Das Lithium-Dilemma
Vorkommen, Anwendung und Entsorgungsproblematik
In Energiespeichern tragbarer Geräte begleitet uns Lithium schon länger. Nun, mit dem Aufkommen von Elektromobilität und dezentralen Stromspeichern, steigt die Nachfrage nach Lithium rasant. Aber wie nachhaltig ist diese Art der Energiespeicherung? Wie lange reichen die Lithiumreserven? Und was zeichnet dieses chemische Element überhaupt aus?
Anfang der 1990er-Jahre, nach dem Kalten Krieg, wurde in den USA die Produktion der Wasserstoffbombe eingestellt. Eine beträchtliche Menge an Lithium, das für die Bombenproduktion vorgesehen war, wurde nun vom US Department of Energy auf den freien Markt gebracht. Die Lithium-Produzenten sahen sich durch dieses plötzliche Überangebot in ihrer Existenz bedroht. Aber es kam anders: 1991 brachte Sony die Lithium-Ionen-Batterie auf den Markt und ermöglichte ein unvorstellbares Wachstum im Bereich der tragbaren elektronischen Geräte. Die Nachfrage nach Lithium war also wieder da. Ab Mitte der 2000er-Jahre sorgten die Smartphones für eine weitere Steigerung des Bedarfs. Und heute, mit dem Aufkommen der individuellen Elektromobilität, wächst die Nachfrage nach Lithium noch stärker.
Das Innere der Batterien
Es gibt zwei Arten von Lithium-Batterien: Primär- und Sekundärzellen. Erstere sind Batterien für den Einmalgebrauch. Sie sind meist klein, verfügen über eine hohe Energiedichte und werden in medizinischen Geräten, Fotoapparaten und Hörgeräten eingesetzt.
Letztere sind wiederaufladbare Batterien. Während in Primärbatterien Lithiummetall eingesetzt wird, kommt in Akkumulatoren kein elementares Lithium zum Einsatz, sondern Lithium-Ionen, also Bestandteile von Salzen, die in einem organischen Elektrolyt gelöst sind. Anteilsmässig überwiegen die Sekundärzellen klar, denn der Anteil an Primärzellen liegt unter 1%.
Eigentlich suggeriert die Batteriebezeichnung einen beträchtlichen Anteil an Lithium. Dem ist aber nicht so: Lediglich 2% der Masse von Lithium-Ionen-Batterien sind Lithium, d.h. rund 10 kg Lithium pro Elektroauto. Kupfer und Aluminium dominieren, denn sie machen rund 40% der Batteriemasse aus.
Gemäss Empa-Studien reichen die heute verfügbaren Lithium-Vorräte gerade aus, um die Elektromobilität bis zum Jahr 2100 global einzuführen, d.h. alle bis dahin ausschliesslich elektrisch angetriebenen Fahrzeuge könnten mit Lithium-Batterien ausgerüstet werden. Die steigende Nachfrage nach Fahrzeugen im asiatischen Raum (China, Indien) ist mitberücksichtigt. Nicht berücksichtigt ist allerdings der Einsatz von Lithium in stationären Batterien z.B. für Smart-Grid-Anwendungen. Da aber stationäre Energiespeicher nicht auf eine vergleichbar grosse Energiedichte angewiesen sind – sie dürfen ruhig grösser und schwerer sein – können sie auch mit anderen Materialien realisiert werden, die billiger und langlebiger sind. Ein vielversprechender Ansatz sind Flüssigmetallbatterien mit einer flüssigen Lithium-Elektrode, einem flüssigen Salz-Elektrolyten und einer Elektrode aus einem flüssigen Antimon-Blei-Gemisch.[1] Solche Batterien erfordern keine Separatoren und keine Aufteilung in kleine Zellen, was sie preisgünstig macht. Gut isoliert, denn sie werden bei 450°C betrieben, wären sie Schwimmbädern vergleichbar, aber mit flüssigen Metallen statt mit Wasser gefüllt. Bei guter Isolation, z.B. Vakuum, genügt der Innenwiderstand der Batterie, um im Normalbetrieb das Metall flüssig zu halten.
Bei Lithium hat man gemäss Empa-Experte Rolf Widmer das Problem, dass die Lithium-Reserven zwar für die Ausrüstung aller Fahrzeuge ausreichen, aber nicht, um 1% der Energie in einem globalen Stromverteilnetz zu puffern, mit Einspeisung ausschliesslich aus erneuerbaren Energien im Jahr 2100 bei einer Annahme von 10 Mia. Menschen und einer 2000-W-Gesellschaft sowie einer Energiedichte bei den Lithium-Batterien von rund 5 Wh pro Gramm Lithiumgehalt.
Vorkommen
Da das Metall Lithium ein sehr reaktives Element ist, kommt es in der Natur nicht elementar vor. Sein Anteil in der Erdkruste beträgt rund 0,002%, d.h. es kommt etwas seltener vor als Zink und Kupfer, aber leicht häufiger als Zinn und Blei. Lithium wird heute hauptsächlich aus Salzseen gewonnen, in denen es meist als Lithiumchlorid gelöst ist. Dies geschieht vor allem in Chile (Atacama-Salzsee mit dem höchsten bekannten Lithiumgehalt von 0,16%), Argentinien, USA (Nevada) und China. Es gibt noch Salzseen, die nicht zum Abbau genutzt werden, beispielsweise der Salzsee Salar de Uyuni in Bolivien, der mit geschätzt 5,4 Mio. t Lithium eventuell über die grössten Vorkommen verfügt.
Gewonnen wird das Lithium aus Salzlösungen durch Verdunsten des Wassers, bis die Lithiumkonzentration über 0,5% liegt. Dann wird Natriumcarbonat hinzugefügt, um das schwer lösliche Lithiumcarbonat auszufällen. Meist wird dieses statt des elementaren Lithiums gehandelt. Lithium wird aber auch aus Mineralien abgebaut, die in vielen Silikat-Gesteinen vorkommen. Die Konzentrationen sind gering, und grosse Lagerstätten gibt es nicht. Diese Art der Gewinnung ist also entsprechend aufwendig. Abbauorte liegen im Westen Australiens, in Kanada, Russland und den USA. Lagerstätten findet man aber auch in Österreich, Finnland und im Erzgebirge.
Die Gewinnung von Lithium aus den Weltmeeren ist eigentlich auch möglich, ist aber wegen der sehr niedrigen durchschnittlichen Konzentration von rund 180 ppb äusserst energieintensiv. Ein Land müsste triftige Gründe haben (z.B. Versorgungsunabhängigkeit), um diesen Aufwand aufbringen zu wollen.
Anwendungsgebiete
Lithium und seine Verbindungen sind vielseitig einsetzbar. Mengenmässig ist heute der Einsatz von Lithium in Batterien dominant. Eine der allerersten Anwendungen von Lithium war der Einsatz als Lithiumstearat, mit dem Mineralölschmiermittel dickflüssiger gemacht wurden. In der Metallurgie wird metallisches Lithium einerseits als Reduktionsmittel eingesetzt – zur Entschwefelung, Desoxidation und Entkohlung – und andererseits als Legierungsbestandteil. Schon geringe Anteile können Zugfestigkeit, Härte und Elastizität verbessern.
Auch in der Medizin wurden Anwendungsgebiete gefunden: Seit den frühen 1950er-Jahren wird Lithiumcarbonat zur Behandlung von Depressionen eingesetzt. Eine US-Studie aus dem Jahre 1990 beschreibt eine deutliche Reduktion von Straftaten und Selbstmorden in Regionen mit erhöhtem Lithiumgehalt im Trinkwasser.
Das sehr hygroskopische Lithiumchlorid wird als Trocknungsmittel z.B. für Erdgas bzw. in Klimaanlagen verwendet. Lithiumcarbonat wird zur Synthese der meisten anderen Lithiumverbindungen, in der Keramik- und Glasindustrie sowie in der Aluminiumherstellung zur Verbesserung der Leitfähigkeit der Schmelze eingesetzt.
Gefahren bei Batterien
Den Vorteilen von Lithium für Batterien wie hohe Zellspannung (höchstes Normalpotenzial aller Elemente von -3,04 V!), geringes Gewicht und hohe Energiedichte (leichtestes Metall) stehen die möglichen Gefahren gegenüber. Brennende oder verpuffende Lithium-Ionen-Batterien existieren bekanntlich nicht nur in der Theorie. Besonders in kritischen Situationen wie in Flugzeugen sind Sicherheitsmassnahmen nötig, denn Batterien mit Fluorverbindungen setzen im Brandfall Fluor frei, das mit der Luftfeuchtigkeit zur gefährlichen Flusssäure reagiert.
Die Vorfälle mit den Galaxy Note 7 von Samsung haben die Problematik aufgezeigt: Nachdem Dutzende der Smartphones in Brand geraten waren, hat Samsung von den ausgelieferten 3,06 Millionen Handys unterdessen 96% wieder eingesammelt. Das koreanische Unternehmen schätzt die Kosten der Aktion auf über 5 Mia. US-Dollar.[2] Die Analyse der Akkus ergab zwei Gründe für die Brände: Ein wenig zu grosse Batterien, die ins enge Gehäuse gequetscht und dadurch intern beschädigt wurden sowie schlecht produzierte Batterien, bei denen Schweisspunkte im Innern zu dick waren. Teilweise fehlte zudem Isolierband. Man wollte zu viel Energie auf zu kleinem Raum – und zu viele Batterien in zu kurzer Produktionszeit.
In Lithium-Ionen-Batterien ist es nicht das Lithium selbst, von dem die Gefahr ausgeht (es ist ja nicht metallisch vorhanden), sondern der brennbare Elektrolyt (Kohlenwasserstoffverbindung), der durch die in der Batterie gespeicherte Energie entzündet werden kann. Dieses Problem existiert auch beim Entsorgen der Batterien, denn in mehrzelligen Akku-Packs sind selten alle Zellen entladen. Schutz vor Kurzschlüssen und Beschädigungen sind da wichtig.
Diese Situation birgt aber noch eine andere «Gefahr»: die der Überregulierung. Wenn durch Einzelfälle motiviert allgemeingültige Regeln und Gesetze für den Umgang mit Lithium-Batterien festgelegt werden, die deren Nutzung und Transport stark einschränken, weicht der Nutzer auf andere Technologien aus, die beispielsweise fossile Treibstoffe nutzen und umweltschädlicher sein können. Die Gesetzgeber stehen vor einer schwierigen Situation, denn sie müssten nicht nur differenziert auf die unterschiedlichen Arten von Lithium-Batterien reagieren, sondern auch möglichst schnell auf technologische Entwicklungen mit neuen Materialien. Denn es gibt auch Lithium-Batterien, die relativ ungefährlich sind, wie Kurzschluss- und Beschädigungstests an der Empa in Dübendorf zeigen. Dort werden auch andere Aspekte solcher Batterien untersucht: die Lebensdauer, die Zyklenfestigkeit, die elektrischen Eigenschaften. Auftraggeber kann die Industrie oder bei Schadensfällen auch die Forensik sein (siehe Beitrag auf letzter Seite dieser Ausgabe).
Recycling-Dilemma
Neben dieser aktuellen Herausforderung der Überregulierung gibt es noch eine Problematik, die sich erst in Jahrzehnten bemerkbar machen könnte: die des Recyclings. Gemäss Empa-Experte Marcel Gauch muss zwar laut Gesetz jede Batterie rezykliert werden, wie und was man davon aber verwertet, ist Interpretationssache. Er präzisiert: «Auch thermische Verwertung – z.B. die Oxidation von Metallen und Weiterverwendung der Schlacke im Baubereich – kann an die Recyclingrate angerechnet werden.» So kann man zwar beispielsweise Kupfer und Kobalt aus Lithium-Batterien zurückgewinnen, aber das oxidierte Lithium (Schlacke) wird als Bauzusatzstoff verwendet und steht künftig nicht mehr zur Verfügung.
Die Gewinnung von Lithium aus Batterien lohnt sich heute energetisch und finanziell nicht, denn die Konzentration in den Batterien ist dafür zu niedrig. Das Gewinnen von Lithium aus den Primärvorkommen benötigt weniger Energie bzw. es kann, wie im Fall von Salzseen, Sonnenenergie zur Erhöhung der Lithium-Konzentration genutzt werden.
Wenn dann in einem Jahrhundert der Lithiumabbau aus Primärvorkommen nicht mehr wirtschaftlich ist, hat man keinen Zugriff auf das «verbaute» Lithium. Der Empa-Experte Rolf Widmer fasst die Situation zusammen: «Sekundär-Lithium hat momentan schlechte Karten.» Er schlägt deshalb vor, den Recyclingweg filigraner zu machen, damit Lithium und andere Metalle nicht verloren gehen. Ein Code of Conduct sollte dazu führen, dass nicht nur die heute als wertvoll betrachteten Metalle wie Gold und Silber wiedergewonnen werden, sondern auch solche, die erst in einigen Generationen rar werden könnten. Das Ziel ist ein nachhaltiger Rohstoffkreislauf.
Ein Schritt in diese Richtung wäre das Vorlagern eines nasschemischen Verfahrens vor das pyrometallurgische, um das Lithium von den anderen Metallen zu trennen. Eine Lithium-Batterien-Entsorgungsgebühr könnte diesen aufwendigeren Prozess finanzieren. Aus marktwirtschaftlichen Überlegungen lohnen sich Investitionen in geschlossene Rohstoffkreisläufe zwar heute selten, aber die Empa-Studien machen klar, dass solche Investitionen in einem Jahrhundert ein echter Gewinn sein würden.
Lithium
Lithium ist ein äusserst leichtes, weiches und sehr reaktives Metall. Mit 0,534 g/cm³ bei 20°C verfügt es über die kleinste Dichte der festen Elemente. An feuchter Luft bildet sich rasch eine graue Lithiumhydroxid-Schicht, an trockener Luft langsam eine Lithiumnitrid-Oberfläche. Es wird deshalb beispielsweise in Paraffinöl gelagert. Bei direkter Berührung kann es zu schweren Verätzungen und Verbrennungen führen. Entdeckt wurde es 1817 durch Johan August Arfwedson bei der Analyse von Mineralien.
Referenzen
[1] Kangli Wang et al., «Lithium-antimony-lead liquid metal battery for grid-level energy storage», Nature 514, S. 348–350, 2014.
[2] Patrick Welter, «Samsung führt Brände auf Batterie-Probleme zurück», NZZ, 23.1.2017.
Literatur
- Wikipedia: Lithium.
- Christian Julien, Alain Mauger, Ashok Vijh, Karim Zaghib, Lithium Batteries – Science and Technology, Springer, 2016.
- Celina Mikolajczak, Michael Kahn, Kevin White, Richard Thomas Long, Lithium-Ion Batteries Hazard and Use Assessment, Springer, 2011.
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