräuchte es auch keine strategische Reserve.

Christian Imark: Im Moment fährt die Schweiz eine Importstrategie, was mit Risiken verbunden ist. Deshalb ist die UREK-N zum Schluss gekommen, dass es so etwas wie eine strategische Reserve braucht. Aber vielleicht werden Kapazitätsmärkte, die so schnell aus der Diskussion geputzt wurden, auch wieder zum Thema.

Bastien Girod: Wir haben genügend Kapazität in der Schweiz. Aber wir müssen dafür sorgen, dass im Frühjahr nicht alle Seen leer sind. Die strategische Reserve gibt über eine Auktion einen Anreiz. Wer sein Wasser bis im Frühjahr behält, bekommt einen Zuschuss.

Jürg Meier: Ökonomische Anreize für die Produzenten – ist das der richtige Weg, Herr Schmid?

Martin Schmid: Ja, natürlich. Das kostet aber etwas – wie jede andere Versicherung auch. Die Stromversorgungssicherheit ist ein hohes Gut. Als Konsument bin ich deshalb bereit, etwas dafür zu bezahlen. Dem Kunden geht es nicht in erster Linie um die Kostenoptimierung, sondern um die Sicherheit. Das wird deshalb auch der Tod der Marktöffnung vor dem Volk sein.

Jürg Meier: Die UREK-N fordert mit einer Motion die vollständige Marktöffnung. Ist der Ständerat anderer Meinung?

Beat Vonlanthen: Mir fehlt der Glaube an die Mehrheitsfähigkeit. Das UVEK hat angekündigt, das Thema vom Stromabkommen zu lösen, obwohl die beiden Fragen bisher aus taktischen Gründen miteinander gekoppelt wurden. Im Moment ist es so, dass wir die Marktöffnung zwar wollen, diese aber kurzfristig kaum kommen wird.

Jürg Meier: Also sitzen die Befürworter der vollständigen Marktöffnung auf einem sinkenden Schiff?

Bastien Girod: Im Zusammenhang mit der neuen Energiewelt würde eine Marktöffnung viele Chancen bieten. Aber die Akzeptanz ist schwierig. Gekoppelt mit dem Abkommen hätte die Marktöffnung aber noch weniger Chancen. Dann wäre nämlich auch die SVP nicht mehr dafür. Für eine mehrheitsfähige Vorlage braucht es wohl flankierende Massnahmen.

Christian Imark: Ich sehe auch Chancen in der Liberalisierung. Der Teufel liegt im Detail und es wird Leitplanken brauchen. Es nicht unmöglich, eine mehrheitsfähige Lösung zu finden. Aber am Schluss macht jeder für sich die Rechnung.

Martin Schmid: Im Moment hat die Wirtschaft die beste aller Welten: Sie hat billig Marktzugang und ist grösstenteils auch noch von der KEV befreit. Sie hat deshalb kein Interesse an kostentreibenden Regulierungen. Die Energieversorger werden zudem mit Verbrauchern konfrontiert, die sich zum Eigenverbrauch zusammenschliessen, um Marktzugang zu erhalten. Deshalb wäre es konsequent, jetzt den Markt zu öffnen. Das grosse Problem ist die fehlende Rechtssicherheit für die Versorger. So kann eine Industrie, die auf 80 Jahre ausgerichtet ist, nicht investieren.

Jürg Meier: Grossverbraucher haben also tiefe Preise und gratis dazu Versorgungssicherheit. Müsste man sie einbinden?

Christian Imark: Sie bezahlen jetzt zu wenig. Aber alle zufrieden zu stellen, ist eine riesige Herausforderung. Wenn die Grossbezüger zum Schluss kommen, dass sie draufzahlen, werden sie nicht mit an Bord sein.

Jürg Meier: Das Thema Wasserzins wurde verschoben. Das ist ganz in Ihrem Sinn, Herr Schmid?

Martin Schmid: Ja. Ich habe immer gesagt, die Flexibilisierung ist nicht richtig, ohne dass nicht auch andere Parameter geändert werden. Die Wasserkraft hat heute nur ein Problem, wenn sie im freien Markt abgesetzt werden muss. Selbst die teuerste Wasserkraft mit einem hohen Wasserzins hat kein Problem, wenn sie bei den gebundenen Kunden abgesetzt wird. Für die Produktion, die im freien Markt abgesetzt werden muss, müssen wir die Situation im Kontext des Marktdesigns anschauen.

Beat Vonlanthen: Ich glaube nicht, dass wir um eine Flexibilisierung herumkommen. Die Idee eines Sockels und eines flexiblen Teils muss erörtert werden. Ich halte es aber auch für richtig, das Thema im Kontext Marktdesign anzuschauen.

Christian Imark: Wenn man etwas auf die lange Bank schiebt, kommt es vielleicht nie... Die Flexibilisierung muss kommen – auch wenn ich die Sorge der Gebirgskantone natürlich verstehe. Je grösser wir aber das Paket machen, umso grösser werden die Widerstände sein. Und beim Wasserzins wird massiver Widerstand kommen. Ich habe deshalb Zweifel, ob die Flexibilisierung mehrheitsfähig sein wird.

Bastien Girod: Ich sehe nicht, weshalb der Bundesrat hier eingreifen muss. Das ist doch Verhandlungssache zwischen den Standortkantonen und -gemeinden und den Kraftwerken. Langfristig gesehen haben die Kantone und Gemeinden kein Interesse, zu viel zu verlangen.

Martin Schmid: Das gefällt mir! Das Problem ist, dass die Bundesverfassung die Festlegung des Wasserzinses verlangt. Aber eigentlich ist das ein Konzeptionsfehler, weil der Wasserzins unabhängig von der Wertigkeit der Produktion – Laufwasser oder Speicher – ist und weil er einem politischen Prozess folgt und damit immer zur falschen Zeit erhöht oder gesenkt wird. Den Zins in Verhandlung zwischen Kantonen und Gemeinden und den Produzenten festzulegen, gäbe mit Sicherheit gute Lösungen.

Autorin
Cornelia Abouri

ist Senior Expertin Public Affairs beim VSE.

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