Fachartikel Erneuerbare Energien , Mobilität

Die post-fossile Mobilität

Fundamentaler Wandel

28.09.2019

Die Schweiz soll ab dem Jahr 2050 unter dem Strich keine Treibhausgasemissionen mehr ausstossen. Die fossile Energie muss folglich innerhalb der nächsten 30 Jahre auf erneuerbare Energie umgestellt werden, was den Strassenverkehr stark betreffen wird. Wie kann dieses Ziel erreicht werden? Und könnte die Mobilität den Umstieg auf erneuerbare Energie gar unterstützen?

Mit einem Anteil von rund einem Drittel an den inländischen Emissionen ist der Strassenverkehr in der Schweiz der grösste Treibhausgas-Einzelemittent und damit für die Erreichung des CO2-Landesziels durchaus «systemrelevant».[1] Die Personenwagen stellen mit einem Anteil von 70% das wichtigste Segment dar, gefolgt vom Stras­sengüterverkehr (Last- und Lieferwagen) mit 20%. Die restlichen Emissionen teilen sich Busse, Motorräder und andere Fahrzeuge. Sollen die CO2-Emissionen des Strassenverkehrs gesenkt werden, müssen also vor allem die Personenwagen sauberer werden. Diese wurden seit 1990 trotz gestiegener Leistungsfähigkeit, Sicherheit, Fahrzeuggrösse und Komfort zwar um rund 20% sparsamer; die Effizienzgewinne wurden aber durch gestiegene Fahrleistungen vollständig kompensiert. Anders als beispielsweise im Gebäudebereich konnte im Strassenverkehr seit 1990 deshalb keine Reduktion der CO2-Emissionen erreicht werden, auch wenn diese in den letzten zwei Jahren zurückgegangen sind.[2] Die Wachstumsprognosen im Verkehrsbereich mit gegen +20% im Personenwagenbereich und über +30% im Güterstrassenverkehr [3] geben deshalb – ohne entsprechende Massnahmen – wenig Hoffnung auf eine Umkehr dieser Situation.

Um das Potenzial zur CO2-Reduktion auszuleuchten, lohnt sich ein Blick auf die Einsatzgebiete der Mobilität. Wozu und wie oft Personenwagen im Einsatz sind, wird im Rahmen der Mikrozensus-Umfragen zum Mobilitätsverhalten durch das Bundesamt für Statistik (BFS) und das Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) erhoben. Diese zeigen, dass alleine der tägliche Freizeitverkehr (ohne Ferienreisen) mit einem Anteil von 44% gleich relevant ist wie Pendler-, Ausbildungs- und Einkaufsverkehr zusammen (42%).[4] Die Analysen zeigen des Weiteren, dass 70% der mit einem Auto zurückgelegten Tagesfahrstrecken kürzer sind als 50  km und wohl primär aus Kurzstrecken-, Stadt- und Pendlerfahrten bestehen. Diese machen aufsummiert aber nur rund 30% der von Personenwagen gefahrenen Kilometer aus. Oder anders gesagt – die 30% längsten Tagesfahrstrecken machen 70% der Gesamtfahrleistung und damit auch rund 70% der CO2-Emissionen aus.[5] Ob im Stras­senverkehr eine CO2-Reduktion realisiert werden kann, hängt deshalb im Wesentlichen von der Frage ab, ob die Langstreckenmobilität auf CO2-arme Konzepte umgestellt werden kann.

Ökobilanzanalysen zeigen, dass die CO2-Reduktion im Fahrzeugbereich primär von der Umstellung von fossiler auf erneuerbare Energie abhängt [6] und Untersuchungen zum Einsatzprofil [7, 8] zeigen, dass die CO2-Emissionen in städtischen Fahrprofilen überdurchschnittlich stark durch Elektrofahrzeuge mit kleinen Batterien und in Autobahn-lastigen Fahrprofilen überdurchschnittlich stark mit synthetischen Treibstoffen betriebenen verbrennungsmotorischen Fahrzeugen reduziert werden können. In beiden Fällen spielt als energetische Ausgangslage die erneuerbare Elektrizität eine wichtige Rolle.

Erneuerbare elektrische Energie für die Mobilität

Unbestritten ist, dass eine signifikante CO2-Reduktion nur durch den Umstieg auf erneuerbare Energie möglich ist und unbestritten ist auch, dass es – weltweit gesehen – bei Weitem ausreichend erneuerbare Energie gibt; auch wenn die ganze Welt auf erneuerbare Energie umstellen würde. Ebenfalls sind sich viele Autoren einig, dass eine auf erneuerbarer Energie basierende Mobilität nicht teurer ist als die heutige, auf fossiler Energie basierte Mobilität. Da die verfügbaren Mengen an biogener erneuerbarer Energie den Energiebedarf des motorisierten Individualverkehrs bei Weitem nicht decken können, hängt die CO2-Reduktion im Strassenverkehr primär an erneuerbarer elektrischer Energie. Wie später ausgeführt, gibt es davon – weltweit gesehen – mehr als genug. Für deren Einsatz in Form von Elektrizität in der Strassenmobilität stehen im Wesentlichen drei Antriebskonzepte zur Auswahl: erstens die Elektromobilität, zweitens die Wasserstoffmobilität und drittens mit synthetischen Treibstoffen betriebene (Hybrid-)Fahrzeuge.

Elektrofahrzeuge haben den höchsten Gesamtwirkungsgrad, weisen aber hinsichtlich Energiebezug die geringste Flexibilität auf. Das bedeutet, dass ein Laden der Batterie während Zeiten ohne ausreichende Versorgung mit erneuerbarer Energie nicht immer umgangen werden kann. So führen Elektrofahrzeuge beispielsweise im Winter zu einem Anstieg der Stromimporte aus potenziell fossilen Quellen. Eine weitere Problemzone liegt beim Bedarf an speziellen Rohstoffen wie seltenen Erden, Lithium, Kobalt und Mangan, deren Nutzung teilweise mit einer nicht unbeträchtlichen Umweltbelastung versehen ist. Batterieelektrische Fahrzeuge können aber für das Energiesystem einen Zusatznutzen generieren, indem deren Batteriespeicher für den Tag-Nacht-Ausgleich von Photovoltaikstrom eingesetzt werden. Insgesamt weisen batterieelektrische Fahrzeuge im Vergleich zu mit fossilem Benzin oder Diesel betriebenen Fahrzeugen dann eine besonders hohe Klima- und Umweltentlastung auf, wenn sie mit kleineren Batterien (bis zirka 40 kWh) ausgerüstet sind und primär im Stadt-, Kurzstrecken-, Zweitfahrzeug- und Pendlerverkehr eingesetzt werden.

Wasserstoffbetriebene Brennstoffzellenfahrzeuge weisen eine geringere Gesamteffizienz auf, weil die Herstellung von Wasserstoff mit zusätzlichen energetischen Verlusten behaftet ist und der Wasserstoff dann im Fahrzeug mittels Brennstoffzellen wieder «rückverstromt» werden muss. Auch diese Rückverstromung ist mit energetischen Verlusten behaftet. Dafür ist die Flexibilität beim Strombezug grösser. Elektrolyseanlagen werden aus wirtschaftlichen Gründen dann betrieben, wenn ein Überangebot an Strom vorhanden ist und der Strompreis aufgrund von Marktgesetzen niedrig ist. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn im grösseren Stil erneuerbare Energie aus fluktuierenden Quellen (Photovoltaik, Windkraft) erzeugt wird. Die Erzeugung von Wasserstoff ist deshalb aus wirtschaftlichen Gründen intrinsisch mit der Nutzung von erneuerbarer Elektrizität während einem Überangebot an fluktuierender, erneuerbarer Elektrizität verbunden.  Die Nutzung dieser Elektrizität ist für den Ausbau von Photovoltaikanlagen sehr wichtig – insbesondere, solange die Atomkraftwerke noch in Betrieb sind. Fehlen solche zusätzlichen Stromverbraucher ausserhalb des typischen Strommarktes, drohen für PV- und Wasserkraftbetreiber aufgrund des Überangebots im Sommerhalbjahr wirtschaftliche Einbussen. Allerdings reicht die Flexibilität des Wasserstoffsystems auch nicht über kurzzeitige Grenzen hinaus. Im Winter führen deshalb auch wasserstoffbetriebene Brennstoffzellenfahrzeuge zu einem erhöhten Bedarf an importierter Energie. Wasserstofffahrzeuge haben im Kurz-/Mittelstrecken-LKW-Verkehr einen Erstmarkt und können mittel- bis längerfristig im PW-Bereich zudem Langstreckenanwendungen abdecken.

Mit synthetischen Treibstoffen betriebene (Hybrid-)Fahrzeuge weisen die geringste Gesamteffizienz auf, aber die höchste Flexibilität beim Strombezug. Synthetische Treibstoffe werden aus Wasserstoff und CO2 hergestellt, was nach der Wasserstofferzeugung einen weiteren, energetisch verlustbehafteten Umwandlungsschritt bedeutet. Vorteilhaft ist, dass synthetische Treibstoffe vergleichsweise einfach transport- und lagerfähig sind und die Systemgrenze deshalb nicht auf die Schweiz allein bezogen werden muss. Nimmt man beispielsweise an, dass die oben genannten 30 % längsten Tagesfahrstrecken in Zukunft mit synthetischen Treibstoffen gefahren werden sollen, müsste dazu irgendwo auf der Welt eine PV-Fläche von 200 km2 installiert werden, um den Bedarf an synthetischen Treibstoffen zu decken. Würde die ganze Welt das Gleiche tun, müsste eine PV-Fläche von gegen 200 000 km2 realisiert werden. Zum Vergleich: auf der Erde gibt es Wüstenflächen von insgesamt rund 30 000 000  km2; selbst wenn die ganze Welt ein solches Konzept umsetzen würde, müsste eine Fläche von weniger als 1% der weltweiten Wüstenfläche dafür genutzt werden.

Was bedeutet dies für die Elektrizitätswirtschaft?

Die «Good News» ist, dass eine Umstellung auf erneuerbare Energie grundsätzlich möglich ist; die Herausforderung liegt in einer gesamtsystemischen Vernetzung. Werden die Fahrzeuge, der Energiemarkt oder die Energieverteilung isoliert betrachtet, schliesst man relevante Parameter aus den anderen Sektoren aus. Eine Umstellung auf CO2-arme Mobilität sieht dann möglicherweise relativ einfach aus; ist aber aufgrund der «Übervereinfachung» bei den Systemgrenzen doch nicht umsetzbar.

Eine gesamtsystemische Betrachtung zeigt, dass die Umstellung weit weniger mit neuen Fahrzeugantriebstechnologien zu tun hat, sondern primär mit der zeit- und ortsgerechten Bereitstellung der erneuerbaren Energien. Während fossile oder nukleare Energie nach Installation entsprechender Kapazitäten «auf Abruf» verfügbar ist, ist dies bei den erneuerbaren Energien mit einem fluktuierenden und saisonal stark schwankenden Produktionsprofil wesentlich aufwendiger. Dabei stellt sich die Frage, ob die Mobilität der Zukunft – wie bisher – lediglich ein «Verbraucher» darstellt, oder ob sie systemdienlich eingebunden wird und den Umstieg auf erneuerbare Energie gar zusätzlich unterstützen könnte.

Um dies zu identifizieren, muss man sich das Stromerzeugungsprofil betrachten. Die Schweiz produziert im Sommerhalbjahr schon heute mehr Strom, als im Inland verbraucht wird. Die überschüssige Elektrizität kann aber ins Ausland exportiert werden und ersetzt dort fossile Energie. Im Winterhalbjahr, wenn in der Schweiz weniger Strom produziert als verbraucht wird, wird dann (fossiler) Strom aus dem Ausland importiert. Das Ausland stellt für die Schweiz deshalb etwas wie einen «saisonalen Stromspeicher» dar. Die Frage ist, ob dieser Ansatz eine Zukunft hat, weil die Nachbarländer ebenfalls stark auf den Ausbau von Photovoltaik setzen und dann zunehmend zu den gleichen Zeiten Strom­überschüsse aufweisen werden wie die Schweiz. Bei einem hohen Ausbau des PV-Potenzials entstehen während den rund 1000 Volllaststunden Stromproduktionsspitzen, die deutlich über die heutige Stromproduktionsleistungen hinausgehen. Diese Stromspitzen können in Pumpspeicherkraftwerken geglättet werden; allerdings wären für einen vollständigen Ausgleich über ganze Wochen zusätzliche 80–120  GWh an Speicherkapazität erforderlich, was das Potenzial des Pumpspeicherausbaus bei Weitem überschreitet. Deckt die Elektromobilität einen signifikanten Anteil der Fahrzeuge ab, und können diese über entsprechende Businessmodelle an Sonnentagen tagsüber geladen werden, könnten pro Million Elektrofahrzeuge zusätzliche Speicherkapazitäten von 5 bis 15  GWh geschaffen werden, was die Umstellung auf erneuerbare Elektrizität vereinfachen würde. Da diese Batterien ja in den Fahrzeugen sowieso vorhanden wären, würden keine zusätzlichen grauen CO2-Emissionen entstehen.

Durch Umwandlung der nach Tag-Nacht-Ausgleich verbleibenden Strom­überschüsse in synthetische Treibstoffe könnten wirtschaftliche Einbussen von PV- und Windanlagen vermindert und fossile Energieträger substituiert werden: Da auch in diesem Fall die Anlagen bestehen und nur besser ausgelastet würden, würde auch dies keine zusätzlichen CO2-Emissionen bewirken. Sind diese Kompetenzen aufgebaut, sei es das intelligente, bidirektionale Laden von Elektrofahrzeugen oder die Umwandlung von Stromüberschüssen in synthetische Treibstoffe, können diese mit hoher Wahrscheinlichkeit auch ins Ausland exportiert werden, da alle anderen Länder bei einer Umstellung auf erneuerbare Energie in ähnlicher Weise vor den gleichen Herausforderungen stehen.

Dass Personenwagen ein geeignetes Umfeld für intelligent genutzte erneuerbare Energie sind, hängt auch mit dem niedrigen, mittleren Energiekostenanteil von 10–20% zusammen. Können die Rahmenbedingungen zielgerichtet optimiert werden, steht dem Zubau der Photovoltaik ohne dem Risiko von wachsenden Überschuss-Kapazitäten nichts mehr im Weg.

Referenzen

[1]   «Kenngrössen zur Entwicklung der Treibhausgas­emissionen in der Schweiz 1990–2015», Bafu, 2017.
[2]   «CO2-Statistik 2018: Emissionen aus Treibstoffen unverändert hoch», Medienmitteilung des Bafu vom 16. Juli 2019.
[3]   «Perspektiven des Schweizerischen Personen- und Güterverkehrs bis 2040», ARE.
[4]   «Mikrozensus Mobilität und Verkehr», BFS/ARE 2019.
[5]   Lukas Küng et al. «Decarbonizing passenger cars using different powertrain technologies: optimal fleet composition under evolving electricity supply», Transportation Research Part C: Emerging Technologies, 2018.
[6]   Brian Cox, Christian Bauer, «Fact sheet: The environmental burdens of passenger cars: today and tomorrow», 2018.
[7]   «Klimabilanz von Elektroautos – Einflussfaktoren und Verbesserungspotenzial», Agora, 2019.
[8]   Martin Zapf, Hermann Pengg, Thomas Bütler, Christian Bach, Christian Weindl, «Kosteneffiziente und nachhaltige Automobile – Bewertung der Klimabelastung und der Gesamtkosten – Heute und in Zukunft», 2019 (in press).

Autor
Christian Bach

ist Abteilungs­leiter Fahrzeug­antriebs­sys­teme bei der Empa.

  • Empa, 8600 Dübendorf

 

Kommentare

Was ist die Summe aus 8 und 2?