Fachartikel Energienetze , Infrastruktur , Smart Grid

Spannungshaltung bei hoher Einspeisung

Dynamische Spannungs­regelung im Umspann­werk

16.02.2024

Nach den Nieder­span­nungs­netzen wird die Spannungshaltung bei hoher Photovoltaik-Einspeisung nun auch in den Mittel­span­nungs­netzen herausfordernd. Eine Lösung ist die dynamische Span­nungs­regelung im Umspannwerk, wie die Ergebnisse eines von Groupe E in Payerne durch­geführten Pilot­projekts zeigen.

Die Schweizer Stromnetze wurden im letzten Jahrhundert so aufgebaut, dass der Strom von wenigen grossen Wasserkraft- und Atom­kraft­werken zu vielen Verbrauchern transportiert werden kann, und dies für eine maximale Verbrauchs­leistung von etwa 10 GW. Seit einigen Jahren speisen jedoch immer mehr Photo­voltaik­anlagen dezentral Strom in das Verteilnetz ein, wodurch der Stromfluss im Stromnetz zu bestimmten Tageszeiten umgekehrt wird.

Ende 2023 waren bereits mehr als 5 GW PV-Leistung an das Schweizer Stromnetz angeschlossen. Die Verteil­netz­betreiber (VNB) spüren die Auswir­kungen immer stärker, haupt­sächlich in den ländlichen Stromnetzen mit grossen Dächern, aber geringer und mittlerer Einwohnerdichte. Angesichts der 40 bis 50 GW PV-Leistung, die verschiedene Szenarien für die nächsten 25 Jahre vorhersagen, ist klar, dass sich die Schweiz erst am Anfang des Trans­formations­prozesses befindet und dass sich die Verteilnetze schnell den neuen Entwicklungen anpassen müssen, wenn sie nicht zu einer Bremse für die Energiewende werden sollen.

Mittel­span­nungs­netze unter Druck

Glücklicherweise gibt es intelligente Lösungen, die den VNB helfen, mit diesen Heraus­forderungen umzugehen. Groupe E hat in ihrer Smart-Grid-Strategie 18 Smart-Grid-Ansätze identifiziert, mit verschiedenen Reifegraden im Hinblick auf eine grossflächige Einführung. Eine dieser Smart-Grid-Lösungen ist der regelbare Orts­netz­trans­formator (Ront), den Groupe E schon seit mehr als fünf Jahren bei Bedarf einsetzt. Der Ront transformiert die Mittelspannung (MS) in Niederspannung (NS) und umgekehrt und kann mit einem Stufenschalter das Trans­formations­verhältnis anpassen, um die Spannung im NS-Netz bei hohen PV-Einspeisungen zu stabilisieren.

Groupe E betrieb im Jahr 2023 dreissig solcher Trans­for­ma­toren, die die Spannung je nach Höhe und Richtung der durch­fliessenden Leistung regeln. Doch seit einigen Jahren beginnen sich nicht nur die Spannungen in den NS-Netzen (Netze in den Quartieren), sondern auch die Spannungen in den MS-Netzen (Netze zwischen den Dörfern) den Spannungs­grenzen anzunähern, die in Situationen mit hoher PV-Einspeisung noch toleriert werden.

Variable Sekundärspannung

Nach dem Vorbild des deutschen VNB Bayernwerk Netz und mit finanzieller Unterstützung des Kantons Waadt hat Groupe E beschlossen, ein Pilotprojekt zur Einführung einer dynamischen Span­nungs­regelung in einem Umspannwerk zu starten, um die Spannungen im MS-Netz zu stabilisieren. Hier verbindet der Transformator das Hochspannungsnetz mit dem Mittel­span­nungs­netz und versorgt eine Region mit mehreren Tausend Einwohnern. Diese Trans­for­ma­toren können ihre Über­setzungs­ver­hältnisse automatisch mit einem Spannungsregler anpassen, der Anweisungen an den Stufenwechsler sendet. Auf diese Weise wird die Spannung automatisch gemäss den Spannungs­schwan­kungen im HS- und im MS-Netz reguliert, um die Sekundärspannung stabil zu halten (18 kV in den Freiburger und Waadtländer MS-Netzen von Groupe E).

Bisher haben die Spannungsregler in allen Umspannwerken von Groupe E die Sekundärspannung des HS-/MS-Transformators gemessen, um dem Stufenschalter die Sollwerte vorzugeben: Man spricht hier von einer festen Regelung oder U(U). Bei diesem Pilotprojekt misst der Spannungsregler den Strom, der durch den HS/MS-Transformator fliesst, um dem Stufenschalter einen Sollwert vorzugeben. In dieser Situation spricht man von einer dynamischen Regelung oder U(P). Die Sekundärspannung des Transformators ist also nicht mehr fest auf 18 kV eingestellt, sondern schwankt gemäss einer noch festzulegenden U(P)-Kurve.

Ein Pionierprojekt in der Schweiz

Dieses Pilotprojekt, das erste seiner Art in der Schweiz, wurde im Umspannwerk Payerne durchgeführt. Dieses versorgt über zwei 25 MVA HS/MS-Trans­for­ma­toren neun MS-Netze in der Region, von denen einige eine hohe PV-Durch­dringung aufweisen. Bild 1 zeigt die Entwicklung der Leistungsflüsse, die auf einem der beiden Trans­for­ma­toren in den letzten zehn Jahren gemessen wurden.

Während die maximale Last durch den Verbrauch in den letzten zehn Jahren konstant geblieben ist, stieg die maximale Einspeisung aus dezentraler Erzeugung kontinuierlich an. In den ersten Jahren des PV-Einsatzes sank die verbrauchsbedingte Mindestlast im Sommer. Im Jahr 2015 wurde über diesen Transformator erstmals Strom von den MS-Netzen in das HS-Netz eingespeist. Groupe E geht davon aus, dass die Einspeiseleistung weiter zunehmen wird und 2024 die –20-MW-Grenze und 2026 die –30-MW-Grenze überschreiten wird.

Implementierung der dynamischen Regelung

Um die dynamische Regelung zu implementieren, mussten die alten Spannungsregler im Umspannwerk Payerne durch Spannungsregler des Typs MR Tapcon BU mit dynamischer Regel­funktion ersetzt und einige Anpassungen an der Verkabelung und den Signalen vorgenommen werden. Der Trans­formator-Stufen­schalter blieb unverändert.

Bevor es in die Realisierungs­phase ging, wurden alle MS- und NS-Netze simuliert, die vom Umspannwerk Payerne versorgt werden, um die Wirkung der dynamischen Regelung mit verschiedenen U(P)-Kurven zu bewerten. Diese Simulationen zeigen, dass die kritischen Spannungsfälle, die bei einer festen Regelung auftreten, mit dieser neuen Regelung deutlich reduziert werden können.

Bild 2 zeigt die U(P)-Kurve, die in den Spannungsreglern von Payerne implementiert wurde. Wenn die Stromnetze in Payerne hauptsächlich zur Versorgung von Verbrauchern dienen (geringer Anteil dezentraler Strom­erzeugung), wird die Leistung, die durch den Transformator von HS zu MS fliesst, positiv gemessen (rechts im Bild). Mit dieser neuen dynamischen Span­nungs­regelung steigt mit zunehmendem Verbrauch die MS-Spannung im Umspannwerk Payerne bis zum definierten Maximalwert von 18,36 kV (102% der Spannung U0 = 18 kV bei Nulllast). Umgekehrt wird die MS-Spannung gesenkt, wenn der Strom von den PV-Anlagen über die MS-Netze zurück in das HS-Netz fliesst. Die Spannung wird bis zu dem durch die Kurve festgelegten Minimalwert von 17,64 kV (98% der Spannung U0 = 18 kV) gesenkt.

Spannungshaltung innerhalb des Toleranzbandes

Die Spannung am Anfang der MS-Leitungen kann daher zwischen 17,64 kV und 18,36 kV schwanken, je nach Auslastung des Transformators und des Payerne-Netzes. Der Einfluss dieser variablen Spannung im Umspannwerk sowie ihr Nutzen für die Aufrecht­erhaltung der Spannung innerhalb des definierten Toleranz­bereichs sind in Bild 3 dargestellt. In der Bezugssituation (blaue Linie) sinkt die Spannung entlang der MS-Leitung, in der Einspeisesituation (grüne Linie) steigt diese Spannung.

Bild 3a zeigt einen HS/MS-Trafo mit fixer Spannung am Anfang der MS-Leitung. Die Aufrechterhaltung der Spannung innerhalb eines tolerierbaren Spannungs­bandes von ±2% (rote Linien) ist in diesem Fall am Ende der MS-Leitung nicht mehr möglich. Bild 3b zeigt das gleiche Netz in der gleichen Situation, jedoch mit einer dynamischen U(P)-Regelung, die die MS-Spannung im Umspannwerk in der Verbrauchs­situation erhöht und in Einspeise­situationen senkt. Die Spannungs­haltung innerhalb des Toleranzbandes wird deutlich verbessert.

Vorteile für die Einspeisung und für den Verbrauch

Um die Auswirkungen der dynamischen Span­nungs­regelung im Umspannwerk auf die MS-Netze in der Region zu validieren, wurden Messungen in verschie­denen Trafostationen entlang der MS-Leitungen durchgeführt. Bild 4 zeigt Messungen für beide Arten der Regulierung in der Trafostation Châtelard in der Nähe des Umspannwerkes und in der Trafostation Vuaty am Ende der MS-Leitung. Wie erwartet, zeigt die dynamische Regelung grössere Spannungs­schwan­kungen am Anfang der Leitung (Bild 4a), aber diese sind vom Transformator einfach zu kontrollieren. Die positive Wirkung der neuen Regelung zeigt sich am Ende der Leitung (Bild 4b), der Stelle, die gewöhnlich Probleme mit der Aufrecht­erhaltung des Spannungsniveaus in ländlichen Netzen bereitet. Die Messungen zeigen, dass die Spannungs­schwan­kungen dort mit der U(P)-Regelung stark reduziert werden.

Die Reduzierung der Spannung bei hoher Einspeisung und die Erhöhung der Spannung bei hohem Bezug bietet einen zusätzlichen Spannungsspielraum auf der MS-Leitung, um mehr PV-Anlagen anschliessen zu können. Auch in Verbrauchsrichtung gibt es Vorteile: So können mehr Wärmepumpen und Ladestationen für Elektrofahrzeuge angeschlossen werden, ohne dass das Netz konventionell verstärkt werden muss.

Erhöhte Aktivität des Stufen­schalters

Als Quelle der Besorgnis wurde die Anzahl der Schaltungen des Stufen­schalters im Verlauf des Projekts aufmerksam verfolgt. Tatsächlich zeigten die in der Studienphase des Projekts durchgeführten Simulationen, dass der Stufen­schalter bei einer dynamischen Regelung deutlich öfter schalten würde.

Die Überwachung der Anzahl der Stufenwechsel an den HS/MS-Trafos in Payerne bestätigte diese Simulationen: Es wurde eine Erhöhung der Anzahl der Stufenwechsel um 20 bis 40% beobachtet. Durch die erhöhte Aktivität des Stufen­schalters könnte er vorzeitig abgenutzt werden und somit höhere Wartungskosten verursachen. Dieser letzte Punkt muss jedoch noch weiter untersucht werden und hängt stark von der Art des verwendeten Stufen­schalters ab. Groupe E verfügt noch nicht über genügend Erfahrung mit der Wartung der unter Vakuum arbeitenden Stufen­schaltern, wie sie im Umspannwerk Payerne eingesetzt werden, um die Auswirkungen der erhöhten Anzahl von Stufenwechseln messen zu können.

Ein zusätzliches, kosten­günstiges Werkzeug

Die Kosten für den Austausch der Regler im Umspannwerk betrugen etwa 40’000 CHF, was im Vergleich zu anderen Lösungen zur Spannungssenkung bei hoher PV-Einspeisung bescheiden ist. Für ein neues Umspannwerk, das bereits mit dem richtigen Spannungsregler ausgestattet ist, werden die Mehrkosten für die dynamische U(P)-Regelungsfunktion auf 5000 bis 7000 CHF geschätzt. Diese Lösung wird heute in den ländlichen Netzen von Groupe E eingesetzt, um den Spannungsanstieg aufgrund der PV-Einspeisung an sonnigen Tagen zu begrenzen. Sie wird aber auch nützlich sein, um die zu erwartenden Spannungsabfälle am Ende des Tages im Winter zu bekämpfen, die durch den Verbrauch von Wärmepumpen und Ladeinfrastrukturen für Elektroautos verursacht werden, die in den nächsten Jahren hinzukommen.

Mit diesem Pilotprojekt konnte gezeigt werden, dass die dynamische Span­nungs­regelung im Umspannwerk viele Vorteile mit sich bringt und einfach zu implementieren ist. Es gibt nicht die eine Lösung, mit der das Stromnetz für die laufende Energiewende fit gemacht werden kann. Vielmehr sind es viele technische Lösungen, die intelligent kombiniert werden und das Stromnetz in die Lage versetzen, sich schnell an neue Heraus­forderungen anzupassen. Mit diesem Demon­strations­projekt wurde die Lösung der dynamischen Span­nungs­regelung im Umspannwerk zu den standardi­sierten Werkzeugen in der Smart Grid Toolbox von Groupe E hinzugefügt.

Autor
Peter Cuony

ist bei Groupe E für die Produkte zur Strom­ver­teilung zuständig.

  • Groupe E AG
    1763 Granges-Paccot
Autor
Cyril Kaeser

ist Betriebs­ingenieur und Smart-Grid-Spezialist bei Groupe E.

  • Groupe E SA
    1763 Granges-Paccot


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