Fachartikel Regulierung , Smart Grid

Bremsen lösen für V2G

Bidirektionales Laden

06.12.2022

Mitte der 2030er-Jahre werden in der Schweiz rund 2,4 bis 2,9 Millionen elektrisch betriebene Personenfahrzeuge unterwegs sein. Die aggregierte Speicherkapazität der in diesen Fahrzeugen verbauten Batterien ist immens. Um dieses Potenzial nutzen zu können, sind jedoch regulatorische Anpassungen nötig.

Die Zukunft der individuellen Mobilität ist elektrisch. Ob die Zukunft bidirektional sein wird, hängt von vielen Faktoren ab. Während die Verwendung bidirektionaler Fahrzeugbatterien innerhalb des Gebäudes (Vehicle-to-Home, V2H) nur eine erweiterte Form des Smart Charging darstellt, bringt die Schnittstelle zum Stromsystem im Falle von Vehicle-to-Grid (V2G) einige Knacknüsse mit sich. Neben den technischen und wirtschaftlichen Faktoren spielen die Regeln im stark regulierten Strommarkt eine entscheidende Rolle. Diese Regeln sind heute noch nicht auf die Integration von Millionen von dezentralen, mobilen Batterien ausgerichtet. Werden sie nicht angepasst, ist V2G im grossen Rahmen kaum vorstellbar.

Worüber wenig Zweifel besteht, ist das grosse Potenzial von bidirektionalem Laden. Ausgehend von Schätzungen des Branchenverbandes Swiss E-Mobility, rollen 2035 in der Schweiz 2,4 bis 2,9 Millionen elektrisch angetriebene Personenwagen. Die Batterien dieser Fahrzeuge haben eine aggregierte Speicherfähigkeit von gut 120 GWh. Im Vergleich dazu liegt das theoretische Speichervolumen sämtlicher Pumpspeicherkraftwerke in der Schweiz bei 300 GWh. Im Jahr 2050 wird die Speicherkapazität von Elek­trofahrzeugen ungefähr gleich gross sein wie der maximale Energie­inhalt aller Pumpspeicherwerke.

Um der V2G-Technologie eine Chance zu geben, braucht es in drei Bereichen regulatorische Änderungen: Bei der Speicherregulierung, bei der Flexbilitätsregulierung und bei der Marktregulierung.

Speicherregulierung

In der Schweizer Gesetzgebung sucht man vergeblich nach einer Definition für «Energiespeicher». Wenig überraschend gibt es auch keine Unterscheidung von stationären Speichern und mobilen Speichern in der Form von bidirektionalen Fahrzeugbatterien. Die Unterscheidung zwischen den verschiedenen Technologien ist aber wichtig, um neuen Geschäftsmodellen mehr Rechtssicherheit zu geben. Wirft man Pumpspeicherkraftwerke, netzgekoppelte Grossbatterien, Heimspeicher und Elektrofahrzeuge in denselben Topf, wird der Hochlauf von neuen Lösungen leicht abgewürgt. Für V2G ist vor allem die Definition von «mobilen Speichern» wichtig, da deren Voraussetzungen deutlich von stationären Speichern abweichen. In Artikel 2 der EU-Strombinnenmarktrichtlinie findet sich eine Definition für Energiespeicher, welche von der Schweiz einfach übernommen werden könnte. Für mobile Speicher besteht auch auf EU-Ebene noch ein Bedarf an rechtlicher Klärung.

In der Schweiz stehen Aggregatoren von Batterien noch vor einem weiteren Problem: Sie stehen in Konkurrenz zu Pumpspeicherkraftwerken, welche von der aktuellen Gesetzgebung massiv bevorteilt werden. Gemäss Stromversorgungsgesetz (Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe b) sind nämlich Speicher- und Pumpspeicherkraftwerke für den Eigenverbrauch und die Pumpenergie nicht netzentgeltpflichtig. Batteriespeicher hingegen werden als «Endverbraucher» behandelt und bezahlen das Netzentgelt. Von einem fairen Wettbewerb kann momentan keine Rede sein, und dass diese Ungleichbehandlung jeglicher Grundlage entbehrt, hat das ehemalige ElCom-Mitglied Christian Brunner an dieser Stelle ausführlich dargelegt. Er kommt zum Schluss: «Es gibt keinen Unterschied in den Dienlichkeiten eines Pumpspeicherwerks und eines Batteriespeichers. Wenn sie die gleichen Marktchancen haben sollen, müssen sie auch gleich behandelt werden.» Auch hier lohnt sich ein Blick auf die EU-Gesetzgebung. Dort werden Batterien zumindest dann vom Netzentgelt befreit, wenn der ausgespeiste Strom für Flexibilitätsdienstleistungen im Verteilnetz eingesetzt wird. Für die Schweiz wäre diese Bedingung im Sinne der Gleichbehandlung zu streichen, da keine vergleichbare Einschränkung für Pumpspeicherkraftwerke existiert.

Gegen die Befreiung vom doppelten Netzentgelt für dezentrale Batterien wird vielfach das Argument eingebracht, dass die Unterscheidung zwischen Endverbrauch und Speicherung in der Praxis schwierig sei. Ausserdem gäbe es noch kein System, welches den gespeicherten Strom verlässlich nachverfolgen lasse. Das ist richtig, sollte uns aber nicht davon abhalten, uns jetzt mit pragmatischen Lösungsansätzen zu beschäftigen. Mit der Digitalisierung der Netze entstehen die Voraussetzungen, um die notwendigen Nachweis-Systeme zu etablieren.

Flexibilitätsregulierung

Im sogenannten «Mantelerlass» (Revision des Energiegesetzes und des Stromversorgungsgesetzes) schlägt der Bundesrat eine Flexibilitätsregulierung vor. Diese war im Ständerat wenig umstritten und wird momentan in der zuständigen Kommission des Nationalrats diskutiert. Die vorgeschlagene Flexibilitätsregulierung schreibt im Grundsatz fest, dass Stromerzeuger, Speicherbetreiber und Endverbraucher das Recht haben, ihre Flexibilität zu nutzen und gegebenenfalls an Dritte zu verkaufen. Den Verteilnetzbetreibern wird nur in Notfällen ein Zugriff erlaubt, der gemäss Bundesrat angemessen vergütet werden muss. Des Weiteren wird der Netzbetreiber angewiesen, das Potenzial von Flexibilitäten in seiner Netzplanung zu berücksichtigen. Diese Regeln sind wichtig, um innovative Geschäftsmodelle im Verteilnetz zu ermöglichen und die Kosten des Netzausbaus möglichst tief zu halten.

In der EU ist die Regulierung bereits einige Schritte weiter. In Artikel 32 der Strombinnenmarktrichtlinie werden grosse Verteilnetzbetreiber verpflichtet, sich Flexibilität bei Anbietern dezentraler Erzeugung, Laststeuerung oder Energiespeicherung (inklusive Aggregatoren) zu beschaffen. Diese Beschaffung hat über marktbasierte Plattformen zu erfolgen. Um die Nutzung der Flexibilitäten transparent zu machen, haben die Netzbetreiber ausserdem regelmässig detaillierte Netzentwicklungspläne vorzulegen und aufzuzeigen, wie die Flexibilitäten zur Verhinderung von Netzausbau und zur Unterstützung eines effizienten Netzbetriebs eingesetzt werden sollen.

Ob das Schweizer Parlament den Mut hat, solche Grundlagen für lokale Flexibilitätsmärkte bereits im Mantelerlass festzuschreiben, wird sich zeigen. Was auf jeden Fall sichergestellt werden sollte, ist die klare Trennung von Markt und Monopol. Das heisst im aktuellen Zusammenhang, dass Netzbetreiber keine Speicheranlagen und Ladeinfrastruktur besitzen oder betreiben dürfen. Was in der EU schon lange gilt, ist in der Schweiz noch nicht explizit geregelt. Die ElCom hat zwar unlängst festgestellt, dass der Bereich Netzbetrieb eines Elektrizitätsunternehmens nicht für den Speicherbetrieb zuständig sein darf, das EVU aber sehr wohl einen Speicher betreiben kann. Voraussetzung sei eine saubere Entflechtung. In der Praxis lässt dies viel Spielraum und behindert die Ausbreitung von marktwirtschaftlichen Speicherlösungen in der Schweiz.

Marktregulierung

Fahrzeugbatterien und andere grosse Stromgeräte, wie Wärmepumpen oder Elektroboiler, können nur dann netzdienlich oder systemdienlich eingesetzt werden, wenn sie aggregiert werden. Dies bedeutet, dass eine übergeordnete digitale Plattform die koordinierte Steuerung übernimmt. Im Fachjargon nennt man solche Plattformen «virtuelle Kraftwerke». In der Schweiz betreibt Tiko seit 2014 ein solches virtuelles Kraftwerk mit Wärmepumpen, Elektroheizungen, Batterien und anderen grossen Stromgeräten. Die Flexibilität aus diesem Kraftwerk wird an den Regelenergiemärkten verkauft und trägt damit zur Stabilität des Schweizer Stromnetzes bei.

Europaweit gibt es mittlerweile viele verschiedene Anbieter, welche alle vor einer gemeinsamen Herausforderung stehen, nämlich dem Zugang von virtuellen Kraftwerken zu den Energiemärkten. Das bestehende Marktdesign ist immer noch auf grosse, zentrale Kraftwerke ausgerichtet und lässt neuen Akteuren oft wenig Spielraum, sich zu entfalten. Der meistgenutzte Ertragskanal für virtuelle Kraftwerke sind heute die Regelenergiemärkte. Diese Märkte sind allerdings klein, und die Zugangsregeln hängen stark vom jeweiligen Übertragungsnetzbetreiber ab.

Der weitaus liquidere Grosshandelsmarkt ist für viele virtuelle Kraftwerke noch nicht zugänglich, was ihre Wirtschaftlichkeit empfindlich einschränkt. In einigen europäischen Ländern gibt es Kapazitätsmärkte, an denen virtuelle Kraftwerke teilnehmen können, aber das Volumen hält sich in Grenzen. Lokale Flexibilitätsmärkte schliesslich sind in Europa erst im Entstehen begriffen. Sollen virtuelle Kraftwerke eine nennenswerte Rolle für die Stabilisierung der Netze und die Integration der erneuerbaren Energieproduktion spielen, dann brauchen sie auch in der Schweiz einen diskriminierungsfreien Marktzugang.

Grosses Potenzial für V2G-Anwendungen

Das Potenzial für Vehicle-to-Grid-Anwendungen ist auch in der Schweiz gross. Ob sich die Technologie durchsetzen wird, hängt nicht nur vom Ausbau der Infrastruktur, sondern auch von den regulatorischen Rahmenbedingungen im Strombereich ab. Zu den wesentlichen Bereichen gehören die Speicherregulierung, die Flexibilitätsregulierung sowie die Regeln für den Marktzugang von kleinen Anlagen. Es ist Zeit, die Entwicklung von V2G in der Schweiz ernsthaft zu diskutieren und die Änderung der entsprechenden regulatorischen Rahmenbedingungen rasch anzugehen. Es wird dabei nicht ohne den Dialog mit den etablierten Akteuren gehen. Allerdings zeigt die Erfahrung aus den Diskussionen in der EU auch, dass die innovativen Vertreter der (ehemaligen) Monopolisten und der Netzbetreiber oftmals noch einen schweren Stand haben. Spannende Diskussionen, aber auch gewisse Auseinandersetzungen sind vorprogrammiert. Am Ende möchten alle dasselbe: ein stabiles Netz und eine effiziente Integration der erneuerbaren Energien ins Stromsystem.

Autor
Stefan Dörig

ist Head of Regulatory and Public Affairs bei Tiko Energy Solutions AG.

  • Tiko Energy Solutions AG, 8004 Zürich

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