Fachartikel Unternehmensorganisation

Die Zukunft nicht verpassen

Wandel in den Unternehmensstrukturen

31.03.2018

Die Teilliberalisierung des Strommarktes und die Energiestrategie 2050 erhöhen den Handlungs- und Margendruck auf die Schweizer Stromunternehmen. Bestehende Geschäftsmodelle müssen auf ihre Zukunftsfähigkeit überprüft und angepasst werden. Ausschlaggebend für diese weitreichenden strategischen Entscheide sind viele interagierende Kriterien.

Mit der teilweisen Marktliberalisierung seit 2009 für Grossverbraucher über 100  MWh/Jahr und mit der Förderung von alternativen Energiequellen gerät das bestehende System der Schweizer und der gesamten europäischen Stromlieferanten und -produzenten unter Preisdruck. Politisch gesteuerte Markteingriffe und Investitionslenkungen beschleunigen diese Tendenzen zusätzlich. Hinzu kommt, dass der freie Marktzugang mit der EU die Position der Schweizer Stromproduzenten stärken würde. Dieser ist jedoch noch nicht gesichert.

Die Bindung zwischen Verbraucher und Netzbetreiber, der bis anhin auch Stromlieferant war, wird gelöst. Der Stromverbrauch der Schweizer Haushalte ist nicht mehr gleich der Summe des verkauften herkömmlich produzierten Stroms. Die Überkapazität führt zu geänderten Beschaffungsstrategien, die laufend angepasst werden müssen.

Die vollständige Marktöffnung wurde vom Bundesrat im Mai  2016 zwar noch hinausgeschoben. Dass sie bevorsteht, bestreitet aber kaum jemand. Die derzeitigen Signale aus Bundesbern deuten auf eine Totalliberalisierung im Jahre  2021 hin. Somit verbleiben den Marktteilnehmern noch drei Jahre, um entsprechende Erfahrungen zu machen, Massnahmen zu definieren und umzusetzen.

Stehenbleiben ist keine Lösung

Die Branche ist gezwungen, sich umfassende Gedanken über die strategische Ausrichtung ihrer Unternehmen zu machen. Eine Anpassung an die neuen Marktgesetzmässigkeiten ist notwendig, um eine langfristige und prosperierende Zukunft zu sichern. In anderen Branchen wurde dieser Strukturwechsel bereits vor vielen Jahren zwingend nötig: Bereits die Automobilbranche oder der Detailhandel mussten sich aufgrund technischer oder regulatorischer Entwicklungen neu definieren. Insbesondere die gestiegenen und vielfältigen Kundenbedürfnisse sowie die veränderte Marktstruktur forderten eine Anpassung. Wer stur in den alten Strukturen verhaftet bleibt, ist dem Untergang geweiht.

Strombranche auch Arbeitgeber

Unternehmen in der Strombranche sind daher dabei, sich mit Massnahmen zur Kostensenkung oder zur Einnahmensteigerung auseinanderzusetzen. Nicht zuletzt auch, weil die Anbieter einerseits ihre Verantwortung als Arbeitgeber wahrnehmen müssen. Anderseits sind sie wiederum auf hochspezialisierte Fachkräfte angewiesen; auch in dieser Branche herrscht diesbezüglich Mangel. Moderne Strukturen und durchdachte, zukunftsträchtige Unternehmensmodelle vermitteln Vertrauen in eine lange Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehung und machen das Unternehmen attraktiv für Fachkräfte.

Unternehmensstrukturen und Absatzmärkte

Grundsätzlich gibt es zwei Möglichkeiten, mit der veränderten Marktsituation und dem damit verbundenen Preisdruck umzugehen: Entweder fokussiert man darauf, Kosten zu senken oder neue Märkte zu erschliessen. Die gesamte Wertschöpfungskette muss auf Optimierungspotenzial hin überprüft werden. Zusammenarbeitsmodelle bei Netzunterhalt oder Strombeschaffung sind dabei seit längerer Zeit realisierte Ansätze. Weitere Überlegungen gehen heute auch in Richtung Outsourcing: Von der Fakturierung über die Ingenieursarbeit bis zur Geschäftsführung werden einzelne Tätigkeiten oder der gesamte Betrieb an Dritte vergeben. Mit entsprechenden Service Level Agreements lassen sich diese Kooperationen einfach und klar regeln.

Holdingstrukturen als Unternehmensform

Um Kosten zu senken, können auch Strukturen zusammengelegt und die daraus entstehenden Synergien genutzt werden.

Die Holdingstruktur, in welcher zahlreiche grosse Stromanbieter organisiert sind, bietet eine Vielzahl an Vorteilen. So entfallen beispielsweise die kantonalen Gewinnsteuern bei der Holdinggesellschaft. Sie profitiert ausserdem von einer privilegierten Kapitalsteuer. Auch die Tochtergesellschaften können durch Ausschüttung der Substanz an die Holding «schlank» und leichter handelbar sein.[1] Und nicht zuletzt werden die steuerlichen Aufrechnungsrisiken beim Aktionär durch die Zwischenschaltung einer Holdinggesellschaft zwischen Aktionär und operativen Gesellschaften vermindert.[2]

Die strategische Ausrichtung der operativen Gesellschaften fällt einfacher. Der Austausch von Beteiligungen wird durch eine solche Struktur ermöglicht; ebenso Zusammenarbeitsmodelle, wobei das Zusammenarbeitspotenzial nicht immer vollständig ausgeschöpft wird.

Kosten senken – Strukturen vereinfachen

Dennoch kann eine Holdingstruktur auch ineffizient und damit teuer sein. Jede Tochtergesellschaft bedarf einer eigenen Buchführung und damit verbunden einer Prüfung. Diese kann je nach Rechnungslegungsstandard kostspielig werden, besonders da sie sich mit der Anzahl Tochtergesellschaften multipliziert. So führen beispielsweise Steuerdeklarationen, sogenannte «Cost+»-Themen, zur Ver­­rechnung von Leistungen (insbesondere von gewinnbesteuerten in nicht gewinnbesteuerte Unternehmen wie Wasserversorgung), zu erhöhtem administrativen Aufwand und zu unternehmerischen Risiken. Mehrwertsteuerabrechnungen und Steuererklärung sind weitere Kosten treibende Faktoren, da sie für jede Gesellschaft einzeln ausgewiesen werden müssen. Nicht zuletzt erhöhen sich auch die Ausgaben beim IT-Service: Oft wird in Business-Lösungen jede Gesellschaft als eigene Mandantin geführt; so wird es auch mit Service und Updates gehandhabt. Dies ist nicht nur umständlich, sondern kann auch schnell richtig teuer werden.

Neue IT-Lösungen erlauben Profit-Center-Strukturen

Neu erlauben hochwertige Business-Lösungen sogenannte Geschäftsbereichsmodelle (Profit-Center-Modelle) anstelle von Mandantenlösungen. Sie ermöglichen die informationstechnologische Abgrenzung einzelner Geschäftsbereiche innerhalb eines Gesamtunternehmens, führen das gesamte Unternehmen aber ausschliesslich auf einer Plattform in der Regel in einer Anwendung. Was auf den ersten Blick banal scheint, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als äusserst effizient. Denn Schnittstellen sind von Grund auf kompatibel, der bereichsübergreifende Informationsfluss ist gewährleistet, Updates erreichen alle Workstations und dennoch ist der Datenzugriff detailliert steuerbar.

Nebst der Reduktion des buchhalterischen Aufwandes ist die IT ein weiteres starkes Argument dafür, die Strukturen kontinuierlich aktiv zu reduzieren und das Unternehmen im Idealfall von der Holdingstruktur in eine einzige juristische Person zu überführen.

Vorstossen zum Endkunden

Der zweite Weg, der veränderten Ausgangslage zu begegnen, führt über die Ansprache eines grösseren Marktes, indem das Produkteportfolio erweitert wird. Dieses Vorgehen lässt sich bereits bei mehreren Energieanbietern beobachten. Sie sehen sich nach alternativen Geschäftsbereichen um. Vom ursprünglichen Tätigkeitsgebiet Strom führt die Suche zu den artverwandten Gebieten wie Fernwärme, Kälte- und Wärmeverbünden oder Blockheizkraftwerken. Ausserdem benötigen diese Anbieter eine Netzinfrastruktur, also Leitungen, die im Boden verlegt werden. Naheliegend ist daher zum Beispiel der Aufbau eines Ingenieurwesens oder einer Elektroplanung.

Dabei gilt es, auch intern einen gros­sen Change zu stemmen: Im neuen Wettbewerbsumfeld gehören neu die Kundenakquise, die Kundenbewirtschaftung und die Kundenzufriedenheit zum Aufgabenbereich eines Energieunternehmens. Näher zum End­kunden lautet die Devise, denn die Strombelieferung von Grossverbrauchern (Key Accounts) ist ein komplett anderer Markt als jener der Privatverbraucher. Man will den Kunden kennenlernen, ihn verstehen, seine Bedürfnisse frühzeitig erkennen und ihn binden. Dazu wird in Bereiche investiert, die direkt mit der Verwendung der Energien zu tun haben: Haustechnikplanung und Ingenieurwesen, der Bereich Heizung, Lüftung, Klima, Steuerung (HLKS) bis hin zu Elek­troinstallationen. Mit der Verlängerung der Wertschöpfungskette (vor- und nachgelagert) werden dem anonymen Produkt Strom ein Gesicht, Emotionen und ein Name gegeben. Die Stromunternehmen hauchen ihren Produkten Leben ein, indem sie ihnen ein Image verschaffen und Emotionen auszulösen versuchen. Der nächste Schritt wird eine Spezialisierung innerhalb der Branche sein. Denkbar wäre das Szenario, dass die lokalen Stromversorger grossmehrheitlich die Infrastruktur stellen und besonders den Kleinverbrauchern den Strom liefern werden, während die Grossverbraucher ihn noch stärker als heute direkt beim Produzenten beziehen.

Eigentümerstrategie gibt Richtung vor

Ganz entscheidend für eine allfällige strategische Neuausrichtung ist die Eigentümerstruktur. An erster Stelle aller Überlegungen muss die Abklärung der Besitzverhältnisse stehen. Wer ist Eigentümer beziehungsweise Teilhaber der Tochtergesellschaften? Liegen alle Anteile bei der Muttergesellschaft, steht der Zusammenführung aller Töchter in eine Gesellschaft nichts im Wege. Doch gerade Energie­unternehmen zeichnen sich dadurch aus, dass sie oft der öffentlichen Hand unterstehen und die Teilhaberschaft um einige private Shareholder erweitert ist. Sobald einzelne Tochterunternehmen Aussenstehende als Teilhaber verzeichnen, können die Gesellschaften nicht mehr zu einer juristischen Person zusammengezogen werden. Nicht, wenn der externe Teilhaber nicht auch Teilhaber der gesamten neuen Gesellschaft sein soll.

Tausend Varianten auf dem Schweizer Strommarkt

In der Realität sind die Teilhaberschaften selten schwarz-weiss; de facto treten sämtliche Mischformen auf. Der Grund dafür liegt in der schier unendlichen Vielfalt der Anbieter. Vom reinen Stromproduzenten über den Netzanbieter bis hin zum lokalen Full-Service-Energie- und Telekommunikationsanbieter findet sich jede Unternehmensform in dieser Branche.

Es ist denn auch dieses Portfolio, das ein weiterer Wegweiser für die Ausrichtung der Unternehmensstrategie darstellt. Denn nicht nur inhaltlich können sich Produkte stark unterscheiden. Auch in nicht so augenfälligen Bereichen, wie beispielsweise dem Steuerwesen, gibt es markante und einflussreiche Unterschiede. Eine weitere entscheidende Komponente ist die geografische Ausrichtung. Von der gemeindeeigenen Elektrogenossenschaft bis hin zum international agierenden Stromproduzenten deckt der Schweizer Markt alles ab.

Diese unzähligen Facetten machen es unmöglich, die Unternehmen mit Standardlösungen weiterzuentwickeln. Für jedes Konstrukt muss eine individuelle Lösung gefunden werden, die alle Aspekte – von der Eigentümerstruktur über das Produkteportfolio, die geografische Ausrichtung bis hin zu Rechnungslegungsthemen und Steuerfragen – in Betracht zieht und richtig bewertet.

Jetzt die Weichen für die Zukunft stellen

Jedes Schweizer Stromunternehmen ist aufgrund des durch die Marktliberalisierung und die Energiestrategie entstandenen Preisdrucks unter Zugzwang, die Struktur nach Op­­ti­­mierungspotenzial abzusuchen. Eine Musterlösung, die sich auf alle Unternehmen applizieren lässt, gibt es nicht. So vielfältig, wie sich die Unternehmensgrössen, die Produkteportfolios und die Eigentümerverhältnisse darstellen, so individuell müssen auch die Lösungen sein, um sich für die Zukunft auszurichten. An erster Stelle steht dabei die Frage der Eigentümerstrategie, aus welcher sich mögliche Szenarien ableiten. Früher als gemeinhin gedacht, fliessen Themen wie Rechnungslegungsformen, Steuerfragen, ja selbst IT-Lösungen in die Strategieentscheidung ein. Erfahrene Fachpersonen, die das Wissen über die Zusammenhänge mitbringen und Erfahrung in der Branche vorweisen, können dabei wichtige Weichen für eine nachhaltige und langfristige Unternehmensplanung stellen und nach den Strategieentscheiden die Umsetzung begleiten.

Referenzen

[1]   Ettlin E. und Imholz P.: «Holding für KMU», Der Schweizer Treuhänder, Ausgabe 6-7/2006, S. 444.
[2]   Ebd., S. 445.

Autor
Stephan Bolliger

ist Leiter des Branchencenters Energie BDO AG.

  • BDO AG, 5001 Aarau

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