Fachartikel Erneuerbare Energien , Mobilität

Die Herstellung synthe­tischer Energie­träger

Nachhaltigkeit

20.02.2024

Syn­the­tische Energie­träger sind nötig, um die Klimaziele zu erreichen. Ihre ökologische Qualität hängt jedoch stark von der Wahl des Her­stel­lungs­ortes sowie anlage­techni­scher Eigen­schaften ab. Aufgrund der fluktuie­renden Erzeu­gung von Photo­voltaik und Wind­kraft kann beispiels­weise die Lastflexi­bilität der Pro­duktions­anlagen zu einem entschei­denden Kri­terium avancieren.

Neben anderen Mass­nahmen benötigt die Schweiz ab dem Jahr 2050 gemäss den Energie­perspek­tiven 2050+ des Bundesamts für Energie je nach Szenario jährlich zwischen 30 und 60 TWh an syn­the­tischen Energie­trägern, um das Klimaziel zu erreichen. Dies entspricht gemäss den Verbänden Avenergy und Gazenergie einem Anteil von 30% bis 50% des heutigen fossilen Treib- und Brennstoffmarkts der Schweiz. Etwa 16 TWh der syn­the­tischen Energie­träger entfallen auf erneuerbares Kerosin für den Flugverkehr, der Rest sind Wasserstoff und syn­the­tische Kohlen­wasserstoffe für Anwendungen im Gebäude-, Industrie- und Verkehrs­bereich. Syn­the­tische Energie­träger basieren energetisch auf erneuerbarer Elektrizität.

Die erforderliche Menge davon ist allerdings enorm: Selbst wenn man für die Anlagen zur Herstellung synthe­tischer Energie­träger eine jährliche Betriebs­dauer von 8000 Volllaststunden annähme, würde zu deren Versorgung eine installierte elektrische Leistung von 7 bis 15 GW benötigt. Dieser Leistungsbedarf entspricht einem halben bis einem ganzen Dutzend Atomkraftwerke, die ausschliesslich für die Herstellung syn­the­tischer Treibstoffe betrieben werden müssten! Allein dies zeigt, dass es völlig unmöglich ist, den Bedarf an syn­the­tischen Energie­trägern in der Schweiz zu produzieren.

Einheimische und ausländische Energie­träger

Die Energieperspektiven 2050+ des Bundesamts für Energie basieren auf einem vollständigen Ersatz der fossilen durch erneuerbare Energie. Aber woher soll diese kommen? Zur Übersicht eignet sich die Unterscheidung zwischen im Inland und im Ausland erzeugter erneuerbarer Energie­träger.

Im Inland wird primär direkt nutzbare, erneuerbare elektrische Energie erzeugt werden – neben vergleichsweise wenig auf Biomasse basierten, chemischen Energie­trägern. Für die Schweiz im Ausland erzeugte Energie wird voraussichtlich primär erneuerbare chemische Energie in Form von syn­the­tischen, also künstlich aus erneuerbarem Wasserstoff und CO2 erzeugten Energie­trägern sein – neben vergleichsweise wenig importierter elektrischer Energie. Da es für den Transport chemischer Energie­träger aus der fossilen Zeit weltweite Transport- und Verteil­infra­struk­turen, Handels­mecha­nismen, Bauteile, Produkt­spezifi­kationen, Regula­torien und Fach­kompe­tenzen gibt und der Transport chemischer Energie­träger auch über grosse Distanzen sehr kosten­günstig möglich ist, spielt der Ort der Erzeugung eine unter­geordnete Rolle. Wichtig ist primär, dass eine robuste und krisensichere Versorgung aufgebaut werden kann. Ebenfalls entscheidend ist, dass die Herstellung und der Transport syn­the­tischer Energie­träger nachhaltig sind, d.h. dass sie auch über lange Sicht keine nachteiligen Effekte auf die Öko- und Versor­gungs­systeme aufweisen. Im Sinne der Nach­haltig­keit spielen beispiels­weise die sogenannte «Additionalität» der für die Wasser­stoff­erzeugung benötigten erneuer­baren Elektrizität und deren zeitliches Erzeugungs­profil sowie die Herkunft des für die Umwandlung von Wasserstoff in syn­the­tische Kohlen­wasser­stoffe benötigten CO2 eine wichtige Rolle.

EU-Kriterien für Nachhaltigkeit

Die EU hat im Juni 2023 beschlossen, dass syn­the­tische Energie­träger nur dann als nachhaltig eingestuft werden, wenn sie eine Reihe von Anforderungen erfüllen. Beispielsweise müssen Anlagen zur Herstellung syn­the­tischer Energie­träger an neue Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Elektrizität angeschlossen werden [1]. Damit soll vermieden werden, dass bereits bestehende erneuerbare Elektrizität einfach nur anders genutzt wird. Dies würde der Anforderung hinsichtlich Additionalität nicht genügen. Zudem muss das zeitliche Produktionsprofil der verwendeten Elektrizität berücksichtigt werden, was die weiter unten beschriebene Anforderung an die Lastflexibilität verursacht. Ab 2035 darf de facto nur noch atmosphärisches CO2 verwendet werden, um nicht dem Abbau von CO2-Quellen entgegenzuwirken. Die EU schreibt zudem vor, dass syn­the­tische Energie­träger im Vergleich zum fossilen Betrieb zu einer Reduktion der CO2-Emissionen von mindestens 70% führen müssen. Es gibt eine Reihe weiterer Anforderungen, wie beispielsweise, dass die erneuerbare elektrische Energie mit einem Direktvertrag zwischen dem Erzeuger der elektrischen Energie und dem Betreiber der Anlage zur Herstellung syn­the­tischer Energie­träger gekoppelt sein muss oder dass die Anlage zur Erzeugung elektrischer Energie nicht subventioniert sein darf. Diese Anforderungen sind zwar alle gerechtfertigt; sie sind aber auch sehr anspruchsvoll und könnten – ohne entsprechende Zwischenschritte für Erstanlagen – die Marktaufbauphase syn­the­tischer Energie­träger verzögern.

Die für die Herstellung syn­the­tischer Energie­träger erneuerbare Elektrizität wird gebraucht, um in einem ersten Schritt mittels Elektrolyse Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff aufzuspalten. Der Wasserstoff wird dann in einem zweiten Schritt in einem katalytischen Syntheseverfahren zusammen mit CO2 in einen syn­the­tischen Energie­träger umgewandelt. Beide Prozessschritte sind bei heutigen Technologien mit energetischen Verlusten von je rund 30% behaftet. Damit resultiert ein Gesamtwirkungsgrad für die Herstellung syn­the­tischer Energie­träger von rund 50%. Um mit diesem Wirkungsgrad 30 bis 60 TWh syn­the­tische Energie­träger herzustellen, sind 60 bis 120 TWh an erneuerbarer elektrischer Energie erforderlich. Wo könnten diese erzeugt werden?

Produktion im Ausland nötig

Die Schweiz weist knapp 10 Mio. Hausdächer mit einer Gesamtfläche von 267 km² auf [2]. Davon gelten rund 60% bzw. rund 150 km² als geeignet für den Aufbau von Photovoltaik. Werden die geeigneten Dächer mit PV-Anlagen ausgerüstet, könnten jährlich rund 30 TWh erzeugt werden [3]. Selbst die Nutzung aller Schweizer Dachflächen zur Solarstrom­erzeu­gung würde bei Weitem nicht ausreichen, um die nötige Menge an syn­the­tischen Energie­trägern herzustellen. Für syn­the­tische Energie­träger gibt es nur eine Lösung: die Produktion im Ausland.

Der Sonnengürtel weist im Vergleich zur Schweiz etwa die doppelte solare Einstrahlung auf. Zudem können dort in riesigen ungenutzten Wüsten­flächen sehr grosse, freistehende PV-Anlagen mit Sonnentracking aufgebaut werden. Trotz höherer Temperaturen kann so pro m² PV-Fläche doppelt so viel Strom erzeugt werden wie in der Schweiz [4]. Um den Bedarf der Schweiz an syn­the­tischen Energie­trägern zu decken, wäre in Wüstenregionen eine PV-Fläche von 200 bis 400 km² bzw. 600 bis 1200 km² Land erforderlich. Zum Vergleich: Oman als vergleichsweise kleines Land im Sonnengürtel will 50 000 km² an Wüsten­flächen für die Erzeugung von Wasserstoff und syn­the­tischen Energie­trägern bereitstellen [5].

Berücksichtigt man die Strom­erzeu­gungs­profile in Wüstenregionen, wird jedoch schnell klar, dass Anlagen zur Herstellung syn­the­tischer Energie­träger lastflexibel betrieben werden müssen. Im Folgenden werden dazu Abschätzungen für eine Power-to-Gas-Anlage mit einer elektrischen Leistung von 100 MW dargestellt. Zudem wird der Einfluss der Lastflexibilität auf die CO2-Emissionen aufgezeigt. In Bild 1 wird die erneuerbare Strom­erzeu­gung mittels PV-Anlage mit 100 MW Nennleistung, mittels Windpark mit gleicher Nennleistung sowie mittels kombinierter Solar- und Windkraft mit je 50 MW in einer Wüstenregion im Sonnengürtel während eines Musterjahres über der Tageszeit dargestellt.

PV-Anlagen in Wüstenregionen (Bild 1a) weisen ein über die Tageszeit sich wieder­holendes Erzeugungs­profil auf, das nur eine saisonale Schwankung in der Produktions­leistung aufweist. Sie erzeugen jedoch nur tagsüber Strom, was bedeutet, dass Anlagen zur Herstellung syn­the­tischer Energie­träger in der Lage sein sollten, während der Nacht stillzustehen. Wind­anlagen (Bild 1b) produzieren im Mittel über den Tag deutlich gleichmässiger Elektrizität, weshalb Anlagen zur Herstellung syn­the­tischer Treibstoffe potenziell auch in der Nacht betrieben werden könnten; das Erzeugungsprofil ist aber sehr stochastisch und kann eine höhere Dynamik als bei der Photovoltaik aufweisen. Kombiniert man Photovoltaik und Windkraft, resultiert ein Strom­erzeu­gungs­profil mit einem Peak tagsüber (Bild 1c), der ebenfalls mit nur geringen Stillstands­zeiten der Anlage zur Produktion syn­the­tischer Treibstoffe in der Nacht verbunden ist.

Bild 2 zeigt, dass das CO2-Ziel der EU für die Herstellung von syn­the­tischem Gas in allen drei Konzeptfällen (PV, Windkraft, PV-Windkraft-Kombination) ohne Strom- und/oder Wasser­stoff­speiche­rung nur mit hoher Lastflexibilität eingehalten werden kann. Beim Betrieb mit einer PV-Anlage kann der Zielwert nur dann eingehalten werden, wenn die P2G-Anlage im gesamten Leistungsbereich lastflexibel betrieben werden kann. In den beiden anderen Fällen (Betrieb mit Windkraft und mit kombinierter PV/Windkraft) ist die Anforderung an die Lastflexibilität nur in geringem Masse vermindert. Um die CO2-Reduktions­anforde­rungen der EU zu erreichen, müsste bei geringerer Lastflexibilität die Kapazität der Elektro­lyseanlage reduziert werden.

Die Last­flexi­bilitäts­anfor­derung gilt für beide Haupt­kompo­nenten der Anlage zur Herstellung syn­the­tischer Energie­träger: sowohl für die Wasser-Elektrolyse zur Erzeugung von Wasserstoff als auch für die Synthese­anlage, bei der Wasserstoff mit CO2 in einen syn­the­tischen Kohlen­wasserstoff umgewandelt wird. Bei der Wasser­stoff­erzeugung kann eine nahezu volle Lastflexibilität insbesondere mit der Proton-Exchange-Membran-Technologie (PEM) bereits heute realisiert werden. Bei den Synthese­verfahren ist dies jedoch nicht der Fall. Mit Anwendung der sorptions­verstärkten Katalyse für die Methanisierung (Bild 3), bei der das Reak­tions­wasser der Methan-Synthese kontinuierlich auf dem Katalysatorträger abgeschieden und damit das chemische Gleich­gewicht der Synthese-Reaktion auf nahezu 100% Methan verschoben wird, hat die Empa eine Technologie entwickelt, die das Potenzial für eine volle Last­flexibilität aufweist [6]. Ein entspre­chender Demon­strator soll Mitte 2024 an der Empa in Betrieb genommen werden (Bild 3).

Referenzen

[1] Delegierte Verordnung (EU) 2023/1184 vom Februar 2023.

[2] A. Walch et al., «Big data mining for the estimation of hourly rooftop photovoltaic potential and its uncertainty», Applied Energy, 2020.

[3] JRC Photovoltaic Geographical Information System (PVGIS) – European Commission (europa.eu).

[4] renewables.ninja

[5] hydrom.om/events/hydromlaunch/221023_MEM_En.pdf

[6] F. Kiefer et al., «Sorption-enhanced methane synthesis in fixed-bed reactors», Chemical Engineering Journal, 2022.

Autor
Christian Bach

ist Abteilungs­leiter Fahrzeug­antriebs­sys­teme bei der Empa.

  • Empa, 8600 Dübendorf

 

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