Fachartikel IT für EVU , Smart Grid

Digitalisierung der Energie­versorgung

Smarte Netze

01.05.2018

Grossflächige Stromausfälle sind in der Schweiz selten. Versorgungssicherheit ist jedoch nur eine Anforderung auf dem Energiemarkt. Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit sind weitere Bedingungen, um in einem liberalisierten Energiemarkt wettbewerbsfähig zu sein und zu bleiben. Erfolgreiche Smart-Grid-Projekte zeigen die Vorteile der Digitalisierung der Energienetze.

Zwar sinken die Vorbehalte gegenüber der Digitalisierung stetig [1], doch noch immer sind viele Energieversorger zögerlich bei der Umsetzung. Dabei bietet gerade das Smart Metering für einige dringliche Fragen echte Lösungsansätze: Wie lässt sich die Versorgung mit erneuerbaren Energien, die naturgemäss Schwankungen unterliegt, auch zukünftig sichern? Wie werden interne Prozesse effizienter und damit kostensparender gestaltet? Inwiefern trägt eine höhere Servicequalität dazu bei, Kunden besser an das eigene Unternehmen zu binden? Fest steht: Obgleich mit Smart Metering auch Kosten in die Infrastruktur verbunden sind, bietet die Technologie grosses Potenzial.

Die Technischen Betriebe Glarus Nord sowie Süd, die Energieversorgung Schänis AG und die SWL Energie AG Lenzburg setzten sich bereits 2011 zum Ziel, für die regionale Energiezukunft ein Smart Grid zu realisieren. Ein digitalisierter Zählerwechselprozess sowie Zeitreihen-Auswertungen des Netzes sollen Prozesse effizienter und Netzberechnungen einfacher machen. Die technologische Grundlage zur Umsetzung dieses Ziels bilden intelligente Messsysteme der Edig AG zum Smart Metering sowie Lösungen für automatisierte, voll vernetzte Prozesse der deutschen Softproject GmbH.

Digitalisierter Zählerprozess

Das manuelle Ablesen von Energie- und Wasser-Zählerdaten und die Erfassung in Papierform sind für Energieversorger nicht nur teuer, sondern auch fehleranfällig. Ähnliches gilt für die papiergebundene Dokumentation beim Zählerwechsel. Die Zukunft bei der Erfassung von Energie- und Wasser-Zählerdaten liegt im Smart Metering, zumal Aussendienstmitarbeiter immer häufiger mit mobilen Geräten wie Notebook, Tablet oder Smartphone ausgestattet sind. Doch die schweizerische Energieversorgung ist dezentral organisiert – mit einer grossen Anzahl Energieversorger in Kantonen, Städten und Gemeinden. Smart Metering individuell umzusetzen und jeweils eigene IT-Infrastrukturen aufzubauen, ist wirtschaftlich nicht sinnvoll. Hinzu kommen technische Herausforderungen beim Betrieb: Zähler sind häufig im Keller von Gebäuden angebracht, so dass eine schlechte oder gar keine Netzwerkverbindung besteht.

Aus diesen Gründen mussten Techniker im Aussendienst bislang auf gedruckte Auftragsdokumentationen zurückgreifen. Diese waren nicht immer aktuell und vollständig, dafür aber auch im entlegensten Winkel und hinter dicken Kellermauern verfügbar. Weil dieser papierbasierte Arbeitsablauf aufwendig und fehleranfällig ist, sollte er durch ein elektronisches Informationssystem abgelöst werden, das dem Aussendienst jederzeit den Zugriff auf aktuelle Auftragsdaten ermöglicht und auch ohne permanente Netzwerkverbindung nutzbar ist.

Die Edig AG adaptierte daher das schweizerische Prinzip und entwickelte eine vernetzte Lösung zum Smart Metering. Dabei galt es, eine Vielzahl von Anbietern und heterogenen IT-Systemen anzubinden, um sämtliche Medienbrüche beim Zählerwechselprozess zu überwinden – angefangen mit der Beauftragung über die Installation vor Ort bis hin zur Inbetriebnahme in das Smart Grid.

Zählerwechselprozess – online wie offline verfügbar

Als Pilotprojekt wurde bei den vier Energieversorgern der Prozess zum Wechsel von Strom- und Gaszählern digitalisiert. Dies geschah in Zusammenarbeit mit der Innosolv AG. Technologie-Lieferantin der Smart-Metering-Infrastruktur war Siemens Schweiz. Die Prozessabläufe wurden in der Business-Process-Management-Lösung von Softproject erfasst und grafisch modelliert.

Die Lösung ist für Techniker im Aussendiensteinsatz die zentrale Informationsquelle, da der gesamte Zählerwechselprozess über eine Web-Anwendung abgebildet wird. Über ein massgeschneidertes Anwenderportal können Aussendienstmitarbeiter jederzeit auf alle relevanten Auftragsdaten und Informationen zum Zähler zugreifen und diese mobil bearbeiten – selbst dann, wenn aktuell keine Netzwerkverbindung zur Verfügung steht.

Für den Offline-Betrieb kommt ein spezielles Add-on zum Einsatz, das eine Nutzung des Web-Portals beispielsweise auch im Keller, in abgelegenen Bergregionen oder in anderen Bereichen ohne Mobilfunkverbindung ermöglicht. Dank dieses Add-ons können Techniker sämtliche relevanten Daten auch ohne Funkverbindung einsehen und bearbeiten. Änderungen werden lokal auf dem Gerät zwischengespeichert und per Knopfdruck synchronisiert, sobald eine Verbindung zum Server verfügbar ist.

Zähler werden automatisch registriert und konfiguriert

Nachdem der Aussendienstmitarbeiter einen Smart Meter installiert hat, muss das Gerät im Smart Grid registriert werden. Das Stromnetz dient dabei für entsprechende Smart Meter mit sogenannter Powerline-Unterstützung als Datenübertragungskanal. Der frisch installierte Smart Meter ist anschlies­send mit dem Head-End-System verbunden, das in zahlreichen Energieversorgungsunternehmen das Rückgrat des Smart Grid bildet. Auch die Regis­trierung und die spätere, vollautomatische Konfiguration des Smart Meter kann der Aussendienstmitarbeiter über die Web-Anwendung starten.

Ist dieser Vorgang abgeschlossen, werden Zählerstände und Messwerte der neuen Verbrauchsstelle vom Smart Grid abgefragt und digital weiterverarbeitet. Für den Energieversorger hat dies den Vorteil, dass sowohl die Verbrauchsdatenerfassung als auch das Management von Verteilnetzen in einem System hinterlegt sind. Dadurch lassen sich Prozesse wesentlich einfacher optimieren, Fehlerquellen ebenso wie Einsparpotenziale identifizieren und auch dem Endverbraucher zielgerichteter neue Dienstleistungen anbieten.

Smart Metering zur Zeitreihen-Auswertung des Energienetzes

Im ersten Schritt des Projektes wurden die Stromzähler durch Smart Meter ausgetauscht und damit interne Prozesse bei den beteiligten Anbietern automatisiert sowie verbessert. Doch erst im zweiten Schritt, der Auswertung der Daten Tausender Smart Meter, entfaltet sich das eigentliche Potenzial dieses Digitalisierungsprojektes. Durch die Auswertung von beispielsweise elektrischer Wirkenergie und der elektrischen Blindenergie sowie von Leistungs- und Spannungsdaten erhalten die Energieversorger Rückschlüsse auf ihr Netz und dessen Auslastung.

Gerade die Stabilität des Stromnetzes ist eine der zentralen Herausforderungen für Energieversorger – auch durch die Umstellung auf erneuerbare Energien, die wetterbedingt Schwankungen unterliegen. In Deutschland beispielsweise entstanden dem deutschen Stromnetzbetreiber Tennet im vergangenen Jahr durch Noteingriffe ins Netz fast eine Milliarde Euro Extrakosten. [2] Die EU-Kommission mahnte Deutschland vor wenigen Wochen an, das Stromnetz auszubauen. [3] Denn während in den Windparks in Norddeutschland oft Überkapazitäten entstehen, müssen im Süden Deutschlands Kapazitäten zugekauft werden. Auch wenn es sich hierbei eher um strukturelle Herausforderungen des deutschen Netzes als um eine Folge der Energiewende handelt: Eine bessere Vorhersage des Verbrauchs durch Smart Metering trägt ebenfalls dazu bei, Spitzen im Verbrauch besser vorauszuplanen.

Auswertungen der Netzdaten in Echtzeit

Sowohl für Deutschland als auch für das schweizerische Projekt gilt: Zum Betrieb einer landesweit vernetzten Smart-Metering-Lösung müssen riesige Datenvolumen periodisch erfasst, zur Verarbeitung in Zeitreihen gebracht und sinnvoll aggregiert werden. Herkömmliche Zeitreihenverwaltungs-Software für Netzleittechnik und zum Energiedaten-Management (EDM) ist für derartige Big-Data-Szenarien jedoch wenig geeignet.

In der zweiten Phase des Projekts wurde daher die Zählerstanderfassung auf Basis von Smart Metern digitalisiert. Die periodisch erfassten Messwerte werden an das Head-End-System weitergeleitet, wo sie konsolidiert und verdichtet werden. Anschliessend können sie durch die gewählte Software-Lösung der Softproject GmbH zentral verarbeitet, gespeichert und ausgewertet werden.

Da sich relationale Datenbanken aufgrund der riesigen Datenvolumina nicht als Speicher eignen, entschieden sich die Projektverantwortlichen für eine NoSQL-Lösung auf Basis der Elas­ticsearch-Technologie. Diese kommt auch mit extrem grossen, unstrukturierten Datenmengen zurecht. Die Elas­ticsearch-Technologie gilt insbesondere für Volltextsuchen als die massgebliche Technologie, da sie die Auswertung von Zeitreihen mit frei wählbaren Intervallen hoch performant und in Echtzeit ermöglicht. Auch lassen sich ausgewählte Messstellen für definierte Zeiträume abfragen.

Auf Basis der Messwerte und der Netz-Topologie (Kabel, Transformatorenstationen, Verteilerkabinen, Sicherungen etc.) werden nun zahlreiche bislang nicht darstellbare Anwendungsfälle ermöglicht. Ein Beispiel ist die Simulation von aktiven Prosumern – also Kunden, die beispielsweise eine private Solaranlage zur Stromerzeugung besitzen und somit zugleich Konsument als auch Hersteller sind – auf einer Netz-Topologie. Durch diese Simulation können unter anderem Betriebssituationen eines Verteilnetzes im Tages-, Quartals- oder auch Jahresverlauf analysiert werden. So lassen sich Erkenntnisse gewinnen, ob der aktuelle Netzausbau noch zukunftstauglich und das Netz beispielsweise belastbar genug ist, um auch über Nacht mehrere Elektroautos zu laden.

Die Energieversorger profitieren also von einem genauen und regelmässigen Monitoring von Netzzuständen und den jeweiligen Netzauslastungen. Auch lässt sich das zukünftige Netzverhalten simulieren. Kritische Netzzustände werden so frühzeitig erkannt, was die Einleitung entsprechender Massnahmen ermöglicht.

Projekterfolge

Die Digitalisierung hat sowohl für die Energieversorger als auch den Verbraucher Vorteile. Zum einen kann der Verbraucher genau ermitteln, wie viel Strom er verbraucht, und der Prozess ist erheblich weniger fehleranfällig als in der Vergangenheit. Bei einem Umzug wird der Schlussverbrauch deutlich schneller ermittelt, als es bisher der Fall war. Auch bei einem Neuantrag beschleunigt sich der Antragsprozess für den Kunden. Zukünftig ist zudem die Einrichtung eines Kundenportals geplant, in das sich der Verbraucher einloggen kann, um seinen eigenen Verbrauch über den Zeitverlauf zu prüfen.

Der Energieversorger profitiert durch eine Reduktion der manuellen Tätigkeiten – und damit von konsistenteren Zählerdaten über alle Systeme hinweg. Auch die Administration hat sich vereinfacht: Über die Business-Process-Management-Lösung lassen sich Smart Meter direkt steuern und jederzeit abfragen. Auch Abfragen mehrerer Tausend Zähler sind einfach per Knopfdruck möglich. So sinkt der Aufwand für die Rechnungsstellung, vor allem aber lassen sich automatisierte Netzberechnungen auf der Niederspannungsebene durchführen. Smart Grids haben als Technologie das Potenzial, zu einem entscheidenden Wettbewerbsfaktor zu werden. Dies gilt insbesondere auch im Hinblick auf die vollständige Liberalisierung des Schweizer Energiemarkts und die zunehmende Nutzung erneuerbarer Energien im Zuge der Energiestrategie 2050.

Referenzen

[1]   de.statista.com/statistik/daten/studie/564038/umfrage/schweiz-energieunternehmen-zur-bewertung-der-zunehmenden-digitalisierung
[2]   «Stromnetz unter Druck», Handelsblatt vom 1. Januar 2018, www.handelsblatt.com
[3]   «EU-Kommission drängt auf Ausbau des deutschen Stromnetzes», Süddeutsche Zeitung vom 27. November 2017, www.sz.de

Autor
Michael Riederer

ist System Engineer bei Edig AG.

  • Edig AG, 8762 Schwanden
Autor
Oliver Kölmel

ist Geschäftsführer von Softproject GmbH.

  • Softproject GmbH, D-76275 Ettlingen

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