Die Daten ans Licht bringen
Energie intelligent einsetzen
Im Kontext von Gebäuden gibt es viele Daten, die in ihren jeweiligen Silos vor sich hinschlummern. Neue Technologien ermöglichen es nun, mit diesen Daten Energie und Geld zu sparen.
In grossen Bürohäusern oder Industriegebäuden sind energetische Einsparungen schon länger ein Thema, auch weil die Investitionen in Effizienzmassnahmen relativ schnell amortisiert sind. Heute, so der Leiter des an der HSLU beheimateten iHomelabs, Andrew Paice, liegen auch spannende Forschungsarbeiten zum Energiesparen im Heimbereich, denn da schlummert noch viel Potenzial. Sein Forschungsteam arbeitet unter anderem daran, Daten aus den Verbrauchsmustern zu analysieren, um Smart-Home-Funktionen zu ermöglichen und um den Energieverbrauch zu senken.
Die von Sensoren und Smart Metern gelieferten Daten sind in allen vier Bereichen des Smart Home nützlich: erstens im Smart-Security-Bereich, in dem die Daten auf einen möglichen Einbruch oder einen Brand aufmerksam machen können, wenn die Bewohner für einige Tage verreist sind.
Zweitens beim Smart Home, das sich mit Convenience und Multi-Media befasst. Hier können Lichtszenarien automatisch aktiviert werden, wenn klar ist, wer sich wo aufhält und in welchem Raum kein Licht benötigt wird. Dieser Nischenbereich wird meist von einem zahlungskräftigen Publikum genutzt.
Drittens im Bereich des rasant an Fahrt aufnehmenden Active Assisted Living, bei dem es um Lebensqualität geht, also um Gesundheit – Aktivierung, Prävention, Rehabilitation – sowie um soziale Interaktionen. Seit über 15 Jahren ist das iHomelab in diesem Bereich aktiv und erforscht Systeme, die einfach bedienbar sind bzw. eine einfache Interaktion ermöglichen und alle Lebensbereiche unterstützen. Beispielsweise, um altersgerechtes Wohnen möglichst lange in den eigenen vier Wänden zu ermöglichen. Das Spektrum der erforschten Funktionen ist breit: u.a. Früherkennung von Herzrhythmusstörungen mit KI, um Hirnschlägen vorzubeugen sowie Analyse von Verhaltensmustern, um festzustellen, ob jemand an Demenz erkrankt ist. Dabei können die Bewegungsmuster mit verteilten Sensoren erfasst oder durch den Vergleich des Einsatzes von Elektrogeräten mit früheren Mustern erkannt und Betreuungspersonen informiert werden.
Der vierte Bereich ist aus energetischer Sicht der vielversprechendste: Hier wird das Energy-Management-System (z. B. Laststeuerung zur Erhöhung des Eigenverbrauchs) mit der Heizungs-, Lüftungs- und Klimatechnik verbunden. Wenn sich die Elektrifizierung etabliert hat, beispielsweise bei Wärmepumpen und Elektroautos, kann ein grosser Mehrwert geschaffen werden. Das Forschungsteam der HSLU kooperiert dabei mit externen Partnern, beispielsweise mit dem Start-up Moost aus Rapperswil.
Individuelle Energieratschläge
Das Team von Moost hat mehr als acht Jahre Erfahrung im Smart-Home-Bereich: Anwendungen im Bereich Security, Convenience und Energy Management wurden da bereits entwickelt. Gemäss dem Mitgründer Joel Samsinger ist eines der grössten Mankos bislang die Nutzung der IoT-Daten für Services, die im Gegensatz zu konventionellen Geräten Mehrwerte schaffen. So hat das Start-up ein System entwickelt, das Daten aus den Haushalten in Echtzeit auswerten und daraus individuelle Steuerungsvorschläge generieren kann. Dieses «IoT Recommender System» wird von etablierten Gebäudetechniksystemen (ABB, Schneider Electric usw.) eingesetzt, um hochpersonalisierte Energieassistenten an Haushalte auszuspielen.
Der Energieassistent erfasst den Solarstromertrag in Echtzeit und analysiert, wo die Energie eingesetzt werden kann, beispielsweise beim Elektrofahrzeug, der Wärmepumpe oder dem Energiespeicher. Zudem können auch historische Daten genutzt werden. Gewisse Firmen speichern jahrelang viertelstündlich alle Sensordaten eines Haushalts und haben enorme Datenhaltungskosten. Moost möchte mit diesen brachliegenden Daten Haushalten einen energetischen Nutzen bieten: Bewohner erhalten konkrete Vorschläge, mit der sie die Energienutzung optimieren können, ohne sich um die technischen Zusammenhänge kümmern zu müssen. Die Empfehlungen des Systems lassen sich mittels Bestätigung auslösen.
Die Motivation für diesen Einsatz ist die Tatsache, dass rund 22% der Energie weltweit in Wohngebäuden verbraucht wird. Selbst kleine Einsparungen machen da einen grossen Unterschied. Joel Samsinger präzisiert: «Viele meinen, dass die Haushalte einen verschwindend kleinen Beitrag am Gesamtstromverbrauch haben, aber das stimmt nicht. Bei der gigantischen Anzahl an Haushalten, die zu spezifischen Zeiten Strom brauchen, sind die Lasten sehr hoch.» Die meisten Leute wissen aber kaum, wo sie wie viel Strom verbrauchen, wo sie sparen könnten und was allfällige Massnahmen gebracht haben. Samsinger weiter: «Hier wollen wir mit dem Energieassistenten ansetzen, der aufzeigt, wo es Einsparmöglichkeiten gibt.» Statt generischer Tipps wie «im Winter nur Stosslüften» wird konkret informiert: «das Schlafzimmerfenster ist schon über 30 Minuten offen, während du auf 22°C heizt.»
Dynamische Tarife als Anreiz
In vielen europäischen Ländern, beispielsweise in Belgien, gibt es gemäss Joel Samsinger Entwicklungen zu dynamischen Stromtarifen, um Erzeugung und Verbrauch aufeinander abzugleichen. Da der Strompreis beträchtlich schwanken kann, zwischen 40 Eurocent und -10 Eurocent bei einer Überproduktion, kann man beim Laden eines Elektroautos von den variierenden Strompreisen profitieren, wenn man das Auto nicht sofort lädt, sobald man nach Hause kommt, sondern das Laden auf einen günstigeren Zeitpunkt verschiebt. So lässt sich die Solarproduktion und der Batteriespeicher in Einklang bringen. Am Mittag, wenn die Produktion sehr hoch ist, lässt sich vereinzelt sogar Geld verdienen, wenn man sein Elektroauto lädt. «Wenn man jetzt schaut, was es für einen Haushalt bedeutet, der ein Elektroauto hat, typischerweise braucht man 70 kWh für ein Aufladen einer Reichweite von 300 km, Haushalte machen durchschnittlich 13'000 km pro Jahr, also werden 3 MWh pro Jahr benötigt. Im Extremfall kann diese Energiemenge je nach Tarif einen Unterschied von 1300 Euro jährlich machen, wenn der Zeitpunkt der Ladung optimal gewählt wird.» Samsinger konkretisiert: «Unter diesen Umständen sparen Haushalte mit unserem System im Durchschnitt 846 Euro.» Dabei macht der Assistent die Nutzer darauf aufmerksam, dass sie gerade in Hochtarifzeiten laden und schlägt vor, den Vorgang zu verschieben, bis es günstiger ist.
Der Weg zum smarten Energy Management
Oft wird nicht schon am Anfang ein komplettes Energy-Management-System beschafft. Joel Samsinger schildert den Vorgang so: «Es ist eher ein natürlicher Prozess: Leute kaufen sich zum Beispiel ein Elektroauto mit Ladestation, sie merken dann, dass sie doppelt so viel Strom verbrauchen wie vorher. Dann entscheiden sie sich für eine eigene Solaranlage. Wenn der Installateur vorbeikommt, installiert er die Anlage und stellt fest, dass eine Smartgridready-Wärmepumpe vorhanden ist, und bindet sie gleich ins System ein. Und schon hat man ein ziemlich leistungsfähiges Energy-Management-System, bei dem vieles möglich ist, auch das Einsparen von Energie.»
Weil sie ein Lastmanagement ermöglichen, sind solche Systeme auch von Energieversorgern begehrt, wobei die spezifischen Eigenschaften der jeweiligen Last berücksichtigt werden: Bei Boilern spielt es keine Rolle, wie gesteuert wird, beim Elektroauto hingegen schon. Man möchte selbst bestimmen, wann das Auto geladen wird.
Die Datensituation
Um die Daten, die von Firma zu Firma unterschiedlich strukturiert sind, nutzen zu können, hat das Team von Moost ein System entwickelt, das diese Daten in eine einheitliche Struktur konvertiert. Einmal vereinheitlicht, lassen sich dieselben Algorithmen für unterschiedliche Firmen verwenden. Die Empfehlungen, die das System anhand dieser Daten macht, müssen zudem an die Möglichkeiten des jeweiligen Energiesystems angepasst werden, denn nicht jedes kann beispielsweise den Lademodus des Elektroautos (Turbo- oder Eco-Charging usw.) steuern. Dieses Mapping der Empfehlungen mit den Möglichkeiten der Komponenten anderer Hersteller ist wichtig, damit die Steuerbefehle der Kunden auch ausgeführt werden können.
Die Bewohner sollen möglichst einfach das gesamte Potenzial ihres Energiesystems nutzen können. Dazu müssen gewisse Fragen geklärt werden, beispielsweise, wie viele Benachrichtigungen pro Haushalt verschickt werden sollen. Oder wann eine Empfehlung verfallen ist. Wenn der Vorschlag, um zwei Stunden später zu laden, vom Nutzer erst drei Stunden später gesehen wird, muss er deaktiviert sein, damit das Laden nicht um fünf Stunden verschoben wird. Von dieser Komplexität profitiert Moost, denn dieser Dienst mit vordefinierten Logiken, komplexen Algorithmen und einfacher Festlegung der Steuerbefehle ist begehrt.
Sensordaten allein reichen nicht aus
Bei der Nachhaltigkeit im Gebäudebereich ist der optimierte Betrieb des Energiesystems mittels Intelligenz zwar wichtig, denn er verspricht grosse Effizienzgewinne, aber es gibt noch weitere Bereiche, die ebenfalls ins Gewicht fallen. Urs-Peter Menti, Professor an der HSLU, plädiert für eine Gesamtsicht: «Die Gebäudehülle soll gut gedämmt sein, die Fenster wohlproportioniert und mit einem entsprechenden Sonnenschutz ausgestattet, genügend thermische Speichermasse soll für ein ausgeglichenes Raumklima sorgen und nach Möglichkeit soll eine Fensterlüftung realisiert werden, die auch zur Nachtauskühlung genutzt werden kann.» Für den Rest, der nach der Optimierung dieser Aspekte noch bleibt, sollen erneuerbare Energien eingesetzt werden.
Menti ergänzt: «Nicht vergessen darf man bei diesen Überlegungen aber immer auch die graue Energie, also die Energie, die zur Produktion der verbauten Materialien und zur Herstellung der Geräte benötigt wird. Dieser Energieverbrauch ist gerade auf dem Weg zu Netto-Null zentral. Hier helfen die Ansätze des zirkulären Bauens (Kreislaufwirtschaft) weiter.» Konkret berücksichtigt werden soll diese Perspektive bei der eingesetzten thermischen Speichermasse, die die Raumtemperatur angenehmer macht. Sie bedingt massive Bauteile beispielsweise aus Beton, Kalksandsteinen oder Backsteinen. Ihr vergleichsweise hoher Anteil an grauer Energie muss auch in die Gesamtrechnung eingehen. Ein anderes Beispiel: Grosse Fenster führen zwar zu einer guten Tageslichtnutzung und können im Winter einen Beitrag zur Erwärmung der Räume leisten, aber im Sommer sind sie bei ungenügendem Sonnenschutz kontraproduktiv. Es müssen also Kompromisse eingegangen werden. Menti plädiert schliesslich dafür, ganze Areale konsequent als System zu denken, denn so erreicht man weitere Optimierungen. Dabei werden Energieflüsse zu Energiekreisläufen geschlossen und der Bedarf, soweit möglich, nach der jeweils aktuellen Produktion von erneuerbaren Energien ausgerichtet. Für diese ganzheitliche Sicht sind selbstverständlich auch Daten erforderlich – Daten, die noch tiefer verborgen in wissenschaftlichen Studien zur grauen Energie von Baumaterialien oder in Resultaten von Systemsimulationen liegen.
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