Fachartikel Eigenverbrauch , Erneuerbare Energien

Das schlummernde Potenzial der Thermoelektrik

Technologien, Wirkungsgrade und Einsatzgebiete

04.01.2017

Die Thermoelektrik – die direkte Gewinnung von Strom aus Wärme – wird bislang erst für Nischenanwendungen eingesetzt. Eine Studie im Auftrag des Bundesamts für Energie hat nun das Potenzial dieser Form der Energieumwandlung neu abgeschätzt. Das Potenzial im Bereich der industriellen Abwärme wäre zwar gross, die Nutzung für die produzierende Industrie aber noch unwirtschaftlich. Erfolgversprechend sind die Aussichten bei Kehrichtverbrennungsanlagen, im Gebäudebereich und bei Off-Grid-Anwendungen beispielsweise in Fahrzeugen.

Wenn zwei Temperaturniveaus vorhanden sind, lässt sich eine elektrische Spannung erzeugen. Der deutsche Physiker Thomas Johann Seebeck hat den «thermoelektrischen» Effekt vor bald 200 Jahren erstmals beschrieben. Die Nutzung einer Temperaturdifferenz zur Gewinnung von Elektrizität erscheint auf Anhieb attraktiv. Ingenieure und Tüftler haben denn auch immer wieder versucht, den «Seebeck-Effekt» zur Stromproduktion zu nutzen. Trotz langjähriger Bemühungen werden bei dieser Energieumwandlung heute erst Wirkungsgrade von 2 bis 7% erreicht, je nach Temperaturdifferenz, Temperaturbereich, dem verwendeten Material und der Systemintegration. So sind es bisher eher Nischenanwendungen, in denen die Thermoelektrik angewendet wird. Dazu gehört zum Beispiel die Raumfahrt: Operieren Raumsonden zu weit von der Sonne entfernt, ist photovoltaische Stromerzeugung nicht mehr möglich. Der Strom für den Betrieb der Sonde wird dann aus der Temperaturdifferenz von Zerfallswärme von Plutonium 238 und der Umgebungstemperatur (4 K) thermoelektrisch erzeugt.

Auf Thermoelektrik baut auch ein amerikanischer Hersteller von Containern für mobile Abwärmenutzung. Mit diesen Containern kann beispielsweise die Abwärme bei entlegenen Bohrungen für dezentrale Stromproduktion genutzt werden.

In der Schweiz entwickelt das ETH-Spin-off GreenTEG thermoelektrische Minigeneratoren, mit deren Strom sich Heizungsventile im Rahmen von Building-Management-Systemen energieautark regeln lassen.[1] Anwendungen sind auch für den umgekehrten Effekt bekannt, also für die direkte Umwandlung von Strom in Kälte über den Peltier-Effekt: So wird Strom zur Kühlung von Infrarotkameras genutzt oder in Spezialkühlschränken verwendet.

Effizientere Alternativtechnologien

Naheliegend ist die Idee, die thermoelektrische Stromerzeugung zur Abwärmenutzung aus industriellen Kühlmedien einzusetzen. Denn in zahlreichen Industrieprozessen fällt Abwärme an, die heute ungenutzt an die Umgebung abgegeben wird. Eine Studie im Auftrag des Bundesamts für Energie (BFE) hatte 2014 in den Industriesektoren Chemie, Metall, Papier und Nahrungsmittel ein erhebliches Potenzial für thermoelektrische Abwärmenutzung geortet. Dieses bisher ungenutzte Potenzial ist mit ein Grund, warum an der Thermoelektrik geforscht wird – in der Schweiz, aber auch weltweit. Eine neue BFE-Studie aus dem Jahr 2016 hat nun abgeschätzt, welcher Teil dieses Potenzials für die thermoelektrische Verstromung tatsächlich sinnvoll genutzt werden könnte. Beteiligt an der Studie waren die Empa, die Fachhochschule Nordwestschweiz und das Engineering-Unternehmen W. Neumann Consult AG, Windisch.

Die Autoren der Untersuchung gelangen zum nüchternen Schluss, dass der grösste Teil des Potenzials aus industrieller Abwärme für die Thermolektrik nicht in Frage kommt. Abwärme lässt sich nämlich mittels Wärmeverschiebung innerhalb eines Industriebetriebes oder als Fernwärme viel effizienter nutzen. Effizienter als Thermoelektrik ist auch die Verstromung mit klassischen Wasser-/Dampfkreisläufen (Temperaturbereich 250 bis 650 °C) oder mit Niedertemperatur-Kreisläufen (Temperaturbereich 80 bis 350 °C). Zu letzteren gehören Organic Rankine Cycle (ORC), bei denen organische Flüssigkeiten eingesetzt werden, die bei vergleichsweise tiefen Temperaturen verdampfen. ORC-Prozesse haben einen hohen Wirkungsgrad nahe am theoretisch erreichbaren Maximum (Carnot-Limit).

Einsatzgebiet KVA

Eine Chance hat die Thermoelektrik erst bei Temperaturen des Kühlwassers von weniger als 65 °C, weil hier Kreisprozesse nicht mehr effizient arbeiten. Doch auch bei dieser Nutzung ist die Wirtschaftlichkeit nicht gegeben, da die akzeptierten Amortisationszeiten in der Industrie lediglich drei bis fünf Jahre betragen und diese Werte momentan mit thermoelektrischen Anwendungen nicht erzielt werden können. Rentabel bei industriellen Kühlwässern wäre die Thermoelektrik zur industriellen Abwärmenutzung erst bei einem Strompreis von  55 Rp./kWh – einem Vielfachen der aktuellen Marktpreise. Die Thermoelektrik hätte somit einen schweren Stand, selbst wenn sich der Strompreis aus seinem aktuellen Tief erholen sollte. Co-Autor Thomas Helbling, Professor für Marketing an der Hochschule für Wirtschaft der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW), sagt es in aller Klarheit: «Für On-Grid-Anwendungen ist die Thermoelektrik bei der Abwärme aus industriellen Kühlwässern bis auf Weiteres keine wirtschaftliche Lösung.»

Anders sieht es bei Kehrichtverbrennungsanlagen (KVA) aus, da bei ihnen lange Abschreibungszeiten von bis zu 20 Jahren gelten. Zudem wird die Verstromung aus KVAs mittels kostendeckender Einspeisevergütung öffentlich gefördert. Die thermoelektrische Umwandlung eines Teils der Abwärme aus den Kondensationsprozessen von KVAs erscheint daher interessant, halten die Studienautoren fest. Nach ihrer Berechnung liesse sich auf diesem Weg in den 28 Schweizer KVAs zusammen eine elektrische Leistung von 10 MW gewinnen (das entspricht der Leistung von zwei bis drei grossen Windkraftanlagen).

Potenzial im Gebäudebereich

Aus den geschilderten Überlegungen folgt: Die Chancen der Thermoelektrik liegen bei Niedertemperatur-Abwärme von unter 65 °C in Anwendungsgebieten, die nicht den restriktiven wirtschaftlichen Bedingungen kurzer Amortisationszeiten unterstehen. Chancen für die Thermoelektrik sehen die Autoren denn auch im Gebäudebereich, wo Abschreibungszeiten von 25 Jahren akzeptiert werden bzw. gängig sind. «Im Gebäudebereich wird immer mehr gekühlt. Alle Kühlprozesse, die Wärme von 50 °C bis 60 °C an die Umgebung abgeben, sind für die Nutzung durch Thermoelektrik interessant», sagt Co-Autor Wolfgang Neumann, Geschäftsführer des gleichnamigen Engineering-Unternehmens. Neumann und die Co-Autoren der BFE-Studie denken in erster Linie an Kühlhäuser, grosse Bürogebäude mit Klimaanlage und an Serverräume, die ebenfalls Abwärme in erheblichem Umfang produzieren. Am Beispiel eines Migros-Kühlhauses in Neuendorf (SO) zeigen die Autoren, dass sich durch thermoelektrische Nutzung der 65grädigen Abluft aus der Kühlmaschine jährlich 875 MWh Strom gewinnen liessen, was dem Strombedarf von 290 Vier-Personen-Haushalten entspricht.

Neumann hat im Rahmen seiner Tätigkeit als Energieberater ein Projekt mit Serverkühlung in Kloten durchgerechnet. Es handelt sich dabei um eine Immobilie mit Wohnungen, Geschäftsräumen und einem Serverraum von 20 m² Fläche mit rund 50 Servern. «Wenn wir von den 10 kW Abwärme 2,5% thermoelektrisch nutzen können, ergibt das rund um die Uhr eine Leistung von 250 W bzw. einem Jahresertrag von 2190 kWh. Das entspricht fast dem Strombedarf eines kleinen Haushalts», sagt Neumann, «wir möchten mit diesem Projekt Erfahrungen sammeln und dann weitere Projekte angehen.»

Interessante Off-Grid-Anwendungen

Den zweiten Einsatzbereich für die Thermoelektrik neben dem Gebäudebereich orteten die Autoren bei Off-Grid-Anwendungen. Hier muss die Technologie nicht mit dem Preis des Netzstroms konkurrenzieren. Neben den Anwendungen auf Schiffen und in Flugzeugen ist vor allem die Anwendung in der Automobilindustrie interessant. «Automobilhersteller stehen unter hohem Druck, die Energieeffizienz von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren zu verbessern, um die immer strengeren CO2-Grenzwerte einzuhalten», sagt Dr. Corsin Battaglia, der sich früher mit photovoltaischer Stromerzeugung befasst hat und heute die Empa-Abteilung «Materialien für Energieumwandlung» leitet. «Rund zwei Drittel der im Treibstoff enthaltenen Energie entweicht als Wärme, die Hälfte davon durch den Auspuff», sagt Battaglia, «einen Teil dieser Energie kann die Thermoelektrik zurückgewinnen.» Das scheint auch sinnvoll, da der Stromverbrauch der Bordelektronik bei Fahrzeugen wächst. Verschiedene Autokonzerne arbeiten an Lösungen. Der schwedische Lkw-Hersteller Scania hat kürzlich einen Test-Lastwagen mit einem thermoelektrischen Energierückgewinnungssystem auf die Strasse geschickt.

Battaglia sitzt in seinem Büro an der Empa in Dübendorf und zeigt dem Besucher ein kommerziell erhältliches thermoelektrisches Modul. Es arbeitet auf der Basis von Bismuttellurid (Bi2Te3), heute das Standardmaterial für thermoelektrische Anwendungen. Bismuttellurid ist für die Anwendung in Autos nicht geeignet, weil das Material nur für Temperaturen von maximal 200 °C ausgelegt ist und bei höheren Temperaturen, wie sie im Auspuff anzutreffen sind, schmilzt. Bleitellurid (PbTe) wäre ein technisch geeignetes Material, allerdings darf Blei wegen seiner Giftigkeit in elektrischen Komponenten nicht mehr eingesetzt werden. Um Anwendungen bei Temperaturen von 250 bis 700 °C zu ermöglichen, favorisiert die Materialforschung heute Alternativmaterialien wie Skutterudite (RxCo4Sb12), Halb-Heusler-Legierungen (wie TiNiSn), Silicide (konkret: Mg2Si) und Tetrahedrite (wie Cu12Sb4S13). Diese Halbleiter versprechen Umwandlungsraten von thermischer in elektrische Energie von bis zu 10%. Für Autohersteller könnte dies neue Wege eröffnen, die Effizienz zu erhöhen. In Deutschland läuft bis 2018 ein Verbundprojekt mit verschiedenen Beteiligten, das mittelfristig den Serieneinsatz der Thermoelektrik in Autos ermöglichen soll. Offen ist die Frage, ob thermoelektrische Module dereinst einmal genügend Strom erzeugen, dass in PKWs auf den Alternator ganz verzichtet werden kann. Im Frühjahr 2016 hat die Empa ein vom BFE finanziertes Projekt gestartet, das dieser Frage nachgeht.

Literatur

Den Schlussbericht zum Projekt findet man unter www.aramis.admin.ch/Texte/?ProjectID=36371
Weitere Fachbeiträge über Forschungs-, Pilot-, Demonstrations- und Leuchtturmprojekte im Bereich Elektrizitätstechnologien findet man unter www.bfe.admin.ch/CT/strom.

Referenz

[1] Benedikt Vogel, «Der Thermostat wird energie­autark», unter: www.bfe.admin.ch/CT/strom

Autor
Dr. Benedikt Vogel

ist Wissen­schafts­journalist.

  • Dr. Vogel Kommunikation
    DE-10437 Berlin

Wie Wärme direkt zu Strom wird

Die Photovoltaik hat sich in den letzten fünf Jahrzehnten von einer Weltraum-Technologie zu einem Strom­erzeugungs­verfahren mit breiter Anwendung gewandelt. Dies inspiriert die Promotoren der thermoelektrischen Umwandlung, denn die Thermoelektrik basiert wie die Photovoltaik auf Halbleitern. Bei einer thermoelektrischen Anwendung herrscht auf der einen Seite des Halbleiters eine höhere, auf der anderen Seite eine niedrigere Temperatur. Auf der heissen Seite bewegen sich die Ladungsträger schneller, was zu einem Ladungsdefizit auf der heissen Seite und einem Ladungsträger­überschuss auf der kalten Seite führt – eine nutzbare elektrische Spannung wird generiert.

Für die thermoelektrische Energieumwandlung sind – wie bei der Photovoltaik – die Wahl und das Design des Materials entscheidend. Entsprechend wichtig sind Erkenntnisse aus der Materialforschung, wie sie beispielsweise an der Empa in Dübendorf betrieben wird.

Geeignete Materialien verfügen über eine hohe elektrische Leitfähigkeit und eine geringe Wärmeleitfähigkeit. «Das ist eine paradoxe Anforderung an ein Material, weil Wärme wie Elektrizität durch Elektronen weitergegeben wird», sagt Empa-Forscher Corsin Battaglia. «Klassische elektrische Leiter wie Kupfer sind gleichzeitig auch gute Wärmeleiter, und klassische Isolatoren wie Glas schirmen auch Wärme ab. Dieses Paradox müssen wir in der thermoelektrischen Materialforschung brechen.»

Die Wirkungsgrade hängen vom verwendeten thermoelektrischen Material ab sowie von der gegebenen Temperaturdifferenz (Bild  7). Bei Anwendungen in der Raumfahrt haben thermoelektrische Generatoren bewiesen, dass sie über Jahrzehnte einwandfrei funktionieren ­können.

Strom lässt sich aus Wärme nicht nur thermoelektrisch gewinnen, sondern beispielsweise auch magnetokalorisch (vgl. Benedikt Vogel, «Strom aus handwarmem Wasser», 
Bulletin SEV/VSE 11/2015, S. 37).

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